OGH 2Ob102/25a

OGH2Ob102/25a18.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions‑ und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Erich Kaltenbrunner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Edthaler Leitner‑Bommer Schmieder & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Feststellung, über die Revision und den Rekurs der beklagten Partei gegen das Urteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. März 2025, GZ 12 R 6/25a‑53, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 5. Dezember 2024, GZ 5 Cg 162/17v‑45, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00102.25A.0918.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

 

Spruch:

Die Revision und der Rekurs werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, derklagenden Partei die mit 2.639,40 EUR (darin 439,90 EUR USt) bestimmten Kosten derRechtsmittelbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Eltern der Klägerin schlossen 1958 einen Erbvertrag hinsichtlich drei Viertel ihres Nachlasses; hinsichtlich des letzten Viertels setzten sie sich gegenseitig testamentarisch zu Alleinerben ein. Die Eltern waren Hälfteeigentümer zweier – eine gemeinsame Landwirtschaft bildenden – Liegenschaften. Mit einem Vermächtnis aus 2005 vermachte die Mutter ihre Liegenschaftsanteile an den Bruder der Klägerin, sie verstarb 2010. Im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens entschlug sich der Vater der Klägerin des Erbrechts nach seiner verstorbenen Frau. Da sich auch die Klägerin und ihre Schwester ihres Erbrechts entschlugen, wurde die Verlassenschaft nach der Mutter dem Bruder der Klägerin als gesetzlichem Erben eingeantwortet und sein Eigentum im Grundbuch eingetragen. Nach Abschluss dieses Verlassenschaftsverfahrens schlossen der Vater und der Bruder der Klägerin einen Übergabevertrag betreffend die im Eigentum des Vaters verbliebenen Hälfteanteile an den beiden Liegenschaften. Der Bruder der Klägerin war seitdem grundbücherlicher Alleineigentümer beider Liegenschaften. Im Jahr 2014 verstarb er. In einem kurz zuvor verfassten Testament hatte er den Beklagten als Alleinerben eingesetzt; sein Nachlass – beinhaltend die gesamten Liegenschaftsanteile – wurde auf dieser Grundlage dem Beklagten eingeantwortet. Im Jahr 2016 verstarb der Vater der Klägerin. Sein Nachlass wurde der Klägerin als testamentarischer Alleinerbin eingeantwortet.

[2] Die Klägerin begehrt die Feststellung der Nichtigkeit der Erbrechtsentschlagung ihres Vaters und des Übergabsvertrags ihres Vaters mit ihrem Bruder sowie die bücherliche Löschung des Eigentumsrechts ihres Bruders hinsichtlich beider Liegenschaften. Ihr Vater sei zum Zeitpunkt der abgegebenen Erklärungen bereits geschäftsunfähig gewesen. Ihr Bruder habe die Liegenschaftsanteile aus der Verlassenschaft nach ihrer Mutter auch nicht aufgrund des Vermächtnisses erlangen können, weil dieses das freie Viertel gemäß § 1253 ABGB überschritten habe.

[3] Der Beklagte bestritt eine Geschäftsunfähigkeit des Vaters der Klägerin und brachte weiters vor, die Hälfte der Liegenschaftsanteile seien jedenfalls aufgrund des Vermächtnisses zu Recht im Nachlass des Bruders der Klägerin gewesen.

[4] Das Erstgerichtgab dem Feststellungs‑ und Löschungsbegehren hinsichtlich der vom Übergabsvertrag betroffenen Liegenschaftsanteile statt. Betreffend die im Verlassenschaftsverfahren nach der Mutter der Klägerin gegenständlichen Liegenschaftsanteile wies es die Klagebegehren ab. Ausgehend von der Feststellung, dass der Vater der Klägerin seit dem Jahr 2003 jedenfalls an einer Demenzerkrankung gelitten habe und daher 2010 nicht in der Lage gewesen sei, die Bedeutung einer Erbsentschlagung oder eines Übergabsvertrags inhaltlich zu erfassen, ging es von einem Mangel der Geschäftsfähigkeit des Vaters der Klägerin im Jahr 2010 aus. Der damals geschlossene Übergabsvertrag sei daher nichtig. Aufgrund der Nichtigkeit des Übergabsvertrags sei das Eigentumsrecht an den Hälfteanteilen der Liegenschaften nach wie vor beim Vater der Klägerin verblieben und im Rahmen der Einantwortung an die Klägerin als Alleinerbin nach ihrem Vater übergegangen. Hinsichtlich der anderen Liegenschaftshälften sei zu berücksichtigen, dass ein wirksames Vermächtnis der Mutter an den Bruder vorgelegen habe. In diesem Zusammenhang sei § 1253 ABGB und die Regelung über das freie Viertel zu berücksichtigen. Nur in diesem Umfang habe die Mutter der Klägerin letztwillig über die Liegenschaftsanteile verfügen können. Ausgehend von einem Viertel des Nachlasses von jedenfalls über 70.000 EUR und dem im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens im Inventar herangezogenen dreifachen Einheitswerts der Liegenschaft von 63.795,99 EUR habe das Vermächtnis jedenfalls nicht mehr als ein Viertel des reinen Nachlasses betragen und sei daher gültig gewesen. Im Hinblick auf diese Liegenschaftsanteile sei daher die Vermögensübertragung an den Bruder der Klägerin wirksam gewesen.

