European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:018OCG00004.24Y.0526.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Schiedsverfahrensrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Das Klagebegehren, den im Schiedsverfahren * nach den ICC Regeln ergangenen Schiedsspruch vom 15. Oktober 2024 in den Punkten 1, sowie 3 bis 5 aufzuheben, wird abgewiesen.
Das erste Eventualbegehren, den im Schiedsverfahren * nach den ICC Regeln ergangene Schiedsspruch vom 15. Oktober 2024 in den Punkten 1, sowie 3 bis 5 aufzuheben, in Punkt 1 allerdings nur insoweit, als er sich auf die Erstklägerin bezieht, wird abgewiesen.
Das zweite Eventualbegehren, den im Schiedsverfahren * nach den ICC Regeln ergangene Schiedsspruch vom 15. Oktober 2024 in den Punkten 1, sowie 3 bis 5 aufzuheben, in Punkt 1 allerdings nur insoweit, als er sich auf die Zweitklägerin bezieht, wird abgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 12.600,77 EUR (darin enthalten 183,46 EUR USt und 11.500 EUR an USt‑freien Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Schieds‑ und Aufhebungsklägerinnen (im Folgenden: Klägerinnen) leiteten beim Internationalen Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer (ICC) in Wien gegen die Schieds‑ und Aufhebungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) ein Schiedsverfahren wegen (zuletzt) 70 Mio EUR an Schadenersatz aufgrund der Verletzung von vertraglichen Pflichten aus einem Joint Venture ein. Der Einzelschiedsrichter wies die Schiedsklage der Klägerinnen mit Unzuständigkeitsentscheidung vom 15. 10. 2024 zurück.
[2] Die Klägerinnen begehren nun die Aufhebung der Unzuständigkeitsentscheidung aus den Gründen des § 611 Abs 2 Z 1, 2 und 5 ZPO. Das Schiedsgericht habe sich trotz gültiger Schiedsvereinbarung für unzuständig erklärt (Z 1). Es habe die Schiedsklausel falsch ausgelegt, sodass sie im Ergebnis einem pactum de non petendo gleichkomme. Außerdem sei es bei der Prüfung der Zuständigkeit nicht von den doppelrelevanten Tatsachen laut Schiedsklage ausgegangen. Überdies habe es auch das rechtliche Gehör der Klägerinnen (Z 2) und den verfahrensrechtlichen ordre public (Z 5) verletzt, indem es schon bei der Prüfung der Zuständigkeit die in der Schiedsklage geltend gemachten Ansprüche auch inhaltlich beurteilt und verneint habe.
[3] Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Unzuständigkeitsentscheidung sei richtig, weil die in der Schiedsklage geltend gemachten Ansprüche nicht von der Schiedsklausel des Joint Venture Agreement vom 5. 12. 2018 (in der Folge „JVA“) umfasst würden.
[4] Nicht Gegenstand des Aufhebungsverfahrens ist die im gleichen Schiedsspruch ergangene inhaltliche Entscheidung über eine Schiedsklage der Beklagten vom1. 3. 2023 auf Feststellung der Beendigung des JVA und der im Rahmen des Joint Venture gebildeten GesbR.
Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus:
Allgemeines zum JVA:
[5] Die Gesamtrechtsvorgängerin der erstklagenden GmbH mit Sitz in Österreich und die beklagte Company mit Sitz in den USA vereinbarten 2018 im JVA ein Joint Venture zur Herstellung von kristallinem Betain (JVA ./B).
[6] Das JVA legte die Zusammenarbeit konkret wie folgt fest: Die Erstklägerin und die Beklagte gründen als jeweils 50%ige Gesellschafter gemeinsam die zweitklagende GmbH mit Sitz in Österreich laut einem dem JVA bereits angeschlossenen Gesellschaftsvertrag (JVA ./B). Die Zweitbeklagte wird nach ihrer Gründung dem JVA beitreten (JVA ./B) und in Österreich eine Produktionsanlage errichten, in der von der Klägerin erzeugtes und von der Beklagten importiertes flüssiges Betain kristallisiert werden wird (JVA ./B).
Nebenvereinbarungen:
[7] Schon im JVA war vorgesehen, dass die Klägerinnen und die Beklagte binnen einer Fristein Dutzend als Anhänge beigefügte Nebenvereinbarungen abschließen (JVA ./B), wobei diese teils unterschiedliche Vertragsparteien aufweisen. Die Erstklägerin und die Beklagte verpflichten sich im JVA auch, als künftige Gesellschafterinnen der Zweitklägerin dafür Sorge zu tragen, dass diese nach ihrer Gründung die vorgesehenen Nebenvereinbarungen abschließen wird (JVA ./B).
[8] Von den Nebenvereinbarungen sind insbesondere folgende für das vorliegende Verfahren relevant:
- In der Nebenvereinbarung Amended and Restated Raw Material Supply Agreement vom 25. 6. 2021 (in der Folge: RMSA) zwischen der Beklagten und Zweitklägerin verpflichtete sich die Beklagte, die Zweitklägerin mit näher spezifizierten Mengen von flüssigem Betain gemäß einem angeführten Lieferschema zu beliefern (JVA ./B; RMSA ./2).
