OGH 6Ob92/25k

OGH6Ob92/25k3.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG, *, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S*, 2. J* GmbH, FN *, vertreten durch Petsche‑Demmel Pollak Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den Rekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2023, GZ 2 R 105/23k‑432, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 31. März 2023, GZ 13 Cg 94/08p‑423, aufgehoben, das Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00092.25k.0703.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Rekurs wird – soweit er sich gegen die Kostenentscheidung im gegen die erstbeklagte Partei gefällten Berufungsurteil richtet – als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 56.083,56 EUR (darin 9.347,26 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens gegenüber der zweitbeklagten Gesellschaft mit beschränkter Haftung war allein ein Zahlungsbegehren (in Höhe von rund 156 Mio EUR).

[2] Das Erstgericht wies die (gegenüber dem Erstbeklagten auch die Abgabe von Garantieerklärungen und die Feststellung seiner Haftung umfassende) Klage zur Gänze ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen den Erstbeklagten nicht Folge. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

[4] Mit dem im Verfahren über die Berufung gegen die Abweisung der Klage auch gegenüber der Zweitbeklagten ergangenen (hier angefochtenen) Beschluss erklärte das Berufungsgericht das Verfahren zwischen der Klägerin und der Zweitbeklagten für nichtig und wies die Klage bei gegenseitiger Kostenaufhebung zurück. Die Zweitbeklagte sei im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit am 22. 7. 2022 amtswegig gelöscht worden, wovon die Klägerin erst im Rahmen des Berufungsverfahrens Kenntnis erlangt habe. Die Klägerin habe ausdrücklich erklärt, eine Fortsetzung des Verfahrens gegen die Zweitbeklagte nicht mehr anzustreben. Es sei – nach der seit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 8 ObA 2344/96f ständigen Rechtsprechung – das Verfahren, wenn – wie hier – eine beklagte Kapitalgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Prozesses gelöscht werde, zwar auf Begehren des Klägers fortzusetzen. Strebe dieser hingegen die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft nicht an, so sei die Klage bei gegenseitiger Kostenaufhebung nach § 51 Abs 2 ZPO zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären. Der Wegfall der Parteifähigkeit sei ein in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmender Nichtigkeitsgrund.

[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich das von der Klägerin beantwortete und allein als „Rekurs“ betitelte Rechtsmittel der Zweitbeklagten, mit dem sie nicht nur die Aufhebung dieses im Berufungsverfahren ergangenen Beschlusses und die inhaltliche Behandlung der Berufung der Klägerin, sondern ausdrücklich auch die Abänderung der Kostenentscheidung des (im Verfahren gegen den Erstbeklagten ergangenen) Berufungsurteils anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Der „Rekurs“ gegen die im Verfahren gegen den Erstbeklagten gefällte Kostenentscheidung (im Berufungsurteil) ist jedenfalls unzulässig.

[7] Die Kostenentscheidung im Berufungsurteil betrifft allein das Verfahren gegen den Erstbeklagten. Die Zweitbeklagte ist insoweit weder rechtsmittellegitimiert noch beschwert. Unabhängig davon handelt es sich bei der Kostenentscheidung des Berufungsgerichts um eine Entscheidung „über den Kostenpunkt“ im Sinne des § 528 Abs 2 Z 3 ZPO, sodass jener Teil des „Rekurses“, der die Abänderung in einen Zuspruch eines Kostenersatzes zugunsten beider Beklagten („den beklagten Parteien deren mit EUR 85.681,68 […]“) anstrebt, jedenfalls unzulässig ist.

[8] 2. Der Rekurs gegen den Beschluss über die Zurückweisung der Klage ist nicht berechtigt:

[9] 2.1. Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem dieses die Klage zurückgewiesen hat, ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der „Vollrekurs“ zulässig.

