OGH 9ObA82/24k

OGH9ObA82/24k17.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Lena Steiger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Filip Frank, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Rathausstraße 4, 1010 Wien, vertreten durch die Joklik Katary Richter Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Feststellung, in eventu Entlassungsanfechtung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Juli 2024, GZ 7 Ra 4/24w‑15, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 2. Oktober 2023, GZ 34 Cga 57/23k‑11, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00082.24K.0717.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.810,58 EUR (darin enthalten 468,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war seit * 2012 als Vertragsbediensteter der Stadt Wien beschäftigt.

[2] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. März 2023 wurde der Kläger wegen Verbrechen nach § 3g (aF) Verbotsgesetz 1947 in mehreren Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Diese wurde gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Weiters wurde gemäß § 44 Abs 2 StGB die Rechtsfolge der Auflösung des Dienstverhältnisses „gemäß § 34 Abs 3 VBG 1995“ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren ebenfalls bedingt nachgesehen.

[3] Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 26. April 2023 mit, dass das Dienstverhältnis aufgrund dieser rechtskräftigen Verurteilung gemäß § 46 Z 1 VBO als beendet gelte.

[4] Der Kläger begehrte zuletzt die Feststellung, dass das zwischen ihm und der Beklagten bestehende Dienstverhältnis aufrecht sei und auch über den 26. April 2023, in eventu 12. Juli 2023, in eventu 19. Juli 2023, in eventu 21. Juli 2023 hinaus ununterbrochen bestehe; in eventu begehrte er, dass die von der Beklagten im Schreiben vom 26. April 2023, in eventu im vorbereitenden Schriftsatz vom 12. Juli 2023, in eventu in der vorbereitenden Tagsatzung vom 19. Juli 2023, in eventu im Schreiben vom 21. Juli 2023 erklärte Beendigung, in eventu vorzeitige Auflösung des zwischen den Parteien bestehenden Dienstverhältnisses für rechtsunwirksam erklärt werde.

[5] Die Beklagte wandte ein, dass die sofortige vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses auf § 46 Z 1 VBO gegründet sei. Demnach sei die Beendigung eines Dienstverhältnisses ex lege an eine strafgerichtliche Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geknüpft. § 44 Abs 2 StGB beziehe sich nicht auf das zur Stadt Wien bestehende öffentlich‑rechtliche Dienstverhältnis. In eventu wurde auch die Entlassung aus wichtigem Grund gemäß § 45 VBO 1995 wegen Vertrauensunwürdigkeit geltend gemacht.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte rechtlich dazu aus, dass die Beklagte dem Kläger den Ausspruch der Beendigung des Dienstverhältnisses am 26. April 2023 zur Kenntnis gebracht habe; § 46 Abs 1 VBO 1995 kenne – anders als bundesgesetzliche Regelungen – keine bedingte Nachsicht. Dass einzelne Gebietskörperschaften im Vergleich zu Bundesgesetzen anderslautende Regelungen treffen könnten, verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Aufgrund des ex lege Tatbestands könne eine Verspätung oder Verfristung der Bekanntgabe der Entlassung nicht vorliegen; außerdem habe die Beklagte ohne Aufschub und Verzögerung die nötigen Schritte gesetzt, um dem Kläger die Beendigung des Dienstverhältnisses bekanntzugeben. Die Beendigung sei rechtsgültig per 26. April 2023 erfolgt.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil dahingehend ab, dass festgestellt wurde, dass das Dienstverhältnis des Klägers zur Beklagten aufrecht sei und über den 26. April 2023 hinaus ununterbrochen bestehe. In seiner Begründung verwies es auf den neu geschaffenen § 3k VerbotsG und argumentierte, dass der Gesetzgeber schon vor dessen Inkrafttreten – jedenfalls bei Verurteilungen nach dem VerbotsG – in Hinblick auf den Amts‑ und Funktionsverlust sowie die bedingte Strafnachsicht und (bedingte) Nachsicht von Rechtsfolgen keine Unterscheidung zwischen Bundes‑, Landes‑ und Gemeindebediensteten treffen habe wollen. Eine ex‑lege‑Beendigung des Dienstverhältnisses sei daher nicht eingetreten. Dem Schreiben der Beklagten vom 26. April 2023 lasse sich ein erklärter Wille, das Dienstverhältnis (nach § 45 VBO 1995) beenden zu wollen, nicht entnehmen, weshalb es weiter aufrecht sei.

[8] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob trotz vom Strafgericht ausgesprochener (bedingter) Nachsicht der Rechtsfolge der Auflösung eines Dienstverhältnisses gemäß § 41 Abs 1 Z 5 VBO 1995 dieses dennoch durch gerichtliche Verurteilung (insbesondere nach dem VerbotsG) ex lege ende.

[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig, sie ist allerdings nicht berechtigt.

1. Zum Feststellungsbegehren

[12] 1.1. Auf das vorliegende Dienstverhältnis ist das Gesetz über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (Vertragsbedienstetenordnung 1995 – VBO) anwendbar. Gemäß §§ 41 Abs 1 Z 5, 46 Z 1 VBO 1995 endet das Dienstverhältnis des Vertragsbediensteten unter anderem durch Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen, wenn die verhängte Freiheitsstrafe ein Jahr übersteigt. Die Beendigung des Dienstverhältnisses erfolgt somit ex lege.

