European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00023.25T.0603.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Unterhaltsrecht inkl. UVG, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die 2010 geborene T*, der 2012 geborene Y* sowie deren Eltern sind Staatsangehörige der Ukraine. Die Kinder und ihre Mutter leben in Österreich. Der Aufenthalt des von der Mutter geschiedenen Vaters ist unbekannt.
[2] Nach dem – vom Bund nicht bestrittenen – Akteninhalt flüchteten die Kinder mit ihrer Mutter am 3. 3. 2022 aus der Ukraine nach Österreich und verfügen über (bis 4. 3. 2026 gültige) Ausweise für Vertriebene.
[3] Mit Anträgen vom 15. Oktober 2024 begehrten die durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger vertretenen Kinder Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG in Richtsatzhöhe. Zur Anspruchsberechtigung beriefen sie sich auf ihre Flucht nach Österreich und ihren Status als Vertriebene iSd § 62 AsylG 2005.
[4] Mit Beschlüssen vom 22. Oktober 2024 gewährte das Erstgericht den Kindern für die Zeit von 1. Oktober 2024 bis 30. April 2028 für T*, sowie bis 30. September 2029 für Y* monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 2 UVG in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG. Ein Unterhaltstitel könne mangels Erreichbarkeit des Unterhaltsschuldners nicht geschaffen werden. Aufgrund der Aktenlage ergäben sich keine Zweifel an dessen Leistungsfähigkeit. Es sei amtsbekannt, dass Russland seit Februar 2022 einen Krieg gegen die Ukraine führe. Die Mutter und die Kinder hätten begründete Furcht vor einer Rückkehr. Da somit die Kriterien der Flüchtlingseigenschaft vorlägen, seien die Unterhaltsvorschüsse zu gewähren.
[5] Das vom Bund angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es stellte ergänzend fest, dass die Kinder und die Mutter aufgrund des Kriegsausbruchs am 24. 2. 2022 aus der Ukraine nach Österreich geflüchtet sind. Zudem legte es seiner Entscheidung die als notorisch eingestuften Umstände zugrunde, dass (zusammengefasst) überall in der Ukraine Raketen‑ und Luftangriffe stattfänden, von denen auch „Wohnbebauung“ nicht ausgeschlossen sei und Russland schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung wie etwa absichtliche Tötungen, ungesetzliche Inhaftierungen, Folter, Vergewaltigung oder Deportation von Kindern begehe. Angesichts dessen sei davon auszugehen, dass die Kinder im Fall ihrer Rückkehr in die Ukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften Bedrohung ihrer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären und Gefahr liefen, existenzielle Bedürfnisse nicht decken zu können.
[6] Auf dieser ergänzten Sachverhaltsbasis führte das Rekursgericht aus, dass den Kindern (und ihrer Mutter) zwar nicht der Status eines Asyl‑ oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, sondern sie (nur) über ein – derzeit bis 4. 3. 2026 bestehendes – Aufenthaltsrecht nach der VertriebenenVO (BGBl II 2022/92 idF BGBl II 2023/27) verfügten. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für individuelle Fluchtgründe iSd Art 1 A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl 1955/55, GFK) vor. Allerdings sei die Beziehung der Kinder zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen, sodass die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz und damit auch für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen vorlägen.
[7] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zu, ob sich ukrainische Staatsangehörige vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf subsidiären Schutz berufen könnten.
[8] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, mit dem dieser die Abweisung der Vorschussanträge anstrebt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Mutter und die Kinder erstatteten keine Rechtsmittelbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[11] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen, was auch im Anwendungsbereich des § 62 Abs 1 AußStrG gilt (RS0112769; RS0112921). Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage erheblicher Bedeutung fällt daher weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall (zuletzt auch 10 Ob 16/25p).
[12] 2. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zu 10 Ob 42/24k vom 14. 1. 2025 ausgesprochen, dass § 2 Abs 1 UVG dahin richtlinienkonform auszulegen ist, dass nicht nur Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte, sondern auch Vertriebene, die nach der RL 2001/55/EG (MassenzustromRL) bzw einer auf Grundlage des § 62 AsylG 2005 erlassenen Verordnung ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich haben, österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind.
[13] 3. Das trifft auf T* und Y* unstrittig zu, weil sie als Staatsangehörige der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine aufgrund des bewaffneten Konflikts ab 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurden (§ 1 Z 1 VertriebenenVO [BGBl II 2022/92 idF BGBl II 2023/27]). Auch der Bund zieht in seinem Revisionsrekurs nicht in Zweifel, dass T* und Y* in den Anwendungsbereich der VertriebenenVO fallen.
[14] 4. Auf die vom Rekursgericht als erheblich erachtete und auch im Revisionsrekurs allein thematisierte Frage, ob aus der Ukraine Vertriebene die Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aufgrund des dort herrschenden Kriegs aus Gründen abgebrochen haben, die mit den in der GFK und dem Flüchtlingsprotokoll (BGBl 1974/78) aufgezählten vergleichbar sind (dazu etwa 10 Ob 1/24f Rz 12; 10 Ob 57/23i ua), kommt es daher nicht an (vgl bereits 10 Ob 16/25p).
[15] Es kann auch dahinstehen, dass das Rekursgericht zu dieser Frage – wie der Bund an sich zu Recht einwendet – vermeintlich (vgl RS0110714 [T8]) gerichtskundige Tat-sachen berücksichtigt hat, ohne das zuvor mit den Parteien zu erörtern (RS0040219 [T2, T3, T15]).
[16] 5. Zusammenfassend haben die Vorinstanzen die Anspruchsberechtigung nach § 2 Abs 1 UVG im Ergebnis daher zu Recht bejaht. Andere Gründe macht der Bund in seinem Rechtsmittel nicht geltend und verabsäumt es solcherart, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zu relevieren.
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