European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00077.24Z.0717.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, denklagenden Parteien die mit 2.653,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Beklagte war bei den Klägern ab 2001 laufend im Rahmen von jeweils auf ein Jahr befristeten Bühnenarbeitsverträgen beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte das Theaterarbeitsgesetz (TAG) sowie der Kollektivvertrag für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheater‑Holding zur Anwendung. Mit Schreiben vom 13. 9. 2019 gaben die Kläger eine Nichtverlängerungserklärung zum 31. 8. 2020 ab.
[2] In einem Vorverfahren begehrte der Beklagte die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31. 8. 2020 hinaus. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Urteil vom 1. 12. 2021 statt. Das Oberlandesgericht Wien gab der Berufung gegen diese Entscheidung nicht Folge. Mit Urteil vom 27. 4. 2023 gab der Oberste Gerichtshof der Revision Folge und wies das Klagebegehren ab.
[3] Aufgrund des am 14. 4. 2022 zugestellten Ersturteils im Vorverfahren erklärte sich der Beklagte gegenüber den Klägern arbeitsbereit. Diese antworteten ihm, dass er unter ausdrücklichem Vorbehalt der Rückforderung „unter Beibehalt der Bezüge dienstfrei gestellt werde“. In der Folge zahlten die Kläger dem Beklagten für Mai bis August 2022 Entgelt von insgesamt 12.341,64 EUR netto.
[4] Die Kläger begehren die Rückzahlung von 12.341,64 EUR netto sA. Durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sei das fiktiv fortbestandene Arbeitsverhältnis weggefallen, wodurch § 1155 ABGB nicht mehr anwendbar sei. Der rechtliche Grund, das Entgelt zu behalten, bestehe nicht mehr. Dieses sei nach § 1435 ABGB zurückzuzahlen. Da der Beklagte dienstfrei gestellt gewesen sei, bestehe auch keine andere Rechtsgrundlage für den Entgeltanspruch.
[5] Der Beklagte bestreitet. Ab dem stattgebenden Urteil erster Instanz sei von einem aufrechten Arbeitsverhältnis auszugehen, aus dem der Arbeitnehmer Arbeitsbereitschaft und der Arbeitgeber Lohnzahlung schulde. Der Verzicht auf die Arbeitsleistung sei der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen. Ein anderes Verständnis des § 61 ASGG bewirke, dass der Arbeitgeber keinen Anreiz habe, den Arbeitnehmer zu beschäftigen. Damit werde der Zweck des § 61 ASGG, dem Arbeitnehmer auf Basis eines stattgebenden erstgerichtlichen Urteils die Deckung seiner Lebenshaltungskosten zu ermöglichen, unterlaufen.
[6] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die gemäß § 61 Abs 1 iVm Abs 2 ASGG mit dem klagsstattgebenden erstgerichtlichen Urteil eingetretene Verbindlichkeit der Feststellung sei mit der rechtskräftigen Abweisung des Klagebegehrens durch den Obersten Gerichtshof erloschen. Das aufgrund der vorläufigen Verbindlichkeit bezahlte Entgelt sei gemäß § 1435 ABGB zurückzuerstatten.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten gegen diese Entscheidung Folge und wies das Klagebegehren ab. Das Vorverfahren habe eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestehens eines dem TAG unterliegenden Arbeitsverhältnisses betroffen. Es liege daher kein Anwendungsbereich des § 62 Abs 3 ASGG vor. Ein rechtskräftiges Feststellungsurteil wirke immer „zurück“. Die in § 18 Abs 1 TAG normierte Beschäftigungspflicht bewirke, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht nur fordern könne, sondern dass ihn insoweit auch eine Abnahmepflicht treffe. Der Arbeitnehmer könne weiterhin Erfüllung verlangen, etwa durch die Erklärung der Arbeitsbereitschaft. Die Kläger wären daher verpflichtet gewesen, den Beklagten zur Arbeitsleistung zuzulassen. Diese Pflicht hätten sie rechtswidrig verletzt. Mit der Rückforderung des Entgelts würden sie sich auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten berufen. Das rechtmäßige Verhalten des beschäftigungspflichtigen Arbeitgebers bestehe darin, sich dem aus dem vorläufigen Arbeitsverhältnis resultierenden Synallagma zu unterwerfen, das den Austausch von Arbeitsleistung gegen Entgeltleistung vorsehe. Dem sei der Fall gleichzuhalten, dass der Arbeitgeber die bestehende Beschäftigungspflicht während des vorläufigen Arbeitsverhältnisses rechtswidrig ignoriere. Der rückwirkende Wegfall des Arbeitsverhältnisses führe daher nicht zur Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen.
[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das gemäß § 61 Abs 1 ASGG an einen trotz Beschäftigungspflicht gemäß § 18 Abs 1 TAG nicht zur Arbeitsleistung zugelassenen Arbeitnehmer bezahlte Entgelt zurückgefordert werden könne.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidungen des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Klage (offenbar gemeint) stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.
