OGH 11Os94/25w

OGH11Os94/25w7.10.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Oktober 2025 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Kontr. Tastekin als Schriftführerin in der Verbandsverantwortlichkeitssache der D* P* KG wegen § 3 Abs 1 Z 1, Abs 2 und Abs 3 Z 2 VbVG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des belangten Verbands gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 25. März 2025, GZ 33 Hv 130/24h‑87, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00094.25W.1007.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die D* P* KG gemäß § 3 Abs 1 Z 1, Abs 2 und Abs 3 Z 2 VbVG für die als Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB beurteilten Straftaten verantwortlich erkannt, die ihre Entscheidungsträgerin * P* (in Erfüllung des § 3 Abs 2 VbVG) sowie ihr Mitarbeiter * Y* (in Erfüllung des § 3 Abs 3 Z 1 und 2 VbVG) jeweils zu Gunsten der Gesellschaft begangen haben (zum Urteil gegen die natürlichen Personen siehe 11 Os 93/25y).

 

Zu den Rechtsmitteln:

Rechtliche Beurteilung

[2] Vorangestellt sei, dass der Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 21 Abs 2 VbVG mit der Anklage der * P* und des * Y* wegen jener Straftaten verbunden war, für die der Verband – als dessen Entscheidungsträger (§ 2 Abs 1 VbVG) die Erstgenannte und als dessen Mitarbeiter (§ 2 Abs 2 VbVG) der Zweitgenannte gehandelt habe – verantwortlich (§ 3 VbVG) sein soll (ON 56). Daher kamen dem belangten Verband (§ 13 Abs 1 zweiter Satz VbVG) gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG auch im betreffenden Verfahren gegen diese natürlichen Personen die Rechte des Beschuldigten zu (RIS‑Justiz RS0133395).

[3] Der belangte Verband war in der gesamten – gemäß § 22 Abs 1 VbVG gemeinsam mit jener gegen ihn selbst geführten – Hauptverhandlung im Verfahren gegen die natürlichen Personen vertreten (ON 85.1).

[4] In der Hauptverhandlung am 25. März 2025 wurde zunächst das Urteil über die natürlichen Personen (§ 22 Abs 1 VbVG) verkündet, mit dem * P* und * Y* der ihnen zur Last gelegten strafbaren Handlungen schuldig erkannt wurden (ON 85.1 S 63 f, ON 86). Sodann wurde – gemäß § 22 Abs 2 VbVG davon getrennt – das Urteil über den belangten Verband verkündet (ON 85.1 S 65 f, ON 87).

[5] Dem belangten Verband stand es frei, das Urteil über die natürlichen Personen (ON 86) oder das über ihn selbst ergangene Urteil (ON 87) oder beide Urteile zu bekämpfen (§ 15 Abs 1 zweiter Satz VbVG, § 24 VbVG).

[6] In einem binnen der Frist des § 284 Abs 1 StPO (§ 294 Abs 1 erster Satz StPO) eingebrachten Schriftsatz erklärte er (bloß), Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen „das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25.03.2025 zu 33 Hv 130/24h“ anzumelden (ON 78).

[7] Dieser Erklärungsinhalt ließ offen, gegen welches von beiden Urteilen sich seine Rechtsmittel richten sollten. Ein Rechtsmittel wurde damit gegen keines von beiden Urteilen deutlich und bestimmt angemeldet (RIS‑Justiz RS0100007 [T11]).

[8] Die – binnen vier Wochen nach Zustellung von Ausfertigungen beider Urteile an den Verteidiger des belangten Verbands (ON 1.49) – vom belangten Verband (nur) gegen das Verbandsurteil (ON 87) ausgeführten Rechtsmittel wurden demnach von einer Person eingebracht, der diese nicht (mehr) zukommen (§ 285a Z 1 StPO, § 294 Abs 4 erster Satz StPO).

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückgewiesen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO, § 296 Abs 2 StPO).

 

Zur amtswegigen Maßnahme:

[10] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Ausspruch der Verbandsverantwortlichkeit für die (Anknüpfungs‑)Taten nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit (nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die dem belangten Verband zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[11] Strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Verbands für die „Straftat“ (§ 3 Abs 1 VbVG, § 1 Abs 1 zweiter Satz VbVG) einer natürlichen Person nach (hier relevant) § 3 Abs 1 und 2 VbVG und § 3 Abs 1 und 3 Z 1 und 2 VbVG setzt – unter anderem – voraus, dass die Tat zu Gunsten des Verbands begangen worden ist (§ 3 Abs 1 Z 1 VbVG) oder durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen (§ 3 Abs 1 Z 2 VbVG).

[12] Das Erstgericht ging davon aus, dass die Straftaten „zu Gunsten des belangten Verbandes“ begangen wurden (§ 3 Abs 1 Z 1 VbVG), ohne dass dem angefochtenen Urteil eine diese rechtliche Beurteilung ermöglichende Feststellungsbasis zu entnehmen ist, wonach Erträgnisse aus der Tat direkt dem Verband zugeflossen sind, sich dieser einen Aufwand erspart hat, ihm ein sonstiger mittelbarer Vermögensvorteil zugekommen istoder einer dieser Erfolge hätte eintreten sollen (vgl RIS‑Justiz RS0131245, Lehmkuhl/Zeder in WK2 VbVG § 3 Rz 8 f, Wiesinger/Birklbauer in Birklbauer/Oberressl/Wiesinger, VbVG § 3 Rz 8 ff).

[13] Hinzugefügt sei, dass dem Ersturteil auch kein Sachverhaltssubstrat zu entnehmen ist, wonach Pflichten verletzt wurden, die den Verband treffen (§ 3 Abs 1 Z 2 VbVG). Solche Pflichten müssen den Verband selbst und nicht den Entscheidungsträger oder Mitarbeiter treffen (Wiesinger/Birklbauer in Birklbauer/Oberressl/Wiesinger, VbVG § 3 Rz 14). Laut den Urteilsfeststellungen wurden die öffentlichen Apotheken durch die Österreichische Apothekerkammer über die Voraussetzungen und Bedingungen der Abgabe von Paxlovid mehrfach informiert und insbesondere auch darauf hingewiesen, dass ein Verkauf absolut unzulässig ist (US 5). Gemäß § 8 Abs 4 Apothekerkammergesetz 2001 sind die Mitglieder der Apothekerkammer verpflichtet, kammerrechtliche Vorschriften einzuhalten und die Beschlüsse der Kammerorgane zu beachten. Personengesellschaften kommen als Mitglied der Apothekerkammer jedoch nicht in Betracht (siehe § 7 Apothekerkammergesetz 2001).

[14] Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen führte – erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG).

[15] Hinzugefügt sei, dass ein wegen (Anknüpfungs‑)Taten ergangener rechtskräftiger Schuldspruch der natürlichen Personen unter den in der Rz 4 zu 13 Os 128/20b formulierten Voraussetzungen (RIS‑Justiz RS0133674) auch für den Verband bindend ist (zu den Auswirkungen im Hauptverfahren – hier des zweiten Rechtsgangs – Oberressl, Besonderheiten des Haupt- und des Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020, 815 [826] sowie derselbe in Birklbauer/Oberressl/Wiesinger, VbVG § 15 Rz 52 bis 57 und § 22 Rz 75).

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