OGH 3Ob86/25f

OGH3Ob86/25f24.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen D*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen, vertreten durch Mag. Christoff Beck, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. März 2025, GZ 43 R 164/25y‑250, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00086.25F.0624.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

I. Die am 2. Juni 2025 eingebrachte und als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ bezeichnete Eingabe des Betroffenen wird zurückgewiesen.

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

[1] Auch nach dem AußStrG steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu; Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig (RS0007007; RS0041666). Der vom Betroffenen nach Erhebung des außerordentlichen Revisionsrekurses eingebrachte weitere, ebenfalls als „außerordentlicher Revisionsrekurs“ bezeichnete Schriftsatz vom 2. Juni 2025 ist daher zurückzuweisen (RS0100170). Der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens wegen der fehlenden Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt bedarf es nicht (vgl RS0005946 [T11]; 1 Ob 32/19s Pkt 1.3. ua).

Zu II.:

[2] 1. Gemäß § 117 Abs 1 AußStrG ist das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für eine Person über deren Antrag oder von Amts wegen einzuleiten. Gelangt das Gericht aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung (vgl § 118 AußStrG) zum Ergebnis, dass das Verfahren fortzusetzen ist, so hat es für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat diese keinen geeigneten gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter, so hat das Gericht mit sofortiger Wirkung einen Vertreter für das Verfahren zu bestellen (§ 119 AußStrG).

[3] 2. Nach ständiger Rechtsprechung würde es dem Zweck des Überprüfungsverfahrens widersprechen, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über psychische Krankheiten oder vergleichbare Beeinträchtigungen der Entscheidungsfähigkeit sowie konkrete Gefährdungen verlangt werden würden (RS0126667). Für die Einleitung und die Fortsetzung des Verfahrens genügt daher grundsätzlich schon die Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommt (RS0008542 [insb T3]). Es bedarf nur eines Mindestmaßes an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat, aus dem sich das Vorliegen darauf hinweisender Anhaltspunkte ableiten lässt (RS0008542 [T1]; 4 Ob 7/18k).

[4] 3. Ob ausreichende Anhaltspunkte für die Einleitung oder (hier) Fortsetzung des Verfahrens gegeben sind, ist eine typische Beurteilung im Einzelfall, die grundsätzlich keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft (1 Ob 111/20k Pkt 2.1.; 6 Ob 103/18t). Solche lägen nur vor, wenn dem Rekursgericht eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (vgl 4 Ob 116/24y Rz 3). Eine solche zeigt der Betroffene aber nicht auf.

[5] 3.1. Auf Grundlage der im Akt erliegenden fachärztlichen Befunde bestehen ausreichende Hinweise dafür, dass der Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet, die mit einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur selbstbestimmten Verhaltenssteuerung (vgl 6 Ob 216/24v Rz 9; Stefula in KBB7 § 239 ABGB Rz 4) verbunden ist. Ob die bisherigen Diagnosen (paranoide Persönlichkeitsstörung, undifferenzierte Schizophrenie) richtig (gemäß der ICD) klassifiziert wurden, ist nicht entscheidend, weil es sich beim Begriff der „psychischen Krankheit“ um einen Rechtsbegriff handelt, der nicht notwendigerweise mit medizinischen Definitionen übereinstimmen muss (RS0049003).

[6] 3.2. Die Vorinstanzen haben auch nachvollziehbar dargelegt, dass nach dem bisherigen Verhalten des Betroffenen mit guten Gründen angenommen werden kann, es drohe ihm die Gefahr eines Nachteils, weil er dazu neige, auf von ihm als ungerecht empfundene Umstände (zB angebliche Fehldiagnosen, Diskriminierungen oder Beleidigungen) mit Klagen mit zum Teil beträchtlichen Streitwerten zu reagieren. Zwar reicht für die Annahme relevanter Nachteile bloßes „Querulantentum“ und eine daraus potenziell resultierende künftige Gefährdung nicht aus (vgl RS0072687 [T2, T3]; 1 Ob 20/21d Rz 9). Die mit der Anzahl, dem Inhalt und den Streitwerten der Klagen sowie dem Umstand, dass der Betroffene die finanziellen Folgen eines Prozessverlusts negiert, abgeleitete Befürchtung der Vorinstanzen, er könnte sich dadurch in Zukunft Schaden zufügen (vgl 1 Ob 142/22x Rz 16), begegnet im derzeitigen Verfahrensstadium aber keinen Bedenken.

[7] 4. Soweit der Betroffene begehrt, das Erstgericht dazu zu verurteilen, ihm für die „negativen Folgen“ der „ungerechtfertigten Pflegschaftssache“ eine „finanzielle Entschädigung“ von 14.950 EUR zu zahlen, fehlt dem eine rechtliche Grundlage. Der Antrag fügt sich aber in das Bild, das das Erstgericht zur Fortsetzung des Verfahrens veranlasste.

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