[12] 1. Nach § 61 Abs 1 ASGG hemmt die rechtzeitige Erhebung der Berufung gegen das erste Urteil des Gerichts erster Instanz nur den Eintritt der Rechtskraft, nicht jedoch den Eintritt der Verbindlichkeit der Feststellung, den der Rechtsgestaltungswirkung oder den der Vollstreckbarkeit in (ua) Rechtsstreitigkeiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Nach § 61 Abs 2 Satz 2 ASGG wirken Urteile nach § 61 Abs 1 Z 1 und 2 ASGG „unbeschadet eines allfälligen Rückzahlungsanspruchs“.
[13] Wird daher einer Klage auf Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses oder einer Kündigungsanfechtung mit einem erstinstanzlichen Urteil stattgegeben, so hat der Arbeitnehmer aufgrund der vorläufigen Wirksamkeit des Urteils gemäß § 61 ASGG während des laufenden Verfahrens Anspruch auf das Entgelt nach § 1155 ABGB.
[14] 2. Nach der – im Wesentlichen zu Anfechtungsansprüchen ergangenen – Rechtsprechung besteht dieser Anspruch allerdings nur vorläufig. Wird die Anfechtungsklage später endgültig abgewiesen, so muss der Arbeitnehmer die für die Dauer des Prozesses erhaltenen Beträge zurückzahlen. Die Folge der vorläufigen Verbindlichkeitswirkung nach § 61 ASGG besteht darin, dass das Arbeitsverhältnis vorläufig als fortbestehend fingiert wird, was die vorläufige Anwendbarkeit des § 1155 ABGB ermöglicht, der ein Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (9 ObA 128/21w; 9 ObA 148/17f; 8 ObS 10/15a mwN).
[15] Wird das erste Urteil des Erstgerichts rechtskräftig im klageabweisenden Sinn abgeändert, hat die klagende Partei – da § 61 Abs 1 ASGG keinen endgültigen Entgeltanspruch schafft (9 ObA 67/07d; 9 ObA 283/99d mwN) – auf der Grundlage von § 1435 ABGB den etwa erhaltenen Geldbetrag wieder zurückzuzahlen (9 ObA 67/07d).
[16] 3. An dieser im Wesentlichen auf die Entscheidung 9 ObA 283/99d zurückgehenden Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof in mehreren Folgeentscheidungen trotz teilweiser Kritik in der Lehre (vgl etwa Kodek in GS Rebhahn [2019], Entgeltfortzahlung bei Kündigungsstreitigkeiten im Spannungsfeld von vorläufiger Urteilswirkung [§ 61 ASGG] und Rückwirkung des Endurteils [§ 62 Abs 3 ASGG] 265 ff; Kodek in Köck/Sonntag, ASGG § 61 Rz 43; Kodek in Kozak, Die Tücken des Bestandschutzes, 29 [42 ff]; Neumayr in ZellKomm3 § 61 ASGG Rz 18; Gahleitner, ArbVR III6 § 105 Rz 186; zustimmend dagegen Rebhahn, DRdA 2000, 495 [498 ff]; Schrank, ZAS 2000, 180; Gerhartl, Entgelt aus anderer Verwendung, Anrechnung auf Entgeltfortzahlung und Kündigungsentschädigung, ASoK 2017, 97), festgehalten (9 ObA 67/07d; 8 ObS 10/15a; 9 ObA 148/17f; 9 ObA 128/21w). Von ihr abzugehen bietet auch der vorliegende Fall keine Veranlassung.
[17] 4. Gegenstand der Entscheidung im Vorverfahren war zwar kein Kündigungsanfechtungsanspruch, sondern ein solcher auf Feststellung des aufrechten Bestehens des Dienstverhältnisses. § 62 Abs 3 ASGG, der vom Rückwirkungsverbot für Rechtsstreitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG solche über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich ausnimmt, ist daher nicht unmittelbar anwendbar.
[18] Allerdings wird bei Feststellungsbegehren die Rechtslage nur verbindlich festgestellt, nicht gestaltet. Insoweit wirkt auch ein rechtskräftiges Feststellungsurteil in dem Sinn zurück, dass auch für die Vergangenheit von der festgestellten Rechtslage auszugehen ist. Dies hat nichts mit einer vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordneten Rückwirkung zu tun, sondern ist Folge der mit Rechtskraft des Urteils eintretenden Feststellungswirkung (vgl Kodek in GS Rebhahn, 278 f). Aufgrund des den Fortbestand letztlich verneinenden Urteils ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis rechtlich bereits entsprechend der seinerzeitigen Kündigung oder Entlassung (oder, wie hier, Nichtverlängerungserklärung) beendet war.