- Die * LLC, eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten sollte der Zweitklägerin (Produktions‑)Technologie zur Verfügung stellen, was im Technology License Agreement vom 8. 4. 2019 (in der Folge: TLA) zwischen Zweitklägerin und Tochtergesellschaft näher geregelt wurde.
Weitere Bestimmungen im JVA:
[9] Im JVA ist vereinbart, dass die Gesellschafter (also die Erstklägerin und die Beklagte) die Gesellschaft (also die Zweitklägerin) veranlassen, ihre im JVA und den Zusatzvereinbarungen festgelegten Verpflichtungen zu erfüllen, soweit diese anwendbar sind. Ebenso, dass die Gesellschaft als Vertragspartei ihre Rechte aus der JVA und den Zusatzvereinbarungen selbständig geltend machen kann. Weiters enthält das JVA in Artt 2.10‑2folgende Regelung:
„Klagen der GmbH.
Ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen in diesem JVA oder einer Nebenvereinbarung kann jede von [der Zweitklägerin] zur Durchsetzung ihrer Rechte aus diesem JVA oder jeder Nebenvereinbarung dienende Klage von einer der Gesellschafterinnen [dh Erstklägerin oder Beklagter] nach deren Ermessen eingebracht werden.“ (JVA ./B).
[10] Für das Verhältnis zwischen Bestimmungen des JVA und jenen der Nebenvereinbarungen sieht Art 2.12 JVA vor, dass diese – soweit praktisch möglich – nicht so auszulegen sind, dass sie im Widerspruch zueinander stehen, sondern vielmehr als sich wiederholende, sich gegenseitig bestätigende, zusätzliche oder kumulative Bestimmungen. Bei unauflösbaren Widersprüchen gehen die Bestimmungen des JVA vor.
[11] In Art 7 JVA wird der Begriff des Verzugsereignisses wie folgt definiert: „Für diese Zwecke dieser Vereinbarung ist ein 'Verzugsereignis' […] ein wesentlicher Verstoß oder Verzug bei der Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtungserklärung in dieser JV‑Vereinbarung bzw. in einer Nebenvereinbarung durch eine Gesellschafterin.“ Als Rechtsbehelfe listet Art 7.2 JVA a) das verpflichtende Schiedsverfahren/Streitbeilegung in Art 11.1‑1 JVA, und b) die Auflösung der Gesellschaft gemäß Art 8 JVA. Als sonstige Rechtsbehelfe sind in Art 7.3 die zusätzlich zur Auflösung verfügbare Schadloshaltung nach Art 12 JVA und der Rechtsschutz durch eine einstweilige Verfügung genannt.
Schiedsklauseln:
[12] Das JVA sieht die Anwendung österreichischen Rechts vor (JVA ./B) und enthält in Art 11 eine Schiedsklausel, auf die die Erstklägerin ihre spätere Anrufung des Schiedsgerichts stützte (Schiedsklage ./8). Diese lautet:
„11.1. Streitbeilegung . Die Bestimmungen dieses ARTIKEL 11.0 gelten für sämtliche sich möglicherweise aus dieser Vereinbarung ergebenden Streitigkeiten.
11.1‑1 […]
11.1‑2 Verpflichtendes Schiedsverfahren. Wenn in gutem Glauben geführte Gespräche nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Erhalt der Streitankündigung zur Beilegung der Streitigkeit führen und […], wird die Streitigkeit mittels eines nach der Schiedsordnung der ICC abgewickelten Schiedsverfahrens endgültig entschieden.“ (JVA ./B).
[13] Mehrere Nebenvereinbarungen enthalten jeweils eigene Regelungen zur Streitbeilegung. Die jeweiligen Mechanismen unterscheiden sich dabei von dem im JVA und von denen in anderen Nebenvereinbarungen: Einige schreiben die (ausschließliche) Anrufung staatlicher Gerichte vor, andere enthalten Schiedsklauseln für ICC‑Schiedsgerichte mit drei Schiedsrichtern, wieder andere verweisen auf den Streitbeilegungsmechanismus laut JVA:
[14] Ein Bestands‑ und Superädifikatsvertrag zwischen der Erst‑ und Zweitklägerin vom 19. 4. 2022 sieht die ausschließliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Tulln vor (./17), das Water Supply Agreement zwischen der Erst‑ und Zweitklägerin legt das sachlich zuständige Gericht in St. Pölten als Gerichtsstand fest (./19), im Fire Brigade Agreement zwischen der Erstklägerin, der Zweitklägerin und einer weiteren österreichischen GmbH vom 25. 6. 2021 wird die Zuständigkeit des wertzuständigen Gerichts in St. Pölten vereinbart (./18).
[15] Die drei jeweils am 8. 4. 2019 geschlossenen Nebenvereinbarungen TLA, Technology Sublicense and Royalty Agreements und Technical Support Agreement sehen jeweils die ausschließliche Anrufung eines Schiedsgerichts in Wien bestehend aus drei Schiedsrichtern nach den ICC‑Schiedsregeln vor. Das TLA und das TSA wurden zwischen der Zweitklägerin und der Tochtergesellschaft der Beklagten * LLC, das TSRA zwischen der Erst‑ und Zweitklägerin geschlossen (TLA ./20; TSRA ./21 und TSA ./22).
