European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00069.25K.0625.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Insolvenzrecht, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die W* AG (in der Folge Emittentin) begab im Jahr 2017 eine Unternehmensanleihe mit einem Gesamtvolumen von (bis zu) 5 Mio EUR mit einer Verzinsung von 5,25 % und einer Stückelung von 1.000 EUR je Teilschuldverschreibung. Die Klägerin zeichnete am 2. November 2017 15 Stück der Anleihe um 14.925 EUR.
[2] Die beklagte Unternehmensberaterin war weder in die Begebung der Anleihe, die Erstellung der entsprechenden Prospekte noch in die Gestaltung und Festlegung des Inhalts der Werbemaßnahmen der Emittentin involviert.
[3] Siewurde am 6. April 2016 von der Muttergesellschaft der Emittentin, der (nunmehrigen) W* Holding AG (damals noch unter anderem Namen firmierend; in der Folge Holding AG), beauftragt, eine Bewertung ihrer Marke „W*“ zum Stichtag 31. Dezember 2015 vorzunehmen. Diesem Auftrag lagen neben dem Auftragsschreiben, in dem der Arbeitsumfang definiert wurde, die Allgemeinen Auftragsbedingungen der Beklagten (in der Folge AAB) zugrunde. In ihrem an den Vorstand der Holding AG adressierten Markenwertgutachten vom 7. 6. 2016, das sowohl am Deckblatt als auch am Ende einer jeden Seite den Vermerk „Persönlich und streng vertraulich“ trägt, ermittelte die Beklagte zum Stichtag 31. Dezember 2015 einen Wert von ca 3.158.000 EUR.
[4] Auf derselben vertraglichen Grundlage führte die Beklagte im Auftrag der Holding AG zum Stichtag 29. November 2016 eine Überprüfung der Markenbewertung vom 7. Juni 2016 durch. Sie kam zum Schluss, dass die Angaben im Markenwertgutachten noch zutreffen und teilte diesen Umstand dem Vorstand der Holding AG mit.
[5] Diese brachte die Marke im Zuge einer Kapitalerhöhung mit Generalversammlungsbeschluss vom 7. Dezember 2016 mit einem Wert von 3.120.000 EUR in Form einer Sacheinlage in die Emittentin ein. Die Werthaltigkeit der Sacheinlage wurde von der R* GmbH als gerichtlich bestellter Sacheinlageprüferin mit Prüfbericht vom 9. Dezember 2016 bestätigt, wobei sie den Ansatz der Beklagten übernahm.
[6] Im Juni 2016 erstellte die Beklagte einen mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Bericht für die Holding AG. Auch diesem gesonderten Auftrag lagen die AAB zugrunde. Der an den Vorstand der Holding AG adressierte Bericht enthielt erneut den Vermerk „Persönlich und streng vertraulich“ und zudem einen „Disclaimer“ mit auszugsweise folgendem Inhalt: „Dieser Bericht ist ausschließlich für den Auftraggeber ('Empfänger') bzw zur Einsicht an den Abschlussprüfer der [Holding AG] bestimmt, bzw für Parteien die unsere Freigabeerklärung ('Release Letter') unterschrieben und uns ausgehändigt haben. Wir übernehmen keine Haftung gegenüber nicht berechtigten Empfängern unseres Berichts. […]“
[7] Im Oktober 2016 erstellte die Beklagte einen weiteren mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Bericht, neuerlich im Auftrag der Holding AG, unter Zugrundelegungder AAB. Wiederum enthielt der an den Vorstand der Holding AG adressierte Bericht den Vermerk „Persönlich und streng vertraulich“ sowie den zuvor erwähnten „Disclaimer“.
[8] Im Auftrag der Holding AG erstellte die Beklagte im Mai 2017 schließlich einen Bericht mit dem Titel „Unterstützung bei der Erarbeitung und Plausibilisierung einer Fortbestehensprognose“.
[9] Die E* Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H. versah als Abschlussprüferin der Emittentin für das Geschäftsjahr 2016 deren Jahresabschluss zum 31. Dezember 2016 mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk.
[10] In der Familie der Klägerin ist der Vater für Finanzen zuständig, die Klägerin vertraut diesbezüglich auf ihn. Im Jahr 2017 teilte er der Klägerin mit, dass es eine gute Investitionsmöglichkeit gäbe, die etwas für sie wäre. Die Klägerin fragte nicht nach, worum es sich bei dem Investment handelte und vertraute auf die Empfehlung ihres Vaters, der ihr erklärte, dass es um Immobilien in Wien gehe.
[11] Der Vater der Klägerin erfuhr über diverse Medien von der Emittentin und erhielt über Anfrage von ihr Informationen und Unterlagen. Er erhielt die Jahresabschlüsse der Holding AG und der Emittentin, las sie jedoch nicht im Detail, weil er daraus keine Schlüsse hätte ziehen können. Der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers hatte für ihn Bedeutung.
[12] Das Markenwertgutachten und die Berichte der Beklagten betreffend die Überschuldungsprüfung oder die Fortbestehensprognose waren weder der Klägerin noch ihrem Vater zum Zeitpunkt des Investments bekannt. Die Anlageentscheidung erfolgte daher nicht aufgrund des Markenwertgutachtens sowie dieser Berichte.
[13] Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16. 3. 2018 wurde über das Vermögen der Emittentin das Insolvenzverfahren eröffnet. Bereits im Februar 2018 war vom Handelsgericht Wien über das Vermögen der Holding AG das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
[14] Die Klägerin begehrt Zahlung von 16.251,50 EUR sA Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte und Pflichten aus der erworbenen Anleihe, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle ihre Schäden aus dem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der von ihr erworbenen Anleihe. Die Beklagte sei von der Geschäftsleitung der Holding AG als Sanierungsberaterin beigezogen worden und in sämtliche wesentliche unternehmerische Entscheidungen des Konzerns eingebunden gewesen. Sie habe in der Gesamtbetrachtung als faktische Geschäftsführerin (auch) der Emittentin agiert. In dem vom Geschäftsführer der Beklagten wissentlich falsch, jedenfalls aber nicht lege artis erstatteten Gutachten sei der Markenwert überhöht dargestellt worden. Das Gutachten habe dazu gedient, in der Bilanz der Emittentin künstlich Eigenkapital zu schaffen. Der „Kunstgriff“ habe es ermöglicht, in der Bilanz ein Eigenkapital in mehrfacher Millionenhöhe auszuweisen. Die Beklagte habe gewusst, dass die (völlig überhöht bewerteten) Markenrechte in eine Tochtergesellschaft der Holding AG eingebracht und in deren Bilanz zur Darstellung von Eigenkapital aktiviert werden sollten. Wäre die Bewertung der Markenrechte von Anfang an methodisch richtig erfolgt, hätte letztlich gar kein Markenwert ermittelt und im Eigenkapital der Emittentin ausgewiesen werden können und hätte deren Jahresabschluss zum 31. 12. 2016 letztlich keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erhalten. Die Beklagte habe es billigend in Kauf genommen, dass die in der Bilanz auszuweisenden Werte falsch sind und Anleger dadurch einen Schaden erleiden können. Zudem habe sie es– im Bewusstsein über die wahren wirtschaftlichenVerhältnisse – schuldhaft unterlassen, auf die Stellung eines Insolvenzantrags der Holding AG hinzuwirken, und mit ihren wissentlich falschen Expertisen – zum Markenwert, zum Nichtvorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung, aber auch zur positiven Fortbestehensprognose – sämtliche Grundlagen dafür geschaffen, dass die Geschäftsleitung den Betrieb fortführen und weitere Anleihegelder am Kapitalmarkt einsammeln habe können. Bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens wäre es zu keiner Begebung der Anleihen mehr gekommen. Die Klägerin habe auf die von der Emittentin veröffentlichten wirtschaftlichen Daten zu ihrer Bonität und ihrem Vermögen sowie zur Solvenz der Gesellschaft vertraut. Bei Kenntnis der bereits vorliegenden materiellen Insolvenz der Holding AG bzw der unrichtigen Darstellung der Bilanzkennzahlen der Emittentin, unter anderem des vorhandenen Eigenkapitals, und des Umstands, dass der darauf aufbauende uneingeschränkte Bestätigungsvermerk letztlich zu Unrecht erteilt worden sei, hätte die Klägerin die Anleihen nicht erworben. Die Beklagte hafte nicht nur aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw wegen Verletzung objektiv-rechtlicher Schutzpflichten sowie auf Grundlage von §§ 1300, 874 ABGB und 1295 Abs 2 ABGB, sondern auch wegen Beteiligung an einer Schutzgesetzverletzung nach § 1311 ABGB iVm § 163a StGB und der Verschleppung der Insolvenz nach § 69 IO.
