European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00180.24T.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Bestandrecht, Insolvenzrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Die Bezeichnung der Erstantragsgegnerin wird auf Dr. A*, Rechtsanwältin in Wien, als Masseverwalterin im Konkursverfahren über das Vermögen der B* GmbH, *, berichtigt.
II. Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung (Teil‑Sachbeschluss und Beschluss) wird aufgehoben.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Der Antragsteller ist Hauptmieter einer Wohnung in Wien; die Erstantragsgegnerin ist die Wohnungseigentümerin dieser Wohnung, die Zweitantragsgegnerin ist die Eigentümergemeinschaft der Liegenschaft.
Zu I.:
[2] Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27. 5. 2024, GZ 5 S 110/24x, wurde über das Vermögen der Erstantragsgegnerin das Konkursverfahren eröffnet und Dr. A*, Rechtsanwältin in Wien, zur Masseverwalterin bestellt. Die Parteibezeichnung war daher gemäß der – im Außerstreitverfahren analog anzuwendenden (RS0005758; RS0113769 [T1]) – Bestimmung des § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen (RS0039666).
Zu II.:
[3] Gegenstand des Verfahrens ist die Durchführung von Erhaltungsarbeiten (§§ 3, 6 MRG).
[4] Mit Sachbeschluss vom 5. 10. 2023 trug das Erstgericht (nur) der Erstantragsgegnerin – gegenüber der Zweitantragsgegnerin hatte der Antragsteller seinen Antrag auf Kostenersatz eingeschränkt – auf, binnen zwei Monaten durch ein konzessioniertes Elektrounternehmen bestimmt bezeichnete Arbeiten im Haus und im Mietobjekt des Antragstellers durchzuführen.
[5] Gegen diese Entscheidung erhoben beide Antragsgegner Rekurs. Der Rekurs der Erstantragsgegnerin vom 27. 10. 2023 richtete sich gegen die Entscheidung in der Hauptsache sowie gegen die Kostenentscheidung, jener der Zweitantragsgegnerin vom 13. 10. 2023 nur gegen die Kostenentscheidung.
[6] Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27. 5. 2024 zu GZ 5 S 110/24x wurde über das Vermögen der Erstantragsgegnerin das Konkursverfahren eröffnet und Dr. A* zur Masseverwalterin bestellt.
[7] Mit der angefochtenen Entscheidung vom 12. 6. 2024 gab das Rekursgericht – offenbar in Unkenntnis der Konkurseröffnung – dem Rekurs der Erstantragsgegnerin teilweise Folge. In Bezug auf einzelne Aufträge bestätigte es den Sachbeschluss des Erstgerichts als Teil-Sachbeschluss; in Bezug auf die übrigen Aufträge und die Kostenentscheidung hob es diesen auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Zweitantragsgegnerin verwies das Rekursgericht mit ihrem Kostenrekurs auf diese Entscheidung. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht sowohl gegen den Teil-Sachbeschluss als auch gegen den Aufhebungsbeschluss zu.
[8] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts erhoben der Antragsteller und die Erstantragsgegnerin einen Revisionsrekurs. Beide Rechtsmittelwerber machen die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zufolge Missachtung der Unterbrechungswirkung der Konkurseröffnung vom 27. 5. 2024 geltend und stellen entsprechende Aufhebungsanträge. (Nur) DerAntragsteller bekämpft den Aufhebungsbeschluss auch aus inhaltlichen Gründen und rügt die diesbezügliche rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts.
Rechtliche Beurteilung
[9] Beide Revisionsrekurse sind zulässig und berechtigt.
[10] 1. Gemäß § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG iVm § 37 Abs 3 MRG muss das Verfahren – abgesehen von der hier nicht relevanten Einschränkung des § 37 Abs 3 Z 12 MRG – unterbrochen werden, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Partei eröffnet wird, sofern die Bestimmungen der Insolvenzordnung dies vorsehen.
[11] Die einschlägigen Bestimmungen sind die §§ 6 bis 8a IO. Gemäß § 7 Abs 1 IO werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Schuldner Kläger oder Beklagter ist, unterbrochen. Diese Unterbrechung tritt ex lege ein, der Unterbrechungsbeschluss des Gerichts hat also nur deklarative Wirkung (10 Ob 24/25i; RS0064046; RS0036752 [T25]).
[12] Gemäß § 8a IO gelten die Bestimmungen der IO betreffend Rechtsstreitigkeiten, insbesondere also jene über die Verfahrensunterbrechung, für das Außerstreitverfahren sinngemäß. Ist daher zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ein Aktiv- oder Passivverfahren über einen massebezogenen Verfahrensgegenstand anhängig, ist dieses gemäß § 7 Abs 1 IO iVm § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG unterbrochen (5 Ob 37/25i; vgl RS0105681).
