OGH 17Ob2/25f

OGH17Ob2/25f26.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Candidus Cortolezis, *, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der K* GmbH *, vertreten durch Cortolezis Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, gegen die beklagte Partei K*, vertreten durch MMag. Lukas Putz, Rechtsanwalt in Weiz, wegen 1.158.574,13 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. Dezember 2024, GZ 2 R 155/24t‑90, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 7. August 2024, GZ 12 Cg 31/21s‑84, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 2. September 2024 (ON 85), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0170OB00002.25F.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird wie folgt abgeändert:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 470.731,86 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. August 2021 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Zahlungsmehrbegehren von 687.842,27 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. Juli 2019 und das Zinsenmehrbegehren von 4 % Zinsen aus 470.731,86 EUR von 12. Juli 2019 bis 11. August 2021 wird abgewiesen.

3. Das Eventualbegehren auf Zahlung von 591.348,75 EUR samt 4 % Zinsen seit 12. Juli 2019 wird abgewiesen.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 61.064,22 EUR (darin enthalten 14.912 EUR Barauslagen und 7.692,04 EUR USt) bestimmten Kosten des (erstinstanzlichen) Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 39.891,30 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 37.696,80 EUR Barauslagen und 365,75 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 11. 7. 2019 eröffnete das Erstgericht ein (zweites) Insolvenzverfahren über das Vermögen der in der Möbelherstellung tätig gewesenen Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Der Beklagte war von Mai 2017 bis Anfang Juli 2019 allein vertretungsbefugter Geschäftsführer der Schuldnerin.

[2] Hohe Deckungslücken von mehr als 90 % und das Vorliegen (deutlich) negativen Eigenkapitals waren für einen durchschnittlich sorgfältigen Geschäftsführer spätestens am 31. 10. 2018 aus der laufenden Buchhaltung der Schuldnerin erkennbar. Eine Fortbestehensprognose lag zum Stichtag 6. 11. 2018, zu dem die Schuldnerin mit knapp 5 Mio EUR rechnerisch überschuldet war, nicht vor. Am 6. 11. 2018 bestanden für einen durchschnittlich sorgfältigen Geschäftsführer Indizien für eine Bestandsgefährdung der Schuldnerin, von deren Fortbestehen ohne weitere Finanzierungen und ohne Änderung des (erst im Sommer 2018 grundlegend geänderten) Geschäftsmodells nicht ausgegangen werden konnte. Zum Stichtag 6. 11. 2018 beliefen sich die Aktiva der Schuldnerin auf 1.496.000 EUR, die Passiva auf 6.427.000 EUR. Bei tatsächlicher Eröffnung des Insolvenzverfahrens standen Passiva von 6.472.500,20 EUR Aktiva von 343.769,42 EUR gegenüber.

[3] Der Kläger begehrte vorerst die Zahlung von 470.731,86 EUR sA und brachte dazu – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – vor, dass die Schuldnerin spätestens am 6. 11. 2018 materiell insolvent gewesen sei und dieser Umstand dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt erkennbar gewesen wäre. Er habe die gebotene Stellung eines Insolvenzantrags schuldhaft unterlassen. Zum Stichtag 6. 11. 2018 seien Aktiva von 578.012 EUR Passiva von 4.534.122 EUR gegenüber gestanden, im erst im Juli 2019 eingeleiteten Insolvenzverfahren stünden Aktiva von 360.586,68 EUR Passiva von 6.519.831,91 EUR gegenüber. Daraus errechne sich ein Quotenschaden in Höhe von 470.731,86 EUR, den er als Masseverwalter geltend mache.

[4] Er stütze sich aber „auch auf die Norm des § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG“ und begehre die Klageforderung (von 470.731,86 EUR) „aus dem Titel des Betriebsverlusts“. Der Schaden der Schuldnerin, den der Insolvenzverwalter aufgrund der Haftungskanalisierung geltend machen könne, liege im Betriebsverlust für den Zeitraum der Insolvenzverschleppung, also von 6. 11. 2018 bis zur tatsächlichen Insolvenzeröffnung am 12. 7. 2019. Die Höhe ergebe sich aus einem Vergleich des hypothetischen Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt des Eintritts der Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung und der Insolvenzmasse zum Zeitpunkt der tatsächlichen Stellung des Insolvenzantrags.

[5] Der Schaden gemäß § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG ergebe sich aus den nach dem Vorliegen materieller Insolvenz geleisteten unzulässigen Zahlungen und liege unter Berücksichtigung der zur Fortführung des Betriebs unbedingt erforderlichen Zahlungen und der Zahlungen für Zug-um-Zug-Geschäfte bei 435.710 EUR.

[6] In der letzten Tagsatzung dehnte der Kläger sein Zahlungsbegehren auf 1.158.574,13 EUR sA aus und brachte dazu vor, dass nach den Ergebnissen des eingeholten Sachverständigengutachtens die fiktive Insolvenzquote zum Zeitpunkt 6. 11. 2018 23,3 % betragen habe, was ein Delta von 17,77 % zur tatsächlich zu erwartenden Quote und damit einen Quotenschaden von 1.158.574,13 EUR ergebe. Sollte das Gericht vom Eintritt materieller Insolvenz erst zum Stichtag 5. 3. 2019 ausgehen, werde ein Eventualbegehren auf Zahlung von 591.348,75 EUR sA erhoben.