[10] 2.2. Vor dem Hintergrund der (unstrittigen) Löschung der Zweitbeklagten im Firmenbuch stellte sich zunächst die (in der Rekursbeantwortung aufgeworfene) Vorfrage der Prozess(un)fähigkeit der zweitbeklagten Partei. Die Parteifähigkeit ist zwar eine Prozessvoraussetzung, bei deren Fehlen die Klage zurückzuweisen ist (RS0110705 [T8]), und es trifft auch zu, dass die fehlende Parteifähigkeit in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung von Amts wegen oder auf Antrag wahrzunehmen ist (RS0110705 [T7]). Dennoch ist nach ständiger Rechtsprechung derjenige, dem die Parteistellung abgesprochen wurde, legitimiert die Überprüfung dieser Rechtsansicht zu verlangen (6 Ob 525/88; 4 Ob 267/00v; 6 Ob 108/24m). Wird die Klage mangels Parteifähigkeit zurückgewiesen, so ist die Partei, deren Parteifähigkeit bestritten ist, zur Anfechtung dieses Beschlusses mit Rekurs berechtigt (RS0035423).

[11] 2.3. Die aufgrund der Aktenlage angebrachten Zweifel an der Vollmacht der einschreitenden Rechtsvertretung (vgl 6 Ob 41/24h vom 15. 5. vom und 6. 11. 2024) sind – mittlerweile – durch die am 9. 5. 2025 erteilte Genehmigung der bisherigen Prozessführung durch den Nachtragsliquidator beseitigt.

2.4. Zur Parteifähigkeit der Zweitbeklagten

[12] 2.4.1. Eine Kapitalgesellschaft verliert nach herrschender Ansicht ihre Parteifähigkeit mit ihrer Vollbeendigung, die ihre Vermögenslosigkeit und (kumulativ) ihre Löschung im Firmenbuch voraussetzt (6 Ob 136/15s [Pkt 3.2] = GesRZ 2015, 392 [Schimka]; 9 ObA 137/19s; Fink in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 § 155 ZPO Rz 16; 8 ObA 72/07g [„Doppeltatbestand“]; RS0021209 [T1]; RS0049388 [T2]; RS0050186 [T13, T17]).

[13] Die Löschung aus dem Firmenbuch allein bewirkt den Verlust der Parteifähigkeit noch nicht. Die Gesellschaft besteht vielmehr solange fort, als noch Aktivvermögen vorhanden ist (RS0050186; Gitschthaler in Rechberger/​Klicka, ZPO5 [2019] §§ 155–157 Rz 6; Melzer in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 157 ZPO Rz 10 [Stand 9. 10. 2023, rdb.at]). Auch wenn die Löschung nur deklarativ wirkt (RS0050186), trägt sie fürs Erste und bis zu ihrer Entkräftung (vgl RS0050186 [T14, T20]) die Vermutung der Vermögenslosigkeit in sich (vgl RS0050186 [T14, T26]).

[14] Verfolgt die Gesellschaft selbst noch einen (vermögenswerten) Leistungsanspruch (etwa in einem Aktivprozess; vgl 6 Ob 136/15s [ErwGr 3.3.]) ist Vollbeendigung nicht eingetreten und die Gesellschaft wegen des behaupteten Anspruchs noch nicht vollständig abgewickelt; die Vermutung der Vermögenslosigkeit greift dann nicht (RS0062191; RS0050186 [T20]). Dies wird auch für den Fall der Einwendung einer Gegenforderung vertreten (6 Ob 635/91; 8 Ob 1580/92; 9 ObA 412/97x; 9 ObA 87/97b; 9 ObA 412/97x; 4 Ob 308/99v; Artmann, UGB I3 [2019] § 105 Rz 94; Dellinger/Potschka in Zib/Dellinger, UGB [2017] § 157 Rz 38 f; Fink in Fasching/Konecny³ II/3 § 155 ZPO Rz 21 [Stand 1. 10. 2015, rdb.at]; Gitschthaler in Rechberger/Klicka,ZPO5 [2019] §§ 155–157 ZPO Rz 9; siehe aber auch 7 Ob 126/98z, in welcher Entscheidung bei Löschung erst im Verfahren dritter Instanz Vorbringen zu Vermögen als unzulässige Neuerung beurteilt wurde).