[13] 2. Während der Unterbrechung nach § 7 Abs 1 IO iVm § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG hat das Gericht nur dringend gebotene Verfahrenshandlungen vorzunehmen (§ 26 Abs 1 erster Satz AußStrG). Mit der Unterbrechung hört der Lauf jeder Frist zur Vornahme einer Verfahrenshandlung auf. Dies gilt nicht für Fristen, die das Gericht für dringend gebotene Verfahrenshandlungen ungeachtet der Unterbrechung festsetzt. Sonstige Verfahrenshandlungen entfalten anderen Parteien gegenüber keinerlei Wirkung (§ 26 Abs 2 AußStrG). Dass Parteihandlungen während der Unterbrechung unwirksam sind, gilt gemäß § 163 Abs 2 ZPO auch im streitigen Verfahren. Nach diesen Regelungen unzulässige Verfahrenshandlungen einer Partei sind zurückzuweisen (zu § 26 Abs 2 AußStrG: 3 Ob 85/06f, 2 Ob 46/18f; zu § 163 Abs 2 ZPO: RS0036967, RS0036977, RS0037093; vgl auch RS0105681; RS0036752 [T17]).
[14] Auch während der Unterbrechung des Verfahrens eingebrachte Rechtsmittelschriften sind dem Gegner gegenüber ohne rechtliche Wirkung und deshalb zurückzuweisen (RS0037150). Dieser Grundsatz erfährt allerdings insofern eine Durchbrechung, als Rechtsmittel in diesem Fall dann nicht zurückzuweisen sind, wenn sie der Sicherung der Unterbrechungswirkung oder der Klärung der Frage dienen, ob eine Unterbrechung überhaupt eingetreten ist (RS0037023; RS0120689). Ausgenommen ist also insbesondere der Fall, dass sich der Rechtsmittelwerber gerade durch eine trotz der erfolgten Verfahrensunterbrechung ergangene gerichtliche Entscheidung beschwert erachtet. Die Erhebung eines Rechtsmittels ist daher ungeachtet einer durch die Insolvenzeröffnung hervorgerufenen Unterbrechung des Verfahrens ausnahmsweise dann zulässig, wenn darin ein Verstoß gegen § 7 IO geltend gemacht wird (10 Ob 24/25i; RS0037023 [T7, T8]; RS0036977 [T7, T10]). Das gilt auch für die Unterbrechung nach § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG (RS0037023 [T12]).
[15] 3. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ihre Wirkungen sind im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (RS0036752 [T12, T32]). Verfällt eine der Parteien erst nach Erhebung eines Rechtsmittels und nach Vorlage der Akten an das Rechtsmittelgericht in Insolvenz, ist daher über das Rechtsmittel, sofern Gegenstand des Rechtsstreits ein zur Insolvenzmasse gehöriges Vermögen ist, während der Dauer der Unterbrechung des Verfahrens nicht zu entscheiden, sondern sind die Akten dem Erstgericht zurückzustellen (RS0036752; RS0037039; RS0036996 [T7]; für die Unterbrechung nach den §§ 25 ff AußStrG RS0036996 [T8]). Eine Entscheidung über das vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingebrachte Rechtsmittel ist erst nach Fortsetzung des Verfahrens zulässig (RS0036996 [T13]; RS0037021).
4. Aus diesen Grundsätzen ergibt sich für den hier zu beurteilenden Fall folgendes Zwischenergebnis:
[16] Durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Erstantragsgegnerin wurde das – in der Sache nur noch zwischen dem Antragsteller und ihrgeführte – massebezogene Verfahren ex lege unterbrochen (§ 25 Abs 1 Z 4 AußStrG iVm § 7 Abs 1 IO). Das Verfahren wurde bislang nicht iSd § 26 Abs 3 AußStrG fortgesetzt.
[17] Die Unterbrechung trat (erst) nach Erhebung der Rekurse, aber vor der Entscheidung des Rekursgerichts ein. Das Rekursgericht hätte daher über dieses Rechtsmittel nicht entscheiden dürfen, sondern die Akten vorerst dem Erstgericht zurückstellen müssen.
[18] Die Revisionsrekurse des Antragstellers und der Erstantragsgegnerin sind von der Unterbrechungswirkung der Eröffnung des Konkursverfahrens hingegen insoweit nicht berührt, als darin ein Verstoß gegen § 7 IO geltend gemacht wird.
[19] 5. Während der Unterbrechung vorgenommene Verfahrenshandlungen des Gerichts sind – von dringenden Verfahrenshandlungen abgesehen – grundsätzlich unzulässig (§ 26 Abs 1 AußStrG). Analog der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Wirkungen der Unterbrechung nach den allgemeinen Regeln des § 163 ZPO (RS0064051 [T1]) sind trotz eingetretener Unterbrechungswirkung unzulässigerweise ergangene Entscheidungen zwar nicht wirkungslos, aber mit einem Verfahrensmangel behaftet und anfechtbar.
