OGH 6Ob81/25t

OGH6Ob81/25t3.7.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Mag. Pertmayr, MMag. Sloboda und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei lic oec. (HSG) J*, Tschechien, vertreten durch Beer & Steinmair Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 603.401,83 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2024, GZ 1 R 163/24h-121, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00081.25T.0703.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die M* Limited (nun A* Limited, in der Folge Gesellschaft oder Emittentin) wurde 1997 gegründet und notierte ab dem 21. 11. 2002 an der Wiener Börse. Von der Gesellschaft wurden keine Aktien, sondern aktienvertretende Zertifikate (im Folgenden MEL-Zertifikate) ausgegeben. Die MEL‑Zertifikate wurden unter anderem von der M* AG (in der Folge MS AG), einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Wien und 100%‑ige Tochter der M* Bank AG (nun A* Bank AG, im folgenden Bank), in Kooperation mit unabhängigen Finanzanbietern vertrieben.

[2] Der Beklagte war seit den 1980er Jahren bis Ende 2007 Vorstandsvorsitzender der Bank. Darüber hinaus war er Mitglied des Aufsichtsrats der MS AG. In der Gesellschaft hatte der Beklagte keine Organfunktion.

[3] Für die Platzierung der MEL-Zertifikate war die Bank als Market Makerin zuständig. Die Market Maker‑Tätigkeit der Bank beruhte auf der am 17. 6. 2004 mit der Gesellschaft abgeschlossenen „Platzierungs- und Market Maker-Vereinbarung“ (im Folgenden PMM-Vereinbarung), die die Bank gegen Gebühren dazu verpflichtete, die bei Kapitalerhöhungen der Gesellschaft ausgegebenen Wertpapiere zu zeichnen, wenn diese nicht von Dritten gezeichnet wurden.

[4] Die Übernahmeverpflichtung der Bank wurde später auf die Gesellschaft S* A.V.V. (im Folgenden SAVV) übertragen, die bei der Bank zwei Wertpapierdepots hatte: ein Depot, über das der Kauf und Verkauf von MEL‑Zertifikaten aufgrund der Market Maker-Tätigkeiten abgewickelt wurde, und ein zweites Depot, auf dem SAV – im eigenen Namen und auf eigene Rechnung – jene MEL‑Zertifikate verwaltete, die die Bank nach den Kapitalerhöhungen am Markt nicht platzieren konnte. Die Finanzierung der Transaktionen auf beiden Depots erfolgte mit Geldern der Gesellschaft, welche über Bond-Kontrakte der SAVV zur Verfügung gestellt wurden. Damit konnte sich die Bank stets sicher sein, dass sie trotz abgegebener Platzierungsgarantie, für die sie Gebühren erhielt, nicht auf MEL‑Zertifikaten, die im Rahmen von Kapitalerhöhungen nicht gezeichnet wurden, sitzen blieb.

[5] Der Kurs der MEL‑Zertifikate entwickelte sich von 2003 bis Mitte 2007 mit geringen Schwankungen stetig aufwärts. Ende Juli 2007 kam es zum ersten massiven Kurssturz der MEL‑Zertifikate. In der Folge fiel der Kurs weiter, eine Erholung fand nicht mehr statt.

[6] Die Bank erstellte gemeinsam mit der MS AG wiederholt Broschüren und Fact Sheets für den Verkauf von MEL‑Zertifikaten, koordinierte diese mit der Gesellschaft und veröffentlichte sie. Nach Punkt 3.8 der PMM‑Vereinbarung sollte die Bank die entsprechenden Marketing- und Werbemaßnahmen mit der Gesellschaft (der Emittentin) koordinieren und es war die Gesellschaft ausdrücklich dazu verpflichtet, „vor Verwendung jedweden Marketing-, Werbe- bzw Informationsmaterials“ die schriftliche Zustimmung der Bank einzuholen.

[7] Die Werbebroschüren waren für interessierte Anleger gedacht und sollten bei Kundenberatungen zum Einsatz kommen. Darin wurden die MEL‑Zertifikate unrichtig als „Aktien“ bezeichnet und der falsche Eindruck erweckt, dass diese Wertpapiere nicht den Schwankungen des Aktienmarkts unterliegen würden und daher sicherer als andere seien. Die Werbebroschüre stellte das mit den MEL-Zertifikaten verbundene Risiko im Hinblick auf die Investition in Immobilien und deren langfristige lukrative Verwertung als deutlich geringer als jenes in Aktien dar. Die in den Werbebroschüren enthaltene Grundaussage war, dass es sich bei den MEL-Zertifikaten um ein sicheres Investment in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedriger Zinsen handle.

