European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00065.25K.0716.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * R* der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) und der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in G* und an anderen Orten des Bundesgebiets
I./ mit unmündigen Personen, nämlich der am * 1999 geborenen S* T* sowie der am * 2001 geborenen L* T*, den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen, indem er
1./ im Zeitraum von 2009 „bis zumindest Ende 2013“ S* T* unzählige Male einen, später auch zwei Finger in die Vagina einführte;
2./ im Zeitraum von 2009 „bis zumindest Ende 2015“ L* T* unzählige Male einen Finger in die Vagina einführte, mit seiner Zunge in ihre Vagina eindrang sowie zumindest zwei Mal seinen Penis an ihrer Scheidenöffnung ansetzte, um in sie einzudringen;
II./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen bzw von unmündigen Personen an sich vornehmen lassen, und zwar
1./ im Zeitraum von 2009 „bis zumindest Ende 2013“ an bzw von der am * 1999 geborenen S* T*, indem er unzählige Male ihre nackte Vulva streichelte, ihre nackten Brüste berührte, sie mit der Zunge an der Klitoris stimulierte sowie einmal ihre Hand zu seinem Penis führte, seine Hand auf ihre legte und sodann Masturbationsbewegungen ausführte;
2./ im Zeitraum von Jänner 2009 „bis Ende 2015“ an bzw von der am * 2001 geborenen L* T*, indem er unzählige Male ihre nackte Vulva streichelte, ihre nackten Brüste berührte, sie an der Vulva leckte sowie ihre Hand zu seinem Penis führte, seine Hand auf ihre legte und sodann Masturbationsbewegungen durchführte;
3./ am 16. Februar 2024 an der am * 2012 geborenen * Re*, indem er wiederholt kreisende Bewegungen mit seiner Hand an ihrer bekleideten Vulva vollführte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) wendet sich gegen die Konstatierungen, denen zufolge der Angeklagte zu I./2./ mit seinem Glied an der Vagina der L* T* ansetzte und zu II./1./ sowie II./2./ die Hand seiner jeweiligen Opfer an seinen Penis führte und mit dieser Masturbationsbewegungen durchführte. Die Begehung solcher Taten wäre für ihn jedoch „unmöglich“, weil er – nach seinen vom Erstgericht angeblich unberücksichtigt gebliebenen Angaben im Ermittlungsverfahren (ON 7.4, 13) – „seit etwa zehn Jahren an einer erektilen Dysfunktion“ leide.
[5] Damit spricht die Mängelrüge jedoch keine entscheidende Tatsache an (RIS-Justiz RS0117499). Den genannten Schuldsprüchen liegt nämlich jeweils eine gleichartige Verbrechensmenge bloß pauschal individualisierter Taten zugrunde. Angesichts der zu I./2./ ebenso festgestellten digitalen Penetration des Opfers durch den Angeklagten (US 5 f; vgl RIS‑Justiz RS0095211 [T4]) und des zu II./1./ und II./2./ konstatierten Streichelns der Opfer an ihrer nackten Vulva mit seiner Hand (US 4 ff; vgl RS0096677 [T25]) jeweils in einer Vielzahl von Angriffen wäre der demnach begehrte Wegfall bloß einzelner der solcherart zusammengefassten Taten ohne Auswirkung auf die Schuld- oder Subsumtionsfrage (RIS‑Justiz RS0117436, RS0116736).
[6] Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass – entgegen dem weiteren Rügevorbringen – keiner der vom Schuldspruch erfassten Tatbestände eine Erektion des Gliedes des Täters voraussetzt. Denn § 206 Abs 1 StGB erfordert „lediglich“ ein Unternehmen des Beischlafs (siehe US 6, wonach der Angeklagte zweimal mit seinem Penis in sein Opfer einzudringen versuchte; vgl dazu RIS-Justiz RS0095114 [T5 und T6]), während es für die Tatbestandserfüllung nach § 207 Abs 1 (zweiter Fall) StGB ausreicht, dass eine zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartie (hier) des Täters mit dem Körper des Opfers in eine – nicht bloß flüchtige und sexual sinnbezogene – Berührung gebracht wird (siehe US 4 f, wonach er jeweils die Hand seines Opfers zu seinem Penis führte und mit dieser Masturbationsbewegungen ausführte; vgl RIS-Justiz RS0096677). Ebenso wenig bedingen die genannten Tatbestände Handeln des Täters aufgrund sexuellen Verlangens (RIS-Justiz RS0113816 [T1 und T2]).