[20] Im Fall eines im streitigen Verfahren nach Eintritt des Unterbrechungsgrundes des § 7 Abs 1 IO dennoch gefällten Urteils wird vor allem Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO (Verletzung des rechtlichen Gehörs, Fehlen der gesetzlichen Vertretung) angenommen, aber auch nach Z 6 leg cit (10 Ob 24/25i; 4 Ob 3/18x mwN; RS0037010; RS0037021). Wird eine Entscheidung trotz eines gesetzlich angeordneten Verfahrensstillstands gefällt, wird damit nämlich eine nicht bestehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen; dies ist einem Verstoß gegen § 477 Abs 1 Z 6 ZPO (Unzulässigkeit des Rechtswegs) gleichwertig (4 Ob 3/18x).
[21] Diesen Nichtigkeitsgründen der ZPO entsprechen im Außerstreitverfahren die Verfahrensmängel des § 56 Abs 1 AußStrG und des § 58 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG (als Revisionsrekursgründe iVm § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG).
[22] Die Fälle des § 56 Abs 1 AußStrG wirken dabei – gleich den Nichtigkeitsgründen der ZPO – absolut, führen also zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ohne Rücksicht darauf, ob sie sich auf deren Richtigkeit auswirken konnten. Die Verfahrensmängel des § 58 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG führen hingegen nicht zwingend zur Aufhebung. Vielmehr kann selbst bei Vorliegen dieser Mängel unter gewissen Voraussetzungen eine Sachentscheidung ergehen (dazu etwa Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 58 Rz 2, 16 f).
[23] Der in § 58 AußStrG normierte Grundsatz der Sacherledigung durch das Rechtsmittelgericht ist gemäß § 71 Abs 4 AußStrG zwar auch im Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof sinngemäß anzuwenden (RS0123649). In der vorliegenden Konstellation einer trotz Unterbrechung des Verfahrens zufolge Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gefällten Entscheidung kommt eine solche Sacherledigung aber nicht in Betracht. Entscheidend dafür ist nämlich, ob der angefochtene Beschluss bestätigt oder abgeändert werden kann, ohne dass dadurch in die Rechte des Antragstellers oder der nicht gehörten oder bisher unvertretenen Partei eingegriffen wird (vgl RS0119971 [T2, T9]; RS0120213 [T19]; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 58 Rz 19). Zweck der Unterbrechungsvorschriften des § 25 Abs 1 Z 4 AußStrG iVm § 7 Abs 1 IO ist aber (auch) der Schutz der Masse vor Rechtsnachteilen, die durch den Übergang der prozessualen Interessenwahrung vom Schuldner auf den Masseverwalter entstehen könnten (Oberhammer,Glosse zu 5 Ob 286/97p, wobl 1998, 188; vgl auch Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer, IO² § 7 IO Rz 3; Lovrek in Koller/Lovrek/Spitzer, § 8a IO Rz 18 mwN; vgl 5 Ob 249/07i) und sie dienen der effizienten Abwicklung des Insolvenzverfahrens (Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer, IO² § 7 IO Rz 4). Diese Regelungszwecke würden durch eine Sacherledigung unabhängig von der Wiederaufnahme des unterbrochenen Verfahrens konterkariert.
[24] Im Ergebnis ist die angefochtene, trotz aufrechter Unterbrechung des Verfahrens gefällte Entscheidung also auch dann zwingend aufzuheben, wenn man diesen Verfahrensmangel (ausschließlich) den Rechtsmittelgründen des § 58 Abs 1 Z 1 und 2 AußStrG und nicht § 56 Abs 1 AußStrG unterstellt.
[25] 6. Das Rekursgericht wird über die vor Eröffnung des Konkursverfahrens eingebrachten Rechtsmittel (erst) nach Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 26 Abs 3 AußStrG zu entscheiden haben. Einen Antrag auf Fortsetzung hat der Antragsteller bereits beim Erstgericht gestellt (zur funktionellen Zuständigkeit für die Entscheidung über diesen vgl 1 Ob 24/20s; RS0037225; RS0036655; RS0097353).
[26] Bei dieser Entscheidung wird auch auf den Kostenrekurs derZweitantragsgegnerin Bedacht zu nehmen sein. Das Rekursgericht hat die Zweitantragsgegnerin mit ihrem Kostenrekurs ja auf die Entscheidung über den Rekurs der Erstantragsgegnerin verwiesen. Mit deren Aufhebung ist die Bekämpfung der Kostenentscheidung durch die Zweitantragsgegnerin wieder aktuell geworden (vgl RS0036069 [Wiederherstellung des Ersturteils]).
[27] 7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Die danach gebotenen Billigkeitserwägungen können erst in dem die Sache erledigenden Sachbeschluss vorgenommen werden (RS0123011 [T1]; vgl RS0035870 [Kostenentscheidung nach § 52 ZPO im Fall der Aufhebung eines Urteils als nichtig]; Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 78 Rz 56).
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