[16] Das Assignment, Assumption and Guarantee Agreement zwischen den Klägerinnen, der Beklagten und einer weiteren österreichischen GmbHvom 25. 6. 2021, das Essential Services Agreement zwischen den Klägerinnen und einer weiteren österreichischen GmbH vom 25. 6. 2021 und das Project Agreement zwischen der Zweitklägerin und einer österreichischen GmbH sehen für den Konfliktfall ausschließlich den Streitbeilegungsmechanismus laut JVA vor (AAGA ./23; ESA ./24; PA ./26).
[17] Die beiden von den Klägerinnen auch im Schiedsverfahren thematisierten Nebenvereinbarungen RMSA und TLA enthalten konkret folgende Regelungen für den Konfliktfall:
[18] Das RMSA vom 25. 6. 2021 legt in Art 14.1 das für Handelssachen zuständige Gericht im ersten Bezirk in Wien als ausschließlichen Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seiner Erfüllung durch die Vertragsparteien fest (RMSA ./2).
[19] In einer dem Vertragsabschluss vorausgehenden E‑Mail‑Korrespondenz im April 2021 hatte die Zweitklägerin noch vorgeschlagen, diesen Art 14 durch eine Schiedsklausel zu ersetzen, weil die Vollstreckung einer österreichischen Gerichtsentscheidung in den USA problematisch sei. Die Beklagte hatte dies jedoch abgelehnt (./27).
[20] Das TLA sieht in Art 11.07(b) für den Streitfall die Anrufung eines ICC‑Schiedsgerichts in Wien – anders als das JVA allerdings mit drei Schiedsrichtern – vor (TLA ./20).
Zum Schiedsverfahren:
[21] Mit Schiedsklage vom 28. 2. 2023 machte (zunächst nur) die Erstklägerin einen Schadenersatzanspruch von 35 Mio EUR gegen die Beklagte geltend, weil die Beklagte seit Februar 2022 ihre Verpflichtung zur Lieferung von flüssigem Betain an die (spätere) Zweitklägerin verletzt habe. Nach Art 2.10‑2 JVA sei die Erstklägerin aber berechtigt, sich auf die vertragliche Lieferpflicht der Beklagten aus dem RMSA zu verlassen und könne diese auch durchsetzen, insbesondere auch im Namen der (späteren) Zweitklägerin (Schiedsklage ./8). Die Beklagte berufe sich unzulässigerweise auf höhere Gewalt (Schiedsklage ./8; Schiedsspruch ./A). Das Schiedsgericht möge deshalb feststellen, dass die Beklagte das JVA und das RMSA verletzt habe und die Beklagte zur Zahlung von 35 Mio EUR Schadenersatz (samt Zinsen und Kosten) an die Erstklägerin verpflichten (Schiedsklage ./8).
[22] Die Beklagte bestritt diese Ansprüche in ihrer Schiedsklagebeantwortung vom 19. 5. 2023. Die Schiedsklage sei überdies unschlüssig, weil unklar sei, wessen Ansprüche überhaupt geltend gemacht würden. Soweit es um Ansprüche der (späteren) Zweitklägerin gehe, sei eine Prozessstandschaft der Erstklägerin nach österreichischem Recht unzulässig. Im Übrigen ermögliche Art 2.10‑2 JVA gar keine Prozessstandschaft, sondern nur eine Nebenintervention (Klagebeantwortung im Schiedsverfahren ./E; Schiedsspruch ./A).
[23] Den Schriftsatz vom24. 1. 2024 zur Zuständigkeit (dazu und auch im Folgenden vgl Schriftsatz 24. 1. 2024 ./10 = ./G) brachten beide Klägerinnen (im Schiedsverfahren) ein. Sie wiederholten darin, dass die Beklagte das JVA gebrochen habe, konkret durch das Unterbleiben von Betainlieferungen gemäß JVA und RMSA. Außerdem habe die Beklagte ihre Verpflichtungen verletzt, die Zweitklägerin finanziell zu unterstützen und auf ihre Tochtergesellschaft einzuwirken, damit diese das TLA abschließe und aufrechterhalte. Die Erstklägerin habe einerseits eigene Ansprüche aus dem JVA, weil sich die Beklagte darin gegenüber der Erstklägerin zur Lieferung an die damals noch gar nicht gegründete Zweitklägerin verpflichtet habe. Andererseits könne sie gemäß Art 2.10‑2 JVA auch eine actio pro socio auf Leistung an die Zweitbeklagte erheben, ohne dass die Voraussetzungen gemäß § 48 GmbHG vorliegen müssten. In eventu mache nun die Zweitklägerin eigene Ansprüche aus Art 11.2 JVA geltend, dem sie nach ihrer Gründung beigetreten sei. Immerhin umfasse die Definition des Verzugsereignisses nach Art 7.1‑3 JVA auch jede Verletzung von Nebenvereinbarungen, also auch des RMSA. Die Gerichtsstandsvereinbarung im später abgeschlossenen RMSA würde die Schiedsklausel des JVA nicht außer Kraft setzen, sondern beide würden nebeneinander gelten, was sich insbesondere auch aus Art 2.12 JVA zur Auslegung widersprüchlicher Vertragsbedingungen ergebe. Als zweites Eventualbegehren machte die Erstklägerin nach dem JVA Ansprüche der Zweitklägerin insbesondere aus dem RMSA geltend, die die Zweitklägerin ihr am 24. 1. 2024 aufschiebend bedingt abgetreten habe. Die Zession erfolge, wenn der Einzelschiedsrichter zum Entschluss komme, dem Haupt‑ und dem ersten Eventualbegehren nicht stattzugeben.
[24] Die Klägerinnen beantragten im referierten Schriftsatz vom 24. 1. 2024 (./10 = ./G) auszusprechen, dass die Erstklägerin Ansprüche wegen Verletzung des JVA durch Unterlassen der Betainlieferungen geltend machen könne; hilfsweise, dass die Zweitklägerin diese Ansprüche geltend machen könne; in eventu, dass die Erstklägerin Ansprüche wegen Unterlassen der Betainlieferungen gemäß RMSA nach einer Abtretung an die Erstklägerin geltend machen könne. Pflichtverletzungen aus dem TLA fanden keinen Eingang in die Anträge ans Schiedsgericht.
[25] Mit Schriftsatz vom 12. 4. 2024 (vgl ./F) wandte die Beklagte im Schiedsverfahren gegen die Zuständigkeit des Schiedsgerichts ein, dass die Klägerinnen keine Ansprüche aus einer Verletzung des JVA, sondern des RMSA geltend machten. Partei des RMSA und Empfängerin des Betains sei aber nur die Zweitklägerin, nicht die Erstklägerin. Die Erstklägerin könne keine Ansprüche der Zweitklägerin durchsetzen. Außerdem sehe das RMSA bei Streitigkeiten die ausschließliche Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien vor, was auch für prozesstandschaftlich oder nach Abtretung geltend gemachte Ansprüche der Zweitklägerin gelte.
[26] Im Schriftsatz vom 2. 5. 2024 präzisierten die Klägerinnen ihre Zahlungsbegehren mit 70 Mio EUR zahlbar an die Zweitklägerin (Schriftsatz 2. 5. 2024 ./14; Schiedsspruch ./A Rz 138).
[27] Das Schiedsgericht erklärte sich für die Schiedsklage der Klägerinnen unzuständig, gab hingegen der Schiedsklage der Beklagten statt und sprach der Beklagten Kostenersatz zu (vgl dazu und im Folgenden: Schiedsspruch ./A).
[28] Das Schiedsgericht sei weder für das Haupt‑ noch die beiden Eventualschiedsbegehren der Klägerinnen zuständig, weil die geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht unter die Schiedsklausel des JVA fielen. Das JVA und die zwölf Nebenvereinbarungen würden ausdrücklich mehrere verschiedene Streitbeilegungsmechanismen vorsehen. Schadenersatzansprüche aus dem hier relevanten RMSA seien laut dessen Art 14.1 vor staatlichen Gerichten geltend zu machen. Entgegen der Behauptung der Klägerinnen schaffe die Schiedsklausel des JVA keinen übergeordneten Streitbeilegungsmechanismus, der automatisch für alle Streitigkeiten in Zusammenhang mit dem Joint Venture zur Verfügung stehe, allenfalls kumulativ zu einem in der einschlägigen Nebenvereinbarung geschaffenen abweichenden Streitbeilegungsmechanismus. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut des JVA (arg: „Streitigkeiten aus diese r Vereinbarun g“ – Singular) als auch aus der ermittelten Parteienabsicht. Daran ändere auch Art 2.12 des JVA nichts, nach dem (scheinbar) widersprüchliche Bestimmungen im JVA und in Nebenvereinbarungen so zu verstehen seien, dass es sich um zusätzliche oder kumulative Bestimmungen handle. Ebenso wenig würden die Eventualbegehren unter die Schiedsklausel des JVA fallen, also wenn die Zweitklägerin einen eigenen Anspruch geltend mache oder wenn die Erstklägerin einen von der Zweitklägerin abgetretenen Anspruch geltend mache.
[29] Das Schiedsgericht verpflichtete die Klägerinnen zur Tragung der Kosten des Schiedsgerichts von 305.000 USD sowie zum Ersatz der Vertretungskosten der Beklagten von 957.069,65 USD, 142.515,91 EUR und 5.659,48 GBP (Spruchpunkte 1, 3 und 4 im Schiedsspruch ./A).
Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:
Rechtliche Beurteilung
[30] Da keine widersprüchlichen Beweisergebnisse vorliegen, ergeben sich die Feststellungen aus den in Klammern angeführten unbedenklichen Urkunden. Dass auch die nur als Entwurf abgeschlossenen Nebenvereinbarungen mit Ausnahme des Shareholder Contribution Agreement ./25 zwischen den Parteien letztlich abgeschlossen wurden, steht außer Streit.
Daraus folgt als rechtliche Beurteilung:
I. Zum Aufhebungsgrund einer Unzuständigkeitsentscheidung trotz gültiger Schiedsvereinbarung (Z 1)
[31] 1. Gegen einen Schiedsspruch kann nur eine Klage auf gerichtliche Aufhebung gestellt werden. Das gilt auch für Schiedssprüche, mit denen das Schiedsgericht über seine Zuständigkeit abgesprochen hat (§ 611 Abs 1 ZPO).
[32] Ein Schiedsspruch ist ua dann aufzuheben, wenn das Schiedsgericht seine Zuständigkeit verneint hat, obwohl eine gültige Schiedsvereinbarung vorhanden ist (§ 611 Abs 2 Z 1 Fall 2 ZPO). Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs analog anzuwenden, wenn das Schiedsgericht eine Sachentscheidung aus anderen Gründen als dem Fehlen einer Schiedsvereinbarung ablehnt, etwa bei fehlender Deckung des Antrags durch eine an sich vorliegende Schiedsvereinbarung (18 OCg 6/20m ErwGr 1. mwN).
[33] 2.1. Die Auslegung einer Schiedsklausel bestimmt sich nach dem Schiedsvereinbarungsstatut. Schon mit Blick auf die hier unstrittige Rechtswahl im JVA ist damit österreichisches Recht anwendbar.
[34] 2.2. Welche Streitigkeiten von der Schiedsvereinbarung umfasst sind, ist durch Auslegung ihres Inhalts zu ermitteln (RS0018023). Mangels feststellbaren übereinstimmenden Parteiwillens, ist die Schiedsvereinbarung vernünftig und ihren Zweck begünstigend auszulegen (RS0018023 [T3]). Schiedsklauseln sind ausdehnend auszulegen (RS0045337 [T1]), weil die Parteien typischerweise beabsichtigen, alle aus dem betreffenden Rechtsverhältnis folgenden Streitigkeiten der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen und eine Aufspaltung der Zuständigkeiten zu vermeiden (18 OCg 6/20m ErwGr 3.2. mwN). Lässt der Wortlaut der Erklärung zwei gleichwertige Auslegungsergebnisse zu, so gebührt daher jener Auslegung der Vorzug, die die Anwendbarkeit des Schiedsvertrags favorisiert (RS0018023 [T4]).
[35] 3. Die Klägerinnen argumentieren, dass das Schiedsgericht in seiner Unzuständigkeitsentscheidung ihre Ansprüche unzulässigerweise schon inhaltlich geprüft habe. So habe es etwa die Aktivlegitimation der Erstklägerin für Ansprüche aus den unterbliebenen Lieferungen an die Zweitklägerin verneint. Richtigerweise hätte es jedoch bei diesen doppelrelevanten Tatsachen die Klagsbehauptungen ungeprüft zugrunde legen müssen.
[36] 3.1. Ob ein staatliches Gericht oder ein Schiedsgericht ohne Zwangskompetenz zu entscheiden hat, ist nach gesicherter Rechtsprechung keine Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern der sachlichen Zuständigkeit (RS0039817; RS0039844). Ist das angerufene Gericht nicht zuständig, liegt nur eine verzichtbare (prorogable) sachliche Unzuständigkeit vor (RS0039844 [T1, T4]; vgl auch RS0133455).
[37] 3.2. Nach der von den Klägerinnen angesprochenen Lehre der doppelrelevanten Tatsachen sind bei Zuständigkeitsprüfungen die vom Kläger aufgestellten Tatsachenbehauptungen dem Verfahren ohne weitere Überprüfung auf ihre Richtigkeit zugrundezulegen (RS0039817 [T4]), soweit diese sowohl die Zuständigkeit als auch den Anspruch begründen (vgl RS0056159; RS0050455 [Arbeitsgerichtsbarkeit]; RS0116404 [internationale Zuständigkeit]). Gegenbehauptungen des Beklagten, die die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und zugleich den Klagsanspruch widerlegen sollen, werden im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nicht verifiziert (RS0056159 [T2]; vgl auch RS0115860 [T4]; RS0050455 [T1]). Erweisen sie sich im weiteren Verfahren als zutreffend, weist das Gericht die Klage nicht wegen Unzuständigkeit zurück, sondern wegen Unbegründetheit des Anspruchs ab (RS0056159 [T2]).
[38] 3.3. Es erscheint keinesfalls zwingend, dass die aufgezeigten und für die Zuständigkeitsprüfung staatlicher Gerichte entwickelten Grundsätze notwendigerweise auch im Schiedsverfahren uneingeschränkt gelten sollen.
[39] 3.3.1. Schiedsgerichten mangelt es nämlich im Unterschied zu staatlichen Gerichten an einer verfassungsrechtlich eingeräumten Rechtsprechungsbefugnis. Ihre „Kompetenz‑Kompetenz“, also die Berechtigung des Schiedsgerichts, sich selbst für (un)zuständig zu erklären, ist daher keine Selbstverständlichkeit (Rechberger in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I [2011] Rz 6/103).
[40] Schiedsgerichten mit Sitz in Österreich räumt die zwingende (vgl § 594 Abs 1 ZPO, Markowetz in Czernich/Deixler‑Hübner/Schauer, Handbuch Schiedsrecht [2018] Rz 11.69) Norm § 592 ZPO diese „Kompetenz‑Kompetenz“ ein (vgl RV 1158 BlgNR 22. GP , 10 [zu § 584 ZPO] und 15 [zu § 592 ZPO]): Nach § 592 Abs 1 S 1 ZPO entscheidet das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit. Die Entscheidung kann nach S 2 leg cit mit der Entscheidung in der Sache getroffen werden, aber auch gesondert in einem eigenen Schiedsspruch. Nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung ist eine Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts spätestens mit dem ersten Vorbringen zur Sache zu erheben. § 592 ZPO setzt also das Recht des Schiedsbeklagten voraus, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts anzuzweifeln.
[41] „Das letzte Wort“ über die Zuständigkeit von Schiedsgericht oder staatlichem Gericht kommt aber letzterem zu (RV 1158 BlgNR 22. GP , 15; vgl auch Markowetz in Czernich/Deixler‑Hübner/Schauer, Handbuch Schiedsrecht [2018] Rz 11.68; Kratzsch/Schumacher/Jaisli Kull in Torggler/Schäfer/Wong/Mohs/Wedl, Schiedsgerichtsbarkeit Deutschland‑Österreich‑Schweiz³ [2024] Rz 898). Zur rascheren Klärung der Zuständigkeitsfrage im Interesse der Parteien hat das SchiedsRÄG 2006 die Möglichkeit eines „Zwischen“-Schiedsspruchs über die Zuständigkeit geschaffen, der nach § 611 Abs 2 Z 1 Fall 2 ZPO einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden kann (RV 1158 BlgNR 22. GP , 15).
[42] 3.3.2. Bei der letztlich maßgeblichen Zuständigkeitsentscheidung des Obersten Gerichtshofs reicht allein die Behauptung eines von der Schiedsklausel umfassten Sachverhalts für die Bejahung des Schiedsgerichts nicht aus (Kratzsch/Schumacher/Jaisli Kull in Torggler/Schäfer/Wong/Mohs/Wedl, Schiedsgerichtsbarkeit Deutschland‑Österreich‑Schweiz³ [2024] Rz 959). Andernfalls hätte es jeder Schiedskläger in der Hand, durch bloße schlüssige Behauptung eines von einer Schiedsvereinbarung gedeckten Anspruchs, seinen Prozessgegner vor ein nicht durch die Vereinbarung der Parteien legitimiertes Schiedsgericht zu zwingen und dessen Justizgewährungsanspruch auf ein staatliches Forum in letztlich unüberprüfbarer Weise zu umgehen (vgl zur Schweizer Rechtslage zB SchwBGer 19. 1. 2006, 4P.298/2005 [Pkt 2.2] mwN).
[43] Wird im Aufhebungsverfahren auf die wahre Sachlage und nicht bloß auf das schlüssige Klagsvorbringen abgestellt, so darf auch das Schiedsgericht nicht an einer beweisfesten Prüfung seiner Zuständigkeit gehindert sein. Andernfalls würde sein Zuständigkeitsschiedsspruch ex post an einem Standard gemessen, dem er ex ante gar nicht unterlag (Zeyher/Lieberknecht, Doppelrelevante Umstände im Schiedsverfahrensrecht, ZZP 134 [2021] 464).
[44] 3.3.3. Der Senat teilt daher die Rechtsansicht der Klägerinnen nicht, dass es dem Schiedsrichter schon ganz grundsätzlich verwehrt gewesen wäre, seine Unzuständigkeit auszusprechen, nur weil sie sich in der Klage darauf berufen haben, Ansprüche aus dem JVA geltend zu machen.
[45] 3.3.4. Gerade im vorliegenden Fall ist die Prüfung der Zuständigkeit durch das Schiedsgericht von besonderer Bedeutung. Immerhin schlossen die Parteien des Schiedsverfahrens (und zT einige weitere juristische Personen) für das Joint Venture über ein Dutzend Verträge in wechselnden Personenkonstellationen. Diese Verträge sehen ausdrücklich verschiedene Vorgangsweisen für den Konfliktfall vor: Schiedsklauseln oder Gerichtsstandsvereinbarungen für diverse staatliche Gerichte, teils mit der Vorgabe, dass der vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus ausschließlich gelten solle.
[46] Gerade in einer solchen Konstellation ist es unerlässlich, dass ein angerufenes Tribunal prüft, welcher Vereinbarung und damit welchem der zahlreichen Streitbeilegungsmechanismen die geltend gemachten Ansprüche zuzuordnen sind. Die Auslegungsregel, dass sich die in einem Vertrag vereinbarte Schiedsklausel im Zweifel auch auf andere Streitigkeiten in Zusammenhang mit dem Vertrag beziehe, gilt nämlich gerade nicht für Streitigkeiten aus anderen Verträgen zwischen den Parteien, mögen diese auch in einem Zusammenhang stehen (RS0045337 [T3]).
[47] 4. Die Auslegung durch das ICC‑Schiedsgericht entspricht den hier referierten Grundsätzen.
[48] Auf Basis einer umfassenden Prüfung hat es den Wortlaut der verschiedenen Vertragstexte, insbesondere die unterschiedlichen Schiedsklauseln entsprechend den allgemeinen Regeln für die juristische Interpretation ausgelegt. Dem Ergebnis dieser methodisch einwandfreien Analyse schließt sich der Senat an.
[49] 4.1.1. Die Klägerinnen argumentieren in der Aufhebungsklage, die Gerichtsstandsklausel des RMSA schaffe (aus Kostengründen) nur einen zusätzlichen Gerichtsstand bei den staatlichen Gerichten, lasse daneben aber die Möglichkeit, wegen Verletzungen das im übergeordneten JVA geschaffene Schiedsgericht anzurufen, bestehen. Dies ergebe sich klar aus Art 2.12 JVA über die Auslegung bei (scheinbaren) Widersprüchen.
4.1.2. Dem ist entgegenzuhalten:
[50] Art 2.12 JVA gibt zunächst nur den allgemeinen Auslegungsgrundsatz wieder, dass Normen – egal, ob Gesetze oder Vertragsbestimmungen – möglichst so auszulegen sind, dass ihnen ein zulässiger Anwendungsbereich bleibt. Bei unauflöslichen Widersprüchen zwischen Bestimmungen des JVA und einer Nebenvereinbarung legt Art 2.12 einen Anwendungsvorrang des JVA fest.
[51] Angesichts der vielen unterschiedlichen Regeln für die Konfliktbereinigung in den zahlreichen Vertragswerken kann ein versehentliches Abweichen von einer grundsätzlich angestrebten Universallösung aber ausgeschlossen werden. Die Parteien haben vielmehr für verschiedene Sachverhalte offensichtlich gewollt verschiedene Rechtsfolgen vereinbart. Weil die Parteien für verschiedene Ansprüche aus verschiedenen Verträgen im Zusammenhang mit dem Joint Venture bewusst unterschiedliche Streitbeilegungsmechanismen vorsahen, ist damit auch kein Anwendungsfall für die Zweifelsregeln nach Art 2.12 JVA gegeben.
[52] Die Ansicht der Klägerinnen, dass das Schiedsgericht nach JVA aufgrund von Art 2.12 JVA immer zusätzlich zur Verfügung stehen soll, wird sowohl durch den Wortlaut der verschiedenen Regelungen (insbesondere mehrere ausschließliche Gerichtsstände) als auch die E‑Mail‑Korrespondenz vor Abschluss des RMSA klar widerlegt. Aus diesem Grund ist auch die bereits im Schiedsverfahren ins Treffen geführte kurze Zurückweisungsentscheidung 2 Ob 65/13t hier nicht einschlägig, wo die Relevanz einer späteren abweichenden Gerichtsstandsvereinbarung zu beurteilen war, die anders als im RMSA gerade keine ausschließliche war.
[53] 4.2.1. Die Klägerinnen wollen anhand mehrerer Passagen des JVA ableiten, dass die Wortfolge „diese Vereinbarung“ (Singular) im JVA oft auch alle Nebenvereinbarungen mitumfasse, konkret in Art 7.1‑3 JVA und Art 15.5 JVA. Dies gelte daher für die Schiedsklausel in Art 11 JVA, die somit nach richtiger Auslegung alle Ansprüche in Zusammenhang mit dem Joint Venture umfasse. Außerdem weise Art 7 JVA alle Verfahren wegen Vertragsverletzungen (auch aus Nebenvereinbarungen) dem Schiedsgericht zu.
[54] 4.2.2. Auch diese Argumentationslinie überzeugt den Senat nicht. Tatsächlich wird das JVA im Vertragstext nämlich zumeist als „JV Agreement“ bezeichnet, in einigen Fällen jedoch einfach nur als „Agreement“. So wird etwa in Art 2.1 festgelegt, dass die Vertragsparteien „following the execution of this Agreement“ die Zweitklägerin gründen werden. Damit kann eindeutig nur das JVA und nicht – nach der Leseart der Klägerinnen – das JVA sowie sämtliche Nebenvereinbarungen gemeint sein, weil zahlreiche Nebenvereinbarungen ja von der erst zu gründenden Zweitklägerin geschlossen werden müssen.
[55] 4.3.1. Die Klägerinnen sehen ihr Verständnis der Schiedsklausel im JVA schließlich auch durch den Zweck der Klausel bestätigt, weil Urteile österreichischer Gerichte in den USA nicht vollstreckt würden.
[56] 4.3.2. Ob die Vollstreckung von Urteilen österreichischer Gerichte in den USA auch nach dem innerstaatlichen Recht sämtlicher Bundesstaaten tatsächlich kategorisch unmöglich ist, kann hier dahinstehen. Aus der festgestellten E‑Mail‑Korrespondenz zum RMSA ist jedenfalls ersichtlich, dass die Vollstreckungsproblematik den Vertragsparteien bei Formulierung des Vertragstextes bewusst war und die Beklagte (dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen) auf der ausschließlichen Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Streitigkeiten aus dem RMSA beharrte.
[57] Außerdem gründeten die Erstklägerin und die Beklagte bei ihrem Joint Venture gemeinsam die österreichische Zweitklägerin und bauten in weiterer Folge gemeinsam eine Produktionsanlage in Österreich auf. Wegen des so geschaffenen Vermögens der Beklagten im Inland war auch nicht zwingend anzunehmen, dass Entscheidungen im Konfliktfall in den USA vollstreckt werden müssten.
[58] 4.4.1. Schließlich monieren die Klägerinnen, dass die Auslegung der Schiedsklausel im JVA durch das Schiedsgericht im Ergebnis einem pactum de non petendo gleichkomme: Die Erstklägerin sei nicht Partei des RMSA, könne also aus diesem Vertrag nicht (somit auch nicht vor staatlichen Gerichten) klagen. Für die Verletzung des übergeordneten JVA sehe das Schiedsgericht sich nicht zuständig.
[59] 4.4.2. Diese Argumentation übersieht, dass sowohl die Zweitklägerin originäre Ansprüche als auch die Erstklägerin allenfalls abgetretene oder als actio pro socio geltend zu machende Ansprüche vor dem im RMSA bestimmten Forum geltend machen können.
[60] Im Übrigen steht die Unzuständigkeitsentscheidung des Schiedsgerichts – anders als eine Abweisung der Schiedsklage – einer neuerlichen Einklagung desselben Anspruchs vor einem anderen Forum gerade nicht entgegen (Zeyher/Lieberknecht, Doppelrelevante Umstände im Schiedsverfahrensrecht, ZZP 134 [2021], 455, 467). Ein allenfalls angerufenes staatliches Gericht in Österreich könnte sich in diesem Fall nicht mehr unter Hinweis auf die Zuständigkeit des bereits zuvor vergeblich angerufenen Schiedsgerichts für unzuständig erklären (§ 584 Abs 2 ZPO).
[61] 4.5.1. Zuletzt monieren die Klägerinnen, dass sie ihre Ansprüche nicht nur auf Verletzungen des JVA und des RMSA, sondern auch des TLA gestützt hätten. Diese Anspruchsgrundlage berücksichtige das Schiedsgericht in seiner Zuständigkeitsentscheidung aber nicht, obwohl das Schiedsgericht laut Schiedsspruch für Ansprüche aus dem TLA sehr wohl zuständig wäre.
[62] 4.5.2. Tatsächlich erwähnen die Klägerinnen in ihrem im Schiedsverfahren eingebrachten Schriftsatz vom 24. 1. 2024 auch, dass die Beklagte ihre Vertragspflichten aus dem TLA verletzt hätte. Diese Pflichtverletzungen werden aber weder durch Tatsachenbehauptungen konkretisiert noch finden sie Eingang in die Anträge an das Schiedsgericht. Die Anträge beschränken sich vielmehr weiterhin auf Ansprüche wegen Verletzung von Lieferpflichten und bezeichnen konkret das JVA und das RMSA als Anspruchsgrundlagen.
[63] Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass für Streitigkeiten aus dem TLA zwar auch ein ICC‑Schiedsgericht in Wien anzurufen wäre, dieses jedoch anders zu besetzten als das nach der JVA‑Schiedsklausel: Während das Schiedsgericht nach JVA aus einem branchenkundigen Einzelschiedsrichter bestehen muss, ist jenes für Streitigkeiten aus dem TLA aus drei Schiedsrichtern zu bilden.
II. Aufhebungsgründe Verletzung des rechtlichen Gehörs (Z 2) und des verfahrensrechtlichen ordre public (Z 5)
[64] 1. Die Klägerinnen sehen sich in ihrem rechtlichen Gehör verletzt, weil der Schiedsrichter die Verhandlung auf die Zuständigkeitsfrage eingeschränkt, aber trotzdem die Ansprüche der Klägerinnen inhaltlich geprüft und verneint habe.
[65] Der Schiedsrichter traf – entgegen der Rechtsansicht der Klägerinnen – aber gerade keine Entscheidung in der Sache (vgl zB Rz 411 im Schiedsspruch ./A: „Ungeachtet dessen, ob hier ein Reflexschaden vorliegt oder nicht – was tatsächlich eine Frage zur Sache wäre – zieht der Einzelschiedsrichter für die vorliegende Verfahrensfrage einen wichtigen Schluss aus dem OGH-Entscheid: […]“).
[66] Zur Zuständigkeit hatten und nutzten die Klägerinnen sogar mehrfach die Möglichkeit, Schriftsätze einzubringen. Das Prozessprogramm des Schiedsgerichts, zuerst die Aktivlegitimation zu klären, beruhte sogar auf dem Vorschlag der Klägerinnen und einer entsprechenden Einigung der Parteien.
[67] Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder des verfahrensrechtlichen ordre public im Sinn der Aufhebungsgründe Z 2 bzw Z 5 haben die Klägerinnen damit nicht erfolgreich aufgezeigt.
[68] 2. Zuletzt subsumieren die Klägerinnen das Argument eines pactum de non petendo auch unter diese Aufhebungsgründe. Dazu kann auf die Ausführungen zu II.4.4.1. und II.4.4.2. verwiesen werden.
[69] III. Die Kostenentscheidung beruht dem Grunde nach auf § 41 ZPO und der Höhe nach auf dem Kostenverzeichnis der Beklagtenvertreterin, gegen das die Klägerinnen keine Einwendungen erhoben. Die Honorierung des vorbereitenden Schriftsatzes wurde letztendlich nicht verzeichnet.
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