OGH 2Ob92/25f

OGH2Ob92/25f23.10.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Florian Knaipp, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B*, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 12.150 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. März 2025, GZ 50 R 41/25y-17, womit in Folge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 22. Oktober 2024, GZ 22 C 443/24v-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00092.25F.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird in der Hauptsache wie folgt abgeändert:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 12.150 EUR samt 4 % Zinsen seit 18.7.2021 und 4 % Zinseszinsen seit 23.7.2024 (Tag der Klagszustellung) binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren auf Zahlung von 4 % Zinsen aus 12.150 EUR von 15.11.2016 bis 17.7.2021 wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.337,88 EUR (darin enthalten 3.889 EUR Barauslagen und 741,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger nahm im November 2016 als Verbraucher bei der beklagten Bank einen Kredit über 405.000 EUR auf. Die Beklagte verrechnete dabei „3 % Bearbeitungsentgelt vom Kreditbetrag bei Zuzählung“. Der Kreditvertrag lautete auszugsweise:

„Im Gesamtbetrag bzw. in den Gesamtkosten sowie im Effektiven Jahreszinssatz sind mit Ausnahme der Notargebühr, mit Ausnahme der Kosten für Grundbuchsgesuch fremd sowie den Kosten für die gerichtliche Eingabegebühr fremd, folgende einmalige Gebühren, Spesen und Entgelte, die wir Ihnen im Rahmen der Krediteröffnung verrechnen, enthalten. Diesbezüglich weisen Sie uns hiermit ausdrücklich an, die im Folgenden angeführten Beträge den jeweiligen Empfängerkonten gutzuschreiben:

[2] Der Kläger begehrte mit seiner am 18. 7. 2024 eingebrachten Klage die Rückzahlung des Bearbeitungsentgelts von 12.150 EUR. Er habe mit der hier zu beurteilenden Kreditaufnahme nur einen bestehenden Kredit aufgestockt, sodass die Vereinbarung einer 3%-igen Bearbeitungsgebühr jedenfalls exzessiv sei, weil die Bank bereits im Zusammenhang mit der ersten Kreditaufnahme Aufwand gehabt habe. Das Bearbeitungsentgelt, das nicht Teil des Entgelts für die Hauptleistungspflicht der Beklagten sei, sei in einem Vertragsformblatt vereinbart worden und unterliege der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Mangels konkreter Zusatzleistung sei das Entgelt missbräuchlich sowie intransparent.

[3] Die Beklagte bestritt und wandte ein, dass durch die Bearbeitungsgebühr der durch die Bearbeitung des Geschäftsfalls entstehende Aufwand der Bank abgedeckt werde. Der Bearbeitungsgebühr stünden näher dargestellte Leistungen der Bank von durchschnittlich 19 Stunden gegenüber. Auch bei bloßer Aufstockung eines Kredits müsse der wesentliche Teil dieser Leistungen erbracht werden. Die Kreditbearbeitungsgebühr sei Teil der Hauptleistung und unterliege daher nicht der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB. Sie sei im Übrigen weder gröblich benachteiligend noch intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Eine Überschneidung der Bearbeitungsgebühr mit anderen Entgelten liege nicht vor. Im Hinblick auf die mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen wendete die Beklagte Verjährung gemäß § 1480 ABGB ein.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil das Bearbeitungsentgelt die kontrollfreie Hauptleistung betreffe. Mangels Überschneidung mit anderen Entgelten liege auch keine Intransparenz vor.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Begriff „Bearbeitungsentgelt“ sei allgemein verständlich. Da auch die übrigen einmaligen Gebühren und Entgelte sich rein begrifflich voneinander trennen ließen, gäbe es insgesamt keine Überschneidungen.

[6] Die Revision ließ das Berufungsgericht im Hinblick auf die wegen der Vielzahl anhängiger Parallelverfahren gebotene Klarstellung zu.

[7] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn vollständiger Stattgebung der Klage abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung zulässig und überwiegend berechtigt.

[10] Der Kläger argumentiert, dass das Bearbeitungsentgelt nicht als Hauptleistung qualifiziert werden könne und damit der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterliege. Da die Höhe des prozentmäßig festgelegten Entgelts außer Verhältnis zum tatsächlichen Aufwand der Beklagten stehe, liege gröbliche Benachteiligung vor. Es liege auch eine zu Intransparenz gemäß § 6 Abs 3 KSchG führende Überschneidung zwischen dem Bearbeitungsentgelt und den anderen vereinbarten Entgelten (insbesondere für Liegenschaftsbesichtigung und ‑verwertung, Grundbuchsüberprüfung und Abwicklung über einen Treuhänder) vor.

[11] 1. Nach dem als Umsetzungsbestimmung zu Art 5 Satz 1 der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG (im Folgenden: Klausel‑RL) anzusehenden (Kathrein/Schodtsch in KBB6 § 6 KSchG Rz 31) § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Eine geltungserhaltende Reduktion einer nach § 6 Abs 3 KSchG intransparenten Klausel ist nach ständiger Rechtsprechung auch im Individualprozess ausgeschlossen (RS0122168).

[12] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat zu 6 Ob 13/16d ausgesprochen, dass der Begriff der „Bearbeitungsgebühr“ als Ausdruck des allgemeinen Sprachgebrauchs grundsätzlich nicht intransparent ist, sondern der gesonderte Ausweis dieses Entgelts – im Vergleich zur Verrechnung höherer Zinsen – die Preistransparenz sogar erhöhe.

[13] 1.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat das in Art 5 Klausel-RL enthaltene Transparenzgebot dieselbe Tragweite wie die in Art 4 Abs 2 Klausel-RL enthaltene Forderung nach der klaren und verständlichen Abfassung von Klauseln (C-84/19 , C-222/19 und C-252/19 , Profi Credit Polska, Rn 72 mwN; C-321/22 , Provident Polska, Rn 56). Das Transparenzgebot muss umfassend verstanden werden, sodass die Vertragsklausel nicht nur in grammatikalischer Hinsicht für den Verbraucher nachvollziehbar sein, sondern diesen auch in die Lage versetzen muss, auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen einzuschätzen (C-84/19 , C-222/19 und C-252/19 , Profi Credit Polska, Rn 73 mwN; C‑321/22 , Provident Polska, Rn 56; C-280/24 , Malicník, Rn 32). Mit anderen Worten bedarf der Verbraucher ausreichender Informationen bei Vertragsabschluss, damit er Kenntnis von Inhalt und Funktionsweise der Klausel, ihrer Rolle im Darlehensvertrag und den das Entgelt rechtfertigenden Gründen erlangt (C-224/19 , C-259/19 , Caixabank II, Rn 70). Es ist zwar nicht erforderlich, ausführliche Angaben zur Art aller Dienstleistungen zu machen, die als Gegenleistung für die Kosten erbracht werden, die dem Verbraucher auferlegt werden. Um jedoch dem Transparenzgebot Rechnung zu tragen, ist es wichtig, dass die Art der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen anhand des Vertrags als Ganzes angemessen verstanden oder abgeleitet werden kann. Darüber hinaus muss der Verbraucher in der Lage sein, zu überprüfen, dass sich diese verschiedenen Entgelte oder damit vergüteten Dienstleistungen nicht überschneiden (C-84/19 , C-222/19 und C-252/19 , Profi Credit Polska, Rn 75 mwN; C-321/22 , Provident Polska, Rn 57; C‑699/23 , Caja Rural, Rn 35; C-280/24 , Malicník, Rn 33). Die Nennung eines Prozentsatzes widerspricht als solches nicht dem Transparenzgebot (C-699/23 , Caja Rural, Rn 54).

[14] 1.3. Ausgehend von dieser Rechtsprechung des EuGH hat der Senat zu 2 Ob 238/23y eine Vereinbarung in einem Kreditvertrag, die eine einmalige Bearbeitungsgebühr von 4 %, Erhebungsspesen von 75 EUR, Überweisungsspesen von 15 EUR und Kosten für Porto und Drucksorten von 25 EUR vorsah, als intransparent qualifiziert, weil sich für Verbraucher nicht ausreichend klar überprüfen ließ, inwieweit es hierdurch zu Überschneidungen und Doppelverrechnungen kommt. Entsprechendes gilt nach 4 Ob 181/24g für eine Vereinbarung, wonach neben einer einmaligen Bearbeitungsgebühr und einer Kontoführungsgebühr auch eine einmalige Erhebungsgebühr und eine einmalige Lohnvormerkgebühr geschuldet wird und der Kreditnehmer sich zusätzlich zur Zahlung sonstiger Kosten und Gebühren verpflichtet, die nur beispielhaft (Stundungsgebühren und Ratenplanänderungen) angeführt sind, sodass sich die Bearbeitungsgebühr nicht klar von anderen Zahlungspflichten abgrenzen lässt. Schließlich beurteilte der Oberste Gerichtshof zu 5 Ob 191/24k eine Bearbeitungsgebühr mangels Überprüfbarkeit der darin enthaltenen Leistungen als intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG, weil sich dem Klauselwerk nicht mit hinreichender Gewissheit entnehmen ließ, ob diese Bearbeitungsgebühr zusätzlich zum Währungsumrechnungsentgelt zu bezahlen war oder nicht.

[15] 1.4. Auch im Anlassfall ist von Intransparenz iSd § 6 Abs 3 KSchG auszugehen. Eine Abgrenzung des mit 12.150 EUR vereinbarten Bearbeitungsentgelts zu den weiters vereinbarten Kosten – konkret zum „Entgelt für Liegenschaftsbesichtigung und -bewertung“, zum „Entgelt für Grundbuchsüberprüfung“ und zum „Entgelt für Abwicklung über Treuhänder“ – ist dem Verbraucher mit den ihm bei Vertragsabschluss zur Verfügung stehenden Informationen nicht möglich, sodass er die Art der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen anhand des Vertrags als Ganzes nicht angemessen verstehen kann. Die Argumentation der Beklagten, wonach das Kreditbearbeitungsentgelt einerseits und die „spezifischen Einzelentgelte“ andererseits für den Verbraucher erkennbar unterschiedlichen Zwecken dienten, überzeugt nicht, weil die Beklagte in den AGB nicht offenlegt, für welche Leistungen sie das Bearbeitungsentgelt verlangt, sodass auch eine Abgrenzung zu den weiteren, im Detail beschriebenen Entgelten nicht möglich ist. Wieso die Entgelte für „Liegenschaftsbesichtigung und -bewertung“ sowie für „Grundbuchsüberprüfung“ und „Abwicklung über einen Treuhänder“ keine Tätigkeiten betreffen sollten, die bei der Bearbeitung und Bereitstellung des Kredits anfallen und damit nach allgemeinem Sprachgebrauch unter eine „Kreditbearbeitungsgebühr“ zu subsumieren sind (vgl 2 Ob 238/23y Rz 8 mwN), ist nicht ersichtlich.

[16] Laimer (Kreditnebenkosten nach 2 Ob 238/23y, ÖJZ 2025/5, 16) geht davon aus, dass bei funktionell eindeutig unterscheidbaren und keine Dienstleistungen der Bank betreffenden Einzelentgelten vernünftigerweise keine Überschneidung mit einem Kreditbearbeitungsentgelt anzunehmen sei, und nennt als Beispiele die gesetzlich vorgesehene Gebühr für Grundbuchseintragungen, Kosten für Abfragen aus öffentlichen Büchern und Datenbanken, Kosten für die Liegenschaftsbewertung und Notariatsgebühren.