[15] Vermögenswerte Ansprüche, die die Vollbeendigung widerlegen, können etwa Ansprüche gegen frühere Gesellschafter, Geschäftsführer oder Liquidatoren und auch solche gegen andere Dritte sein (RS0060134), es sei denn die Gesellschaft könnte durch eine Prozessführung Aktiva gar nicht mehr in ihren Besitz nehmen, weil ihre Forderungen bereits gepfändet sind; damit würde nämlich der Anspruch kein verwertbares Vermögen der Gesellschaft darstellen. Es muss sich also – behauptetermaßen – umbei kaufmännisch-wirtschaftlicher Betrachtungsweise verwertbares Vermögen bzw um zur Gläubigerbefriedigung oder gegebenenfalls zur Ausschüttung an die Gesellschafter geeignetes Vermögen, somit verteilungsfähige Aktiva, handeln (RS0060128). Vermögen in diesem Sinne ist nur, was bilanzierungsfähig und verwertbar ist (RS0060128 [T4]; vgl etwa dazu, dass auch ein Mietrecht in bestimmten Fällen bei der gebotenen kaufmännisch-wirtschaftlichen Betrachtungsweise kein verwertbares und verteilungsfähiges Vermögen sein kann, 6 Ob 262/02a; 5 Ob 168/08d immolex 2009/101, 279 [Malaun]; 6 Ob 246/12p).

[16] Während in der Entscheidung 4 Ob 213/06m zwar einerseits angeführt wurde, es könne allein ein (von der gelöschten Kapitalgesellschaft) behaupteter wettbewerbsrechtlicher Unterlassungs‑ und Widerrufsanspruch – für sich betrachtet – keinen Vermögenswert einer im Firmenbuch nach Beendigung der Liquidation gelöschten GmbH bilden, der die Annahme von deren durch die Löschung indizierten Vermögenslosigkeit ausschließe, aber andererseits der gelöschten (klagenden) GmbH dennoch die Parteifähigkeit unter Hinweis auf einen potenziellen Kostenanspruch zuerkannt wurde, steht nach neuerer Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, der Vermutung der Vermögenslosigkeit und damit der Vollbeendigung der gelöschten Kapitalgesellschaft ein bloß möglicher und noch ungewisser Kostenersatzanspruch (im Passivprozess) nicht entgegen (7 Ob 55/14k; 9 ObA 137/19s; vgl in diesem Sinne schon zuvor 9 Ob 378/97x).

[17] 2.4.2. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 8 ObA 2344/96f (SZ 71/175 = JBl 1999, 268 [Oberhammer] = GesRZ 1999, 34 [Dellinger]) vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass eine vollbeendete Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht mehr parteifähig ist, es aber mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK unvereinbar wäre, wenn die Beklagte durch rechtliche Änderungen in ihrer Sphäre, auf die der Kläger keinen Einfluss hat und die er auch nicht durchschauen kann, eine Entscheidung über den vom Kläger bei Gericht geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruch vereiteln könnte. Wird die beklagte Kapitalgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Prozesses gelöscht, ist das Verfahren deshalb auf Begehren des Klägers fortzusetzen. Strebt der Kläger hingegen die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft nicht an, so ist – bei gegenseitiger Kostenaufhebung nach § 51 Abs 2 ZPO (7 Ob 126/98z; 7 Ob 167/05t) – die Klage zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären (RS0110979; 9 ObA 137/19s). Der Kläger hat somit (in einer solchen Situation) ein Wahlrecht (1 Ob 153/02k ua; zuletzt 9 ObA 133/22g [Rz 7]).

