OGH 7Ob136/25p

OGH7Ob136/25p25.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und durch die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* E*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* SE, *, Liechtenstein, vertreten durch die DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, aus Anlass des Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 11. Juni 2025, GZ 7 R 12/25a‑24, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Februar 2025, GZ 17 Cg 50/24a‑20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00136.25P.0925.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

 

Spruch:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den von der Cour de cassation am 3. Dezember 2024 eingereichten Antrag auf Vorabentscheidung (C‑825/24 ) unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt mit der beim Erstgericht eingebrachten Klage, es werde mit Wirkung zwischen der E* GmbH und der Beklagten festgestellt, dass die Beklagte der E* GmbH für sämtliche Schäden, Kosten und Aufwendungen, die in Zusammenhang mit der Vermittlung und Beratung von Vermögensverwaltungs-verträgen der I* AG an den Kläger stehen, aufgrund und im Umfang der Rahmenvereinbarung vom 6. 9. 2012 in Verbindung mit der Polizze von R* A* Deckung zu gewähren habe.

[2] Die E* GmbH mit Sitz im Sprengel des Erstgerichts habe über ihr zurechenbare Vermögensberater, darunter R* A*, Vermögensanlageprodukte vermittelt. In diesem Zusammenhang habe sie mit der Beklagten am 6. 9. 2012 eine Rahmenvereinbarung zur Vermögensschadenhaftpflicht für gewerbliche Vermögensberater abgeschlossen. Aufgrund dieser Rahmenvereinbarung sei sie in der Polizze von R* A* als weitere Versicherungsnehmerin mitversichert.

[3] Der Kläger sei bei seiner Vermögensveranlagung von der E* GmbH fehlerhaft beraten worden. Daraus sich ergebende Ansprüche habe er außergerichtlich bereits geltend gemacht. Er begehre nunmehr die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten gegenüber der Versicherungsnehmerin. Daran habe er aufgrund der Untätigkeit Letzterer ein rechtliches Interesse.

[4] Die Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich aus einer in der Rahmenvereinbarung vom 6. 9. 2012 unter Verweis auf die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Berufshaftpflichtversicherung (ABHV) (Art 15 ABHV) getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung, wonach für sämtliche das Versicherungsverhältnis betreffenden Rechtsstreitigkeiten das Gericht des inländischen Wohnsitzes des Versicherungsnehmers zuständig sei. Die gegenständliche Klage stelle auf die Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers gegenüber der Versicherungsnehmerin ab und sei daher von der Gerichtsstandsvereinbarung umfasst.

[5] Die Beklagte erhob die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit und beantragte die Zurückweisung der Klage. Weder die EuGVVO noch das LGVÜ 2007 würden zur Anwendung gelangen. Zwischen den Parteien bestehe kein Vertragsverhältnis. Sie hätten keinen Vertrag und somit auch keine Gerichtsstandsvereinbarung abgeschlossen. Der Verweis auf die Rahmenvereinbarung vom 6. 9. 2012 sei unbeachtlich, weil darin der Name des Klägers nicht aufscheine und diese Urkunde daher zum Nachweis einer Gerichtsstandsvereinbarung ungeeignet sei.

[6] Das Erstgericht wies die Klage zurück. Eine Gerichtsstandsvereinbarung wirke grundsätzlich nur zwischen den Parteien, die sie vereinbart hätten, womit sie in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche nicht zu berücksichtigen sei.

[7] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass die Einrede der internationalen Unzuständigkeit verworfen wurde. Die gegenständliche Gerichtsstandsvereinbarung sei nach Art 25 EuGVVO zu beurteilen. Grundsätzlich seien Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten nicht am Vertrag unmittelbar beteiligter Dritter zulässig. Diese könnten sich auf eine Gerichts‑standsvereinbarung berufen, wenn die Auslegung der Klausel zu dem Ergebnis führe, dass diese (auch) den Schutz der Dritten bezwecke. Aus dem Wortlaut der gegenständlichen Gerichtsstandsvereinbarung ergebe sich nicht, dass sich nur die Parteien des Versicherungsvertrags darauf berufen dürften. Soweit – wie im konkreten Fall – eine Direktklage geschädigter Dritter gegen die Beklagte möglich sei, sei die Gerichtsstandsklausel für diese als redliche Erklärungsempfängerin so zu verstehen, dass sich auch dergeschädigte Dritte auf die Klausel berufen könne.

[8] Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob sich ein geschädigter Dritter im Fall der Klage auf Feststellung eines Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers auf eine zwischen den Parteien des Versicherungsvertrags vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung berufen könne.

[9] In ihrem dagegen erhobenen Revisionsrekurs beantragt die Beklagte die Abänderung der Rekursentscheidung dahin, dass die internationale Unzuständigkeit ausgesprochen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt in seinerRevisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Der Cour de cassation hat mit Entscheidung vom 9. 10. 2024 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1. Ist Art. 25 der Ver‑ ordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia) dahin auszulegen, dass im Falle eines Vertrags, der eine Vereinbarung zugunsten Dritter enthält, die Möglichkeit eines aus dieser Vereinbarung Begünstigten, sich auf die in diesem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel zu berufen, nach dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht zu beurteilen ist oder dahin, dass sie nach einer auf diesem Artikel beruhenden materiell-rechtlichen Vorschrift zu beurteilen ist?

2. Ist im zweiten Fall Art. 25 der Brüssel‑Ia‑Verordnung dahin auszulegen, dass, wenn eine Vertragspartei eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten eingeht, der Dritte sich gegenüber den Vertragsparteien auf die im Vertrag vorgesehene Gerichtsstandsklausel unabhängig von der Art des Vertrags berufen kann?

3. Ist Art. 25 der Brüssel-Ia-Verordnung dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsklausel, die in einem Vertrag enthalten ist, der eine Kategorie von Begünstigten der von den Parteien eingegangenen Verpflichtungen definiert und das Verfahren zur Bestimmung dieser Begünstigten festlegt, von einem Dritten, der in diesem Vertrag nicht namentlich genannt wird und sich auf die Eigenschaft des Begünstigten der Vereinbarung zugunsten Dritter beruft, gegenüber den Vertragsparteien geltend gemacht werden kann?

4. Ist Art. 25 der Brüssel-Ia-Verordnung dahin auszulegen, dass die Möglichkeit eines aus einer Vereinbarung zugunsten Dritter Begünstigen, sich auf eine Gerichtsstandsklausel zu berufen, davon abhängt, dass im Vertrag ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Vereinbarung zugunsten Dritter auf die Gerichtsstandsklausel anwendbar ist?

[12] Das Vorabentscheidungsersuchen wurde am 3. 12. 2024 beim EuGH eingereicht, das Verfahren ist zu C‑825/24 anhängig.

[13] 2. Dieses Vorabentscheidungsverfahren ist für die Entscheidung im vorliegenden Fall präjudiziell, in dem zu beurteilen ist, ob sich der Kläger als Dritter auf eine in den Versicherungsbedingungen zur Rahmenvereinbarung vom 6. 9. 2012 enthaltene Gerichtsstandsklausel berufen kann. Die Auslegung des Art 25 EuGVVO ist auch im vorliegenden Verfahren von entscheidender Bedeutung.

[14] 3. Da der Oberste Gerichtshof von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden hat, ist das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RS0110583).

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