[7] Der Beklagte bestritt und wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, dass der klagende Masseverwalter zur Geltendmachung eines Quotenschadens nicht aktivlegitimiert sei.

[8] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren statt. Es bejahte die Aktivlegitimation des klagenden Masseverwalters auch für die Geltendmachung eines Quotenschadens. In der Schädigung der Altgläubiger, die in der Verschlechterung der Insolvenzquote liege, bestehe zugleich eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens, die den Geschäftsführer der GmbH dieser gegenüber nach § 25 Abs 2 GmbHG schadenersatzpflichtig mache. Es überzeuge damit die in der Literatur überwiegend vertretene Ansicht, dass der Masseverwalter jedenfalls seitInkrafttreten des § 69 Abs 5 IO während des Insolvenzverfahrens zur Geltendmachung eines Quotenschadens aktivlegitimiert sei.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Gesetzesmaterialien zum GIRÄG 2003 ließen die Absicht des Gesetzgebers vermuten, dem Insolvenzverwalter die Aktivlegitimation auch für die Geltendmachung von Quotenschäden während des Insolvenzverfahrens zuzubilligen.

[10] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Aktivlegitimation des Masseverwalters zur Geltendmachung von Quotenschäden nach Inkrafttreten des § 69 Abs 5 IO fehle und das Berufungsgericht von der zur alten Rechtslage ergangenen Rechtsprechung abgewichen sei.

[11] Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

[14] 1. Unstrittig ist im Revisionsverfahren, dass der beklagte Geschäftsführer seine Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags schuldhaft verletzt hat und er gehalten gewesen wäre, diesen bereits am 6. 11. 2018 zu stellen. Ebenso unstrittig ist, dass die Schuldnerin am 6. 11. 2018 zahlungsunfähig war. Der Beklagte bestreitet in der Revision einzig die Aktivlegitimation des klagenden Insolvenzverwalters zur Geltendmachung des nach den Feststellungen vorliegenden Quotenschadens.

[15] 2. Der Geschäftsführer einer GmbH ist bei schuldhafter Insolvenzverschleppung Ansprüchen von zwei Seiten ausgesetzt. Einerseits kann die Gesellschaft den ihr entstandenen Schaden aufgrund des durch die Insolvenzverschleppung bedingten „Weiterwurstelns“ aus Schadenersatz gemäß § 25 GmbHG fordern. Andererseits können die Altgläubiger ihren Quotenschaden gegen den Geschäftsführer geltend machen, weil § 69 IO – der die Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung regelt – nach herrschender Ansicht als Schutzgesetz zugunsten aller durch die nicht rechtzeitige Insolvenzeröffnung geschädigten Gläubiger angesehen wird (RS0027441; vgl auch RS0027521 [T2, T3, T4] zum Schutzgesetzcharakter des § 159 StGB). Die Möglichkeit von Neugläubigern zur Geltendmachung ihres aus der Insolvenzverschleppung resultierenden Vertrauensschadens (vgl RS0122035) muss in weiterer Folge mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher beleuchtet werden; zu untersuchen ist jedoch das Verhältnis zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft und jenen der Altgläubiger.

[16] 2.1. Die Gesellschaft – und damit im Insolvenzfall der Insolvenzverwalter (vgl 7 Ob 96/13p Punkt 2. mwN) – hat nach der Rechtsprechung im Fall der schuldhaften Insolvenzverschleppung einen auf § 25 Abs 2 GmbHG gegründeten Schadenersatzanspruch auf Ersatz des Betriebsverlusts, der im Zeitraum zwischen der rechtlich geboten gewesenen Antragstellung und der tatsächlich erfolgten Antragstellung eingetreten ist (2 Ob 568/87, 8 Ob 624/88, 1 Ob 144/01k [unter Hinweis auf die dadurch bewirkte Masseschmälerung]). Er ist das Ergebnis einer Differenzrechnung aus der Gegenüberstellung des Vermögens der geschädigten Gesellschaft nach der Schädigung und des hypothetischen Vermögens bei Ausbleiben der rechtswidrigen Handlung (also der unterlassenen bzw verspäteten Insolvenzantragstellung; Trenker, Schaden der Insolvenzmasse bei Insolvenzverschleppung des Geschäftsleiters – zugleich eine Anmerkung zu 6 Ob 164/16k, JBl 2018, 354 [359]; vgl zur Schadensberechnung auch 8 Ob 76/15g Punkt 2. und 6 Ob 135/22d Rz 5).