[7] Soweit die – die Feststellung einer entscheidenden Tatsache hier gar nicht konkret ansprechende (siehe aber RIS-Justiz RS0106268 [T7]) – Tatsachenrüge (Z 5a) die Erwägungen des Erstgerichts zur Glaubwürdigkeit der Opfer (US 9 ff) als „völlig lebensfremd“ bezeichnet, verfehlt sie den Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS-Justiz RS0099649). Mit ihren eigenständigen Beweiswerterwägungen, die „Belastungszeugen hätten vor dem gegenständlichen Verfahren den Kontakt zueinander gesucht[,] um gegebenenfalls ihre Aussagen miteinander abzustimmen“, vermag sie keine sich aus den Akten ergebenden (vgl hiezu jedoch RIS‑Justiz RS0119424) erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen. Vielmehr übt sie der Sache nach bloß Kritik an der freien Beweiswürdigung der Tatrichter (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0119583) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
[8] Das weitere Rügevorbringen (nominell Z 5a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall), die – behaupteterweise – unrichtigen Ausführungen der Opfer „bezüglich der von ihnen besuchten Schule“ im „tatrelevanten Zeitraum“ seien übergangen worden, macht nicht klar, inwieweit ein solcher Umstand der tatrichterlichen Beurteilung der Glaubwürdigkeit ihrer Angaben in Bezug auf eine entscheidende Tatsache erörterungsbedürftig entgegenstehen sollte (RIS-Justiz RS0106588 [T15] und RS0119422 [T2 und T4]).
[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[10] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass die strafbare Handlung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB von jener des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB dann als typische Begleittat infolge Scheinkonkurrenz (Konsumtion) verdrängt wird, wenn diese strafbaren Handlungen sowohl zeitlich als auch derart in Verbindung stehen, dass der Vorsatz des Täters von Anfang an auf Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung mit dem unmündigen Opfer gerichtet war (vgl Philipp in WK² StGB § 207 Rz 25; vgl auch RIS‑Justiz RS0115643, RS0090888).
[11] Die Entscheidungsgründe lassen zwar nicht erkennen, ob die subjektive Ausrichtung des Angeklagten jeweils von vornherein auf Tathandlungen im Sinn des § 206 Abs 1 StGB gerichtet war oder er einen solchen Vorsatz erst nach Abschluss der jeweiligen Übergriffe gemäß § 207 Abs 1 StGB entwickelte. Jedoch bringen sie – bei gebotener Gesamtbetrachtung – mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass keineswegs alle – jeweils erst im Laufe der Zeit an Intensität gesteigerten – von II./1./ und II./2./ erfassten („unzähligen“) Übergriffe ein einheitliches Tatgeschehen im Zusammenhang mit bereits von I./1/. und I./2./ erfassten („unzähligen“) schweren Missbrauchshandlungen betreffen (vgl US 4 f). Mit Blick auf die Schuldsprüche wegen (jeweils zu gleichartigen Verbrechensmengen zusammengefassten) § 206 Abs 1 StGB (I./1./ und I./2./) und § 207 Abs 1 StGB (II./1./ und II./2./) subsumierter Taten bliebe demzufolge – wie bereits erwähnt – selbst eine Reduktion der (vorliegend gar nicht konkret bestimmten) Anzahl deliktischer Übergriffe nach § 207 Abs 1 StGB ohne Auswirkung auf die Schuld- oder Subsumtionsfrage (RIS-Justiz RS0117436, RS0116736).
[12] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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