European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00091.24H.0527.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.127,40 EUR (darin 187,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war von * 2000 bis * 2011 als Büroangestellte im Lebensmittelgroßhandel tätig. Seit * 2011 ist sie bei der Beklagten bzw deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. An Vordienstzeiten wurden der Klägerin acht Jahre angerechnet. Auf das Dienstverhältnis findet die Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Angehörige der Gesundheitsberufe und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (in der Folge: DO.A) Anwendung.
[2] Die Klägerin arbeitete ab Eintritt bei der Beklagten bis November 2017 am Schalter in einem Fachambulatorium. Ihre Hauptaufgabe war die Vergabe und Verwaltung von Arzt- und Therapieterminen, dies entweder vorab telefonisch oder am Schalter.
[3] Im Lebensmittelgroßhandel war die Klägerin zuvor als Angestellte im Bereich der Kommissionierung tätig gewesen, wobei ihre Haupttätigkeit darin bestanden hatte, die bestellten Waren für die jeweiligen Kunden zu sammeln.
[4] Die Klägerin begehrte zuletzt an Entgeltdifferenz von Dezember 2017 bis Februar 2024 11.689,25 EUR brutto. Ihr wären aufgrund der neuenkollektivvertraglichen Bestimmungen zur Vordienstzeitenanrechnung des § 13 Abs 3 DO.A Vordienstzeiten als Büroangestellte im Ausmaß von zehn Jahren und vier Monaten (und nicht nur acht Jahre) anzurechnen gewesen, weil sie bei ihrer früheren Tätigkeit als Unterstützung des Kommissionierleiters jedenfalls zumindest 75 % ihres nachfolgenden Aufgabenbereichs und ihrer nachfolgenden Tätigkeit als Verwaltungsangestellte im Fachambulatorium wahrgenommen habe.
[5] Die Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit und wandte ein, dass weitere Vordienstzeiten schon deshalb nicht als facheinschlägig anzurechnen seien, weil die seinerzeitige Dienstgeberin der Klägerin keiner mit der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbaren Branche angehört habe. Es würden sich auch die zum Vergleich heranzuziehenden Tätigkeiten nicht einmal annähernd zu 75 % überschneiden, sodass nicht von einschlägigen Vordienstzeiten auszugehen sei.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Eine Einschränkung auf eine facheinschlägige Tätigkeit sei der Bestimmung des § 13 Abs 3 DO.A nicht zu entnehmen. Die Tätigkeiten der Klägerin im Lebensmittelgroßhandel und bei der Beklagten als Schalterangestellte im Ambulatorium seien im Kern vergleichbar.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil dahingehend ab, dass es die Klage abwies. Es sei mangels vergleichbarer Tätigkeiten im Ausmaß von 75 % eine Einschlägigkeit zu verneinen.
[8] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil keine Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der Einschlägigkeit iSd § 13 Abs 3 DO.A existiere.
[9] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn einer Klagsstattgebung, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[12] Strittig ist lediglich, ob es sich bei der zuvor ausgeübten Tätigkeit der Klägerin im Lebensmittelgroßhandel um „einschlägige Vordienstzeiten“ iSd § 13 Abs 1 DO.A idF der 106. Änderung der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs 2005 handelt.
[13] 1.1. Der Auslegung von Kollektivverträgen kommt zwar stets eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu (RS0042819). Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt aber dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft. Dies gilt gleichermaßen für Kollektivverträge (RS0042656 [T15]).
[14] 1.2. Ob durch eine Berufstätigkeit eine fachliche Erfahrung vermittelt wird, durch die ein erheblich höherer Arbeitserfolg zu erwarten ist und in welchem Ausmaß Vordienstzeiten anzurechnen sind, hängt zudem stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RS0059620 [T10]; RS0082096 [T12]).
[15] 2. Die DO.A ist als Kollektivvertrag (vgl RS0054394) in ihrem normativen Teil nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen. In erster Linie ist der Wortsinn im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen, wobei diesen zu unterstellen ist, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen anstreben (RS0008897, RS0010089). Die Erläuterungen zur DO.A stellen eine authentische Interpretation der Bestimmungen der DO.A durch die Kollektivvertragsparteien dar (RS0054448).
[16] 3. Gemäß § 13 Abs 1 Z 1 lit a DO.A sind für die Einstufung in das Gehaltsschema einschlägige Vordienstzeiten in anderen Dienst- oder Lehrverhältnissen als Angestellter, Arbeiter oder Lehrling bzw in einem freien Dienstverhältnis gemäß § 4 Abs 4 ASVG zugebrachte einschlägige Zeiten, wenn diese jeweils mindestens sechs Monate ununterbrochen gedauert haben, anzurechnen. Gemäß § 13 Abs 3 DO.A sind als einschlägig im Sinne dieser Bestimmung Dienst- und Lehrzeiten oder in einem freien Dienstverhältnis gemäß § 4 Abs 4 ASVG zugebrachte Zeiten bzw Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit anzusehen, wenn im Rahmen dieser bereits die ausgeschriebenen Tätigkeiten und Aufgaben zu mindestens 75 % wahrgenommen wurden. Für den Vergleich ist der Arbeitsplatz maßgebend, mit dem der/die Angestellte in den ersten sechs Monaten des Dienstverhältnisses (bzw nach Abschluss der Einschulungs- und Einarbeitungszeit gemäß § 37 Abs 2 DO.A) beim Versicherungsträger überwiegend betraut ist.
[17] Die Erläuterungen der Kollektivvertragspartner zu § 13 Abs 3 DO.A führen dazu aus, dass zur Beurteilung der Einschlägigkeit die tatsächlich ausgeübten und nachgewiesenen Tätigkeiten und Aufgaben herangezogen und die im Rahmen der Ausübung dieser Tätigkeiten und Aufgaben erlangten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Beurteilung berücksichtigt werden sollen.
[18] 4. Wie das Berufungsgericht bereits richtig ausführte, hat die Klägerin die bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte in einem Fachambulatorium konkret verrichteten Tätigkeiten und Aufgaben in ihrer früheren Tätigkeit als Büroangestellte im Lebensmittelgroßhandel gerade nicht wahrgenommen.
[19] Wenn die Revision meint, dass in beiden Fällen „logistisches Wissen und Kompetenz, detailgenaues Arbeiten, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit, Stressresistenz und effizientes Arbeiten“ gefordert sei, so spricht sie damit allgemeine Anforderungen an Bürotätigkeiten an, nicht aber einschlägige Tätigkeiten und Aufgaben. Entsprechende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten wären nach den Erläuterungen der Kollektivvertragspartner auch nur im Rahmen der Ausübung dieser vergleichbaren Tätigkeiten und Aufgaben zu berücksichtigen.
[20] Soweit die Revision meint, dass der Patientenkontakt im Rahmen der Tätigkeit bei der Beklagten in Wahrheit eine untergeordnete Rolle gespielt habe, weicht sie unzulässig von den Feststellungen ab.
[21] Entgegen der Ansicht der Revision bedeutet dies auch nicht, dass nur die bei österreichischen Sozialversicherungsträgern geleisteten Vordienstzeiten anrechenbar seien, werden doch derartige Tätigkeiten zB auch in Krankenhäusern, Arztpraxen, Physio- oder Psychotherapieordinationen, Reha‑Zentren etc geleistet.
[22] 5. Eine erhebliche Rechtsfrage wird von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[23] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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