[8] Dem Beklagten war bekannt, dass die Bank auf der ersten und der letzten Seite einer Werbebroschüre genannt wurde. Der Beklagte kannte auch den Inhalt der Werbebroschüren. Er wusste weiters, dass die MEL‑Zertifikate nicht „sicherer“ waren als andere Aktien und sich der Kurswert durch Angebot und Nachfrage bestimmte. Ihm war bewusst, dass die Aussage, die MEL‑Zertifikate seien eine „sichere, breit gestreute Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte“ nicht richtig war. Er kannte auch das dahinterstehende Marketingkonzept und rechnete damit, dass die Broschüren Anlegern zur Kenntnis gelangen und als Entscheidungsgrundlage für Veranlagungen dienen. Das vom Beklagten mitgestaltete Marketingkonzept zielte darauf ab, ein möglichst breites Publikum, insbesondere auch risikoaverse Sparbuch- und Bausparer, anzusprechen und diese für die MEL‑Zertifikate zu interessieren. Durch die Bewerbung des Produkts als von einem Kursrisiko unabhängige sichere Immobilienveranlagung nahm es der Beklagte bewusst in Kauf, dass Kunden ein falsches Bild von der Sicherheit dieses Produkts vermittelt bekamen, um sie zu einer Investition in MEL‑Zertifikate zu verleiten. Ihm war daher bewusst, dass die herausgegebenen Werbebroschüren irreführend waren, und er nahm damit (auch) billigend in Kauf, dass Anleger aufgrund der Angaben in den Werbebroschüren Wertpapiere erwerben würden, die sie bei richtiger Information über die Sicherheit dieser Wertpapiere nicht erworben hätten.

[9] In der zwischen der Gesellschaft und der Bank getroffenen PMM‑Vereinbarung hatte sich die Bank verpflichtet, sämtliche Wertpapiere der Gesellschaft zu übernehmen, die bei Kapitalerhöhungen nicht am Kapitalmarkt untergebracht werden können. Dies wurde in den Kapitalmarktprospekten aus dem Jahr 2005 auch offengelegt. Nicht offengelegt wurde jedoch, dass die Platzierungsgarantie mit Geldern der Gesellschaft finanziert wurde.

[10] In der Ad-hoc-Meldung vom 22. 3. 2005 teilte die Gesellschaft mit, dass 42 Millionen junge Aktien im Gesamtwert von 560 Millionen EUR bei privaten und institutionellen Kunden platziert wurden und somit die bisher größte Kapitalerhöhung ihrer Unternehmensgeschichte erfolgreich abgeschlossen worden sei. Dies entsprach jedoch nicht den Tatsachen, weil bei dieser Kapitalerhöhung 50 % der neu ausgegebenen Zertifikate von der SAVV gezeichnet und damit nicht bei echten Dritten am Kapitalmarkt platziert wurden. Dieser Umstand wurde auch in der Board-Sitzung der Gesellschaft vom 19. 4. 2005, an der auch der Beklagte teilnahm, so kommuniziert. Die Ad-hoc-Meldung wurde hinsichtlich dieses Umstands nicht richtig gestellt.

[11] In der Ad-hoc-Meldung vom 27. 2. 2006 berichtete die Gesellschaft, dass die Kapitalerhöhung erfolgreich beendet worden sei, ja sogar angesichts des starken Interesses von Privatanlegern und institutionellen Investoren wegen Überzeichnung vorzeitig habe geschlossen werden müssen. Tatsächlich konnten bei dieser Kapitalerhöhung rund 37,8 % der neu ausgegebenen Zertifikate nicht am Markt bei Dritten platziert werden und wurden von der SAVV gezeichnet. Es erfolgte keine Richtigstellung der Ad-hoc-Meldung.

[12] In der Ad-hoc-Meldung vom 9. 11. 2006 berichtete die Gesellschaft, dass sie die jüngste Kapitalerhöhung erfolgreich abgeschlossen habe und alle Aktien bei privaten oder institutionellen Investoren platziert worden seien. Tatsächlich wurden rund 13,2 Millionen Zertifikate, also rund 29,3 % aller im Zuge der Emission zu emittierenden Zertifikate, nicht bei Dritten am Kapitalmarkt platziert, sondern waren von der SAVV gezeichnet worden.