[13] 1.2. Gemäß § 44 Abs 2 StGB können Nebenstrafen und Rechtsfolgen einer Verurteilung unabhängig von der Hauptstrafe bedingt nachgesehen werden. Als „Rechtsfolgen“ im Sinn dieser Bestimmung sind dabei nicht sämtliche Nebenfolgen, sondern nur jene Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung zu verstehen, die insoweit unabhängig vom Willen des Gerichts unmittelbar kraft Gesetzes eintreten, als hierbei nur die Entscheidung über deren bedingte Nachsicht dem richterlichen Ermessen unterliegt (RS0091618, vgl zB 16 Os 12/91 zur bedingten Nachsicht der Rechtsfolge der Auflösung des Dienstverhältnisses eines der [damaligen] Dienst‑ und Lohnordnung der ÖBB unterliegenden Bediensteten zu § 44 Abs 2 StGB aF).

[14] 1.3. § 27 Abs 2 StGB bestimmt, dass, wenn eine strafgerichtliche Verurteilung nach einem Bundesgesetz eine andere als die im § 27 Abs 1 StGB genannte Rechtsfolge (Amtsverlust eines Beamten) nach sich zieht, die Rechtsfolge, wenn nichts anderes bestimmt ist, soweit sie nicht im Verlust besonderer auf Wahl, Verleihung oder Ernennung beruhender Rechte besteht, nach fünf Jahren endet. Eine derartige Einschränkung auf Rechtsfolgen nach einem Bundesgesetz enthält § 44 Abs 2 StGB nicht.

[15] 1.4. Ob aufgrund der Einschränkung des § 27 Abs 2 StGB hinsichtlich des (zeitlichen) Erlöschens von Rechtsfolgen auf solche nach einem Bundesgesetz auch eine Einschränkung hinsichtlich der bedingten Nachsicht von Rechtsfolgen auf solche nach einem Bundesgesetz für § 44 Abs 2 StGB abzuleiten sei, wie dies die Revision meint, muss hier aber schon deshalb nicht beantwortet werden, weil das Zivilgericht an den Spruch des verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses gebunden ist (RS0040190).

[16] 1.5. Demnach sah das Strafgericht die Rechtsfolge der Auflösung des Dienstverhältnisses „gemäß § 34 Abs 3 VBG“ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nach. Zwar unterliegt das Dienstverhältnis des Klägers nicht dem VBG, sondern der VBO, es ergibt sich aber eindeutig aus dem Spruch und dem in seiner Gesamtheit zu beurteilenden rechtskräftigen Urteil (vgl 9 ObA 205/02s) der Entscheidungswille des Strafgerichts, nämlich dem Kläger die Rechtsfolge des Funktionsverlustes bedingt nachzusehen (vgl dazu auch RS0116669).

[17] 1.6. Entgegen der Ansicht der Revision führt dies auch nicht zu einem Eingriff in die verfassungsrechtliche Gesetzgebungs‑ und Vollziehungskompetenz der Länder und Gemeinden nach Art 21 Abs 1 B‑VG in Angelegenheiten des Dienstrechts. Die Frage, ob eine Rechtsfolge bedingt nachgesehen wird, ist unter Berücksichtigung der Präventionsvoraussetzungen des § 43 StGB vom erkennenden Strafgericht zu treffen (RS0119774) und unterliegt der Strafrechtskompetenz des Bundes (Art 10 Abs 1 Z 6 B‑VG). Es steht den Ländern und Gemeinden unabhängig von der bedingten Nachsicht der Rechtsfolge nach § 44 Abs 2 StGB weiterhin im Rahmen ihrer Dienstrechtskompetenz die Möglichkeit offen, (dennoch) eine Entlassung auszusprechen (Haslwanter in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 27 Rz 7). Die Dienstbehörde kann schließlich auch bei einer ex lege erfolgenden Auflösung des Dienstverhältnisses entscheiden, dass der Verurteilte abermals in ein öffentlich‑rechtliches Dienstverhältnis treten kann (Birklbauer, SbgK § 44 Rz 35).

[18] 1.7. Hinsichtlich der Ausführungen der Revision zu § 3k VerbotsG (BGBl I 177/2023 „Amts‑ und Funktionsverlust“) ist anzumerken, dass diese Bestimmung mit 1. Jänner 2024 und somit viele Monate nach der (rechtskräftigen) strafrechtlichen Verurteilung des Klägers sowie im Übrigen auch nach Schluss mündlicher Verhandlung erster Instanz im nunmehrigen arbeitsrechtlichen Verfahren in Kraft trat. Strafbestimmungen wirken grundsätzlich nicht zurück (§ 1 Abs 1, Abs 2 erster Satz StGB). Auch die Frage eines Günstigkeitsvergleichs (§ 61 StGB, Art 7 EMRK) stellt sich nicht, weil nur ein Vergleich der Rechtslage zwischen Tat- und Urteilszeitpunkt anzustellen wäre (Höpfel in Höpfel/Ratz, WK² § 61 StGB Rz 2; vgl auch RS0112939).

[19] 1.8. Zusammenfassend wurde somit vom Strafgericht – für die Zivilgerichte bindend – die Rechtsfolge der ex lege Auflösung des Dienstverhältnisses des Klägers bedingt nachgesehen.

2. Zur behaupteten Auflösungserklärung

[20] Soweit die Revision meint, sie habe ohnehin auch eine Auflösungserklärung abgegeben, ist sie auf die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts zu verweisen, dem sie keine stichhaltigen Argumente entgegenzusetzen hat. Dass sie dem Kläger schriftlich mitteilte, dass sein Dienstverhältnis von Gesetzes wegen als beendet gelte, wurde festgestellt. Der behauptete sekundäre Feststellungsmangel wurde zu Recht vom Berufungsgericht verneint.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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