OGH 7Ob90/25y

OGH7Ob90/25y25.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und durch die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin *, ebendort vertreten durch die Benn‑Ibler Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch die Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 6. März 2025, GZ 1 R 3/25d-30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 7. November 2024, GZ 14 Cg 37/24i‑26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00090.25Y.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterbringungs- und Heimaufenthaltsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.662,80 EUR (darin enthalten 443,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin leidet seit ihrer Kindheit nach Entfernung eines Gehirntumors am Lennox‑Gastaut‑Syndrom. Ihre Mutter ist ihre Erwachsenenvertreterin.

[2] Die Klägerin befand sich seit 2008 bis Ende 2022 in einer Einrichtung der Beklagten (Wohnhaus *), war dort jeweils von Montag bis Freitag wohnhaft und wurde dort durch Mitarbeiter der Beklagten betreut. Aufgrund anhaltender Personalprobleme der Beklagten übernachtet die Klägerin seit Anfang Jänner 2023 in ihrem Elternhaus und wird dort betreut.

[3] Im Oktober 2012 wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten ein „Wohnvertrag“ abgeschlossen, worin sich die Beklagte zur Zurverfügungstellung einer Wohnmöglichkeit im Wohnhaus * sowie zur Erbringung verschiedener Pflege-, Betreuungs- und medizinischer Leistungen verpflichtete. Der Wohnvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

IV. Kündigung und Schadenersatz

Grundsätzlich kann dieser Wohnvertrag (mit entsprechenden Fristen) auch wieder gekündigt werden; vor Kündigung des Vertrages gilt eine Anhörungspflicht für alle Vertragspartner. Der Schutz des behinderten Menschen muß als höchste Priorität gesehen werden. Trotzdem kann es in extremen Fällen zu einer Trennung kommen, wobei dies von Seiten der * nur dann der Fall sein kann, wenn die Betreuung nicht mehr sichergestellt werden kann (z.B. allgemeine Verschlechterung des Allgemeinzustandes, wodurch der Pflegeaufwand in unseren Wohneinrichtungen nicht mehr gewährleistet werden kann). Die * wird aber auch dann mithelfen, eine geeignete Wohnmöglichkeit für den behinderten Menschen zu finden.

[… ]

Kündigungsfristen:

[…]

* Wird der Wohnvertrag nach der Probezeit von * gekündigt, so ist eine zweimonatige Kündigungsfrist einzuhalten, wenn bereits ein alternativer Wohnplatz gefunden wurde; ist dies nicht der Fall, gilt eine Kündigungsfrist bis dieser Wohnplatz gefunden wurde, aber max. 6 Monate.“

[4] Die Klägerin begehrt seit spätestens April 2023 die Rückkehr ins Wohnhaus *. Die Beklagte lehnt eine Rückkehr wegen anhaltender Personalprobleme ab.

[5] Mit Schreiben vom 22. Jänner 2024 sprach die Beklagte die Kündigung des Wohnvertrags mit 30. April 2024 aus.

[6] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Heimvertrag zwischen ihr und der Beklagten trotz des Kündigungsschreibens vom 22. Jänner 2024 auch über den 30. April 2024 hinaus wirksam ist.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ein Kündigungsgrund gemäß § 27i KSchG liege nicht vor. Selbst bei inhaltlicher Berechtigung scheitere die Kündigung an der mangelnden Einhaltung des im Wohnvertrag statuierten Anhörungsrechts der Klägerin und der vereinbarten Kündigungsfrist.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Kündigung sei jedenfalls deshalb rechtsunwirksam, weil die vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht eingehalten worden sei. Die im Wohnvertrag enthaltene kürzere Kündigungsfrist komme nicht zur Anwendung. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit einer fristwidrigen Kündigung gelte nicht nur für die gesetzlichen, sondern auch für vertraglich verlängerte Kündigungsfristen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die ordentliche Revision ließ es zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung eines Heimvertrags, die zwar die gesetzliche Kündigungsfrist des § 27i Abs 1 KSchG einhalte, nicht aber eine davon zugunsten des Heimbewohners abweichend vereinbarte Kündigungsfrist, fehle.

[10] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[11] 1.1. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der von ihnen abgeschlossene „Wohnvertrag“ ein Heimvertrag im Sinn der §§ 27b bis 27i KSchG ist. Die Parteien sind sich auch einig darüber, dass dieser Heimvertrag weiter aufrecht ist, sollte sich die von der Beklagten mit ihrem Schreiben vom 22. Jänner 2024 ausgesprochene Kündigung als unwirksam erweisen.

[12] 1.2. § 27i KSchG regelt die Kündigung des Vertrags durch den Heimträger. Gemäß § 27i Abs 1 Satz 1 KSchG kann der Heimträger das Vertragsverhältnis nur aus wichtigen Gründen schriftlich unter Angabe der Gründe und unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist, im Fall der Z 1 (Einstellung oder wesentliche Einschränkung des Betriebs des Heimes) aber einer Frist von drei Monaten, zum jeweiligen Monatsende kündigen. Die praktisch bedeutsamen Kündigungsgründe werden in § 27i Abs 1 Z 1 bis 4 KSchG demonstrativ aufgezählt.

[13] 1.3. Durch § 27i Abs 1 KSchG wird das Kündigungsrecht des Heimträgers materiell wie auch formell beschränkt. Erfolgt die Kündigung nicht schriftlich unter Angabe der Gründe, wird der Vertrag nicht aufgehoben, auch wenn ein wichtiger Grund vorliegt (ErläutRV 202 BlgNR 22. GP  12; vgl 7 Ob 102/16z Pkt C.II.8; Kathrein/Schoditsch in KBB7 § 27i KSchG Rz 1; Ganner in Klang³ § 27i KSchG Rz 2).

[14] 2.1. Die Klägerin bestreitet nicht die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nach § 27i Abs 1 KSchG von einem bzw drei Monaten. Zwischen den Parteien ist hingegen strittig, ob die im Wohnvertrag vereinbarten Kündigungsfristen eingehalten wurden sowie, welche Frist dabei zur Anwendung gelangt. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, die vertragliche Kündigungsfrist habe zwei Monate betragen, weil der Klägerin mehrere alternative Wohnmöglichkeiten zur Verfügung gestanden seien.

[15] 2.2. Bei der Auslegung von Verträgen iSd § 914 ABGB ist ausgehend vom Wortlaut der Vereinbarung die Absicht der Parteien zu erforschen (RS0044358). Die der rechtlichen Beurteilung zuzurechnende Auslegung einer Vereinbarung nach den Grundsätzen des § 914 ABGB, insbesondere unter Erforschung der im konkreten Fall verfolgten Parteienabsicht, stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, sofern – wie hier – kein grobes Abweichen von den allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung vorliegt (RS0044298; RS0042776).

[16] 2.3. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, vorliegend komme eine vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten zur Anwendung. Eine kürzere Kündigungsfrist gelte nur dann, wenn bereits ein alternativer Wohnplatz gefunden worden sei und der Heimbewohner mit Sicherheit davon ausgehen könne, anderweitig betreut zu werden. Eine solch rechtlich gesicherte Position komme dem Heimbewohner aber erst mit Abschluss eines neuen Heimvertrags zu und nicht bereits mit dem Angebot einer alternativen Unterkunft durch den Heimträger. Der Umstand eines alternativen Wohnplatzes hänge damit auch vom Willen des Heimbewohners ab, dem bereits nach den Grundsätzen der Privatautonomie zugestanden werden müsse, ein Wohnplatzangebot anzunehmen oder nicht.

[17] 2.4. Die Revision zeigt dazu keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf. Vielmehr liegt der Beurteilung des Berufungsgerichts eine nicht korrekturbedürftige Auslegung des Wohnvertrags zugrunde.

[18] Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Bestandfestigkeit von Heimverträgen für die dort untergekommenen pflegebedürftigen Personen besondere Bedeutung zukommt (8 Ob 119/08w; vgl 3 Ob 268/09x [Klausel 5]; 7 Ob 101/24i Rz 14). Damit könne nicht zweifelhaft sein, dass die kürzere Kündigungsfrist nach dem Willen der Vertragsparteien nur dann zur Anwendung gelange, wenn der Heimbewohner bereits einen anderen (geeigneten) Platz gefunden habe. Diese jedenfalls vertretbare Rechtsansicht wird durch die weiteren Bestimmungen des Wohnvertrags gestützt. Dieser sieht spezifisch zur Kündigung vor, dass der Schutz des Heimbewohners als höchste Priorität gesehen werden muss und die Beklagte auch bei Kündigung des Heimvertrags mithelfen wird, eine geeignete Wohnmöglichkeit zu finden. Daraus erhellt einerseits, dass Lücken in der Unterkunft, Betreuung und Pflege des Heimbewohners bei Kündigung des Heimvertrags nach Möglichkeit vermieden werden sollen. Andererseits wird die Beklagte bei der Suche nach geeigneten Wohnmöglichkeiten nur unterstützend tätig. Die Frage, ob bereits ein alternativer Wohnplatz gefunden wurde, ist in vertretbarer Auslegung des Wohnvertrags damit nicht nur an einer objektiv vorhandenen, sondern an einer vom Heimbewohner ausgewählten und (vertraglich) gesicherten Wohnmöglichkeit anzuknüpfen. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht vertretbar zum Ergebnis gelangt, dass die Anwendung einer kürzeren Kündigungsfrist von einer rechtlich gesicherten Wohnmöglichkeit abhängig, deren Auswahl dem Heimbewohner jedoch freigestellt ist.

[19] 2.5. Dieses Auslegungsergebnis ist auch in Anbetracht der weiteren Revisionsausführungen nicht korrekturbedürftig.

[20] Soweit die Beklagte damit argumentiert, der Klägerin seien vor der Kündigung mehrere geeignete Wohnplätze angeboten, diese Angebote jedoch von der Erwachsenenvertreterin ohne Besichtigung oder Prüfung abgelehnt worden, was nicht zu Lasten der Beklagten gehen könne, geht sie gerade nicht auf die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht ein, wonach es auf den Abschluss eines neuen Heimvertrags ankomme und dieser auch vom Willen des Heimbewohners abhänge.

[21] Ein vollständiger Ausschluss möglicher (zeitlicher) Lücken in der Unterkunft, Betreuung und Pflege des Heimbewohners durch die vereinbarten Kündigungsfristen entspricht schon nach dem Wortlaut des Wohnvertrags nicht der Absicht der Parteien. Dies folgt schon daraus, dass bei Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht auf das Vorliegen alternativer Wohnmöglichkeiten abgestellt wird. Damit geht die Argumentation der Revisionswerberin ins Leere, der bloße Abschluss eines neuen Heimvertrags sichere noch nicht zu, dass der Heimbewohner auch rechtzeitig eine Unterkunft beziehen könne.

[22] 3.1. Nach Rechtsansicht der Vorinstanzen sei die Kündigung damit schon deshalb rechtsunwirksam, weil mit dem Schreiben vom 22. Jänner 2024 die zwischen den Parteien vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht eingehalten worden sei. Die Beklagte bezweifelt dazu auch nicht, dass die vertragliche Verlängerung von Kündigungsfristen zugunsten des Heimbewohners zulässig ist.

[23] 3.2. Die Klägerin stützte sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen des Verstoßes gegen die vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen. Dem hielt die Beklagte lediglich entgegen, sie habe sowohl die gesetzlichen als auch die vertraglichen Kündigungsfristen eingehalten. Dass ein Verstoß gegen vertraglich vereinbarte Kündigungsfristen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führe, wendete sie nicht ein. Ungeachtet der Ausführungen im Ersturteil, die Nichteinhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist mache die Kündigung unwirksam, ging die Beklagte auch in der Berufung nur darauf ein, die Kündigungsfrist eingehalten zu haben.

[24] 3.3. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können dann, wenn in der Berufung die Rechtsrüge nur in bestimmten Punkten ausgeführt wurde, andere Punkte in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden, jedenfalls wenn es um selbstständig zu beurteilende Rechtsfragen geht (RS0043338 [T11, T13]; RS0043480 [T22]; RS0043573). Da die Beklagte der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, wonach auch die Nichteinhaltung vertraglich vereinbarter Kündigungsfristen zur Unwirksamkeit der Kündigung führe, in der Berufung nicht entgegentrat, kann dies in der Revision nicht mehr nachgeholt werden. Auf die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage ist daher nicht einzugehen (vgl RS0043338).

[25] 3.4. Die Revision zeigt daher insoweit keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[26] 4.1. Davon ausgehend erweist sich die Beurteilung der Vorinstanzen, die Kündigung des Heimvertrags sei schon deshalb jedenfalls rechtsunwirksam, weil die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht eingehalten worden sei, als nicht korrekturbedürftig.

[27] 4.2. Angesichts dessen muss nicht weiter darauf eingegangen werden, ob ein wichtiger Grund, der die Beklagte nach § 27i Abs 1 KSchG zur Kündigung des Heimvertrags berechtigt, vorliegt sowie, unter welchen Tatbestand nach Z 1 bis 4 leg cit ein solcher zu subsumieren wäre. Die im Wohnvertrag vereinbarten Kündigungsfristen gelten unterschiedslos und unabhängig vom konkret behaupteten Kündigungsgrund. Ebenso wenig ist auf eine vom Erstgericht angenommene Verfristung, ein Anhörungsrecht der Klägerin vor der Kündigung oder auf ein Verschulden der Beklagten an den Personalproblemen im Wohnhaus einzugehen.

[28] 4.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass Auflösungsgründe, die nicht einmal zu einer Kündigung im Sinn des § 27i KSchG ausreichen, keinesfalls Anlass für eine außerordentliche sofortige Auflösung sein können (8 Ob 119/08w; 7 Ob 91/09x). Die von der Beklagten behaupteten Gründe für eine außerordentliche sofortige Auflösung wären zudem im Allgemeinen durch die Bestimmung des § 27i Abs 1 KSchG als erfasst anzusehen, sodass jedenfalls nur die Möglichkeit einer Kündigung bestünde und insoweit die fristlose sofortige Auflösung entsprechend unzulässig wäre.

[29] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[30] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.

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