[17] 2.2. Der Gesellschaft – und damit im Insolvenzfall dem Insolvenzverwalter – steht nach der Rechtsprechung im Fall der schuldhaften Insolvenzverschleppung darüber hinaus auch ein auf § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG gestützter Schadenersatzanspruch zu. Es handelt sich dabei um einen Sonderfall der allgemein in § 25 Abs 2 GmbHG normierten verschuldensabhängigen Organhaftung des Geschäftsführers der Gesellschaft gegenüber. Nach § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG sind Geschäftsführer insbesondere zum Ersatz verpflichtet, wenn nach dem Zeitpunkt, in dem sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu begehren verpflichtet waren, Zahlungen geleistet werden. Die Rechtsprechung lässt in analoger Anwendung der aktienrechtlichen Parallelbestimmung des § 84 Abs 3 Z 6 AktG das Zahlungsverbot grundsätzlich mit dem Eintritt der materiellen Insolvenz beginnen und nimmt Zahlungen, die auch nach Eintritt der Insolvenz mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, vom Zahlungsverbot aus (zu den Tatbestandsvoraussetzungen im Detail 6 Ob 164/16k). Auch wenn dieser Haftungstatbestand in Wahrheit die Gläubiger der Gesellschaft als Geschädigte vor Augen hat, weil sich durch jeden Abgang von Aktiven – also jede (weit zu verstehende) „Zahlung“ – die Befriedigungschancen der verbleibenden Gläubiger und damit deren Insolvenzquoten verringern, ermöglicht er doch infolge ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die Abwicklung des den Gläubigern durch die Masseschmälerung entstehenden Schadens über das Gesellschaftsvermögen (6 Ob 164/16k Punkt 2.1.).

[18] 2.3. Den Altgläubigern steht wiederum ein Schadenersatzanspruch auf Ersatz des Quotenschadens zu. Dieser Quotenschaden ist aus einem Vergleich der tatsächlich zu erwartenden Insolvenzquote und der bei gebotener früherer Insolvenzantragstellung möglichen fiktiven Insolvenzquote – und damit letztlich aus dem Vergleich von Quotienten von Aktiva und Passiva – zu errechnen (8 Ob 108/08b Punkt 3.; vgl auch Trenker, JBl 2018, 357).

[19] 3. In gefestigter Rechtsprechung judizierte der Oberste Gerichtshofvor Inkrafttreten des GIRÄG 2003, dass auf Delikt beruhende Schadenersatzansprüche von Gesellschaftsgläubigern gegen Organe einer Gesellschaft kein Bestandteil des Vermögens der Gesellschaft sind und daher nicht vom Masseverwalter der Gesellschaft geltend gemacht werden können (RS0049450). Die Rechtsprechung gestand dem Masseverwalter also keine Aktivlegitimation zur Durchsetzung des Quotenschadens während des Insolvenzverfahrens zu (RS0049450 [T1]), betonte aber zugleich, dass die Geltendmachung der Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer (wegen Verletzung des § 25 GmbHG) in die Zuständigkeit des Masseverwalters falle (RS0059592; RS0049450 [T2]). Als Kernargument hob der Oberste Gerichtshof dabei hervor, dass es ohne gesetzliche Grundlage nicht möglich sei, einen Schadenersatzanspruch der Gläubiger – und sei es auch nur in der Insolvenz – der Gesellschaft zuzuordnen (8 Ob 624/88). Der Masseverwalter handle zwar im Interesse aller Gläubiger, aber immer nur als Vertreter und Organ der Insolvenzmasse und könne deshalb auch nur Ansprüche der Masse geltend machen (7 Ob 65/01m; 7 Ob 96/13p Punkt 2. mwN).

[20] Die Frage, ob sich an dieser Rechtsprechung durch die mit dem GIRÄG 2003 eingeführte Bestimmung des § 69 Abs 5 IO (KO) etwas ändert, hat der Oberste Gerichtshof bisher mehrfach offen gelassen (6 Ob 72/06s Punkt 1.3.; 8 Ob 108/08b Punkt 6.).

4. § 69 Abs 5 IO lautet:

„Die Insolvenzgläubiger können Schadenersatzansprüche wegen einer Verschlechterung der Insolvenzquote infolge einer Verletzung der Verpflichtung nach Abs 2 erst nach Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens geltend machen.“

[21] Die Materialien zum GIRÄG 2003 (BGBl I 92/2003), mit dem die inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung des § 69 Abs 5 KO Teil des Rechtsbestands wurde, lauten auszugsweise (Hervorhebungen durch den Senat, Anm):

„Neben den durch die Konkursverschleppung nur mittelbar geschädigten Gläubigern hat nämlich auch die juristische Person – in der Praxis meist eine Gesellschaft – eigene Ansprüche (insbesondere nach § 25 GmbHG, § 84 AktG) wegen der durch die verspätete Konkursantragstellung verursachten Verluste und der Masseschmälerung. Diese Ansprüche haben zumindest die gleiche Höhe wie die Summe der potentiellen Quotenschäden der Gläubiger. Macht der Masseverwalter sie erfolgreich geltend, so wird die Masse wieder entsprechend aufgefüllt und es kommt nicht zu Quotenschäden. Quotenschäden sollen deshalb nach Meinung mancher Autoren […] frühestens dann entstehen, wenn sich zeigt, dass die an die Stelle des Verlusts und der Masseschmälerung tretenden Schadenersatzansprüche der Konkursmasse gegen die organschaftlichen Vertreter nicht werthaltig sind.

Jedenfalls steht fest, dass es nicht zweckmäßig wäre, wenn die Gläubiger die Quotenschäden sofort, das heißt auch während des laufenden Konkursverfahrens, geltend machen könnten. Die Doppelgleisigkeit würde einen überflüssigen Verfahrensaufwand mit sich bringen, weil während des Konkursverfahrens oder davor noch gar nicht feststeht, inwieweit die Masse durch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen Gesellschaftsorgane oder Anfechtungsansprüchen gegen begünstigte Gläubiger wieder in den vorigen Stand versetzt werden kann. Der Masseverwalter ist zur Führung dieser Prozesse verpflichtet, soweit diese erfolgversprechend ist. Die Rechtsdurchsetzung durch ihn ist auch wesentlich effektiver als die Geltendmachung allfälliger einzelner Quotenschadenersatzansprüche durch die geschädigten Gläubiger, die das Prozessrisiko oft schon deswegen nicht eingehen werden, weil ihre Quotenschäden schwer bezifferbar und im Verhältnis zur Gesamtforderung gering sind.

Durch den neuen Abs. 5 wird daher ein Nebeneinander von Schadenersatzansprüchen gegen die zur Konkursanmeldung verpflichteten Organe im Bezug auf die gleichen Schäden vermieden. Während des Konkursverfahrens soll allein der Masseverwalter berechtigt und verpflichtet sein, Schadenersatzansprüche der Gesellschaft wegen einer Schmälerung der Masse in Folge verspäteter Konkursanmeldung geltend zu machen. Soweit ihm das gelingt, wird die Masse wieder aufgefüllt und die Werthaltigkeit der Forderungen der Gläubiger erhöht. Aber selbst wenn der Schaden nicht hereingebracht wird, erleichtert ein gegen das zur Konkursanmeldung verpflichtete Organ ergangenes rechtskräftiges Urteil den Gläubigern die Geltendmachung, weil dort – wenn auch nicht mit bindender Wirkung gegenüber den Gläubigern – ausgesprochen wird, dass das Organ rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Soweit der Masseverwalter Schadenersatzansprüche nicht geltend gemacht hat oder nicht (erfolgreich) geltend machen konnte, können die Gläubiger nach Aufhebung des Konkurses wegen ihrer Quotenschäden gegen die Geschäftsführer vorgehen. Die Gefahr, dass ihre Ansprüche bei Rechtskraft der Konkursaufhebung bereits verjährt sein konnten, besteht nicht. Vielmehr beginnt nach allgemeinen Regeln die Verjährung erst in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Geltendmachung der Ansprüche erstmals möglich war (§ 1478 ABGB).“

[22] 5. Die überwiegende Ansicht in der Literatur bejaht die Aktivlegitimation des Masseverwalters zur Durchsetzung des Quotenschadens und leitet dessen Klagebefugnis letztlich aus einem Umkehrschluss zu § 69 Abs 5 IO ab.

[23] 5.1. Nach Richter (Zur Geltendmachung des Quotenschadens durch den Masseverwalter, ZIK 2007, 42 [43]) ist der Masseverwalter seit der Neuregelung des § 69 Abs 5 IO (KO) mit dem GIRÄG 2003 für die Dauer des Insolvenzverfahrens legitimiert, den Quotenschaden geltend zu machen. Da § 69 IO (KO) eine Schutzbestimmung zugunsten der Gläubiger sei, gebühre jener Ansicht der Vorzug, die den größtmöglichen Gläubigerschutz gewährleiste. Da der Masseverwalter den für eine Anspruchsverfolgung notwendigen Einblick in die Geschäftsunterlagen und Überblick über die wirtschaftliche Situation habe, die Insolvenzursachen überprüfe sowie auch sonst über Informationen und Beweismittel verfüge, die für einen Gläubiger in der Regel nicht zugänglich seien, sei eine Aktivlegitimation des Masseverwalters für die Geltendmachung von Quotenschäden zu befürworten. Nur so bleibe vor allem auch für die Gruppe der Kleingläubiger die Möglichkeit bestmöglich gewahrt, finanziellen Ausgleich für den durch die Konkursverschleppung erlittenen Schaden zu erlangen. Im Ergebnis habe der Masseverwalter während des Insolvenzverfahrens damit eine Monopolstellung zur Geltendmachung von Konkursverschleppungsschäden zur Auffüllung der Masse.

[24] 5.2. Schumacher (in KLS² § 69 IO Rz 94 ff) erörtert, dass § 69 Abs 5 IO ein unzweckmäßiges konkurrierendes Vorgehen von Insolvenzverwalter einerseits und Altgläubigern andererseits von Vornherein unterbinden solle. Der Hinweis in den Gesetzesmaterialien zum GIRÄG 2003, wonach die Rechtsdurchsetzung durch den Insolvenzverwalter wesentlich effektiver sei als die Geltendmachung allfälliger einzelner Quotenschadenersatzansprüche durch die das Prozessrisiko scheuenden geschädigten Gläubiger, indiziere die gesetzgeberisch gewollte Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters. Obwohl es gegen die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters dogmatische Einwände gebe, sei dieser Lösung zuzustimmen, weil anderenfalls der Quotenschaden seine Durchsetzbarkeit in der Praxis verliere, nehme doch kein einzelner Gläubiger das Prozessrisiko wegen einer oft nur geringfügigen Quotendifferenz auf sich. Auch hebe Richter zutreffend hervor, dass (nur) der Insolvenzverwalter über die erforderlichen Geschäftsunterlagen verfüge und den Überblick über die wirtschaftliche Situation habe. Dogmatisch lasse sich für diese Lösung ins Treffen führen, dass die IO auch Anfechtungsansprüche einzelner Gläubiger nach der EO (§§ 438 ff) mit der Insolvenzeröffnung dem Insolvenzverwalter zur weiteren Durchsetzung für die gemeinschaftliche Insolvenzmasse unabhängig davon in die Hand gebe (§ 37 Abs 2 und 3 IO), ob der geltend gemachte Einzelanfechtungsanspruch gleichzeitig auch einen Tatbestand der Insolvenzanfechtung und damit einen „Gemeinschaftsanspruch“ verwirkliche.

[25] 5.3. Koppensteiner/Rüffler (GmbHG3 [2007] § 25 Rz 35) betonen, dass § 69 Abs 5 IO (KO) konkurrierende Ansprüche der Gläubiger und der durch den Masseverwalter vertretenen GmbH verhindern solle. Der GmbH stehe regelmäßig ein Anspruch gegen den Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 25 Abs 2 GmbHG zu. § 69 Abs 5 IO (KO) hemme während aufrechten Insolvenzverfahrens die Geltendmachung des Quotenschadens durch einzelne Gläubiger zugunsten einer Geltendmachung durch den Masseverwalter.

[26] Koppensteiner (Zur Außenhaftung von Geschäftsführern und Vorständen, GeS 2015, 379 [391]) verweist darauf, dass der Quotenschaden der Altgläubiger bei anhängigem Insolvenzverfahren „gewiss“ durch den Insolvenzverwalter geltend zu machen sei, sodass insoweit kein Schutzdefizit entstehe.

[27] 5.4. K. Schmidt (Konkursverschleppungshaftung, oder: Hat das Deliktsrecht versagt? in FS Koziol [2010] 1301 [1305 ff]) vertritt, dass ein Schutz der Altgläubiger durch eine Haftung der insolvenzantragspflichtigen Organe im Innenverhältnis (gegenüber der Insolvenzmasse) notwendig sei, weil kein Altgläubiger einen riskanten Prozess gegen einen Geschäftsführer wegen einer geringfügigen Quotenerhöhung wagen würde. Schwierig zu ergründen sei allerdings die Grundlage der Kompetenz des Masseverwalters – in Frage kämen § 25 GmbHG oder § 69 Abs 5 IO (KO). Hinter der zuletzt genannten Bestimmung könnte die „ungeschriebene Kompetenz des Verwalters zur kollektiven Geltendmachung des Schadens“ stehen. § 92 dInsO führe bei wesentlich klarerem Wortlaut zum gleichen Ergebnis, nämlich der Klagebefugnis des Insolvenzverwalters.

[28] 5.5. Nach Feltl/Told (in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] § 25 Rz 228) können Altgläubiger zur Sicherstellung der Gleichbehandlung der Gläubiger, aber auch zur Vermeidung von Doppelliquidationen gemäß § 69 Abs 5 IO ihre Ansprüche erst nach Eintritt der Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 59 IO) oder der Abweisung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens durchsetzen (§ 71b IO). Bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens könnten Schadenersatzansprüche der GmbH gegen ihre Geschäftsführer aufgrund der Verschlechterung der Insolvenzquote hingegen ausschließlich vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.

[29] 5.6. Jaufer/Painsi (Schadensberechnung bei der Insolvenzverschleppung: IO vs GmbHG, GES 2018, 172 [173]) schließen aus § 69 Abs 5 IO, dass die Durchsetzung des Quotenschadens vor Rechtskraft der Aufhebung des Insolvenzverfahrens allein dem Insolvenzverwalter obliege und der Schaden erst danach durch die Altgläubiger geltend gemacht werden könne. Von einer solchen konzentrierten Geltendmachung profitierten vor allem die Altgläubiger, deren individuelle Geltendmachung angesichts der (erhofften) geringfügigen Erhöhung der Insolvenzquote in keinem Verhältnis zum Prozessrisiko stehe.

[30] 6. Die Gegenmeinung verneint die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters zur Durchsetzung des Quotenschadens. Eine differenzierte Betrachtung ergebe, dass der Quotenschaden der Gläubiger nicht mit dem Schaden der Gesellschaft („Betriebsverlust“) übereinstimme. Eine gesetzliche Grundlage zur Geltendmachung des Schadens der Gläubiger durch den Masseverwalter bestehe auch nach Einführung von § 69 Abs 5 IO nicht.

[31] 6.1. Dellinger (in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 69 KO Rz 66 ff, 75 ff) vertritt, dass der verantwortliche organschaftliche Vertreter der juristischen Person für den aus der Missachtung der Insolvenzantragspflicht resultierenden Schaden aus der Verletzung der Sorgfaltspflichten hafte, die ihrerseits aus der vertraglichen organschaftlichen Sonderbeziehung erwüchsen. Der durch den Masseverwalter geltend zu machende Schadenersatzanspruch umfasse zunächst den im Verschleppungszeitraum „erwirtschafteten“ Betriebsverlust. Durch die Anerkennung eines Gesellschaftsschadens könne der Nachteil der Gläubiger über das Gesellschaftsvermögen ausgeglichen werden, was dem indirekten Haftungskonzept des Gesellschaftsrechts entspreche. Darüber hinaus gäben § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG und § 84 Abs 3 Z 6 AktG der Gesellschaft Anspruch auf Ersatz von Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenz geleistet würden. Zweck des § 69 Abs 5 IO sei es (nur), eine mit der Inanspruchnahme der antragspflichtigen Organe durch den Masseverwalter der insolventen Gesellschaft konkurrierende Inanspruchnahme durch deren Gläubiger von Vornherein auszuschließen, weil eine derartige konkurrierende Rechtsverfolgung überflüssig sei, wenn der Quotenschaden durch Ersatzleistung an die Konkursmasse ohnehin vermieden werden könne. Dabei geht Dellinger davon aus, dass ein Quotenschaden der Gläubiger erst dann eintrete, wenn die geringere tatsächliche Quote konkret absehbar sei, also es dem Masseverwalter nicht gelungen sei, die ihm zuzuordnenden (Schaden-)Ersatzansprüche durchzusetzen.

[32] 6.2. Truckenthanner (Bedenken zur Geltendmachung von Quotenschäden durch den Masseverwalter – Dogmatik und Praxis, ZIK 2007, 116 [117 ff]) argumentiert, mit der Einführung des § 69 Abs 5 IO (KO) habe der Gesetzgeber schlicht ein Nebeneinander von „Quotenschadenersatzprozessen“ sowie eine Verjährung der Individualansprüche der Gläubiger verhindern wollen. Aus der Bestimmung könne kein Umkehrschluss gezogen werden, dass der Masseverwalter zur prozessualen Geltendmachung von Gläubigerschäden während anhängigen Insolvenzverfahrens legitimiert sei. Wenn der Masseverwalter die Insolvenzmasse unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Instrumente des Anfechtungs-, Gesellschafts- und Schadenersatzrechts erfolgreich auffülle, entstehe letztlich gar kein Quotenschaden.

[33] 6.3. Trenker (JBl 2018, 354 [insb 365 ff] [Teil 1] und JBl 2018, 434 [Teil 2]) differenziert im Rahmen einer ausführlichen Untersuchung zur Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung zwischen unterschiedlichen Schäden und Anspruchsgrundlagen (zu den drei potenziellen Schadenspositionen siehe oben Punkt 2.). Zwischen dem Gesellschaftsschaden – meist als „Betriebsverlust“ tituliert – und dem Gläubigerschaden – meist als „Quotenschaden“ bezeichnet – sei streng zu differenzieren, die beiden Schäden seien nicht notwendigerweise (und in den seltensten Fällen) deckungsgleich. Obwohl sowohl der den Gläubigern zuzuordnende Quotenschaden als auch der vom Insolvenzverwalter durchzusetzende Schadenersatzanspruch nach § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG (Ersatz der nach Eintritt der Insolvenzreife getätigten Zahlungen) den Schadensausgleich des Gläubigerkollektivs bezwecke, seien die Schäden in ihrer Höhe nicht deckungsgleich, weil im Quotenschaden auch ein Ansteigen der Passiva Berücksichtigung finde, das (bloße) Eingehen neuer Verbindlichkeiten nach § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG aber nicht tatbildlich sei.

[34] Eine gesetzliche Grundlage zur Geltendmachung der unterschiedlichen Schadenspositionen durch den Masseverwalter bestehe nur hinsichtlich des Betriebsverlusts auf Grundlage von § 69 Abs 23 IO iVm § 25 Abs 2 GmbHG und des Anspruchs auf Ausgleich der Schmälerung der Aktivmasse durch „Zahlungen“ des Geschäftsleiters als Gesellschaftsschaden nach § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG.

[35] § 69 Abs 5 IO sei als gesetzliche Grundlage zur Begründung einer Aktivlegitimation des Masseverwalters zur Geltendmachung des Quotenschadens ungeeignet. Zum einen lasse sich dies aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht ableiten. Zum anderen sprächen auch historische und teleologische Argumente dagegen. Die Materialien zum GIRÄG 2003 begründeten die Einführung von § 69 Abs 5 IO damit, dass es unzweckmäßig wäre, wenn die Insolvenzgläubiger ihre Schadenersatzansprüche wegen Quotenverschlechterung geltend machen könnten, obwohl die Höhe ihres Schadens deshalb noch nicht feststehen könne, weil der Schuldnerin (Gesellschaft) selbst – zumindest gleich hohe – Ansprüche gegen die Geschäftsleiter, insbesondere gemäß § 25 GmbHG, § 84 AktG zustünden. Der Sinn der gesetzlichen Durchsetzungssperre bestehe daher darin, eine parallele Anspruchsverfolgung gegen den Geschäftsführer seitens des Insolvenzverwalters und der einzelnen Gläubiger zu verhindern. Die Durchsetzungssperre mache ebenso Sinn, wenn sie den Schadenersatzanspruch auf den Betriebsverlust gemäß § 25 Abs 2 GmbHG, § 84 Abs 2 AktG iVm § 69 IO und/oder die gesetzlich verankerte Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife nach § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG, § 84 Abs 3 Z 6 AktG vor Augen habe. Dass der Gesetzgeber gerade diese Ansprüche und nicht einen von der damaligen Rechtsprechung abgelehnten Anspruch auf Ausgleich des Quotenschadens vor Augen gehabt habe, sei daraus abzuleiten, dass die Materialien den „Schaden der Gesellschaft“ erwähnten und auf § 25 GmbHG bzw § 84 AktG verwiesen.

[36] Auf Grundlage einer Analogie könne die Aktivlegitimation des Masseverwalters nicht begründet werden, weil weder eine planwidrige Lücke noch eine geeignete Analogiebasis vorlägen.