[15] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie sei von der Holding AG nur für die Erstellung einzelner in ihrem jeweiligen Auftragsumfang stark limitierter Unterlagen beigezogen worden, dies auf Basis der von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellten Informationen und Unterlagen. Sie habe weder einen umfassenden Einblick in die Geschäftstätigkeit der Holding AG bzw der Emittentin noch Einfluss auf die Geschäftsführung gehabt. Die (lege artis erstellten) Arbeitsprodukte seien für den ausschließlichen Gebrauch der Auftraggeberin bestimmt gewesen. Eine Haftung gegenüber Dritten sei explizit ausgeschlossen worden. Eine Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter scheide daher aus. Die Beklagte habe konkret auch nicht damit rechnen können, dass ihre Arbeitsprodukte Grundlage für eine Entscheidung zur Anleihezeichnung sein würden. Einen mittelbaren Rat an Anleihezeichner habe sie nicht gegeben. Eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung scheitere schon daran, dass eine Delegierung der entsprechenden Verantwortung der Organe von Gesellschaften auf dritte Berater nicht in Betracht komme. Schließlich sei weder der objektive noch der subjektive Tatbestand des § 163a StGB erfüllt.Im Übrigen habe die Klägerin die von der Beklagten erstellten Unterlagen gar nicht gekannt und zur Grundlage ihrer Disposition gemacht.
[16] Das Erstgerichtwies die Klage ab. Die Leistungen der Beklagten seien ausschließlich für den internen Gebrauch der Auftraggeberin bestimmt gewesen. Deshalb scheide die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkungen bzw des Bestehens objektiv‑rechtlicher Sorgfaltspflichten zugunsten der Klägerin aus. Die Unterlagen der Beklagten, die sie im Interesse ihrer Auftraggeberin erstellt habe und die ausdrücklich nicht für die Veröffentlichung bestimmt gewesen seien, seien auch nicht einem (veröffentlichten) Bestätigungsvermerk gleichzusetzen. Im Übrigen setzte die Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten voraus, dass diese auch tatsächlich auf das Gutachten vertraut und auf dieser Grundlage Dispositionen getätigt hätten. Das sei bei der Veranlagungsentscheidung der Klägerin nicht der Fall gewesen. Damit scheitere aber von vornherein jede Haftung für eine allenfalls unrichtige Gutachtenserstellung, insbesondere auch nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB. Eine Haftung nach § 69 IO scheide für juristische Personen aus. Entsprechendes gelte für den Tatbestand des § 163a StGB. Unmittelbarer Täter des Sonderdelikts könne nur ein Entscheidungsträger der Gesellschaft sein. Zudem fehle es auch in diesem Zusammenhang an der Kausalität der Tätigkeit der Beklagten für den Anlageentschluss.
[17] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Für eine Haftung der Beklagten reiche es nicht aus, dass ihr Handeln für die Veranlagungsentscheidung der Klägerin irgendwie relevant gewesen wäre. Auch ein allfälliges Vertrauen auf die Richtigkeit des Bestätigungsvermerks würde nicht zur Haftung der Beklagten führen, mögen deren Leistungen auch bei der Erteilung des Bestätigungsvermerks verwendet worden sein. Eine Haftung der Beklagten gegenüber dritten Anlegern setzevielmehr voraus, dass diese konkret auf die von der Beklagten erbrachten Leistungen (und nicht bloß auf möglicherweise darauf aufbauende Umstände wie zB die Richtigkeit des Bestätigungsvermerks) vertraut und auf dieser Grundlage Vermögensdispositionen getätigt haben. Dies sei hier gerade nicht der Fall. Soweit die Klägerin Ansprüche aus einem behaupteten dolosen Mitwirken der Beklagten mit der Emittentin gründen will, stehe das von der Klägerin vorgebrachte Verhalten nicht mehr im Kausalzusammenhang mit dem Schaden der Klägerin. Eine Haftung nach §§ 1300 Satz 2, 1295 oder 874 iVm 1301 ABGB scheidet damit aus. Die Beklagte als juristische Person sei kein Entscheidungsträger im Sinne des § 163a StGB, sodass eine Haftung bereits daran scheitere. Im Übrigen hätten sich die von der Beklagten erbrachten Leistungen gar nicht an die (Anleihe‑)Gläubiger gerichtet. Ein doloses Zusammenwirken der Beklagten mit dem Sacheinlageprüfer oder Abschlussprüfer sei von der Klägerin ebensowenig behauptet worden wie eine Beteiligung an der Erstellung des Jahresabschlusses oder an einer Anmeldung zum Firmenbuch. Damit scheide auch eine Haftung nach §§ 1301 iVm 1311 ABGB und § 163a StGB aus, weildessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Adressaten der Antragspflicht nach § 69 IO seien natürliche Personen. Die Beklagte selbst habe daher auch nicht als faktische Geschäftsführerin die Pflicht zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens getroffen. Eine Beteiligung an einer Verletzung des § 69 IO durch den Vorstand der Emittentin könnte nur dann vorliegen, wenn die Beklagte Sorgfaltspflichten verletzt und von ihr eingesetzte Personen die Geschäfte der Emittentin in maßgebenden Umständen tatsächlich geführt hätten. Dazu habe die Klägerin jedoch lediglich pauschal und unsubstanziiert Vorbringen erstattet. Auch aus § 10 Abs 3 GmbHG ergebe sich keine Haftung der Beklagten, weil sich diese Bestimmung ausdrücklich auf das Kreditinstitut bzw den Notar als Treuhänder beziehe.
[18] Die ordentliche Revision ließ es nachträglich mit der Begründung zu, esstelle sich die höchstgerichtlich noch nicht geklärte Frage der Haftung des Erstellers eines Gutachtens, welches der Jahresabschlussprüfer lediglich im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle seiner Prüfung zugrunde gelegt habe, wenn Gläubiger aufgrund dieser Prüfung Dispositionen tätigen.
[19] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, diese dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[20] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[21] Die Revision ist zulässig und im Sinn des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt. Soweit der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt ergänzt wurde, beruht dies auf dem Inhalt unstrittiger Urkunden oder unstrittigem Vorbringen (RS0121557 [T3, T8]).
1. Haftung gemäß §§ 1299, 1300 Satz 1 ABGB
[22] 1.1. Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach den §§ 1299 f ABGB für reine Vermögensschäden aus einem fahrlässig falsch erstellten Gutachten beschränkt sich grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten, also regelmäßig den Auftraggeber (RS0026234 [T7, T10]; RS0026645).
[23] 1.2. Eine Haftung gegenüber einem Dritten kommt allerdings dann in Betracht, wenn objektiv-rechtliche Schutzwirkungen auf ihn zu erstrecken sind (RS0026234 [T13]; 8 Ob 96/19d; 10 Ob 34/21d). Eine – in Rechtsprechung und Lehre anerkannte – objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht zugunsten eines Dritten trifft den Sachverständigen dann, wenn er damit rechnen musste, dass sein Gutachten (seine Tätigkeit) die Grundlage für die Disposition des Dritten bilden wird (RS0106433; RS0026645 [T5]; RS0026234 [T4]). Der Dritte ist demnach geschützt, wenn ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für ihn eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Ob dies der Fall ist, richtet sich vor allem nach der Verkehrsübung und dem Zweck des Gutachtens (RS0106433 [T2, T12]; RS0017178 [T10, T13]; RS0026558 [T2]). Ausschlaggebend ist, wie ein verständiger Informationsempfänger die Expertise auffassen durfte (RS0026645 [T15]; Karner, Haftung für Rat und Auskunft zwischen Vertrag und Delikt, in FS Koziol 695 [713] mwN).
[24] Dass der Auskunftgeber abstrakt damit rechnen muss, die Information werde irgendwie – auch durch Weitergabe durch den Besteller – an Außenstehende gelangen, reicht zu einer Haftung gegenüber dem Dritten hingegen noch nicht aus (RS0026569). Nicht in Frage kommt eine Verantwortlichkeit gegenüber beliebigen Personen, im Zweifel auch dann nicht, wenn der Gutachter weiß, dass seine Stellungnahme verbreitet werden soll (RS0026558 [T3]; 8 Ob 667/87 = RS0026564).
[25] Haftungsgrund ist nämlichgerade der geschaffene Vertrauenstatbestand in Form der Abgabe einer – nach dem objektiven Erklärungswert – erkennbar drittgerichteten Erklärung, die Dritten als Vertrauensbasis für etwaige Vermögensdispositionen dienen sollte (vgl 3 Ob 67/05g; 7 Ob 60/21f uva). Nur wenn sich also der Dritte ausgehend vom Inhalt und dem ersichtlichen Zweck der gutachterlichen Stellungnahme als Informationsadressat angesprochen fühlen durfte und dies für den Sachverständigen auch erkennbar war, kommt eine Ersatzpflicht in Frage (vgl auch Kletečka, Die Haftung von Gutachtern gegenüber Dritten, in FS Reischauer 287 [306 f]).
[26] 1.3. Die Haftung setzt neben der Schaffung der erkennbaren Vertrauensbasis aber auch die konkrete Inanspruchnahme des Vertrauens des Dritten voraus (vgl Karner in FS Koziol 713 ff mwN): Es muss zu einer Enttäuschung ebendieser (trügerischen) Vertrauensbasis gekommen sein, indem der Geschädigte die schadens-auslösende Disposition im konkreten Vertrauen auf die (auch) an ihn gerichtete Information gesetzt hat (zur Haftung des Abschlussprüfers etwa 5 Ob 262/01t; 10 Ob 48/13a; 8 Ob 105/13v; RS0116077; RS0129123; vgl weiters 3 Ob 67/05g; 8 Ob 51/08w).
[27] Es reicht somit in diesem Zusammenhang nicht aus, dass das falsche Gutachten – im Sinn einer conditio sine qua non – auf irgendeine Weise kausal für die Vermögensdisposition des geschädigten Dritten war, diese Disposition also bei pflichtgemäßer Gutachtenserstellung unterblieben wäre (vgl zu fehlerhaften Bestätigungsvermerken des Abschlussprüfers 4 Ob 145/21h; 6 Ob 126/23g).
[28] Durch das Abstellen auf jene Dritten, die auf die falsche Expertise des Sachverständigen nicht nur vertrauen durften, sondern auch tatsächlich vertraut haben, wird der geschützte Personenkreis durch die Rechtsprechung – im Sinn einer Begrenzung der Zurechnung zur Vermeidung einer uferlosen Haftung für bloße Vermögensschäden gegenüber beliebigen Personen (vgl RS0026558 [T3]; RS0026564) – bewusst eng gezogen (4 Ob 145/21h Rz 33; näher dazu W. Doralt, Kausalität, konkretes Vertrauen und Verjährung, ZFR 2022/109, 216 ff; Pock, Anm zu 4 Ob 145/21h, EvBl 2022/94; zur Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vgl RS0022814).
[29] 1.4. Diese soeben dargestellten Erwägungen, insbesondere auch zur notwendigen Begrenzung der Haftung gegenüber Dritten, gelten nicht nur für die Haftung des Abschlussprüfers (oder des Sacheinlageprüfers; vgl RS0017178 [T11]), sondern im besonderen Maße auch für die Ersatzpflicht von im Vorfeld beigezogenen Sachverständigen, die mit ihren Vorarbeiten die Grundlagen für diese externen Prüfer aufbereiten (10 Ob 17/25k).
[30] 1.5. Im Einklang mit den eben angestellten Erwägungen zur Reichweite und zu den Voraussetzungen der Dritthaftung von Sachverständigen, deren Expertisen erkennbar Abschluss- bzw Sacheinlagenprüfern als Arbeitsgrundlage dienen sollen, steht nicht zuletzt die in der Entscheidung zu 10 Ob 57/03k vertretene – von der Lehre gebilligte (vgl statt vieler Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.09 § 1299 Rz 49) – Auffassung, wonach grundsätzlich keine Haftung des den Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft erstellenden Steuerberaters für fahrlässig verursachte Vermögensschäden Dritter besteht, zumal der erstellte Jahresabschluss zunächst nicht nach außen gerichtet ist und regelmäßig auch nicht angenommen werden kann, dass der Steuerberater bereit ist, einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern und Aktionären sowie potentiellen Aktienerwerbern und deren Geldgebern für die Richtigkeit des Jahresabschlusses einzustehen.
[31] 1.6. Vor dem Hintergrund dieser Leitlinien hat das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten nach §§ 1299 f ABGB für fahrlässig verursachte (reine) Vermögensschäden der Klägerin auf Basis der vorliegenden (gesicherten) Tatsachengrundlage mit Recht von vornherein verneint: Ausgehend vom Inhalt der gutachterlichen Stellungnahmen der Beklagten musste einem verständigen Informationsempfänger unzweifelhaft klar sein, dass diese Expertisen schon nach deren Natur und Zweck nicht als neutral gehaltene Informationsschreiben (auch) an potentielle Gläubiger der späteren Emittentin gerichtet, sondern jeweils nur für die interne Verwendung im W*‑Konzern freigegeben worden waren (vgl auch 8 Ob 96/19d; weiters 4 Ob 249/14t).
[32] Die Beklagte hat damit keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen sie mit entsprechenden Dispositionen Dritter zu rechnen hatte. Abgesehen davon ist es aber ausgehend vom Urteilssachverhalt auch zu keiner konkreten Enttäuschung eines Vertrauens der Klägerin gerade auf die Richtigkeit der Expertisen der Beklagten gekommen (10 Ob 17/25k). Aus der von der Revision zitierten Entscheidung 9 Ob 7/23d ergibt sich nichts Gegenteiliges: Sie enthält nämlich gar keine Aussage darüber, unter welchen konkreten Voraussetzungen die Erstellerin des Markenwertgutachtens dem Anleger für seinen (reinen) Vermögensschaden zu haften hätte.
2. Haftung gemäß §§ 1295 Abs 2, 1300 Satz 2 ABGB
[33] 2.1. Die Klägerin stützt sich im Verfahren allerdings nicht nur auf eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten durch das Schaffen einer (trügerischen) Vertrauensbasis für künftige Anleihegläubiger. Sie lastet ihr sinngemäß auch an, ihre Expertisen für die Muttergesellschaft der Emittentin wissentlich falsch erstellt zu haben, damit Letztere darauf aufbauend ihre Anleihe mit vordergründig hervorragenden Bilanzkennzahlen bewerben habe können. Die Schädigung künftiger Anleger habe sie dabei billigend in Kauf genommen.
[34] In der Sache beruft sich die Klägerin damit auf eine sittenwidrige Schädigung der Anleihegläubiger der Emittentin durch bewusste Fehldarstellung des Markenwerts und der wirtschaftlichen Situation des Konzerns in den Gutachten der Beklagten (gemeint das Markenwertgutachten und die Berichte betreffend die Überschuldungsprüfung und die Fortbestehensprognose), mit denen letztlich mittelbar auf den späteren Investitionsentschluss der Anleger Einfluss genommen worden sei.
[35] Soweit nun die Vorinstanzen auch in diesem Zusammenhang erkennbar auf eintatsächliches Vertrauen der Klägerin gerade auf die konkreten gutachterlichen Stellungnahmen der Beklagten als Entscheidungsgrundlage für den schadensauslösenden Investitionsentschluss abstellten, bedarf diese Rechtsansicht der Korrektur:
[36] 2.2. Die zuvor angeführten Erwägungen, die eine entsprechende Begrenzung der Zurechnung bei fahrlässig verursachten (reinen) Vermögensschäden Dritter durch falsche Gutachten notwendig erscheinen lassen, namentlich die angesprochene Streuwirkung von Informationen, die – zur Vermeidung der Uferlosigkeit der Haftung und zur Ermöglichung einer Vorabeinschätzung des Haftungsrisikos durch den Gutachter – eine möglichst klare Abgrenzung des geschützten Personenkreises erforderlich macht, kommen hier nicht zum Tragen: Es besteht nämlich kein Grund, einen Gutachter, der – nach den Prozessbehauptungen der Klägerin – wissentlich unrichtige Expertisen erstellt und dabei zugleich die Schädigung einer vorweg nicht näher eingrenzbaren Zahl von dritten Anlegern in seinen Vorsatz aufgenommen hat, vor einer Haftungsausuferung zu schützen (10 Ob 17/25k).
[37] 2.3. Nach allgemeinen Grundsätzen der Deliktshaftung genießt bloßes Vermögen Schutz vor vorsätzlicher Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB (RS0016754; RS0023122; RS0022813 [T4, T5] ua). Nichts anderes gilt im hier in Rede stehenden Bereich der Sachverständigenhaftung bei wissentlicher Unrichtigkeit der erteilten Information im Sinn des § 1300 Satz 2 ABGB im Fall der (zumindest bedingt) vorsätzlichen Schädigung dritter Personen (Karner in KBB7 § 1300 ABGB Rz 4; Koziol, Haftpflichtrecht II3 A/6 Rz 14 f; vgl auch Kletečka in FS Reischauer 295 mwN). So wird denn auch in der Rechtsprechung auf die ausnahmsweise deliktische Verantwortlichkeit des Sachverständigen gegenüber beliebigen Dritten – unabhängig von der Verletzung spezifischer Sorgfaltspflichten aus einer (vertraglichen oder gesetzlichen) Sonderbeziehung – bei absichtlicher, sittenwidriger Schadenszufügung hingewiesen (vgl RS0026234 [T1, T2]) und zugleich betont, dass eine deliktische Haftung gegenüber Dritten für reine Vermögensschäden bei (zumindest bedingtem) Vorsatz des Beklagten in Betracht kommt (idS RS0026234 [T7]).
[38] Auf die zur Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw wegen Verletzung objektiv-rechtlicher Schutzpflichten entwickelten Grundsätze, insbesondere zu den Haftungsvoraussetzungen der Schaffung einer Vertrauensbasis und der im konkreten Vertrauen darauf getätigte Vermögensdisposition des Geschädigten, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (8 Ob 51/08w; 8 Ob 96/19d; weiters 6 Ob 205/19v). Es reicht vielmehr eine schlichte Kausalität des inkriminierten Verhaltens für den Eintritt des Schadens.
[39] 2.4. Damit erweist sich die Rechtssache schon in diesem Punkt als nicht spruchreif. Die gesicherte Feststellungsgrundlage reicht zur Beurteilung des erhobenen Vorwurfs der (bedingt) vorsätzlichen Schädigung potentieller Anleihegläubiger durch wissentlich falsche Gutachten der Beklagten nicht aus.
[40] Das Erstgericht hat keine hinreichenden Feststellungen zu den näheren Umständen des Zustandekommens sowie der Abwicklung der fraglichen Gutachtensaufträge und namentlich zu den damit einhergehenden Vorstellungen des mit der Gutachtenserstellung befassten Geschäftsführers der Beklagten, aber auch zu den Fragen getroffen, ob die erstellten Gutachten unrichtig und zudem insoweit auf irgendeine Weise ursächlich für den Investitionsentschluss der Klägerin gewesen sind, dass die Disposition der Klägerin bei pflichtgemäßer Gutachtenserstellung unterblieben wäre (vgl auch 10 Ob 17/25k).
3. Haftung gemäß § 69 IO iVm § 1301 ABGB
[41] 3.1. Einer Ergänzung bedarf der Urteilssachverhalt aber auch in Ansehung des weiteren im Klagevortrag erhobener Fehlverhaltensvorwurfs der Verletzung der Bestimmung des § 69 IO, der, träfe er zu, zu einer Ersatzpflicht der Beklagten führen würde, zumal es auch insoweit – entgegen der erkennbaren Rechtsauffassung der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung – auf ein konkretes Vertrauen der Klägerin auf die erstellten Gutachten jeweils nicht ankommt.
[42] 3.2. Die Klägerin kommt in der Revision auf ihr in erster Instanz erstattetes Vorbringen, die Beklagte hätte selbst die Verpflichtung getroffen, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Holding AG bzw der Emittentin zu stellen, jedenfalls aber (als faktische Geschäftsführerin dieser Gesellschaften) auf einen solchen Antrag hinwirken müssen, nicht mehr zurück.
[43] 3.3. Allerdings hält sie auch noch im Revisionsverfahren ihren Vorwurf aufrecht, die Beklagte habe zur Verletzung der Antragspflicht im Sinn des § 1301 ABGB beigetragen, indem sie – im Wissen um die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaften – mit ihren wissentlich falschen Expertisen sämtliche Grundlagen dafür geschaffen habe, damit die Geschäftsleitung von der tatsächlich erforderlichen Antragstellung absehen und weitere Anleihegelder am Kapitalmarkt einsammeln habe können.
