OGH 6Ob109/25k

OGH6Ob109/25k3.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache des Antragstellers Mag. H* S*, geboren am *, vertreten durch Gurmann Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die Antragsgegnerin V* GmbH, FN *, vertreten durch Prutsch‑Lang & Damiter Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Bucheinsicht, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 14. Mai 2025, GZ 4 R 58/25v‑29, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00109.25K.0703.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1 Die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten schweren Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens können grundsätzlich auch dann im Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden (RS0121265). Die Anfechtbarkeit setzt allerdings voraus, dass die Entscheidung darüber von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG abhängt (5 Ob 86/24v). Eine solche Frage zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.

[2] 1.2. Auch Entscheidungen im Verfahren außer Streitsachen kommt materielle Rechtskraft zu (RS0007171), sie entfalten daher Einmaligkeitswirkung und Bindungswirkung (§§ 43, 56 AußStrG; RS0007171 [T13]; RS0041572 [T3]). Nachträglichen Tatbestandsänderungen hält die materielle Rechtskraft aber nicht stand (4 Ob 28/21b [ErwGr 2.1.]; vgl RS0007140; RS0007201). Ein Fall dieser Art ist auch der nach dem maßgebenden Stichzeitpunkt erfolgende Eintritt der Fälligkeit (RS0041247 [T5]). Daher kann ein wegen mangelnder Fälligkeit abgewiesenes Begehren später unter Behauptung der mittlerweile eingetretenen Fälligkeit neuerlich erhoben werden (vgl 6 Ob 3/19p [ErwGr 7.2. f]).

[3] Das Rekursgericht war der Ansicht, der auf die selben Gründe gestützte Antrag des Antragstellers auf Bucheinsicht im zwischen den Parteien im Jahr 2022 geführten Vorverfahren sei nur mangels Fälligkeit bzw derzeitiger Klagbarkeit wegen der Nichteinhaltung einer obligatorischen Schlichtungsklausel abgewiesen worden. Der nunmehrigen neuerlichen Geltendmachung nach Wegfall dieses Hindernisses stehe daher die Rechtskraft der Vorentscheidung nicht entgegen.

[4] Mit dieser Beurteilung setzt sich der Revisionsrekurs nicht auseinander und versäumt es dergestalt, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzuzeigen.

[5] Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Recht auf Bucheinsicht nicht nur ein einziges Mal ausgeübt werden kann. Der bloße Umstand, dass einem Gesellschafter früher einmal Einsicht gewährt wurde, steht einem wiederholten Einsichtsbegehren nicht entgegen oder macht es rechtsmissbräuchlich (6 Ob 128/16s [ErwGr 3.2.]).

[6] 1.3. § 57 Z 1 AußStrG entspricht im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RS0121710). Ein solcher qualifizierter Begründungsmangel ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (vgl RS0007484). Eine bloß (behauptetermaßen) mangelhafte Begründung erfüllt den Tatbestand nicht (vgl RS0042133).

[7] Gegen die Auffassung des Rekursgerichts, es könne gegenständlich nicht davon gesprochen werden, dass sich die Entscheidung nicht überprüfen lasse, führt der Revisionsrekurs keine zugkräftigen Argumente ins Treffen. Mit seiner Ansicht, es lägen Feststellungsmängel vor (dazu unten Punkt 3.4.), zeigt der Revisionsrekurs keinen vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall wahrzunehmenden Korrekturbedarf auf.

[8] 2. Das Rekursgericht hat sich mit den vom Rechtsmittelwerber behaupteten Verfahrensmängeln erster Instanz auseinandergesetzt und diese verneint. Auch im Verfahren außer Streitsachen kann – von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen – eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Revisionsrekursverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0050037; RS0030748).

[9] 3.1. Nach gefestigter Rechtsprechung darf die Gesellschaft dem (ausgeschiedenen) GmbH‑Gesellschafter die begehrte Information verweigern, wenn die Informationserteilung einem gesetzlichen Verbot zuwider liefe oder der Informationsanspruch rechtsmissbräuchlich ausgeübt wird. Die Gesellschaft, die sich auf ein Informationsverweigerungsrecht wegen Rechtsmissbrauchs des Gegners stützt, trägt aber dafür die Behauptungs- und Beweislast; sie hat konkrete Behauptungen sowohl zur Gefährdung als auch zur Wettbewerbsrelevanz der strittigen Geschäftsunterlagen, in die Einsicht genommen werden soll, aufzustellen (vgl 6 Ob 128/16s; 6 Ob 223/20t; 6 Ob 166/19h).

[10] Von diesen Grundsätzen ist das Rekursgericht nicht abgewichen. Die Frage, ob die begehrte Informationserteilung rechtsmissbräuchlich verlangt wird, kann regelmäßig nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beantwortet werden; darin liegt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (6 Ob 64/21m [ErwGr 1.1.]).

[11] 3.2. Im vorliegenden Fall steht fest, dass jene GmbH, bei der der Antragsteller Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer ist, als reine Beteiligungsgesellschaft betrieben wird, keine Geschäftstätigkeit im Bereich der Informationstechnologie ausübt und sich bisher auch noch an keinem Unternehmen beteiligte. Zum behaupteten Bestehen eines Konkurrenzverhältnisses traf das Erstgericht eine Negativfeststellung. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, ob der Antragsteller beabsichtige, Informationen aus der Bucheinsicht weiterzugeben.

[12] 3.3. Das Rekursgericht war der Auffassung, der Antragsgegnerin sei damit der ihr obliegende Beweis, dass der Antragsteller sein Bucheinsichtsrecht rechtsmissbräuchlich ausübe, nicht gelungen. Dazu komme, dass die Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Erstgericht weder dargelegt habe, inwieweit die vom Informationsbegehren umfassten Unterlagen des Geschäftsjahrs 2020 (bis einschließlich 16. 9. 2020) mehr als viereinhalb Jahre später überhaupt noch wettbewerbsrelevant seien, noch eine zu erwartende schwerwiegende Schädigung der Gesellschaft. Darin ist keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

[13] 3.4. Mit der Behauptung, der Antragsteller verfolge mit dem gestellten Begehren den Zweck, wettbewerbsrelevante Informationen für sein Konkurrenzunternehmen zu erlangen, entfernt sich der Revisionsrekurs in unzulässiger Weise vom festgestellten Sachverhalt. Bereits das Rekursgericht hat zutreffend ausgeführt, dass diesbezüglich auch keine sekundären Feststellungsmängel vorliegen, weil das Erstgericht entsprechende (Negativ-)Feststellungen getroffen hat, mögen diese auch von den Vorstellungen der Antragsgegnerin abweichen (vgl RS0053317 [T1, T3]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte