European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00037.25T.0604.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen C./I./ und II./ sowie F./ und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde G* R* eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB sowie jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen „nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB“ (A./I./ bis A./VI./), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B./I./ bis III./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (C./I./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (C./II./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses „nach §§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB“ (E./) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (F./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er – zusammengefasst – in B* und andernorts
A./ mit einer unmündigen Person, nämlich seiner am * 1998 geborenen Stieftochter C* H*, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), und zwar eine bis dato andauernde posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) sowie Angst und depressive Störung, gemischt (F 41.2), sohin eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung, bei der Genannten zur Folge hatte, indem er im Zeitraum von 2010/2011 bis 3. August 2012
I./, III./ und IV./ in einer Vielzahl von Angriffen mit seiner Zunge mit Penetrationsvorsatz an ihrem entblößten Genitalbereich leckte und dabei teilweise auch mit seiner Zunge in ihre Vagina eindrang;
II./ im Frühjahr/Sommer 2011 einen Finger in ihre Scheide einführte;
V./ Ende 2011 mit Penetrationsvorsatz (US 9 f) versuchte, sexuelle Handlungen durch Lecken und Betasten ihres Genitalbereichs an ihr durchzuführen, wobei er davon Abstand nehmen musste, weil ihn die im (Halb‑)Schlaf befindliche Unmündige mit den Beinen wegstieß;
VI./ im Jahr 2012 sich vor die am Boden sitzende H* stellte, sie aufforderte, seinen Penis in den Mund zu nehmen, und diesen in ihren Mund zu drücken versuchte, was scheiterte, weil sie nach heftiger Gegenwehr in ihr Zimmer flüchten konnte;
B./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an H*, sohin einer zu den Tatzeiten unmündigen Person vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen, indem er
I./ im Schuljahr 2010/2011 die damals Zwölfjährige in ihrem Zimmer aufsuchte, ihr das T‑Shirt hochzog und an ihren Brustwarzen leckte und saugte;
II./ vor den Osterferien im Frühjahr 2011 seinen erigierten Penis an ihrem nackten Scheidenbereich rieb;
III./ im Frühjahr 2011 mehrere Gummiarmbänder über seinen entblößten Penis stülpte und sie veranlasste, diese mit ihren Händen herunter zu nehmen;
C./ H* mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender Handlungen
I./ genötigt, nämlich des Einführens seiner Zunge in ihre Vagina, weil er bei mehreren der unter A./I./ beschriebenen Vorfälle gegen ihren Widerstand ihre Beine auseinanderdrückte;
II./ zu nötigen versucht, nämlich durch die unter A./VI./ beschriebene Handlung zur Duldung des Einführens seines Penis in ihren Mund, wobei er ihre Hände und ihren Kopf festhielt;
E./ durch die unter A./ bis C./ dargestellten Handlungen mit seinem minderjährigen Stiefkind geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von diesem an sich vornehmen lassen, wobei es in Ansehung des unter A./VI./ bzw C./II./ geschilderten Vorfalls aufgrund der Gegenwehr des Opfers beim Versuch blieb;
F./ im Schuljahr 2011/2012 H* mit Gewalt zu einer Unterlassung genötigt, indem er zur Verhinderung, dass sie ihn weiter beobachten könne, wie er sich nackt vor dem Fernseher sitzend einen Pornofilm anschaute, eine Decke über ihren Kopf warf und ihren Körper mit seinen Armen umfasste, wobei sie kurzfristig keine Luft bekam, während er das TV‑Gerät mit der Fernbedienung abzuschalten versuchte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 9 lit a und b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.
[4] Zutreffend releviert die zu C./I./ und II./ ausgeführte Subsumtionsrüge (Z 10, nominell Z 11), dass die Anwendung des § 201 Abs 1 StGB in der geltenden Fassung verfehlt war. Denn bei einem stets streng fallbezogen, in einer konkreten Gesamtschau und bei Tatmehrheit hinsichtlich jeder einzelnen Tat gesondert anzustellenden Günstigkeitsvergleich (RIS‑Justiz RS0089011, RS0112939) erweist sich der im Tatzeitraum in Geltung stehende, eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsehende § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 günstiger als das zum Urteilszeitpunkt geltende Recht, das in § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2019/105 eine Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren normiert (§ 61 zweiter Satz StGB). Solcherart wäre eine Subsumtion der inkriminierten Taten zu C./I./ unter § 201 Abs 1 StGB und zu C./II./ unter §§ 15, 201 Abs 1 StGB, jeweils idF BGBl I 2004/15 geboten gewesen.
[5] Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) releviert zu F./ zutreffend das Fehlen einer Begründung. Dass nach den beweiswürdigenden Erwägungen „die Feststellungen zum äußeren Geschehen … sich auf die Aussagen des Opfers C* H* als Zeugin“ stützten (US 10) und „die Feststellungen zur subjektiven Tatseite … in allen Fällen aus den festgestellten äußeren Umständen ableitbar“ waren (US 18), bildet keine taugliche Begründung in Ansehung der festgestellten Tathandlung, zumal sich die diesbezügliche Beweiswürdigung ausschließlich mit den angelasteten und urteilsgegenständlichen sexuellen Übergriffen, nicht jedoch aber auch mit dem zu F./, inkriminierten Verhalten auseinandersetzt (US 10 ff, 18). Dies erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs F./.
[6] Die weitere Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.
[7] Der zu A./I./ konkrete Tatzeitpunkt und eine zahlenmäßig exakte Determinierung der angelasteten Tathandlungen vermissenden Verfahrensrüge (Z 3) zuwider begegnet ein Schuldspruch wegen nur pauschal individualisierter gleichartiger Taten unter dem Aspekt des Individualisierungsgebots keinen rechtlichen Bedenken, zumal daraus allfällig resultierende Zweifel im Fall einer folgenden Verurteilung ohnehin für die Annahme von Tatidentität streiten (RIS‑Justiz RS0119552; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 24).
[8] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) erweisen sich die zu A./I./ getroffenen Feststellungen (US 6 f, 9 f iVm US 1 f) – auch mit Blick auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) – keineswegs als undeutlich (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 419).
[9] Dass das Schöffengericht die Überzeugungskraft der Angaben der Zeugin C* H* anders bewertete als der Beschwerdeführer, indem es diese als glaubwürdig einstufte, stellt keinen Begründungsmangel (RIS‑Justiz RS0099455), sondern einen – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht bekämpfbaren (RIS‑Justiz RS0099419) – Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) dar (vgl RIS‑Justiz RS0104976 [T1]).
[10] Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ein belastetes Verhältnis zwischen dem Opfer und dem Angeklagten und dessen Scheidung von R* R* (der Mutter des Opfers) als Gründe für vermeintliche Falschbeschuldigungen releviert, ist darauf zu verweisen, dass die Tatrichter die diesbezüglichen Angaben des Angeklagten (US 16 ff), des Opfers (US 10 ff) sowie der Zeugen R* R* (US 14 f), Ch* H* (US 14 f) und * W* (US 13 f) ohnehin erwogen haben (vgl insb US 16 ff), den belastenden Angaben des Opfers jedoch Glaubwürdigkeit attestierten (US 10 ff iVm US 16 ff). Fotos, die die betroffenen Personen bei gemeinsamen Unternehmungen lächelnd abbilden, hat das Gericht explizit erwogen (US 17 f).
[11] Dabei waren die Tatrichter aber – dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend – nicht gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen, und sich mit den Beweisergebnissen in Richtung aller denkbarer Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0098377).
[12] Im Ergebnis bekämpft der Beschwerdeführer bloß unzulässig nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld die tatrichterliche Beweiswürdigung.
[13] Zu B./I./ bis III./ bezieht sich die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) auf Feststellungen zu einem Vorfall „nach Weihnachten 2009, zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt 2009/2010“ (US 6) und spricht damit keinen entscheidenden Umstand an.
[14] Entgegen der zu A./III./ ausgeführten Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) haben die Tatrichter die Aussage des Angeklagten, wonach der Ausflug nach M* im Jahr 2009 stattgefunden habe, erwogen (US 15 f). Im Übrigen betrifft die Frage, ob zwei Ausflüge dorthin unternommen wurden oder ob die dabei inkriminierten Tathandlungen im Jahr 2009 oder 2011 gesetzt wurden, keinen entscheidenden Umstand, war doch das Opferjedenfalls unmündig iSd § 74 Abs 1 Z 1 StGB.
[15] Die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen – aktuell des Opfers (US 10 ff) – aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks ist ein kritisch‑psychologischer Vorgang und als solcher einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt. Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann allerdings unter dem Gesichtspunkt von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat (RIS‑Justiz RS0099419 [T3]). Die Aussage der Zeugin * B* (ON 22.4, 7 iVm ON 62.4, 28), sie habe mit dem Angeklagten nie über Sex gesprochen, war hingegen – entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) – nicht erörterungsbedürftig.
[16] Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider, die eine offenbar unzureichende Begründung der zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen releviert, ist der vom Schöffengericht gezogene Schluss vom gezeigten Verhalten auf das zugrunde liegende Wollen und Wissen des Angeklagten (US 18) nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671).
[17] Inwiefern es den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 9 f) angesichts der zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen (US 6 bis 9) betreffend alle Punkte des Schuldspruchs am Sachverhaltsbezug fehlen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0119090), macht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht klar.
[18] Die zu allen Punkten des Schuldspruchs „Feststellungen zur Wissensseite“ vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) nimmt prozessordnungswidrig nicht Maß an den genau dazu getroffenen Sachverhaltskonstatierungen (US 9 f; RIS‑Justiz RS0099810).
[19] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) zu E./ „echte Konkurrenz zwischen § 201 Abs 1 und § 212 StGB“ mangels eines zum Einsatz gebrachten willensbeugenden Autoritätsverhältnisses bestreitet, leitet sie nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0116565), inwiefern auch im aktuellen Fall des durch einen Stiefvater gesetzten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses zum Nachteil dessen Stiefkindes (§ 212 Abs 1 Z 1 StGB [auch idF BGBl I 2006/56]) die Ausnützung und solcherart das Bestehen eines solchen Autoritätsverhältnisses Tatbestandserfordernis und nicht als typisch vorauszusetzen sei (RIS‑Justiz RS0095270; Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB15 § 212 Rz 13). Ein Schuldspruch nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB ist – der Rüge zuwider – nicht erfolgt.
[20] Ebenso versagt die weitere Subsumtionsrüge (Z 10), die mit gleicher Argumentation auch echte Konkurrenz zwischen § 206 Abs 1, (in einem Fall auch) Abs 3 erster Fall StGB (A./I./ bis VI./) und § 207 Abs 1 StGB (B./I./ bis III./) einerseits sowie § 212 Abs 1 Z 1 StGB (E./) andererseits bestreitet (RIS‑Justiz RS0090725, RS0095110; Philipp in WK2 StGB § 212 Rz 15 sowie § 206 Rz 32 und § 207 Rz 26).
[21] Soweit die Rüge (Z 10) zu A./ und B./ das Vorliegen mehrerer zeitlich eng aufeinander folgender, von einem Tatentschluss getragener geschlechtlicher Handlungen an der Unmündigen und damit einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl zu dem Begriff RIS‑Justiz RS0122006) behauptet und ausführt, dass „§ 207 von § 206“ StGB konsumiert werde, weshalb dem Angeklagten diesbezüglich nur eine einzige strafbare Handlung angelastet werden dürfe, argumentiert sie nicht auf Basis des festgestellten Sachverhalts (US 6 ff; vgl jedoch neuerlich RIS‑Justiz RS0099810).
[22] Entgegen der zu A./V./ die Feststellung des Penetrationsvorsatzes vermissenden Subsumtionsrüge (Z 10) befindet sich die diesbezügliche Konstatierung auf US 9 f.
[23] Es war daher – überwiegend in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (vgl RIS‑Justiz RS0101303, RS0100493) und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt zu verweisen (§ 285e StPO).
[24] Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285d Abs 1 StPO zurückzuweisen.
[25] Mit Blick auf das Croquis bleibt anzumerken, dass zu A./I./ (betreffend „einige Vorfälle“ unter Gewaltanwendung) sowie A./VI./ und E./ (soweit korrespondierend zu C./I./ und II./) eine amtswegige Aufhebung nach § 290 Abs 1 StPO mangels Nachteils für den Angeklagten nicht in Betracht kam.
[26] Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die aufhebende Entscheidung zu verweisen.
[27] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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