VwGH 2009/10/0084

VwGH2009/10/008427.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Schick, Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des S F in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 7. März 2007, Zl. UVS-SOZ/53/8185/2006, betreffend Sozialhilfe (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67d Abs1;
AVG §67d Abs4;
EMRK Art6;
SHG Wr 1973;
VStG §51e Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §67d Abs1;
AVG §67d Abs4;
EMRK Art6;
SHG Wr 1973;
VStG §51e Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolgeVerletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. September 2006 wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag des Beschwerdeführers vom 12. Juli 2005 auf Zuerkennung einer Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes von 12. Juli bis 11. August 2008 ab.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS) - ohne Durchführung der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung beantragten mündlichen Verhandlung - mit Bescheid vom 7. März 2007 keine Folge und bestätigte den erstbehördlichen Bescheid. Begründend führte der UVS aus, entgegen der Rechtsauffassung der Erstbehörde komme es für das Bestehen eines Sozialhilfeanspruchs des Beschwerdeführers nicht nur auf einen rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers an. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte "Unionsbürgerrichtlinie" sei in seinem Fall noch nicht maßgebend, dieser sei auf der Grundlage des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG) idF. vor der Novelle LGBl. Nr. 58/2006 zu beurteilen. Der Beschwerdeführer könne sich als italienischer Staatsangehöriger, der nach seinem Vorbringen im Jahr 2004 nach Österreich lediglich zu dem Zweck gekommen sei, um bei seinem Bruder und seiner Mutter, die bereits in Österreich wohnhaft gewesen seien, sowie bei seinem ihn begleitenden Vater zu leben, die Aufnahme einer unselbständigen Arbeit aber nicht beabsichtigt habe, nicht auf Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft berufen und somit keinen Sozialhilfeanspruch ableiten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 2. Dezember 2008, B 681/07-6, abgelehnt und sie mit Beschluss vom 4. März 2009, B 681/07-8, über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie vom Beschwerdeführer ergänzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand, beantragt aber die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Die Beschwerde erweist sich schon deshalb als begründet, weil die belangte Behörde trotz Antrags des Beschwerdeführers die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen hat.

Gemäß § 67d Abs. 1 AVG hat der unabhängige Verwaltungssenat auf Antrag oder, wenn er dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann gemäß § 67d Abs. 2 AVG in den hier genannten, im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Fällen entfallen. Ungeachtet eines Parteienantrages kann der unabhängige Verwaltungssenat gemäß § 67d Abs. 4 AVG von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

Streitigkeiten über Sozialhilfeleistungen betreffen nach der Judikatur des EGMR zivile Rechte iSd Art. 6 EMRK (vgl. z.B. EGMR 14. November 2006, Tsfayo, Zl. 60.860/00). Die belangte Behörde hätte daher eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 12. August 2010, Zl. 2008/10/0315).

Die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung wurde von der belangten Behörde, die den Beschwerdeführer mit einem vom erstbehördlichen Bescheid abweichenden und im Verwaltungsverfahren nicht erörterten Versagungsgrund überraschte, im Übrigen auch nicht begründet.

Diese hat dadurch ihr Verfahren mit einem wesentlichen Mangel belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu führen hatte.

Für das fortzusetzende Verfahren wird auf das zur gleichen Rechtslage ergangene hg. Erkenntnis vom 12. August 2010, Zl. 2008/10/0139, hingewiesen.

1.2. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

2. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 27. März 2012

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