[37] Diesen Ausführungen tratWabl (Geschäftsleiterpflichten bei wahrscheinlicher Insolvenz [2023] 102 f) bei.

[38] 7. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen Trenkers an und hält weiterhin daran fest, dass dem Insolvenzverwalter die Aktivlegitimation für die Geltendmachung des Quotenschadens während anhängigen Insolvenzverfahrens fehlt.

[39] 7.1. An der der bisherigen Rechtsprechung (vgl oben Punkt 3.) zu Grunde liegenden Prämisse, dass es sich beim Quotenschaden nicht um einen Schaden der Gesellschaft, sondern der Gläubiger handelt, hat sich durch die Einführung des § 69 Abs 5 IO nichts geändert. Trenker hat zudem – durch Rechenbeispiele unterlegt (JBl 2018, 354 [357]) – anschaulich und überzeugend aufgezeigt, dass die vom Insolvenzverwalter als Schäden der Gesellschaft im Wege der Innenhaftung durchsetzbaren Schäden nicht deckungsgleich mit dem als Schaden der Gläubiger anzusehenden und von diesen im Weg der Außenhaftung durchzusetzenden Quotenschaden sind (ebenso Piringer,Insolvenzverschleppung: Schadenspositionen und Berechnung, Sachverständige 2020, 146 und Dellinger, Vorstands- und Geschäftsführerhaftung im Insolvenzfall [1991], 234).

[40] 7.2. Dem Wortlaut des § 69 Abs 5 IO lässt sich – anders als der vergleichbaren Bestimmung des § 92 dInsO – keine gesetzliche Grundlage für eine Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters entnehmen. Auch die Gesetzesmaterialien liefern keinen (verlässlichen) Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber eine solche Aktivlegitimation mit der Einführung des § 69 Abs 5 IO einführen hätte wollen. Die von den Materialien als unzweckmäßig angesehene und vom Wortlaut des § 69 Abs 5 IO (KO) folgerichtigausgeschlossene parallele Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen während anhängigen Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter einerseits und die Gläubiger andererseits sagt nichts darüber aus, dass die Aktivlegitimation zur Geltendmachung des Quotenschadens während der Insolvenz dem Insolvenzverwalter zukommen soll. Vielmehr haben die Materialien erkennbar vor Augen, dass der Insolvenzverwalter die der Gesellschaft zustehenden Schadenersatzansprüche (nach § 25 GmbHG bzw § 84 AktG) in der Insolvenz geltend macht, damit die Masse wieder auffüllt und so letztlich einen Quotenschaden der Gläubiger verhindert (oder zumindest minimiert).

[41] 7.3. Trenker ist darin zuzustimmen, dass sich auch aus einer analogen Anwendung anderer (welcher ?) Bestimmungen keine Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung von Quotenschäden ableiten lässt.

[42] Aus dem von Schumacher (in KLS² § 69 IO Rz 95) herangezogenen Argument, dass dem Masseverwalter im Konkurs auch das Anfechtungsmonopol nach § 37 IO zukomme, ist letztlich nichts zu gewinnen. Einerseits besteht für das Anfechtungsmonopol – anders als in § 69 Abs 5 IO – eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, andererseits beruhen Anfechtungsrecht und Schadenersatzrecht (im Sinn eines vom Einzelgläubiger auf Deliktsrecht gestützten Individualrechts) auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen (so bereits 6 Ob 196/05z; 6 Ob 72/06s Punkt 1.1.).

[43] Dass aus § 84 Abs 5 AktG folgt, dass Gläubiger einer Aktiengesellschaft während laufenden Insolvenzverfahrens keine Ersatzansprüche nach § 84 AktG – der Parallelbestimmung zu § 25 GmbHG – geltend machen können (vgl dazu etwa 10 Ob 100/18f Punkt 5.), taugt ebenfalls nicht als Argument für die Bejahung der Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters für die Geltendmachung von Quotenschäden (so aber offenbar Schumacher in KLS² § 69 IO Rz 97), weil die Bestimmung keinen originären Anspruch der Gläubiger regelt, sondern ihnen nur die Geltendmachung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht (und diese Möglichkeit während anhängigen Insolvenzverfahrens zu Gunsten des zur Geltendmachung jedenfalls aktivlegitimierten Insolvenzverwalters sistiert).

[44] Da dem Insolvenzverwalter ohnehin zwei unterschiedliche Haftungsgrundlagen – nämlich § 25 Abs 2 GmbHG („Betriebsverlust“) und § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG („Zahlungen nach materieller Insolvenz“) – zur Verfügung stehen und er die im Ergebnis für ihn günstigere wählen kann (vgl Trenker, JBl 2018, 442 f zur unzulässigen, weil insgesamt zu einer Doppelliquidation führenden Kumulierung der beiden Schäden), ist auch keine Rechtsschutzlücke bei Verneinung der Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters für die Geltendmachung des Quotenschadens der Gläubiger zu erkennen (so auch Trenker, JBl 2018, 368). Im Rahmen der von ihm durchsetzbaren Schadenersatzansprüche kann der Insolvenzverwalter seinen Wissensvorsprung gegenüber den Einzelgläubigern effektiv nutzen und damit im Ergebnis einen Quotenschaden der Gläubiger verhindern (oder zumindest minimieren).

[45] 7.4. Da die (Alt‑)Gläubiger während des anhängigen Insolvenzverfahrens ihre Ansprüche auf Ersatz des Quotenschadens nach § 69 Abs 5 IO nicht (weiter) verfolgen können und alle vom Insolvenzverwalter obsiegten Beträge in die Masse fließen, bestehen auch keine Bedenken im Hinblick auf die gebotene Gleichbehandlung der Gläubiger.

[46] 7.5. Der von der überwiegenden Literatur (zumindest implizit) gezogene Schluss, aus der Normierung einer Sistierung der Möglichkeit zur Anspruchsverfolgung durch die Gläubiger während des Insolvenzverfahrens folge, dass dieser Anspruch (zeitlich begrenzt) auf den Insolvenzverwalter übergehe, überzeugt damit insgesamt nicht. Bloße prozessökonomische Erwägungen vermögen die von der überwiegenden Literatur befürwortete Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters für die Geltendmachung des Quotenschadens während des Insolvenzverfahrens in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage nicht zu begründen.

8. Als Zwischenergebnis folgt:

[47] Dem Insolvenzverwalter fehlt (auch unter Bedachtnahme auf § 69 Abs 5 IO) die Aktivlegitimation für die Geltendmachung des Quotenschadens (Gläubigerschadens) während anhängigen Insolvenzverfahrens.

9. Für das vorliegende Verfahren ergibt sich daraus folgende Konsequenz:

[48] 9.1. Der klagende Insolvenzverwalter kann seinen Schadenersatzanspruch nicht auf den Quotenschaden stützen. Da er das ausgedehnte Zahlungsbegehren ausschließlich auf den (bei den Gläubigern zu erwartenden) Quotenschaden gestützt hat, war das Zahlungsbegehren im Umfang von 687.842,27 EUR sA abzuweisen.

[49] 9.2. Das ursprüngliche Zahlungsbegehren von 470.731,86 EUR sA hat der klagende Insolvenzverwalter auch auf den von ihm konkret mit 470.731,86 EUR bezifferten Betriebsverlust – und damit die Innenhaftung des beklagten Geschäftsführers nach § 25 Abs 2 GmbHG – gestützt. Da der Kläger ausreichendes Tatsachenvorbringen zur Höhe der Aktiva und Passiva im Zeitpunkt der gebotenen und der tatsächlich erfolgten Insolvenzantragstellung erstattet hat, liegt insoweit keine Unschlüssigkeit vor. Ein Betriebsverlust in Höhe von (zumindest) 470.731,86 EUR ist nach den Feststellungen auch tatsächlich eingetreten, sodass dem Klagebegehren in diesem Umfang stattzugeben war.

[50] 9.3. Auf den ebenfalls in Anspruch genommenen Haftungstatbestand des § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG muss nicht mehr eingegangen werden, weil der nach dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers aus verpönten Zahlungen resultierende Schaden unterhalb des zugesprochenen Betrags liegt.

[51] 9.4. Der Revision war damit teilweise Folge zu geben und das Urteil im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang abzuändern. Auf die bereits in Rechtskraft erwachsene teilweise Abweisung des Zinsenbegehrens war Bedacht zu nehmen. Das Eventualbegehren auf Zahlung war abzuweisen, weil die materielle Insolvenz der Schuldnerin ohnehin bereits per 6. 11. 2018 vorlag und der Kläger auch sein Eventualbegehren nur auf den Quotenschaden stützte.

[52] 10. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 41 und § 43 Abs 1 ZPO. Es sind zwei Verfahrensabschnitte zu bilden.

[53] Im ersten Verfahrensabschnitt (bis zur in der letzten Tagsatzung erfolgten Klagsausdehnung), in den auch sämtliche unmittelbar vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung verzeichneten privilegierten Barauslagen fallen (vgl Obermaier, Kostenhandbuch4 Rz 1.184), obsiegte der Kläger zur Gänze und hat damit Anspruch auf vollen Kostenersatz. Die – überdies verspätet verzeichnete – Ergänzungsgebühr ist schon deswegen nicht ersatzfähig, weil der Kläger mit der Klagsausdehnung keinen Erfolg erzielte (Obermaier, Kostenhandbuch4 Rz 1.184). Die Einwendungen des Beklagten nach § 54 Abs 1a ZPO sind nicht berechtigt, weil das vorprozessual eingeholte Gutachten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war.

[54] Im zweiten Verfahrensabschnitt gelang es dem Beklagten, rund 60 % des Klagebegehrens abzuwehren, sodass er Anspruch auf 20 % seiner Vertretungskosten in diesem Verfahrensabschnitt hat. Die Ausdehnung der Klage erfolgte erst am Beginn der zweiten (und letzten) Stunde der letzten Tagsatzung und ist damit nur für diese zweite Stunde kostenrelevant (§ 12 Abs 3 RATG).

[55] Saldiert ergibt sich der aus dem Spruch ersichtliche Kostenersatzbetrag.

[56] Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Da der Beklagte im Berufungs- und Revisionsverfahren zu jeweils rund 60 % obsiegte, erhält er 60 % der Pauschalgebühren und 20 % der Vertretungskosten ersetzt. Insgesamt ergibt sich der aus dem Spruch ersichtliche Kostenersatzbetrag.

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