VwGH 2010/06/0015

VwGH2010/06/001527.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. der F N und 2. der Mag. H N, beide in Wien, beide vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 15, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. Februar 2007, Zl. RU1-GP-748/001-2004, betreffend Enteignung nach dem Nö Straßengesetz (mitbeteiligte Partei: Gemeinde R), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art119 Abs5;
GdO NÖ 1973 §61 Abs4;
GdO NÖ 1973 §61;
GdO NÖ 1973;
LStG NÖ 1999 §11;
LStG NÖ 1999 §12;
LStG NÖ 1999 §13 Abs1;
LStG NÖ 1999 §13 Abs2;
MRKZP 01te Art1;
StGG Art5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;
B-VG Art119 Abs5;
GdO NÖ 1973 §61 Abs4;
GdO NÖ 1973 §61;
GdO NÖ 1973;
LStG NÖ 1999 §11;
LStG NÖ 1999 §12;
LStG NÖ 1999 §13 Abs1;
LStG NÖ 1999 §13 Abs2;
MRKZP 01te Art1;
StGG Art5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführerinnen insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerinnen sind Miteigentümerinnen des Grundstückes Nr. 49/2, KG S.

Die mitbeteiligte Partei beantragte unter Vorlage von Plänen (u.a. Plan Nr. 11) am 2. Mai 2005 gemäß § 12 Nö StraßenG 1999 (im Folgenden: Nö StrG 1999 "die Bewilligung einer Erschließungsstraße für die Häuser S… 2, 9, 15 und 16".

Der Gemeinderat der mitbeteiligten Partei hatte mit Verordnung vom 23. September 2004 die u.a. im Plan Nr. 11 dargestellte Straße auf den Parzellen Nr. 89, 49/2, 29/1 und 91, KG. S., zur Gemeindestraße erklärt.

Der Bürgermeister erteilte der angeführten Erschließungsstraße mit Bescheid vom 8. Juni 2005 die straßenbaurechtliche Bewilligung.

Der Gemeinderat der mitbeteiligten Partei wies die dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführerinnen mit Bescheid vom 27. Juli 2005 ab.

Die belangte Behörde gab der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführerinnen mit Bescheid vom 22. Dezember 2006 keine Folge.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, auf Grund der der Vorstellungsbescheid vom 22. Dezember 2006 mit Erkenntnis vom 16. September 2009, Zl. 2007/05/0013, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. Februar 2007 wurde das im beiliegenden Grundeinlösungsplan mit gelber Farbe gekennzeichnete, 155 m2 große Grundstück Nr. 49/2, EZ 1, KG S., für das angeführte Straßenprojekt dauerhaft und lastenfrei zu Gunsten der mitbeteiligten Partei enteignet (Spruchpunkt I) und in Spruchpunkt II eine Entschädigung festgesetzt.

Die Behandlung der dagegen zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom 1. Dezember 2008, B 536/07-13, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten.

In den die Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof betreffenden Ausführungen machen die Beschwerdeführerinnen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die strittige Frage der Notwendigkeit der Errichtung einer Straße bereits im straßenbaurechtlichen Bewilligungsverfahren zu prüfen ist und kann im nachfolgenden Enteignungsverfahren nicht mehr neuerlich hinterfragt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2008, Zl. 2005/05/0193, zu § 11 Nö StrG 1999). Der Erlassung eines Straßenbaubewilligungsbescheides hat nicht die Einleitung eines Enteignungsverfahrens vorauszugehen, soll doch gerade das Enteignungsverfahren die Durchführung der straßenrechtlichen Baubewilligung garantieren, sofern sich ein Enteignungsverfahren überhaupt als notwendig erweist. Im Erkenntnis vom 18. November 2003, Zl. 2001/05/0327, ergangen zum Oö StrG hat der Verwaltungsgerichtshof ausführlich begründet dargelegt, dass der straßenrechtliche Bewilligungsbescheid die Bedingungen festsetzt, welche bei der Ausführung der beabsichtigten Straßenbauten vom Standpunkt des öffentlichen Interesses und der mit diesem nicht in Widerspruch stehenden Interessen Dritter zu erfüllen sind. Er entfalte daher für das Enteignungsverfahren eine Bindungswirkung derart, dass die Notwendigkeit des konkreten Vorhabens im Enteignungsverfahren nur mehr sehr eingeschränkt geprüft werden dürfe. Im Enteignungsverfahren sei daher im Wesentlichen nur mehr die Frage zu prüfen, ob die Enteignung der für die Realisierung des Straßenbauvorhabens vorgesehenen Grundstücke im beantragten Umfang erforderlich sei (vgl. auch das angeführte hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2008 und das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2010, Zl. 2008/05/0266). Dem rechtskräftigen straßenbaurechtlichen Bescheid kommt damit im Enteignungsverfahren im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit der gewählten Trassenführung eine Tatbestandswirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 93/04/0124) zu, diese Frage stellt im Enteignungsverfahren daher keine Vorfrage dar.

Die belangte Behörde hat sich bei ihrer Entscheidung im Sinne der hg. Judikatur maßgeblich auf die im straßenbaurechtlichen Verfahren bindend geprüfte Frage der Notwendigkeit gerade des verfahrensgegenständlichen Straßenprojektes bezogen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 16. September 2009, Zl. 2007/05/0013, den im straßenbaurechtlichen Verfahren in letzter Instanz ergangenen Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom 22. Dezember 2006 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Nach diesem Erkenntnis war die entscheidende Frage, ob die Errichtung der Straße in der dem Projekt zu Grunde gelegten Art und Weise und im projektierten Umfang notwendig ist, von den Behörden noch nicht beantwortet, insbesondere ob die Straße in einer Breite von 6 m notwendig ist. Die belangte Behörde hat in der Folge mit Bescheid vom 4. November 2010 den straßenbaurechtlichen Berufungsbescheid vom 9. August 2006 aufgehoben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Nö GemeindeO 1973 über die Wirkung der Aufhebung eines gemeindebehördlichen Bescheides durch die Vorstellungsbehörde ausgesprochen, dass § 42 Abs. 3 VwGG als vergleichbare Regelung herangezogen werden kann (vgl. das angeführte hg. Erkenntnis vom 26. September 1995 mit weiteren Hinweisen auf Judikatur und Literatur). Danach wirkt auch eine Aufhebung durch die Vorstellungsbehörde wie ein aufhebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ex tunc. Dies bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof bzw. durch die Vorstellungsbehörde im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Allen Rechtsakten, die während der Geltung des dann vom Verwaltungsgerichtshof bzw. von der Vorstellungsbehörde aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, wurde damit im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen.

Angewendet auf den gegenständlichen Beschwerdefall bedeutet dies, dass auf Grund der Aufhebung des rechtskräftigen straßenbaurechtlichen Berufungsbescheides des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 6. August 2006 durch die Niederösterreichische Landesregierung als Vorstellungsbehörde mit Bescheid vom 4. November 2010 (mit - wie bereits erwähnt - ex tunc-Wirkung) vom Vorliegen der Notwendigkeit des konkreten Straßenprojektes im Hinblick auf eine rechtskräftig erteilte straßenbaurechtliche Bewilligung des Projektes im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr ausgegangen werden kann.

Der angefochtene Bescheid leidet daher an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Kostenmehrbegehren betreffend Schriftsatzaufwand war im Hinblick auf den in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag abzuweisen.

Wien, am 27. April 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte