OGH 7Ob172/25g

OGH7Ob172/25g22.10.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, vertreten durch Mag. Werner Thurner, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, wegen 840.430,36 EUR sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 4. September 2025, GZ 2 R 126/25d‑9, womit der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 21. Juli 2025, GZ 69 Cg 67/25b‑2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00172.25G.1022.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Versicherungsvertragsrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs, dessen Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt von der beklagten Betriebshaftpflichtversicherung der Arbeitgeberin des geschädigten Versicherten Zahlung von 840.430,36 EUR sA sowie die Feststellung, dass die Beklagte der Klägerin aus dem Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag für sämtliche künftigen Pflichtaufwendungen hafte, die die Klägerin aufgrund des Unfalls ihres Versicherten zu erbringen haben werde.

[2] Zur Begründung der (örtlichen) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf § 92a JN. Ihr Versicherter sei beim Versuch, den Feuchtigkeitsgrad eines Holzstücks zu messen, von einer hydraulischen Presse eingezogen und schwer verletzt worden. Seine Arbeitgeberin, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet worden sei, hafte für den Arbeitsunfall, weil deren Organe diesen grob fahrlässig verursacht hätten. Die sich aus § 334 ASVG ergebenden Regressansprüche habe die Klägerin im Insolvenzverfahren der Arbeitgeberin angemeldet. Weil diese Forderung zunächst bestritten worden sei, habe die Klägerin eine Prüfungsklage eingebracht. Im vom geschädigten Versicherten angestrengten Verfahren auf Gewährung einer Integritätsabgeltung nach § 213a ASVG sei das grob fahrlässige Verhalten der Arbeitgeberin festgestellt worden. Die Beklagte habe den Eintritt in den Schadensfall gegenüber der Arbeitgeberin qualifiziert abgelehnt. Im Prüfungsprozess habe der Insolvenzverwalter den Regressanspruch nach § 334 ASVG dem Grunde nach anerkannt und die Klageforderung der Höhe nach auf der Grundlage eines Gesamtregressanspruchs von 1,5 Millionen EUR verglichen. Die Feststellung der Forderung im Insolvenzverfahren habe die Wirkung einer rechtskräftigen Entscheidung über deren Bestand. Der Deckungsanspruch der Arbeitgeberin gegenüber ihrer Betriebshaftpflichtversicherung sei der Klägerin abgetreten worden, sodass diese berechtigt sei, unmittelbar Leistungsklage gegenüber der beklagten Versicherung zu erheben.

[3] Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Die Klägerin mache keinen Schadenersatzanspruch geltend, sondern behaupte die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Ein Verbesserungsverfahren sei nicht angezeigt gewesen, weil die Klägerin klareTatsachenbehauptungen zur Begründung der Zuständigkeit nach § 92a JN aufgestellt und es keinerlei Hinweis für das Erstgericht gegeben habe, dass sich die Klägerin auch auf § 87 JN stütze. Da die Klägerin keinen unmittelbaren Schadenersatzanspruch gemäß § 1327 ABGB aus der Verletzung einer Person, sondern einen Anspruch der Schädigerin aus dem Versicherungsvertrag geltend mache, den diese mit der beklagten Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen habe, könne sie sich nicht auf § 92a JN stützen.

[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin.

[6] Das Revisionsrekursverfahren ist einseitig (§ 521a ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[8] 1. Der Revisionsrekurs der Klägerin ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nicht jedenfalls unzulässig, weil das Erstgericht die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat. Bei Zurückweisung wegen Unzuständigkeit greift diese Ausnahmeregelung auch dann, wenn die Klägerin – wie hier – hilfsweise einen Überweisungsantrag nach § 230a ZPO gestellt hat (vgl RS0039108).

[9] 2. Die behaupteten Mangelhaftigkeiten des Rekursverfahrens wurden geprüft, liegen jedoch nicht vor (§ 528a ZPO iVm § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[10] 3.1. Gemäß § 92a JN können Streitigkeiten über den Ersatz des Schadens, der aus der Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, aus einer Freiheitsberaubung oder aus der Beschädigung einer körperlichen Sache entstanden ist, auch bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist.

[11] Ratio legis dieser Bestimmung ist nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage die Klärung der Schadensverursachung, insbesondere des Verhaltens des Schädigers, durch ein Gericht am Ort der Schadenszufügung, andererseits die Abführung möglichst aller Prozesse von Geschädigten oder für alle Schadensfolgen bei demselben Gericht (669 BlgNR 15. GP  39).

[12] 3.2. Von § 92a JN werden nicht nur deliktische Schadenersatzansprüche, sondern auch Schadenersatzansprüche aus Vertragsverletzungen erfasst (RS0046693 [T2]; RS0046705 [T1]; Mayr in Rechberger/Klicka 5 § 92a JN Rz 1; Simotta in Fasching/Konecny 3 § 92a JN Rz 1; Kustor/Prossinger in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 92a JN Rz 1).

[13] Die Bestimmung gilt ebenso für die aus Sachschäden durch Vertragsverletzung abgeleiteten Regressforderungen des Versicherers als Legalzessionar, macht dieser doch – soweit er dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt hat – die auf ihn übergegangenen Rechte und keine eigenen Rechte geltend (RS0046705; 6 Ob 589/93; Mayr in Rechberger/Klicka 5 § 92a JN Rz 1; Simotta in Fasching/Konecny 3 § 92a JN Rz 4; Kustor/Prossinger in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 92a JN Rz 3).

[14] Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 92a JN auf Ersatzansprüche aus Vertragsverletzungen ist allerdings, dass der entstandene Schaden auf einem für diesen Gerichtsstand maßgebenden Tatbestand als Entstehungsursache, also der „Tötung oder Verletzung einer oder mehrerer Personen, einer Freiheitsberaubung oder einer Beschädigung einer körperlichen Sache“ beruht (RS0046714; 6 Ob 589/93; 2 Ob 72/95). Reine Erfüllungsansprüche unterliegen nicht § 92a JN (1 Ob 133/13k; vgl auch RS0046714 [T1]).

[15] 3.3. Die Anwendung von § 92a JN scheitert im vorliegenden Fall daran, dass die Klägerin nach ihrem für die Zuständigkeitsprüfung maßgeblichen Vorbringen inhaltlich keinen Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte geltend macht. Die Klägerin behauptet vielmehr einen auf sie übergegangenen Deckungsanspruch der Arbeitgeberin (Versicherungsnehmerin) gegen deren Betriebshaftpflichtversicherer. Dabei handelt es sich um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch (Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer aus dem Versicherungsvertrag), der nicht § 92a JN unterliegt.

[16] Die Frage der zivilrechtlichen Haftpflicht des Versicherungsnehmers ist im Haftpflichtprozess zwischen ihm und dem Geschädigten zu klären, während der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers, wenn er strittig ist, zwischen ihm und dem Versicherer im Deckungsprozess geprüft werden muss (Trennungsprinzip: 7 Ob 142/18k; vgl RS0081927). Dass im Deckungsprozess möglicherweise Fragen behandelt werden, die auch den Haftpflichtanspruch betreffen (zB Vorsatzausschluss), macht das vorliegende Verfahren aber nicht zu einer Streitigkeit über den Ersatz des Schadens, der aus der Tötung oder Verletzung einer Person herrührt. Die vom Revisionsrekurs zitierte Entscheidung 2 Ob 210/11p ist nicht einschlägig, weil diese eine Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer eines Hubschraubers (§ 166 LFG) zum Gegenstand hatte und überdies Art 5 Nr 3 EuGVVO (nunmehr Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) betraf.

[17] 4. Zusammengefasst unterliegt der von der Klägerin geltend gemachte Deckungsanspruch nicht § 92a JN. Der Revisionsrekurs ist daher erfolglos. Damit hat die Klägerin auch die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

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