[17] Es bedarf im Anlassfall aber keiner näheren Auseinandersetzung mit dieser Rechtsansicht, weil die von der Beklagten in den AGB gewählten Formulierungen dem Verbraucher nicht hinreichend deutlich vor Augen führen, dass die Entgelte für Liegenschaftsbesichtigung und ‑bewertung sowie für Grundbuchsüberprüfung und Abwicklung über einen Treuhänder) keine mit dem Bearbeitungsentgelt abgegoltenen Dienstleistungen der Bank betreffen.

[18] 2. Näherer Ausführungen zur im Fall der Bejahung von Intransparenz nach europarechtlichen Vorgaben unabhängig vom Vorliegen einer Hauptleistung oder einer Frage der Preisangemessenheit iSd Art 4 Abs 2 Klausel-RL gebotenen Prüfung von Missbräuchlichkeit (C-321/22 , Provident Polska, Rn 58 mwN) bedarf es im Anlassfall aufgrund der sich nach österreichischem Recht an den Verstoß gegen § 6 Abs 3 KSchG knüpfenden Rechtsfolgen (siehe oben Punkt 1.) nicht.

[19] 3. Die Beklagte meint, dass sie sich auf die eine Zulässigkeit von Bearbeitungsentgelten bejahende Rechtsprechung (insbesondere die Entscheidung 6 Ob 13/16d) verlassen habe und eine nunmehr vorgenommene Missbräuchlichkeitsprüfung solcher Entgelte nach § 879 Abs 3 ABGB zu enormen Rückzahlungsverpflichtungen führen würde. Es sei damit eine Beschränkung der zeitlichen Urteilswirkungen geboten.

[20] Dem ist allgemein entgegenzuhalten, dass für zivilgerichtliche Erkenntnisse kein Rückwirkungsverbot gilt, sodass eine geänderte Rechtsprechung auch Sachverhalte erfassen kann, die sich davor verwirklicht haben (RS0109026). Da das Postulat einer „richtigen“ Entscheidung dem Schutz des Vertrauens des Rechtsanwenders vorgeht, muss stets mit einer Judikaturänderung gerechnet werden (10 Ob 65/17g; F. Bydlinski, Gegen die „Zeitzündertheorien“ bei der Rechtsprechungsänderung nach staatlichem und europäischem Recht, JBl 2001, 1 [17]; idS auch Kerschner/Kehrer in Klang3 § 12 ABGB Rz 31 mwN).

[21] Außerdem beziehen sich die Ausführungen der Beklagten auf eine im Anlassfall gar nicht erfolgte Missbräuchlichkeitsprüfung des Bearbeitungsentgelts nach § 879 Abs 3 ABGB. Inwiefern und aus welchen konkreten Entscheidungen abgeleitet sie schützenswert auf die vom Obersten Gerichtshof im Anlassfall allein geprüfte Transparenz der konkret verrechneten Entgelte vertraut haben will, legt die Beklagte im Revisionsverfahren nicht dar.

[22] 4. Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme gelten ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht als Verzögerungszinsen im Sinne des § 1333 ABGB und verjähren daher nach § 1480 ABGB in drei Jahren; darunter fallen auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“), wie etwa bei bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung eines unwirksamen Vertrags (4 Ob 210/23w Rz 11 f; RS0031939). Der in erster Instanz erhobene Verjährungseinwand der Beklagten, dem der Kläger im Übrigen nicht entgegengetreten ist, erweist sich folglich in Bezug auf die bei Klageerhebung mehr als drei Jahre rückständigen Zinsen als berechtigt.

[23] 5. Insgesamt war der Revision des Klägers damit ganz überwiegend Folge zu geben.

[24] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 43 Abs 2 1. Fall (teils iVm § 50) ZPO. Das geringfügige Unterliegen im Zinsenbegehren hat keinen besonderen Aufwand verursacht.

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