OGH 7Ob66/25v

OGH7Ob66/25v21.5.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende unddie Hofrätinnen und Hofräte Mag. Malesich, Dr. Weber, Mag. Fitz und Mag. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. R* B*, 2. H* O*, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Verein *, vertreten durch den Kurator nach § 8 ZPO Dr. Joachim Zierler, Rechtsanwalt in Graz, und des Nebenintervenienten M* M*, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung der Nichtigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses, infolge Revisionsrekurse der klagenden Parteien und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 13. Februar 2025, GZ 6 R 7/25f‑101, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑West vom 29. November 2024, GZ 88 C 25/24w‑93, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00066.25V.0521.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass er lautet:

„Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Nebenintervenient ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 552,66 EUR (darin enthalten 92,11 EUR an USt) und der beklagten Partei die mit 503 EUR (darin enthalten 84 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Der Nebenintervenient ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 662,48 EUR (darin enthalten 110,41 EUR an USt) und der beklagten Partei die mit 602 EUR (darin enthalten 100 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Mit ihrer am 25. 4. 2022 eingebrachten Klage begehrten die Kläger die Feststellung, dass der Beschluss der Generalversammlung des beklagten Vereins vom 26. 4. 2021, mit dem der beklagte Verein aufgelöst worden war, nichtig sei; in eventu begehrten sie die Aufhebung der von der Generalversammlung am 26. 4. 2021 beschlossenen Auflösung des beklagten Vereins. Die Kläger seien Mitglieder des beklagten Vereins.

[2] Der Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

[3] Mit Schriftsatz vom 2. 2. 2023 erklärte der Nebenintervenient seinen Beitritt auf Seiten des Beklagten. Er sei Mitglied und Obmann des rechtswirksam aufgelösten Vereins gewesen.

[4] Mit Urteil vom 15. 10. 2024 gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und stellte fest, dass der Beschluss der Generalversammlung des Beklagten vom 26. 4. 2021, mit dem der Beklagte aufgelöst worden sei, nichtig sei.

[5] Am 31. 10. 2024 gab der Beklagte einen Rechtsmittelverzicht ab.

[6] Am 13. 11. 2024 brachte der Nebenintervenient eine Berufunggegen das genannte Urteil ein.

[7] Der Beklagte zog mit Eingabe vom 29. 11. 2024 die Berufung des Nebenintervenienten zurück.

[8] Mit seinem Beschluss vom 29. 11. 2024 nahm das Erstgericht die Zurückziehung der Berufung durch den Beklagten zur Kenntnis.

[9] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Nebenintervenienten Folge und behob den angefochtenen Beschluss ersatzlos. Der Rekurs sei zulässig und auch berechtigt. Der Nebenintervenient sei als streitgenössischer Nebenintervenient zu beurteilen. Ein von einem solchen erhobenes Rechtsmittel könne von der Partei nicht zurückgenommen werden.

[10] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil es von der Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Beschluss, mit dem eine Rechtsmittelrückziehung zur Kenntnis genommen wird, abgewichen sei und oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Vereinsmitglied, das in einem Verfahren nach § 7 VerG auf der Seite des beklagten Vereins beigetreten sei, als streitgenössischer Nebenintervenient anzusehen sei.

[11] Gegen diesen Beschluss wenden sich die Revisionsrekurse der Kläger und desBeklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Kläger und derBeklagte erachten in ihren Revisionsrekursbeantwortungen den jeweiligen Revisionsrekurs der gegnerischen Hauptpartei als zutreffend.

[13] Der Nebenintervenient beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, die Revisionsrekurse der Kläger und desBeklagten zurückzuweisen; hilfsweise ihnen keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revisionsrekurse sind zulässig, sie sind auch berechtigt.

[15] 1.1 Nach der ständigen und einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind an den Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem die Zurücknahme der Berufung zur Kenntnis genommen wird, keine rechtlichen Wirkungen geknüpft. War daher die Zurückziehung unwirksam – zum Beispiel weil der betreffende Schriftsatz nicht durch einen Anwalt unterfertigt war – so kann das Berufungsverfahren ohne Weiteres fortgesetzt werden (RS0042035; vgl 3 Ob 105/07y). Diese Rechtsprechung geht insbesondere auf die Entscheidung 4 Ob 94/66 = JBl 1968, 94, zurück, in der ausdrücklich ausgesprochen wurde, dass die Zurücknahme der Berufung allein schon durch ihre Abgabe wirkt. Der Beschluss, mit dem die Rücknahme der Berufung zur Kenntnis genommen wird, ist daher unanfechtbar (RS0042035 [T1]).

[16] 1.2 Dies wird von der herrschenden Lehre gebilligt:Es sei in der Praxis üblich und zur Klarstellung auch sinnvoll, dass das (Erst‑) oder Berufungsgericht die Rücknahme der Berufung mit deklarativem Beschluss zur Kenntnis nehme. An einen solchen Beschluss würden sich aber keine rechtlichen Wirkungen knüpfen, er stehe einer Erledigung der Berufung nicht im Wege, wenn die Zurücknahme der Berufung unwirksam gewesen sei (zB wegen Verletzung der Anwaltspflicht). Der Beschluss, mit dem die Rücknahme der Berufung zur Kenntnis genommen werde, sei daher unanfechtbar (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 484 ZPO Rz 14; G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON [Stand 9. 10. 2023, rdb.at] § 484 ZPO Rz 8 f; derselbe in Rechberger/Klicka 5 § 484 ZPO Rz 4; Klauser/Kodek, ZPO17 [2012] § 484 ZPO E4, E4a; Fucik/Klauser/Kloiber, ZPO13 § 484 [Stand 1. 12. 2022, rdb.at];krit Fasching 1 IV 24 Anm 21; dann aber offenbar zustimmend Fasching 1 IV 175 Anm 2, krit Obermaier in Höllwerth/Ziehensack 1 Taschenkommentar § 484 ZPO Rz 3).

[17] 2. Von der von der herrschenden Lehre gebilligten Rechtsprechung abzugehen, besteht kein Anlass. Die Frage der Wirksamkeit der Zurückziehung eines Rechtsmittels ist über Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch Vorlage des Rechtsmittels an die Rechtsmittelinstanz zu klären. Die – über einen unzulässigen Rekurs ergangene – Entscheidung des Rekursgerichts war daher abzuändern und der unzulässige Rekurs zurückzuweisen.

[18] 3. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Unterliegt der Nebenintervenient – wie hier – in einem von ihm eingeleiteten Zwischenstreit über seine prozessuale Stellung als einfacher oder streitgenössischer Nebenintervenient, wird er den Parteien kostenersatzpflichtig (4 Ob 3/24f = RS0134865). Der Beklagte, der im Rechtsmittelverfahren nur dem Nebenintervenienten gegenübersteht, hat keinen Anspruch auf Streitgenossenzuschlag. Die – dem Revisionsrekurs der jeweiligen anderen Hauptpartei – zustimmenden Revisionsrekursbeantwortungen dienen nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

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