OGH 3Ob63/25y

OGH3Ob63/25y28.5.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Margit Sagel, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei E* S.L., *, vertreten durch Mag. Clemens Haller, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen restlicher 5.198,68 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 28. November 2024, GZ 6 R 117/24f‑81, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 14. Mai 2024, GZ 28 C 447/22d‑70, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00063.25Y.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (hierin enthalten 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte ist Herstellerin von Medizinprodukten, unter anderem von Intrauterinpessaren („Spiralen“), die zur Empfängnisverhütung verwendet werden. Bei mehreren Chargen der von der Beklagten hergestellten Spiralen erfolgte die Dispergierung des Ausgangsmaterials nicht in der korrekten Form, was zur Verringerung der Festigkeit und zum gehäuften Auftreten von Brüchen der Spiralen führte.

[2] Der Klägerin wurde im Februar 2016 eine von der Beklagen hergestellte Spirale „Gold T normal“ von ihrem Gynäkologen eingesetzt, die einer dieser fehlerhaften Chargen angehörte. Ende August 2019 wurde bei der Klägerin eine Eileiterschwangerschaft festgestellt. Kurz darauf ging ein Seitenärmchen der Spirale von selbst ab. In der Folge wurde die restliche Spirale entfernt. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs der Eileiterschwangerschaft mit dem Bruch der Spirale ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine mechanische oder chemische Reizung der Schleimhaut der Gebärmutter durch das fehlerhafte Material der Spirale entstanden war; diese wiederum bedingte die Fehleinnistung der befruchteten Eizelle im Eileiter. Der Klägerin wurden aufgrund der Eileiterschwangerschaft beide Eileiter entfernt.

[3] Die Klägerin hatte aufgrund der fehlerhaften Spirale drei Tage starke, sechs Tage mittelstarke und zehn Tage leichte Schmerzen; aufgrund der infolge der Eileiterschwangerschaft notwendigen Operation und der damit verbundenen Risiken war sie psychisch stark belastet. Bei ihr liegt nach wie vor eine psychische Alteration mit Krankheitswert, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung mit Nachhallerinnerungen vor.

[4] Das Erstgerichtgab dem auf Leistung von Schadenersatz in Höhe von 5.348,68 EUR sA (darin enthalten Schmerzengeld in Höhe von 5.000 EUR sA) und auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Folgen der fehlerhaften Spirale gerichteten Klagebegehren im Wesentlichen – abgesehen von der unbekämpft gebliebenen Abweisung eines Zinsen‑ und eines Feststellungsmehrbegehrens – statt.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nur insofern Folge, als es ein Zahlungsmehrbegehren von 150 EUR sA abwies; hingegen billigte es insbesondere den Zuspruch von Schmerzengeld in Höhe von 5.000 EUR sA durch das Erstgericht. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung für zulässig, dass es im Hinblick auf die Entscheidung zu 2 Ob 51/23y allenfalls seinen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Ausmittlung des Schmerzengeldes überschritten haben könnte.

[6] Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens an; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[7] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[9] 1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Erledigung der in der Berufung erhobenen Beweisrüge durch das Berufungsgericht genügt den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (vgl RS0043150).

[10] 2.1. Beim Schmerzengeld handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine Globalentschädigung. Bei der Ausmessung kann das Begehren nicht in einzelne, bestimmten Verletzungen bzw Folgeerscheinungen zuzuordnende Teilbeträge zerlegt werden (RS0031191). Es ist vielmehr der Gesamtkomplex der Schmerzempfindung unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, die Schwere der Verletzung und das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands zu berücksichtigen (RS0031040). Im Rahmen der Globalbemessung des Schmerzengeldes ist auch auf Sorgen des Verletzten um spätere Komplikationen, das Bewusstsein eines Dauerschadens und die damit verbundene seelische Belastung, mögliche Beziehungsprobleme sowie entgangene und künftig entgehende Lebensfreude Bedacht zu nehmen (RS0031054). Auch im Fall von seelischen Schmerzen sind die einzelnen Bemessungskriterien als „bewegliches System" zu verstehen, innerhalb dessen Grenzen ein weiter Spielraum für die den Erfordernissen des Einzelfalls jeweils gerecht werdende Ermessensausübung besteht. Schmerzperioden dienen nur als Berechnungshilfe. Somit ist auch im Fall von seelischen Schmerzen die Bemessung des Schmerzengeldes global vorzunehmen (RS0122794). Die Beurteilung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet. Anderes gilt nur im Fall einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt (RS0042887 [T10], RS0031075 [T7]).

[11] 2.2. Die Bemessung des Schmerzengeldes durch die Vorinstanzen stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Dabei ist es insbesondere angesichts der nach wie vor bestehenden psychischen Alteration der Klägerin nicht entscheidend, dass die medizinisch zwar indizierte, aber nicht zwingend erforderliche Entfernung des zweiten Eileiters auf der Entscheidung der Klägerin beruhte.

[12] Die von der Beklagten ins Treffen geführte Entscheidung zu 2 Ob 51/23y betraf zwar insofern einen gleichgelagerten Fall, als auch bei der dortigen Klägerin eine von der Beklagten hergestellte fehlerhafte Spirale eingesetzt worden war. Dennoch ist sie entgegen der Ansicht der Beklagten nicht einschlägig, weil die dortige Klägerin infolge des Produktfehlers deutliche geringere Schmerzen erlitt.

[13] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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