OGH 11Os66/25b

OGH11Os66/25b9.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. September 2025 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Rechtspraktikantin Schurich LL.M., LL.M. als Schriftführerin in der Strafsache gegen DI * W* wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31. Juli 2024, GZ 95 Hv 94/07z‑157, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00066.25B.0909.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Schuldspruch zu II/, demzufolge auch im Strafausspruch sowie im Zuspruch an die Privatbeteiligten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im darüber hinausgehenden Umfang wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde DI * W* des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 StGB (I/) sowie des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (II/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I/ in der Zeit von zumindest Mitte März 2023 bis 27. Juni 2023, sohin eine längere Zeit hindurch * H* fortgesetzt auf eine Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, durch zumindest zweimal wöchentliche, teilweise auch täglich mehrfache Kontaktaufnahme widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er ihre räumliche Nähe aufsuchte, wobei er Lebensmittel, Fotos und diverse Gegenstände in ihrem Postkasten und am Fensterbrett im Stiegenhaus vor ihrer Eingangstür ablegte und sie bei ihrem Auto, an ihrem Wohnhaus oder ihrem Arbeitsplatz aufsuchte, sowie unter Verwendung ihrer personenbezogenen Daten Waren, nämlich Blumen, für sie bestellte, sowie im Wege der Telekommunikation Kontakt herstellte, und zwar durch Übermittlung von insgesamt rund 500 Nachrichten über den Messengerdienst Telegram;

II/ in der Absicht, sich durch die (US 7: wiederkehrende) Begehung von Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Nachgenannte durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen, nämlich der Übergabe von Geldbeträgen verleitet, die die Genannten in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten „oder schädigen sollten“, und zwar

1/ im Mai 1996 * B* durch die Vorgabe, dieser habe aufgrund eines Stornos eines ÖKO‑Sparbriefs über 200.000 ATS den Betrag von 78.000 ATS (5.668,48 Euro) zu bezahlen, zur Ausfolgung dieses Betrags verleitet, wodurch Genannter in diesem Betrag geschädigt wurde;

2/ am 31. Juli 1995 * W* durch Täuschung über angeblich gewinnbringende Investitionsmöglichkeiten mit einer 5,7%igen Verzinsung (US 5: und über seine Rückzahlungswilligkeit und Rückzahlungsfähigkeit) zur Zahlung eines Investitionsbetrags in der Höhe von 50.000 ATS (3.633,64 Euro), wobei Genannter in diesem Betrag am Vermögen geschädigt wurde;

3/ im Juli 1997 * P*, * Pö* und * H* unter der Vorspiegelung, ihnen ein Sauerstoffgerät liefern zu können, zur Zahlung von 38.000 ATS (2.761,57 Euro), wodurch die Genannten indiesem Betrag am Vermögen geschädigt wurden, weil die Lieferung unterblieb;

4/ am 14. November 1995 * G* durch Täuschung über angeblich gewinnbringende Investitionsmöglichkeiten mit einer 9,85 bzw 8,4%igen Verzinsung (US 5 f: und seine Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit) zur Ausfolgung von 50.000 ATS (3.633,64 Euro), wodurch Genannte in diesem Betrag am Vermögen geschädigt wurde;

5/ am 14. November 1995 * Pf* durch Täuschung über angeblich gewinnbringende Investitionsmöglichkeiten mit einer 8,4%igen Verzinsung (US 6: und seine Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit) zur Ausfolgung von 70.000 ATS (5.087,10 Euro) verleitet, wodurch Genannter in diesem Betrag am Vermögen geschädigt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 1a, 9 lit b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

[4] Der Einwand, der Angeklagte sei – obwohl dies zwingend vorgeschrieben gewesen sei (vgl § 61 Abs 1 Z 4 StPO) – nicht während der ganzen Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht durch einen Verteidiger vertreten gewesen (Z 1a), ist unberechtigt.

[5] Zwar zeigt der Beschwerdeführer zutreffend auf, dass der für ihn am 14. April 2008 bestellte Verfahrenshilfeverteidiger DDr. * S* (vgl ON 68) bereits am 31. Jänner 2014 durch Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft aus dem Anwaltsstand ausgeschieden ist (ON 1 S 43, ON 161, 162, 168) und der für diesen ab 17. April 2008 und in der Hauptverhandlung als Substitut einschreitende Rechtsanwalt Dr. * V* (ON 1 S 41, ON 71, 128a, 148, 153, 160) deshalb ab dem 31. Jänner 2014 über keine wirksame Vertretungsbefugnis mehr verfügte (vgl Soyer/Schumann WK‑StPO § 58 Rz 39).

[6] Allerdings stellt der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 1a StPO allein auf die – fallaktuell unstrittige – formelle Ausübung der Verteidigerfunktion bzw Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft des einschreitenden Verteidigers ab. Auf die Gültigkeit des Bestellungsvorgangs oder der Bevollmächtigung kommt es nicht an (RIS‑Justiz RS0126676, RS0125117 [T1]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 146 f).

[7] Zutreffend hingegen kritisiert die zu  II/ ausgeführte Rechtsrüge (Z 9 lit b) das Fehlen jeglicher Feststellungen zur Hemmung der Verjährung iSd § 58 Abs 3 (und Abs 3a) StGB. Mit Blick auf die Tatzeiten zwischen Juli 1995 und Juli 1997 (US 2 und 5 f) sowie die Konstatierung einer diesbezüglichen Anklage vom 19. März 2008 (US 1; ON 65) bleibt die (implizite) rechtliche Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Verjährung) unschlüssig.

[8] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl RIS‑Justiz RS0122332 [T1, T6, T11]; 11 Os 153/24w [Rz 16]) erforderte die Aufhebung des Schuldspruchs zu II/ und der davon abhängigen Teile des Urteils, sodass sich ein Eingehen auf die gegen den Schuldspruch zu II/ gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) erübrigt.

[9] In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war das Urteil somit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

[10] Im darüber hinausgehenden Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[11] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.

[12] Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die allfällige Annahme gewerbsmäßiger Begehung iSd § 70 Abs 1 Z 1 StGB (vgl US 7 zur „Vorgehensweise des Angeklagten im Hinblick auf den Verein [...]“) eines näheren Sachverhaltssubstrats betreffend den Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen, bedarf (vgl RIS‑Justiz RS0132006, RS0130766; 14 Os 3/18z). In Bezug auf Gewerbsmäßigkeit iSd § 70 Abs 1 Z 2 oder 3 StGB wäre auch der von § 70 Abs 3 StGB vorgegebene zeitliche Rahmen in den Blick zu nehmen (RIS‑Justiz RS0130850 [T1]).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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