[5] Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge und bestätigte das Ersturteil hinsichtlich des im Rahmen des Übergabevertrags übergegangenen Liegenschaftsanteils. Ausgehend von der grundsätzlichen Geschäftsunfähigkeit des Vaters der Klägerin im Jahr 2010 sei dem Beklagten auch nicht der Beweis dafür gelungen, dass im Bezug auf einen lang gehegten Wunsch ausnahmsweise im Hinblick auf diese Geschäfte dennoch eine Geschäftsfähigkeit vorgelegen hätte.

[6] Hinsichtlich der weiteren Liegenschaftsanteile gab es der Berufung der Klägerin im Sinn ihres Aufhebungsantrags Folge undverwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Gemäß § 1253 ABGB müsse dem Vertragspartner ein reines Viertel zur freien letztwilligen Verfügung stehen. Letztwillige Verfügungen könnten daher nur für dieses freie Viertel wirken, welches im Zeitpunkt des Erbanfalls zu berechnen sei. Der Wert einer Liegenschaft sei in diesem Zusammenhang allerdings nach allgemeinen zivilrechtlichen Bewertungsregeln zu ermitteln. Es sei im Allgemeinen der Verkehrswert, allenfalls bei landwirtschaftlichen Betrieben der Ertragswert – bei einem erheblichen Unterschied seien beide Werte angemessen – zu berücksichtigen. Im Erbrecht sei grundsätzlich auch auf diese Werte abzustellen, etwa bei Berechnung des Pflichtteilsanspruchs. Demgegenüber sei im Verlassenschaftsverfahren bei Errichtung des Inventars der dreifache Einheitswert für eine Liegenschaft aus Kostengründen heranzuziehen und führe auch zu keiner darüber hinausgehenden Bindung. Es sei daher nicht von dem im Verlassenschaftsverfahren herangezogenen dreifachen Einheitswert, sondern vom Verkehrs/Ertragswert der Liegenschaft auszugehen. Da ein solcher noch nicht ermittelt worden sei, könne derzeit nicht beurteilt werden, ob das Vermächtnis sich im Rahmen des freien Viertels gehalten habe. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten sei der Klägerin jedenfalls nicht vorzuwerfen.

[7] DasBerufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss und die Revision gegen die Bestätigung des Ersturteils zu. Hinsichtlich desEntscheidungsgegenstands des Rekurses fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Bewertung von Liegenschaften im Zusammenhang mit der Berechnung des freien Viertels im Sinne des § 1253 ABGB; betreffend den Entscheidungsgegenstand der Revision fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verteilung der Beweislast bei grundsätzlich bestehender Geschäftsunfähigkeit und einer allenfalls davon bestehenden Ausnahme.

[8] Die Revision des Beklagten strebt die Abänderung des bestätigenden Urteils in eine Klagsabweisung an und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag. Mit seinem Rekurs gegen die aufhebende Entscheidung strebt der Beklagte ebenfalls die Klagsabweisung an.

[9] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisions‑ und Rekursbeantwortung die Zurückweisung beider Rechtsmittel, in eventu ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Beide Rechtsmittel des Beklagten sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Darlegung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

A. Zur Revision:

[11] 1. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen war der Vater der Klägerin zum Zeitpunkt des Abschlusses des Übergabevertrags nicht in der Lage, diesen inhaltlich zu erfassen und damit geschäftsunfähig. Er hätte nach den weiteren Feststellungen die Bedeutung eines solchen Vertrags nur dann erfassen können, wenn ein langgehegter Wunsch zur Hofübergabe an den Sohn bei ihm verankert gewesen wäre. Dieser Umstand bildete daher nach den Feststellungen die Voraussetzung für eine – ausnahmsweise in bestimmten Fällen – doch vorliegende Geschäftsfähigkeit des Vaters der Klägerin. Eine solche Ausnahme von der grundsätzlich nicht mehr vorhandenen Geschäftsfähigkeit hätte nach ständiger Rechtsprechung (vgl RS0014645; RS0106637) hier der Beklagte zu beweisen gehabt, wovon das Berufungsgericht ohne Korrekturbedarf ausgegangen ist.

[12] 2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RS0026265 [T33]; RS0026271 [T20, T23, T24]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]).

[13] 2.1. Wenn das Berufungsgericht aus dem Umstand, dass die Klägerin an den Vermögensübertragungen im Jahr 2010 beteiligt war, nicht abgeleitet hat, dass eine spätere Geltendmachung einer Geschäftsunfähigkeit ihres Vaters ein rechtsmissbräuchliches Verhalten dem Beklagten gegenüber darstellt, so hält sich das im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung und ist damit nicht korrekturbedürftig.

[14] 3. Die Revision ist damit zurückzuweisen.

B. Zum Rekurs:

[15] 1. Die Vorinstanzen und das Rechtsmittel gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass im Rahmen eines Erbvertrags immer nur über drei Viertel und niemals über die gesamte Verlassenschaft verfügt werden kann, es dem Erblasser aber frei steht, darüber eine letztwillige Verfügung zu errichten, dies auch zugunsten des bereits erbvertraglich begünstigten Ehegatten. § 1253 ABGB führt damit stets zur Mischerbfolge. Selbst wenn es keine weiteren Erben gibt, erbt der Ehegatte höchstens drei Viertel aufgrund des Erbvertrags und den verbleibenden Rest (mindestens ein Viertel) aufgrund des Gesetzes oder des Testaments. Vermächtnisanordnungen gehen grundsätzlich zulasten des Viertelerben, wenn sie nach Erbvertragsschluss letztwillig angeordnet wurden.

[16] 2. Die Vorinstanzen haben daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass der Wegfall der Erbsentschlagung des Vaters der Klägerin zu seiner Berufung als Erbe des gesamten Nachlasses geführt hätte; er für diesen Fall hinsichtlich der beiden Liegenschaftshälften aber das Vermächtnis der Erblasserin an den gemeinsamen Sohn zu beachten gehabt hätte. Dieses Vermächtnis hätte den Vater der Klägerin nur als Testaments- nicht aber als Vertragserbe– und damit nur zu einem Viertel – belasten dürfen, was die Ermittlung dessen Werts voraussetzt. Dagegen wendet sich der Beklagte nicht.

[17] 3. Der Beklagte macht in seinem Rekurs ausschließlich geltend, die Bewertung des Liegenschaftsanteils hätte mit dem im Verlassenschaftsverfahren heranzuziehenden dreifachen Einheitswert erfolgen müssen.

[18] 4. Damit zeigt der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[19] 4.1. Nach § 167 Abs 2 AußStrG ist bei der Erstellung des Inventars eine Liegenschaft mit dem dreifachen Einheitswert aufzunehmen, außer eine Partei beantragt oder es ist im Interesse einer schutzberechtigten Person erforderlich, nach dem Liegenschaftsbewertungsgesetz zu bewerten. Die Norm gehört zum Themenkomplex des Inventars (§§ 165 ff AußStrG). Das Inventar dient nur der Beweissicherung und entfaltet keine Bindungswirkung. Das gilt insbesondere für die vom Gerichtskommissär gewählte Bewertung, die (nur) für das Abhandlungsverfahren bindend ist (2 Ob 217/23k mwN). Wer daher aus der Unrichtigkeit der Bewertung im Verlassenschaftsverfahren Rechte ableiten will, muss dies im streitigen Verfahren tun, sei es der Gläubiger, der den Einwand der Erschöpfung der Verlassenschaftssaktiven entkräften will, oder der Pflichtteilsberechtigte im Rahmen der Pflichtteils‑(ergänzungs‑)klage (vgl Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 166 Rz 3/1 mwN; vgl auch RS0007784 zum Pflichtteil).

[20] 4.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass mangels Bindung an die Bewertung im Inventar in anderen erbrechtsnahen Streitigkeiten – wie etwa dem Pflichtteilsprozess – die allgemeinen zivilrechtlichen Bewertungsregelungen der §§ 305 ff ABGB anzuwenden sind. Danach ist mangels abweichender gesetzlicher oder vertraglicher Anordnung der ordentliche Wert der Sache heranzuziehen, der sich nach dem Nutzen bestimmt, den sie mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein hat (vgl RS0113651). Das ist in der Regel der Verkehrswert (zu einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück vgl 2 Ob 75/24d mwN).

[21] 4.3. Da damit die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage anhand der vorhandenen Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann, zeigt der Beklagte auch in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl RS0042656 [insb T48]).

[22] 5. Auch der Rekurs ist daher zurückzuweisen. Zur Frage des (nur) auf Löschung der Einverleibung des Beklagten gerichteten Begehrens der Klägerin, die nach ihrem Vorbringen tatsächlich die Einverleibung ihres eigenen Eigentumsrechts anstrebt, ist daher vorerst nicht Stellung zu nehmen.

C. Kosten:

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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