European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00120.25K.0807.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Bestandrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
[1] Die Kläger sind je zur Hälfte grundbücherliche Eigentümer der Liegenschaft EZ * KG *, bestehend aus GSt-Nr *. Darauf sind ein Einfamilienhaus und eine Lagerhalle, in deren Umgebung sich eine Freifläche befindet, errichtet. Die Lagerhalle und die Freifläche werden aufgrund eines Mietvertrags von der Beklagten genutzt, die ein Elektrikerunternehmen betreibt.
[2] Die Beklagte hatte die Liegenschaft zunächst jahrelang auf Grundlage eines mündlichen Mietvertrags genutzt. Im Jahr 2000 schlossen die Beklagte und die Rechtsvorgängerin der Kläger sodann einen schriftlichen Mietvertrag, welcher auszugsweise wie folgt lautet:
„Das Bestandsverhältnis wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und wird auch von Rechtsnachfolgern übernommen. Das Bestandsverhältnis kann von beiden Teilen unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zum Letzten des Kalenderquartales aufgekündigt werden. Die Kündigung ist nur aus wichtigem Grund (§ 30 MRG) möglich, wobei die VERMIETERIN auf die Geltendmachung der Kündigungsgründe mit Ausnahme der §§ 30 Abs 1 Z 1 und Z 3 MRG (Pflichtverletzungen des Mieters) verzichtet.“
[3] Die Kläger erwarben die Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 13. 10. 2020. Dieser lautet auszugsweise wie folgt: „Die Käufer treten tritt mit dem vorgenannten Stichtag [Anm: 31. 3. 2021] in den bestehenden Mietvertrag betreffend die Lagerhalle voll inhaltlich ein. Die Verkäuferin tritt hiermit ihre Forderungen auf alleinige Zahlung des Mietzinses und ihre sonstigen Vermieterrechte ab dem vorgenannten Stichtag an die Käufer ab.“
[4] Die Kläger wussten spätestens bei Abschluss des Kaufvertrags, dass hinsichtlich der Lagerhalle und Freifläche ein Mietvertrag besteht. Sie erhielten den schriftlichen Mietvertrag jedoch erst im Jänner 2021. Sie gingen aufgrund des Alters des Geschäftsführers der Beklagten und der Umstände davon aus, dass dieser bald in Pension gehen, den Betrieb stilllegen und die Beklagte ihr Mietrecht aufgeben werde. Der Geschäftsführer der Beklagten erfuhr erst nach Abschluss des Kaufvertrags vom Verkauf der Liegenschaft.
[5] Mit der am 22. 12. 2022 eingebrachten Aufkündigung beantragen die Kläger, die Beklagte zur geräumten Übergabe des Bestandgegenstands zu verpflichten. Die Beklagte habe die Kündigungstatbestände des unleidlichen Verhaltens sowie des erheblich nachteiligen Gebrauchs iSd § 30 Abs 2 Z 3 MRG verwirklicht. Die Kläger seien nicht an den von ihrer Rechtsvorgängerin abgegebenen Kündigungsverzicht gebunden und hätten auch nicht auf das ihnen zustehende Kündigungsrecht verzichtet. Eine volle Vertragsübernahme sei nicht erfolgt.
[6] Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung auf und wies das Klagebegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger.
Rechtliche Beurteilung
[9] 1.1. Eine Vertragsübernahme ist ein einheitliches Rechtsgeschäft, mit dem die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird und der Vertragsübernehmer (Neupartei) an die Stelle der aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei (Altpartei) tritt. Die Neupartei übernimmt die gesamte vertragliche Rechtsstellung der Altpartei, ohne dass dadurch der Inhalt oder die rechtliche Identität des bisherigen Schuldverhältnisses verändert werden (5 Ob 190/19f; 6 Ob 78/24z Rz 31; vgl RS0032623). Die Neupartei muss das Vertragsverhältnis in jener Lage übernehmen, in der es sich gerade befindet, wobei es auf den Kenntnisstand der Neupartei nicht ankommt (3 Ob 44/22z Rz 24 mwN; RS0032623 [T4]; RS0032653 [T2]). Der Umfang der Vertragsübernahme richtet sich nach der Parteienvereinbarung. Die Neupartei übernimmt nach Maßgabe der Vereinbarung die gesamte vertragliche Rechtsstellung der Altpartei (6 Ob 78/24z Rz 31; 10 Ob 63/24y Rz 18). Die Rechte und Verbindlichkeiten der Neupartei bleiben bei der Vertragsübernahme „ebendieselben“ (§§ 1394, 1407 ABGB), was auch für jene Vertragsbestimmungen und Nebenabreden gilt, die die Neupartei nicht kannte (RS0033492). Dies gilt auch für allfällige vertragliche Kündigungsbeschränkungen (vgl 1 Ob 344/99s sowie vertragliche Änderungen eines bestehenden Rechtsverhältnisses vor der Vertragsübernahme (vgl 3 Ob 300/97g).
