OGH 7Ob145/25m

OGH7Ob145/25m25.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* GmbH, *, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 224.648,74 EUR sA über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Juni 2025, GZ 33 R 91/25g‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00145.25M.0925.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Klägerin zeigt mit ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[2] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Garant vom Begünstigten die strikte, „pedantisch genaue“ Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen zu verlangen („formelle Garantiestrenge“; RS0016983; RS0016946; RS0016999). Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt, wenn – wie hier – die Auszahlung der Bankgarantie nur von einer Erklärung des Begünstigten abhängt (RS0121551).

[3] 1.2. Allerdings ist auch anerkannt, dass bei rechtsgeschäftlich vereinbarten Formerfordernissen der Zweck der Vereinbarung zu ermitteln ist. Eine Inanspruchnahmeerklärung kann daher wirksam sein, obwohl die vereinbarte Form nicht eingehalten wurde, wenn dies mit dem Zweck der Formabrede vereinbar ist. Das Recht auf „präzise, ja nachgerade pedantisch genaue Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen“ gilt daher nur „im Zweifel“, wobei man zugestehen kann, dass die Gründe für eine gegenteilige Interpretation aus den Umständen des Einzelfalls gut abgesichert sein müssen (8 Ob 109/20t). Die formelle Garantiestrenge gilt nach entsprechender Interessenabwägung zugunsten des Begünstigten dann nicht uneingeschränkt, wenn die exakte Erfüllung der Garantiebedingungen an Umständen scheitert, die vom Begünstigten weder beeinflusst wurden noch zu beeinflussen waren, wenn die Hindernisse also nicht seiner Sphäre zuzurechnen sind (7 Ob 232/09g).

[4] 1.3. Die Vorinstanzen haben die rechtzeitige Inanspruchnahme der Garantie bejaht, weil der vorgesehene Abruf mittels Fax, welcher unter der Bedingung des Einlangens des Abrufs im Original drei Tage später zulässig gewesen wäre, ausschließlich am Defekt des Geräts bei der Beklagtenvertreterin gescheitert war. Den dann nach Rücksprache bei der Garantin erfolgten Abruf per E‑Mail gemeinsam mit der darauffolgenden Übermittlung des Schreibens im Original haben die Vorinstanzen als rechtzeitig beurteilt. Vor dem Hintergrund des Telefonats zwischen der Abrufenden und der Garantin unmittelbar vor Übermittlung des Schreibens per E‑Mail und dem Umstand, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt damit keinerlei Zweifel hegen konnte, dass ihre Garantieleistung an den richtigen Begünstigten erfolgen werde (vgl RS0045922 [T11] = 4 Ob 166/22y Rz 19), ist die Beurteilung der Vorinstanzen – ausgehend von Geschäftszweck und Interessenlage der Beteiligten – insgesamt nicht korrekturbedürftig.

[5] 2. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die beiden höchstgerichtlichen Entscheidungen 4 Ob 149/06z (dort ging es um ein Abweichen von der vorgesehenen Garantieerklärung) und 7 Ob 232/09g auf Sachverhaltsebene nicht vergleichbar und damit auch nicht einschlägig sind.

[6] 2.1. Aus der Entscheidung 7 Ob 232/09g geht allerdings hervor, dass Ereignisse, die nicht in der Sphäre des Abrufenden gelegen und für ihn daher nicht beeinflussbar sind – wie der hier vorliegende Defekt des Geräts – eine nicht ganz exakte Erfüllung der Garantiebedingungen rechtfertigen können. Dieser Umstand wurde in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt für einen Verlust der Original‑Garantie, dessen Ursache nicht mehr feststellbar war, verneint.

[7] 2.2. Aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung 1 Ob 620/95 ist für sie nichts zu gewinnen, ging es dort doch einerseits um einen nicht formgerechten Abruf mittels Fax (vereinbart war ein bestimmtes Amtssiegel) und andererseits um die Frage, inwieweit die Garantin innerhalb noch offener Garantiefrist auf einen fehlerhaften Abruf hinweisen musste. Beide Umstände spielen in der hier zu beurteilenden Konstellation keine Rolle.

[8] 2.3. In der Entscheidung zu 8 Ob 109/20t war eine der hier vorliegenden Abrufvereinbarung gleichende (Fax und Original binnen dreier Tage) zu beurteilen. Dort wich die Abrufende allerdings ohne weitere Begründung oder Notwendigkeit von dieser Vereinbarung ab. Der 8. Senat kam zum Ergebnis, dass nicht von einer sich aus dem Zweck der Vereinbarung ergebenden Gleichwertigkeit von Telefax und E‑Mail ausgegangen werden könne und berechtigte Interessen der dort Beklagten an der Einhaltung der vereinbarten Form bestanden hätten, während die dortige Klägerin keine Gründe für die Nichteinhaltung dieser Form geltend gemacht habe. Das ist hier gerade nicht der Fall, weil aufgrund des defekten Geräts ein berechtigtes Interesse am Abweichen von der Fax‑Übermittlung bestanden hat.

[9] 3. Erkennbarer Zweck der vereinbarten Abrufbedingungen ist hier offensichtlich, die Übermittlung des Garantieabrufs auch gegen Ende der Frist durch die Möglichkeit des Abrufs per Fax zu erleichtern. Warum die beklagte Garantiegeberin aufgrund des nicht der Begünstigten zuzurechnenden Defekts des Geräts der Empfängerin die erleichterte Möglichkeit der Übermittlung des Garantieabrufs nicht akzeptieren und – wie die Klägerin argumentiert – ausschließlich eine Übermittlung des Originals per Boten zulassen hätte dürfen, ist nicht ersichtlich. Die Entscheidung der Vorinstanzen ist damit insgesamt nicht korrekturbedürftig.

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