OGH 4Nc11/25t

OGH4Nc11/25t24.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. A*, geboren * 2016, und 2. A*, geboren * 2017, Mutter S*, wegen Obsorge, über den Ordinationsantrag des Vaters K*, vertreten durch die DAX WUTZLHOFER UND PARTNER RECHTSANWÄLTE GMBH in Wien, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040NC00011.25T.0624.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter und der Kinder ist nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union. Er ist Vertragsstaat des KSÜ (Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern) und des HKÜ (Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung).

[2] Der Vater ist österreichischer Staatsbürger. Das Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Wohnsitz des Vaters im Inland liegt, wies mehrere Obsorgeanträge des Vaters wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Die Beschlüsse sind rechtskräftig.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der Vater beantragte gestützt auf § 28 Abs 1 Z 2 JN die Bestimmung eines zuständigen Gerichts (Ordination) für ein Verfahren über einen Antrag auf vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung (iSd § 180 Abs 1 ABGB). Die Rechtsverfolgung im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder sei unmöglich oder unzumutbar: Die Gerichte dieses Staats hätten ein Verfahren, in dem die Mutter die Festlegung des Wohnsitzes der Kinder an ihrem tatsächlichen Wohnsitz beantragt habe, mangels internationaler Zuständigkeit eingestellt, sodass eine „Rechtsdurchsetzungslücke“ bestehe. Zudem hätten die Gerichte dieses Staats ein Verfahren über die auf das HKÜ gestützten Anträge des Vaters auf Rückgabe der Kinder vom 19. 7. 2021 noch immer nicht abgeschlossen. Diese überlange Verfahrensdauer verwehre ihm die Rechtsverfolgung praktisch zur Gänze.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[4] 1. Der Antrag ist zulässig, weil eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN – anders als nach Z 1 leg cit – auch dann in Betracht kommt, wenn die internationale Zuständigkeit Österreichs rechtskräftig verneint wurde (vgl § 28 Abs 2 JN; 7 Nc 21/21d [6. 12. 2021], Rz 6).

[5] 2. Der Antrag ist aber nicht berechtigt, weil es keine ausreichenden Hinweise dafür gibt, dass die vom Vater konkret beabsichtigte Rechtsverfolgung – Antrag auf vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung – im (international zuständigen) Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder unmöglich oder unzumutbar wäre.

[6] 2.1. Da der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, aber Vertragsstaat des KSÜ, ist das Zuständigkeitssystem des KSÜ maßgeblich (vgl RS0128460). Gemäß Art 5 Abs 1 KSÜ sind die Gerichte des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, international zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen, insbesondere betreffend die elterliche Verantwortung und das „Sorgerecht“ (vgl Art 3 lit a und lit b KSÜ). Dass die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt jemals in einem anderen als diesem Staat gehabt hätten, wird im Ordinationsantrag nicht (konkret) vorgebracht. Die Rechtsverfolgung des Vaters im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder ist daher schon gestützt auf Art 5 Abs 1 KSÜ möglich. Dass die Gerichte dieses Staats rechtskräftig ihre internationale Zuständigkeit für eine – auf das nationale „Gesetz über das internationale Privatrecht“ gestützte – Klage der Mutter auf Feststellung des Wohnsitzes der Kinder verneint haben, lässt nicht den Schluss zu, dass sie einen Antrag des Vaters auf vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit zu Unrecht zurückweisen würden. Die vom Vater behauptete „Rechtsdurchsetzungslücke“ ist schon deshalb nicht zu erkennen, weil er im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder noch keinen Obsorgeantrag gestellt hat.

[7] 2.2. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland wird in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insbesondere dann bejaht, wenn die Entscheidung im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung oder Vollstreckung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden kann, eine Prozess- oder Exekutionsführung im Ausland eine der Parteien einer politischen Verfolgung aussetzen würde oder eine Verfahrensführung im Ausland äußerst kostspielig wäre (RS0046148). Der Vorwurf des Vaters, im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder sei von einer überlangen Verfahrensdauer auszugehen, bezieht sich auf die von ihm gestellten Anträge auf Rückgabe der Kinder nach dem HKÜ vom 19. 7. 2021 (die das erstinstanzliche Gericht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder am 16. 3. 2023 abgewiesen hat und das zweitinstanzliche Gericht am 23. 11. 2023). Die Ordination dagegen soll ihm die Durchsetzung einer neuen (vorläufigen) Obsorgeregelung erleichtern. Weder sein Vorbringen noch andere Umstände bieten Anhaltspunkte dafür, dass ein Verfahren über einen solchen Antrag des Vaters im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder so lange dauern würde, dass die Rechtsverfolgung unzumutbar wäre.

[8] 3. Der Ordinationsantrag ist daher abzuweisen.

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