European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00150.25X.1119.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht eine Berufsunfähigkeitsversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Berunfsunfähigkeits-Versicherung (Österreich) in der Fassung LV_AVB_BV_A.0802 (in der Folge: AVB) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„ § 2 Was ist eine Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
(1) Als Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen gilt
a) Berufsunfähigkeit infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall (Absätze 2 bis 5)
[…]
(2) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn Art, Schwere und Ausmaß einer Krankheit, einer Körperverletzung oder eines mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls nach allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnissen erwarten lassen, dass die versicherte Person ununterbrochen wenigstens sechs Monate mindestens zu 50 % außer Stande sein wird, ihrem zuletzt bei Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübten Beruf, wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, nachzugehen.
[…]
(4) Bei den folgenden beruflichen Ausprägungen gilt bei der Feststellung der Berufsunfähigkeit zusätzlich jeweils:
[…]
b) bei Selbstständigen und Freiberuflern liegen die Voraussetzungen für Berufsunfähigkeit nicht vor, wenn diese ihren Arbeitsplatz sowie ihren Tätigkeitsbereich und gegebenenfalls ihren Betrieb in zumutbarer Weise umorganisieren können und dadurch keine wesentliche Beeinträchtigung ihrer bisherigen Lebensstellung eintritt. Eine Umorganisation ist zumutbar, wenn sie wirtschaftlich zweckmäßig ist, von der versicherten Person aufgrund ihres unternehmerischen Freiraumes realisiert werden kann und keinen erheblichen Kapitalaufwand erfordert.
[…]“
[2] Die Erläuterungen und Hinweise zum Versicherungsschutz und zu den Bedingungen (Österreich) LV_ERLBU_A.0801 (in der Folge: Erläuterungen) lauten auszugsweise wie folgt:
„ § 11 Welche Bedeutung hat die Umorganisation Ihres Betriebes auf die BU-Feststellung?
[…]
Die Zumutbarkeit einer Umorganisation ist nicht von einer völligen Kostenneutralität abhängig. Gewisse kostenbedingte Einkommensminderungen sind von Ihnen dann hinzunehmen, wenn dadurch Ihr erzieltes Einkommen nicht spürbar unter das Niveau des zuletzt erzielten Einkommens absinkt. Eine Entscheidung über die Zumutbarkeit von einkommensmindernden Kosten einer Umorganisation kann gerechterweise nur im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der bei BU‑Eintritt vorliegenden betrieblichen Verhältnisse und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen getroffen werden. Wir halten hierbei einkommensmindernde Kosten für zumutbar, sofern sie 25 % aller versicherten BU‑Leistungen (versicherte jährliche BU‑Renten und Bruttoprämien) einschließlich der versicherten BU‑Leistungen bei anderen Versicherern nicht übersteigen. Sollten sich jedoch aufgrund der österreichischen Rechtsprechung der zweit‑ oder der höherinstanzlichen Gerichte eine andere Zumutbarkeitsbegrenzung ergeben, wäre diese zu berücksichtigen.
[…]“
[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er berufsunfähig im Sinn der AVB sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.
[5] 1. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine Summenversicherung, die Versicherungsleistung erfolgt also unabhängig vom Nachweis eines Schadens, insbesondere einer Einkommenseinbuße. Versicherte Gefahr in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der vorzeitige Rückgang oder der Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit (RS0112258). Diese Versicherungsart soll Schutz vor dem Zustand bieten, in dem ein Versicherter aus gesundheitlichen Gründen ganz oder teilweise nicht mehr in der Lage ist, seinen bisherigen Beruf oder einen angemessenen bedingungsgemäßen Vergleichsberuf auszuüben (RS0112257). Versichert ist nicht die berufliche Leistungsfähigkeit des Versicherten überhaupt, sondern nur in Verbindung mit bestimmten Berufen, wobei es auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ankommt (7 Ob 54/22z; vgl RS0111999).
[6] 2.1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 lit a und Abs 2 AVB nachgewiesen hat.
[7] 2.2. Nach § 2 Abs 4 lit b AVB liegen allerdings bei Selbständigen die Voraussetzungen für Berufsunfähigkeit nicht vor, wenn diese ihren Arbeitsplatz sowie ihren Tätigkeitsbereich und gegebenenfalls ihren Betrieb in zumutbarer Weise umorganisieren können und dadurch keine wesentliche Beeinträchtigung ihrer bisherigen Lebensstellung eintritt. Eine Umorganisation ist nach den AVB zumutbar, wenn sie wirtschaftlich zweckmäßig ist, von der versicherten Person aufgrund ihres unternehmerischen Freiraums realisiert werden kann und keinen erheblichen Kapitalaufwand erfordert. Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass Selbständige nicht als außerstande angesehen werden können, ihren Beruf auszuüben, sofern ihnen eine Umorganisation ohne nennenswerte Einkommenseinbußen möglich und zumutbar ist (RS0112002; 7 Ob 372/98a).
[8] 2.3. Für das Vorliegen eines Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043563; RS0043438). Die versicherte Person hat daher im vorliegenden Fall (auch) nachzuweisen, dass ihr eine Umorganisation ihres Betriebs im Sinn des § 2 Abs 4 lit b AVB nicht möglich oder nicht zumutbar ist (vgl 7 Ob 372/98a; Walchhofer/Zimmermann in Schauer, VersVG Nach § 179: Berufsunfähigkeitsversicherung Rz 57, 43; Marlow in BeckOKVVG29 § 172 Rn 92; Lücke in Prölss/Martin, VVG32 § 172 Rn 71; Dörner in MüKommVVG3 § 172 Rn 265).
[9] 2.4. Das Erstgericht traf zu den betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der dem Kläger möglichen Umstrukturierungsmaßnahmen ausschließlich Negativfeststellungen, weil dieser trotz Aufforderung durch einen der Sachverständigen die Betriebsergebnisse im relevanten Zeitraum nicht offenlegen wollte. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dem Kläger damit die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Umorganisation seines Betriebs im Sinn des § 2 Abs 4 lit b AVB und demzufolge der Nachweis des Versicherungsfalls nicht gelungen sei, findet Deckung im Wortlaut der Bedingungen und der darauf fußenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[10] Die Revision argumentiert unter (isolierter) Bezugnahme auf einen Satz in § 11 der Erläuterungen, die durch die Umorganisation bedingten einkommensmindernden Kosten seien jedenfalls dann unzumutbar, wenn diese 25 % der dort näher ausgeführten (der nicht festgestellten) versicherten Berufsunfähigkeitsleistungen überstiegen, weshalb ein sekundärer Feststellungsmangel vorliege. Da das Erstgericht aber schon die Höhe der durch die Umorganisation bedingten einkommensmindernden Kosten nicht feststellen konnte, stellt sich die von der Revision aufgeworfene Frage gar nicht.
[11] 3. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
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