[18] 2.4.3. Auf die Frage, ob die gelöschte Kapitalgesellschaft ihrerseits die Vermutung der Vermögenslosigkeit im vorliegenden Fall widerlegen könnte (wofür die Zweitbeklagte eintritt) oder ob ihr dies verwehrt wäre (so die Klägerin unter Hinweis auf die in 8 ObA 2344/96f angestellten Erwägungen zur fehlenden Schutzwürdigkeit der Interessen der gelöschten Gesellschaft, wenn ihr nach § 18 FBG ausreichend Gelegenheit geboten wurde, allfälliges Vermögen zu behaupten und zu bescheinigen und damit die Löschung zu verhindern; vgl dazu kritisch Fink in Fasching/Konecny³ II/3 § 155 ZPO Rz 44 [Stand 1. 10. 2015, rdb.at]), muss hier nicht eingegangen werden, weil die Zweitbeklagte – selbst wenn man ihr eine Entkräftung zubilligte – „Aktivvermögen“ im vorstehenden Sinn nicht darzulegen vermochte.

[19] Die Zweitbeklagte verwies zu ihrem angeblichen Vermögen auf zwei (beim Erstgericht) anhängige Aktivprozesse (27 Cg 83/10a und 13 Cg 90/10b), die streitanhängig und bis zur rechtskräftigen Beendigung des hier gegenständlichen Verfahrens unterbrochen sind. Sie hat damit (bloß) das Bestehen zweier anhängiger Prozesse behauptet, in denen ihr die Klägerrolle zukommt, nicht aber auch (nachvollziehbar) erklärt, warum diese Prozesse zu Aktivvermögen im vorstehenden Sinne ihrerseits führen könnten. Sie behauptete zwar, die „Gesamtsumme der in diesen Verfahren geltend gemachten Ansprüche beläuft sich auf EUR 35.010.000,00“ und sie trug auch vor, es sei (ua) die Rekursgegnerin in beiden Verfahren Beklagte. Entgegen ihren Behauptungen, wonach sie nicht vermögenslos sei, solange sie diese Aktivprozesse führe, vermag aber selbst ein zu ihren Gunsten unterstellter Prozesserfolg in jenen Verfahren nicht zu Aktivvermögen zu führen, das ihre Vermögenslosigkeit entkräften könnte:

[20] In dem bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens unterbrochenen Widerklagsverfahren 13 Cg 90/10d wird Zahlung von Schadenersatz an den dortigen Erstkläger (den hier Erstbeklagten), nicht aber an die Zweitbeklagte, begehrt und die urteilsmäßige Feststellung verfolgt, dass aus dem Zeichnungsvertrag keine Verpflichtungen der Kläger (hier Beklagten) gegenüber der Beklagten (hier: Klägerin) bestehen. Der Umstand, dass nach erfolgreichem Abschluss eines solchen Verfahrens in Bezug auf die Zweitbeklagte lediglich feststünde, dass sie keinerlei Verpflichtungen gegenüber der hier als Klägerin auftretenden Partei aus dem Zeichnungsvertrag träfen, belegt aber kein Aktivvermögen im zuvor genannten Sinne.

[21] Gleiches gilt für das (ebenso bis zur rechtskräftigen Erledigung des hier geführten Prozesses unterbrochene) Verfahren 27 Cg 83/10a. Dieses betrifft die von Erstbeklagtem und Zweitbeklagter als Erstkläger und Zweitklägerin mit dieser Klage angestrebte Aufhebung des Zeichnungsvertrags und (wiederum bloß) die Feststellung, dass keine Verpflichtungen der Kläger (hier Beklagten) gegenüber den in jenem Verfahren fünf beklagten Parteien (darunter auch die hier als Klägerin auftretende Partei) bestehen. Auch daraus resultiert kein Aktivvermögen (im Sinne des Punkts 2.4.1.).

[22] Dem Rekurs ist demnach nicht Folge zu geben.

[23] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. An ERV-Zuschlag steht aber nach § 23a RATG nur der Betrag von 2,60 EUR zu (RS0126594).

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