[13] Bei der Kapitalerhöhung im Februar 2007 zeichnete die SAVVrund 44 % der neu ausgegebenen Zertifikate, nämlich rund 31,5 Millionen Stück zu einem Kurs von 19,70 EUR und 2 Millionen Stück zu einem Kurs von 19,75 EUR.

[14] Eine Angestellte der Bank war im Jahr 2005 zur Gesellschaft entsandt worden. Zu ihren Aufgaben zählte das Verfassen von Ad-hoc-Meldungen der Gesellschaft. Ad-hoc-Meldungen betreffend die Kapitalerhöhungen der Gesellschaft – darunter auch jene vom 22. 3. 2005, vom 27. 2. 2006, vom 9. 11. 2006 und vom 9. 2. 2007 – schickte sie vor deren Veröffentlichung an den Beklagten in seiner Funktion als Vorstand der Bank zur Genehmigung. Die Ad-hoc-Meldungen betreffend die Kapitalerhöhungen der Gesellschaft – darunter auch jene vom 22. 3. 2005, vom 27. 2. 2006, vom 9. 11. 2006 und vom 9. 2. 2007 – wurden jeweils erst nach Genehmigung durch den Beklagten in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der Bank veröffentlicht.

[15] Der Beklagte wusste im Zeitpunkt der Genehmigung der Ad-hoc-Meldungen, dass die Kapitalerhöhungen der Gesellschaft in den Jahren 2005 bis 2007 nicht vollständig bei Drittanlegern platziert worden waren, dass die Gesellschaft den Erwerb ihrer eigenen Zertifikate durch die SAVV finanzierte und welcher Anteil der Kapitalerhöhungen auf die von SAVV gezeichneten Zertifikate entfiel. Er wusste auch, dass die Öffentlichkeit von diesen Umständen nicht informiert wurde. Der Beklagte wusste, dass die Angestellte die ihm übersandten Ad-hoc-Meldungen der Gesellschaft nach seiner Genehmigung veröffentlichen würde. Er wusste auch, dass die festgestellten falschen Informationen in den Ad-hoc-Meldungen zur Irreführung geeignet waren, und wollte, dass Anleger aufgrund der in den Ad-hoc-Meldungen enthaltenen Informationen davon ausgehen, dass die Kapitalerhöhungen zur Gänze am Markt platziert wurden und eine starke Nachfrage nach MEL‑Zertifikaten besteht, und deshalb eine Investitionsentscheidung treffen, die sie bei Kenntnis der nicht platzierten Kapitalerhöhungen und der Rückkäufe nicht gewollt hätten.

[16] Die Klägerin war als Anlegerin eher vorsichtig. Bei der Auswahl an Investitionen waren ihr Sicherheit und Rendite wichtig, sie wollte kein Geld verlieren. Die Sicherheit sah sie meistens in Immobilien. Aufgrund der Besprechung mit ihrem Vermögensberater und dem Inhalt der Werbebroschüren dachte die Klägerin, dass es sich bei dem Erwerb von MEL‑Zertifikaten um eine sichere Investition handle. Weiters dachte sie, die Investition in MEL‑Zertifikate wäre ertragreicher als Geld auf ein Sparbuch zu legen. Sie vertraute darauf, dass die Investition in MEL‑Zertifikate mündelsicher sei, sie also ihr Kapital nicht verlieren könne. Das war ausschlaggebend für ihre Investition. Die Klägerin erwarb am 27. 3. 2006 und am 1. 2. 2007 MEL‑Zertifikate um den Bruttowert von 1.198.210,17 EUR (darin enthalten Spesen von 13.526,09 EUR).

[17] Bei Kenntnis von den Zertifikatsrückkäufen hätte der Vermögensberater seinen Kunden die Zeichnung von MEL‑Zertifikaten nicht empfohlen. Die Klägerin wusste daher auch nichts davon, dass die Kapitalerhöhungen in den Jahren 2005 bis 2007 zu großen Teilen von der SAVV mit Geld der Gesellschaft gezeichnet wurden. Wenn die Klägerin gewusst hätte, dass es zu einem Totalverlust kommen kann und die Kapitalerhöhungen der Gesellschaft zu einem großen Teil nicht am Markt platziert werden konnten, sondern von der SAVV mit Geldern der Gesellschaft gezeichnet wurden, hätte sie nicht in MEL‑Zertifikate investiert. Wäre in den Ad‑hoc-Meldungen offengelegt worden, dass die Kapitalerhöhungen nicht voll am Markt hätten platziert werden können, sondern die signifikanten Restbestände von einer Gesellschaft im Umfeld der Bank und der Familie des Beklagten gezeichnet wurden, wäre darüber in der Wirtschaftspresse berichtet worden und hätte die Klägerin davon erfahren.

[18] Am 24. 8. 2019 unterzeichneten die Bank, ein Prozessfinanzierer und ein Rechtsanwalt der Klagevertreterin eine Rahmenvereinbarung zur vergleichsweisen Bereinigung der Ansprüche der Anleger in Sachen „MEL“. Die Klägerin war mit diesem Vergleichsangebot nicht einverstanden. Im Februar 2020 bot die Bank an, Vergleichsangebote zu verbesserten Bedingungen anzunehmen, wenn das Angebot binnen vier Wochen ab Unterfertigung dieser Ergänzung zur Rahmenvereinbarung bei der Bank einlangt (Punkt 3. der Ergänzung zur Rahmenvereinbarung).

[19] Der Klagevertreter informierte seine Mandanten über die Ergänzungsvereinbarung zur Rahmenvereinbarung und über die Möglichkeit, eine höhere Vergleichszahlung zu erhalten. Diesem Schreiben war ein Formular angefügt, das bei Interesse an einem Vergleichsabschluss auszufüllen und an den Prozessfinanzierer zu übermitteln war, der sich um die organisatorische Abwicklung kümmern würde. Die Klägerin füllte dieses Formular aus, wobei nicht feststeht, ob sie dieses der Klagevertreterin oder direkt demProzessfinanzierer übermittelte. Der Bank wurde das Formular jedenfalls nicht übermittelt.

[20] DieVorinstanzen gaben dem auf Schadenersatz gestützten Klagebegehren statt. Ein Vergleich sei nicht zustande gekommen. Der Beklagte hafte persönlich für den der Klägerin durch die Kursverluste erlittenen Schaden.

Rechtliche Beurteilung

[21] Die außerordentliche Revision des Beklagten ist nicht zulässig.

1. Vorbemerkung

[22] 1.1. Allein der Umstand, dass die zu lösenden Rechtsfragen in einer Vielzahl von Fällen auftreten, bewirkt für sich noch nicht deren Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0042816; RS0042742 [T12]).

[23] 1.2. Ausgehend von den schon bisher in der Rechtsprechung gezogenen Leitlinien liegt auch zur Verantwortlichkeit des mit Vorsatz agierenden Beklagten für die Beteiligung an der Irreführung des Klägers keine erhebliche Rechtsfrage vor.

2. Kein Vergleichsabschluss

[24] 2.1. Für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, solange nicht behauptet und bewiesen ist, dass sich aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (RS0043422 [T6, T13]). Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915). Der Rechtsfrage, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, kommt grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung zu (RS0044298; RS0042776), außer es wird in Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares und aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes Auslegungsergebnis erzielt (RS0042776 [T1, T3]).

[25] 2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut von Punkt 3. der Ergänzung zur Rahmenvereinbarung verpflichtete sich die Bank nur unter der Voraussetzung zur Annahme des Vergleichsangebots, dass dieses binnen vier Wochen ab Unterfertigung der Ergänzungsvereinbarung bei ihr einlangt (vgl im Übrigen RS0110458). Die Bestimmungen der (ursprünglichen) Rahmenvereinbarung kommen nur zur Anwendung, sofern die Ergänzungsvereinbarung nicht davon abweicht, was im hier strittigen Punkt aber gerade der Fall ist.

[26] 2.3. Im vorliegenden Fall stellte das Erstgericht fest, dass das Angebot jedenfalls nicht der Bank übermittelt wurde, sodass die Verneinung eines Vergleichsabschlusses durch die Vorinstanzen nicht korrekturbedürftig ist. Selbst wenn feststehen würde oder unstrittig sein sollte, dass die Klägerin wollte, dass ihr Rechtsvertreter einen Vergleich herbeiführt, würde auch dies nichts daran ändern, dass ihr Angebot niemals der Bank zugegangen ist. Eine mögliche Untätigkeit des Vertreters der Klägerin kann nämlich nicht zur Fiktion eines Zugangs der Erklärung an die Bank führen.

3. Arglistige Irreführung gemäß § 874 ABGB

3.1. Allgemeines

[27] 3.1.1. List iSd § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821), wobei dolus eventualis ausreicht (RS0014837). Der Vorsatz des listig Irreführenden muss sich darauf beziehen, dass der andere Teil irrt und dass dieser Irrtum einen Einfluss auf den Willensentschluss hat (RS0014765). „List“ bedeutet so viel wie Betrug, wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinn und kann auch in einer Verschweigung liegen, wenn dadurch eine Aufklärungspflicht verletzt wird (RS0014790 [T7]; RS0014827 [T3]). Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298).

[28] 3.1.2. Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum müssen für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790). Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt. Täuschung durch Verschweigen erfordert zudem, dass eine Aufklärungspflicht verletzt wurde, was nach den Anschauungen des redlichen Verkehrs zu beurteilen ist (RS0014827 [T4, T5]; RS0014790 [T4, T8]; RS0014821 [T8]).

[29] 3.1.3. Die Frage, ob eine Person arglistig gehandelt hat, ist immer nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt somit grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (vgl RS0014827 [T8]).

3.2. Haftung wegen irreführender Werbebroschüren

[30] 3.2.1. Ein durch irreführende Werbebroschüren verursachter Irrtum über die Risikogeneigtheit und Wertstabilität eines Wertpapiers kommt als Haftungsgrund infrage (RS0014922 [T7]; RS0014913 [T9]). Als Vorstandsvorsitzender der Bank, die irreführende Werbeunterlagen zu vertreten hat, kann der Beklagte gemäß § 1301 ABGB Mittäter oder Beitragstäter zu gemäß § 1295 Abs 2, § 1300 Satz 2 oder § 874 ABGB verpöntem Verhalten sein, wenn sein Handeln vom entsprechenden Vorsatz getragen war (5 Ob 146/11y; 1 Ob 51/12z; 4 Ob 5/13h).

[31] 3.2.2. Das Berufungsgericht qualifizierte die festgestellte Mitwirkung des Beklagten an der Erstellung und Verbreitung der Broschüre als aktive Beitragshandlung. Diese Rechtsansicht ist nicht korrekturbedürftig, weil feststeht, dass der Beklagte das Marketingkonzept mitgestaltet hat und Punkt 3.8 der PMM‑Vereinbarung ausdrücklich eine Zustimmungsverpflichtung der Bank „vor Verwendung jedweden Marketing-, Werbe- bzw Informationsmaterials“ festlegt, was nach dem Wortlaut und im Zusammenhang mit dem vorangehenden Satz, wonach Marketing- und Werbemaßnahmen „koordiniert“ werden, uneingeschränkt auch für den Inhalt der Werbebroschüren gilt. Damit bestand für die Bank auch die Pflicht, bei bekanntermaßen irreführenden Angaben die Zustimmung zu verweigern (zur Übernahme einer Letztverantwortlichkeit für den veröffentlichten Text mit der vertraglich vereinbarten „Genehmigung“ siehe 10 Ob 86/14s GesRZ 2016, 68 [Kalss/Oppitz], dort betreffend die Ad-hoc-Meldungen). Damit stellen sich die von der Revision aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit einer Begehung durch Unterlassen nicht.

[32] 3.2.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Beklagte hafte der klagenden Anlegerin gemäß §§ 1301, 874 ABGB wegen Beihilfe an der irreführenden Werbung, weil er die Werbemaßnahmen in seiner Funktion als Vorstand gebilligt hat und wusste, dass diese zur Irreführung der Anleger geeignet waren, sowie billigend in Kauf nahm, dass Anleger aufgrund der Angaben in den Werbebroschüren Wertpapiere erwerben würden, die sie bei richtiger Information über die Sicherheit dieser Wertpapiere nicht erworben hätten, findet Deckung in der dargestellten Rechtsprechung. Aufgrund des Wissens des Beklagten von der Unrichtigkeit der Informationen in den Werbebroschüren spielt die Frage einer allfälligen Ressortzuständigkeit entgegen der Ansicht der Revision keine Rolle (vgl allgemein dazu Fellmair/Straßer, Zur Haftung von Organmitgliedern bei einer Ressortverteilung, GesRZ 2023, 96 [insb 100 f]; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 § 70 Rz 24).

3.3. Haftung wegen Verletzung der Ad‑hoc‑Meldepflicht

[33] 3.3.1. Die Bank war nach der PMM-Vereinbarung verpflichtet, sämtliche bei den Kapitalerhöhungen nicht platzierten Zertifikate zu zeichnen. Diese in der PMM‑Vereinbarung enthaltene Übernahmeverpflichtung der Bank wurde von ihr auf die SAVV überbunden (vgl schon 10 Ob 86/14s), die mit der Bank faktisch eng verflochten war. Weiters steht fest, dass die drei Ad-hoc-Meldungen aus den Jahren 2005 und 2006 unrichtig waren, weil ein relevanter Prozentsatz der ausgegebenen Wertpapiere nicht am Markt bei (außenstehenden) Dritten, sondern bei der SAVV platziert und mit Geldern der Gesellschaft selbst durchgeführt wurde. Sofern die Revision dies in Abrede stellt, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

[34] 3.3.2. Die Tatsache, dass eine andere Gesellschaft im Zuge von Kapitalerhöhungen in den Jahren 2005 bis 2007 einen erheblichen Teil des Volumens der Kapitalerhöhung mit Geldern der Emittentin erwerben musste, um eine vollständige Platzierung erreichen zu können, ist eine veröffentlichungspflichtige Insider-Information iSd § 48a Abs 1 Z 1 iVm § 48d Abs 1 BörseG. Die Ad-hoc-Meldungen waren darüber hinaus irreführend iSd § 48a Abs 1 Z 2 lit c BörseG (vgl 10 Ob 86/14s GesRZ 2016, 68 [Kalss/Oppitz]).

[35] § 1301 ABGB sieht vor, dass für einen widerrechtlich zugefügten Schaden mehrere Personen verantwortlich werden können, indem sie gemeinschaftlich, unmittelbarer oder mittelbarer Weise, durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen und dergleichen oder auch nur durch Unterlassung der besonderen Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, dazu beigetragen haben. „Gehilfe“ ist nur, wer den Täter bewusst fördert. Der Gehilfe muss zur Ausführung der Tat beitragen oder diese erleichtern (RS0031329 [T7]; 4 Ob 194/05s). Adäquate Verursachung reicht für die Haftung aber nicht aus. Wer selbst nicht tatbestandsmäßig handelt, sondern nur einen sonstigen Tatbeitrag leistet, haftet daher nur dann, wenn er den Täter (hier die emittierende Gesellschaft) bewusst fördert. Dies setzt voraus, dass ihm (hier dem Beklagten) die Tatumstände, die den Gesetzesverstoß begründen, bekannt sind oder er eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt. Diese ist auf grobe und auffallende Verstöße beschränkt (10 Ob 86/14s; RS0026577 [T7, T8, T9]; RS0031329 [T9, T10]).

[36] 3.3.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Beklagte hafte der klagenden Anlegerin gemäß §§ 1301, 874 ABGB aus Beihilfe zur Verletzung der Ad-hoc-Meldepflicht der Gesellschaft, weil er die Meldungen in seiner Funktion als Vorstand der Bank gekannt und genehmigt hat und wusste, dass die falschen Informationen in den Ad-hoc-Meldungen zur Irreführung der Anleger geeignet waren, sowie weiters wollte, dass Anleger aufgrund der in den Ad-hoc-Meldungen enthaltenen (unrichtigen) Informationen davon ausgehen, dass die Kapitalerhöhungen zur Gänze am Markt platziert wurden sowie eine starke Nachfrage nach den Zertifikaten besteht, und deshalb eine Investitionsentscheidung treffen, die sie bei Kenntnis der nicht platzierten Kapitalerhöhungen und der Rückkäufe nicht gewollt hätten, findet Deckung in der dargestellten Rechtsprechung. Aufgrund des Wissens des Beklagten von der Unrichtigkeit der Informationen in den Ad‑hoc-Meldungen spielt die Frage einer allfälligen Ressortzuständigkeit auch hier keine Rolle (siehe Punkt 3.2.3. der Entscheidung).

[37] 3.3.4. Das Berufungsgericht qualifizierte die festgestellte Mitwirkung des Beklagten an der Veröffentlichung der unrichtigen Ad-hoc‑Mitteilungen als aktive Beitragshandlung. Diese Rechtsansicht ist ebenfalls nicht korrekturbedürftig, zumal der Oberste Gerichtshof diesbezüglich bereits eine aktive Beitragshandlung des Beklagten bejaht hat (vgl 10 Ob 86/14s GesRZ 2016, 68 [Kalss/Oppitz]). Damit stellen sich auch hier keine Fragen im Zusammenhang mit einer Begehung durch Unterlassen.

4. Ergebnis

[38] Die Revision zeigt zusammengefasst keine Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf und ist somit zurückzuweisen.

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