[10] 1.2. Eine wirksame Vertragsübernahme bedarf nach der Rechtsprechung einer Vereinbarung zwischen Überträger und Übernehmer sowie der – zumindest schlüssig erteilten – Zustimmung des verbleibenden Vertragspartners (RS0032607 [T2]). Ob eine Vertragsübernahme anzunehmen ist, ist dabei eine Frage des Einzelfalls, der im Regelfall keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (7 Ob 158/21t Rz 3).
[11] 1.3. Die Rechtsprechung wendet diese Grundsätze auch auf den Übergang eines Bestandverhältnisses an, sofern keine gesetzliche Sonderregelung besteht (5 Ob 190/19f; RS0033492). Auch ein Dauerschuldverhältnis kann Gegenstand einer Vertragsübernahme sein (3 Ob 44/22z Rz 22).
[12] 2.1. Das Berufungsgericht gelangte aufgrund der Bestimmung im Kaufvertrag, wonach die Käufer in den bestehenden Mietvertrag betreffend die Lagerhalle vollinhaltlich eintreten, zum Ergebnis eines „Volleintritts“ der Kläger in das Mietverhältnis, somit einer vertraglich vereinbarten Vertragsübernahme.
[13] 2.2. Den diese Beurteilung bekämpfenden Revisionsausführungen, wonach die Kläger keine Zustimmung zur Übernahme des Mietvertrags erklärt hätten, steht der Inhalt des Kaufvertrags entgegen. Das Berufungsgericht nahm bei dessen Beurteilung nach dem objektiven Verständnis redlicher Vertragsparteien (vgl 3 Ob 44/22z Rz 23; RS0014160) vertretbar an, die Vertragsparteien hätten einen vertraglichen Volleintritt in das Mietverhältnis vereinbart. Die Revision legt insoweit auch nicht dar, aus welchen Gründen diese Auslegung unrichtig sei. Auf eine allfällige subjektive Erwartungshaltung der Kläger kommt es entgegen der Revisionsausführungen nicht entscheidend an (RS0014160 [T4, T25]). Das Vorliegen eines von der schriftlichen Vereinbarung abweichenden übereinstimmenden Parteiwillens wird in der Revision nicht behauptet. Zudem steht fest, dass die Kläger vom Mietvertrag wussten und davon ausgingen, dass die Beklagte ihr Mietrecht bald aufgeben werde, woraus sich auch deren Kenntnis über den Übergang des Mietverhältnisses ergibt.
[14] 2.3. Die Kläger zeigen auch mit dem Hinweis, sie hätten den schriftlichen Mietvertrag erst nach Abschluss des Kaufvertrags erhalten, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf. Spätestens bei Abschluss des Kaufvertrags hatten sie Kenntnis vom Mietvertrag, zudem nahmen sie das Bestandrecht zur Kenntnis und traten vollinhaltlich – ohne auf dessen näherer Kenntnis zu bestehen – in den Mietvertrag ein. Damit übernahmen die Kläger wie zu Pkt 1.1. dargestellt die gesamte vertragliche Rechtsstellung als Vermieter, was auch für jene Vertragsbestimmungen und Nebenabreden gilt, die sie nicht kannten. Darauf, ob sich das Vertragsverhältnis sowie die zu übernehmenden Rechte und Pflichten auf einen mündlichen oder schriftlichen Mietvertrag gründen, kommt es insoweit nicht an.
[15] 2.4. Soweit die Revision Feststellungen dazu vermisst, dass die Beklagte ein Einverständnis zur Übergabe des Vertrags erklärt hätte, übergeht sie, dass das Berufungsgericht sich auf eine Qualifikation des vertraglichen Volleintritts als echter Vertrag zugunsten der Beklagten stützte, wodurch diese ein unmittelbares Recht erlange. Mit dieser Argumentation setzt sich die Revision nicht auseinander, womit sich weitere Ausführungen erübrigen.
[16] 3. Darüber hinaus lassen die Kläger die selbständig tragfähige Begründung des Berufungsgerichts, wonach deren Behauptung, sie hätten nicht schlüssig auf das in § 1120 ABGB geregelte Sonderkündigungsrecht verzichtet, nicht verfange, unbekämpft (RS0118709 [T7, T12]). Die Revision geht vielmehr selbst ausschließlich auf die – im Mietvertrag der Vermieterseite ohnehin eröffneten – Kündigungsgründe nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG ein. Damit ist letztlich nicht entscheidungsrelevant, ob eine vereinbarte oder eine gemäß § 1120 ABGB gesetzliche (vgl RS0104141; RS0021208) Übernahme des Mietvertrags angenommen wird. Insofern ist die Revision auch diesbezüglich nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312 [T13]).
[17] 4.1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle verwirklichen den Kündigungsgrund dann, wenn sie schwerwiegend sind; jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand erfüllen (RS0070437; RS0070303; RS0067678; RS0102020). Entscheidend ist das Gesamtverhalten des Mieters, zu dessen Würdigung auch auf länger zurückliegende Ereignisse zurückzugreifen ist. Der Kündigungsgrund ist auch nicht auf bestimmte Verhaltensweisen eingeschränkt, wie etwa auf Beschimpfungen, Drohungen, ungebührliches Lärmen oder dergleichen; vielmehr wird er durch jedes Verhalten des Mieters, durch das das friedliche Zusammenleben beeinträchtigt wird, verwirklicht (RS0070321). Nicht nur das als Kündigungsgrund angeführte Verhalten, sondern auch das der Kündigung vorangehende und das ihr nachfolgende Verhalten sind einer Würdigung zu unterziehen (RS0067519; vgl RS0070394). Ob ein konkretes Verhalten eines Mieters unter diesen Kündigungsgrund subsumiert werden kann, erfordert regelmäßig eine Abwägung im Einzelfall und geht in der Bedeutung über diesen nicht hinaus (RS0042984 [T3, T11]; RS0021018; RS0042984).
[18] 4.2. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch liegt dann vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen wichtige Interessen des Vermieters verletzt werden oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (RS0067832).
[19] 4.3. Die Revision tritt der Beurteilung des Berufungsgerichts, das Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten verwirkliche noch nicht die Kündigungsgründe nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, primär mit der Argumentation entgegen, dabei seien lediglich zwei Vorfälle und nicht das Gesamtverhalten des Mieters berücksichtigt worden. Dem sind die rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichts entgegenzuhalten, das sich – wie schon das Erstgericht – auch mit weiteren Geschehnissen und insgesamt dem Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten auseinandersetzt.
[20] 4.4. Die angeführte Entscheidung 4 Ob 2/23g betraf den nicht unmittelbar vergleichbaren Sachverhalt einer Kündigung wegen Unterlassung des gebotenen Lüftungsverhaltens.
[21] 4.5. Von der Vielzahl der Vorfälle, die die Kläger der Beklagten als unleidliches Verhalten ihres Geschäftsführers vorwerfen, führten einige nicht zu (Substanz-)Schäden am Mietobjekt, bestanden schon lange vor der Vertragsübernahme oder waren dem Geschäftsführer gar nicht bekannt. Auch unter Berücksichtigung der verbleibenden Vorfälle, insbesondere des einmaligen aggressiven Verhaltens des Geschäftsführers gegenüber dem Zweitkläger und der vorübergehenden Störung der Zufahrt zur Liegenschaft, hält sich insgesamt die Begründung der Vorinstanzen, dass der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG gerade noch nicht erfüllt wurde, im Ermessensspielraum. Die Revision zeigt letztlich auch nicht auf, weshalb die von ihr behauptete erhebliche Steigerung des aggressiven Verhaltens offenkundig sei.
[22] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)