[44] 3.4. Das Prozessvorbringen der Klägerin in Zusammenhang mit der vor Begebung der Anleihen unterbliebenen Insolvenzantragstellung läuft auf den Vorwurf der (bedingt) vorsätzlichen Bewirkung einer Vermögensschädigung durchbewusstes Verleiten, zumindest aber durch bewusstes Fördern der Begehung des in Rede stehenden Insolvenzdelikts durch den unmittelbaren Täter hinaus. Mehr ist aber zu einer Haftung als „Gehilfe“ im Sinn des § 1301 ABGB nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich: Der Gehilfe muss zur Ausführung der Tat beitragen oder diese erleichtern (RS0031329 [T7]; 4 Ob 194/05s mwN). Adäquate Verursachung reicht für die Haftung aber nicht aus. Wer selbst nicht tatbestandsmäßig handelt, sondern nur einen sonstigen Tatbeitrag leistet, haftet daher nur dann, wenn er den Täter bewusst fördert. Dies setzt voraus, dass ihm die Tatumstände, die den Gesetzesverstoß begründen, bekannt sind oder er eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt. Diese ist auf grobe und auffallende Verstöße beschränkt (10 Ob 86/14s; RS0026577 [T7, T8, T9]; RS0031329 [T9, T10]). Auch juristische Personen können sich – aufgrund des ihnen zuzurechnenden Verhaltens ihrer Organe und Repräsentanten – als Mittäter an einer Schutzgesetzverletzung beteiligen (10 Ob 17/25k; vgl 10 Ob 86/14s; RS0079765 [T12, T14]; RS0009113 [T25, T33]).
[45] 3.4. Ausgehend davon hätten die Vorinstanzen auch den hinreichend substanziierten Vorwurf der Mittäterschaft der Beklagten bei der Verletzung des § 69 IO zu klären gehabt (vgl auch 10 Ob 17/25k).
4. Andere Haftungstatbestände
[46] 4.1. Auf die von der Klägerin relevierte Frage, ob der Beklagten zudem (neben einer vorsätzlichen Schädigung) deshalb eine Schutzgesetzverletzung anzulasten sei, weil der Geschäftsführer der Beklagten zum Vergehen der unvertretbaren Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände nach § 163a Abs 1 StGB beigetragen (§ 12 dritter Fall StGB) habe, muss im jetzigen Stadium nicht näher eingegangen werden.
[47] Träfe nämlich der (auch) in diesem Zusammenhang erhobene Fehlverhaltensvorwurf zu, der Geschäftsführer der Beklagten habe sein wissentlich falsches Markenwertgutachten (und dessen nachfolgende Bestätigung) mit dem Vorsatz erstellt, damit in der Bilanz der späteren Emittentin „künstlich“ Eigenkapital zu schaffen und in der Folge der Emittentin zu ermöglichen, mit (vordergründig) hervorragenden Bilanzkennzahlen Anleger zu werben, wobei er die Schädigung dieser Anleger billigend in Kauf genommen habe, würde die Beklagte der Klägerin nach den vorangegangenen Ausführungen ohnedies bereits nach § 1295 Abs 2 ABGB ersatzpflichtig (10 Ob 17/25k).
[48] 4.2. Der Vollständigkeit halber sei überdies darauf verwiesen, dass eine von der Klägerin auf verschiedene gesetzliche Tatbestände gestützte Ersatzpflicht der Beklagten wegen der Beteiligung an Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung der Emittentin im Dezember 2016 schon deshalb ausscheidet, weil die Haftung wegen Verletzung von Kapitalaufbringungsgrundsätzen nach den in Frage kommenden gesetzlichen Tatbeständen jeweils als Innenhaftung bloß gegenüber der Gesellschaft ausgestaltet ist (10 Ob 17/25k; vgl van Husen in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 10 Rz 447 ff; Kraus/Spendel in Napokoj/Foglar‑Deinhardstein/ Pelinka, AktG TaKomm § 40 AktG Rz 2).
5. Ergebnis und Kosten
[49] 5.1. Zusammengefasst erweist sich eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Klärung der Haftung der Beklagten als erforderlich. Die Rechtssache istaus diesem Grund zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
[50] 5.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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