[19] 5. Lediglich durch die Bestimmung des § 61 Abs 1 Z 1, Abs 2 ASGG trat die Verbindlichkeit des dem Feststellungsbegehren stattgebenden Urteils des Gerichts erster Instanz vorläufig bis zur Beendigung des Verfahrens ein. Diese Verbindlichkeitswirkung erlischt jedoch mit seiner rechtskräftigen Abänderung. Mit der Rechtskraft der Entscheidung stand fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht über den 31. 8. 2020 hinaus aufrecht bestand. Dementsprechend sind die für Arbeitsverhältnisse geltenden Bestimmungen, darunter § 1155 ABGB nicht anwendbar. Aufgrund des Wegfalls der Rechtfertigung für die Vermögensverschiebung besteht ein Rückforderungsanspruch nach § 1435 ABGB.
[20] 6. Bereits in der Entscheidung 9 ObA 283/99d wurde dargelegt, schon aus der historischen Entwicklung (7 BlgNR 16. GP 63) ergebe sich, dass § 61 Abs 1 ASGG keinen endgültigen Entgeltanspruch begründen solle. Darüber hinaus habe der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass bei verfassungskonformer Interpretation des § 61 ASGG eine Partei nicht unabhängig vom Erfolg ihres Rechtsmittels endgültig die Folgen einer rechtswidrigen Entscheidung zu tragen habe und, dass eine Partei auch nicht einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung für den Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsmittels belastet werde.
[21] 7. Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis zu Recht beendet wurde, hat prinzipiell keinen Anspruch auf Weiterzahlung des Entgelts. Auch die vorläufige Verbindlichkeit einer nicht rechtskräftigen Entscheidung ändert letztlich nichts daran, dass materiell-rechtlich, wie mit der rückwirkenden rechtskräftigen Endentscheidung feststeht, während des Verfahrens kein aufrechtes Arbeitsverhältnis bestand. Dass damit die vorläufige Verbindlichkeit letztlich nur denjenigen Arbeitnehmern dauerhaft zugute kommt, deren Anspruch rechtskräftig bestätigt wird, macht die Bestimmung nicht wirkungslos.
[22] 8. Auch übergeht die Argumentation, dass ein Arbeitgeber, der den Arbeitnehmer trotz erstinstanzlicher Entscheidung nicht weiter beschäftigt, keine nachteiligen Folgen habe (so Gahleitner in ArbVR III6 § 105 Rz 186), dass es letztlich das Risiko des Arbeitgebers ist, im Fall eines Prozessverlustes, das Entgelt geleistet zu haben, ohne eine Arbeitsleistung zu erhalten.
[23] 9. Soweit sich der Beklagte in der Revisionsbeantwortung und auch bereits im Verfahren auf Grießer (Vorläufige Entgeltzahlungspflicht nach Urteil über aufrechtes Arbeitsverhältnis, RdW 1999, 353 ff) stützt, hat sich der Oberste Gerichtshof mit dessen Argumenten bereits in der Leitentscheidung 9 ObA 283/99d befasst und für nicht überzeugend befunden. Auch die von Kodek (in Kozak, Die Tücken des Bestandschutzes, 46 f) vertretene Auffassung, dass aufgrund der vorläufigen Entscheidung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bereits die Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers eine Rückforderung des Entgelts ausschließe, wurde in der bisherigen Rechtsprechung mit überzeugenden Argumenten abgelehnt.
[24] 10. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das sich bei seinen Ausführungen ebenfalls weitgehend auf Grießer (Vorläufige Entgeltzahlungspflicht nach Urteil über aufrechtes Arbeitsverhältnis, RdW 1999, 353 ff) stützt, führt auch die Anwendbarkeit des § 18 TAG auf das Arbeitsverhältnis zu keinem anderen Ergebnis.
[25] Zum einen hat sich der Beklagte im Verfahren nicht auf eine Verletzung der Beschäftigungspflicht durch die Kläger berufen. Richtig weisen diese darauf hin, dass nur ein Anspruch auf angemessene Beschäftigung besteht, wobei auf den Inhalt des Vertrags, die Eigenschaften und Fähigkeiten des Mitgliedes und die Art der Führung des Betriebs Bedacht zu nehmen ist, weshalb nicht in jedem Fall von einer Rechtswidrigkeit der Nichtverwendung ausgegangen werden kann.
[26] Zum anderen ist nach der Rechtsprechung ein solches Recht auf Beschäftigung auch im aufrechten Arbeitsverhältnis nicht durchsetzbar (8 ObA 94/22i). Demzufolge bestand daher auch während der vorläufigen Verbindlichkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Vorverfahren kein durchsetzbarer Anspruch auf Beschäftigung. Dem allein aus der Arbeitsbereitschaft resultierenden Entgeltanspruch nach § 1155 ABGB ist aber durch die rechtskräftige klagsabweisende Entscheidung die Grundlage entzogen worden.
[27] 11. Damit besteht entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ein Anspruch auf Rückzahlung des aufgrund der vorläufigen Verbindlichkeit bezahlten Entgelts. Der Revision war daher Folge zu geben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.
[28] 12. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der ERV‑Zuschlag beträgt 2,60 EUR (§ 23a RATG).
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