OGH 5Ob24/25b

OGH5Ob24/25b30.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen E*, geboren * 2011, über den Revisionsrekurs der Mutter S*, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 16. Dezember 2024, GZ 2 R 240/24d‑42, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 30. Oktober 2024, GZ 5 Ps 118/23w‑6, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00024.25B.0430.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 30. 10. 2024 sprach das Erstgericht – im zweiten Rechtsgang (5 Ob 150/24f) – aus, dass die vom Kinder‑ und Jugendhilfeträger ab 6. 5. 2024 gesetzte Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme der Unterbringung des Kindes in einer Krankenanstalt „bzw“ in einem Heilpädagogischen Zentrum ab 14. 5. 2024, 24:00 Uhr, unzulässig gewesen sei.

[2] Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Antrag des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers nach § 211 Abs 1 ABGB verfristet sei. Die von ihm ohne Zustimmung der zur Obsorge berechtigten Mutter organisierte Fremdunterbringung des Kindes zunächst in der Krankenanstalt und dann im Heilpädagogischen Zentrum sei als eine einzige Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme anzusehen, die am 6. 5. 2024 begonnen habe. Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger hätte seinen Antrag auf Übertragung der Obsorge daher innerhalb der achttägigen Frist des § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB, also bis spätestens 14. 5. 2024, 24:00 Uhr, bei Gericht einbringen müssen. Tatsächlich habe er den Antrag aber erst am 21. 5. 2024 eingebracht. Diese Fristversäumnis habe automatisch dazu geführt, dass die Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme ihre Legitimität verloren habe und ab dem Fristablauf unzulässig gewesen sei. Da die Maßnahme zwischenzeitig beendet worden sei, sei (nur) dies gemäß § 107a Abs 2 AußStrG auszusprechen gewesen.

[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers – im Ergebnis – Folge, hob den Beschluss des Erstgerichts auf und verwies die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[4] Angesichts der Schwere des Eingriffs könne sich der Kinder‑ und Jugendhilfeträger nicht auf eine bloß schlüssige Zustimmung der Mutter zur Unterbringung berufen. Mit dem Erstgericht sei daher davon auszugehen, dass der Kinder‑ und Jugendhilfeträger bereits mit der Unterbringung des Kindes im Krankenhaus am 6. 5. 2024 eine Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme gesetzt habe, die er spätestens am 14. 5. 2024 dem Gericht bekanntgeben hätte müssen. Da er dies nicht getan habe, sei die Maßnahme am 15. 5. 2024 um 0:00 Uhr von selbst außer Kraft getreten. Eine gerichtliche Feststellung dieses Außer‑Kraft‑Tretens sei aber nicht vorgesehen. Dementsprechend habe das Erstgericht die Maßnahme auch nicht für ab dem genannten Zeitpunkt rechtlich unwirksam erklärt, sondern für unzulässig. Es habe daher eine Entscheidung nach § 107a Abs 2 AußStrG getroffen, wie sie die Mutter auch unzweifelhaft beantragt habe. Ob und wie lange die Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme im vorliegenden Fall rechtmäßig gewesen sei, könne aber noch nicht beurteilt werden. Das Erstgericht habe zunächst nach Verfahrensergänzung die für diese Beurteilung erforderlichen Feststellungen zu treffen, bevor es über den Antrag der Mutter neuerlich entscheide.

[5] Das Rekursgericht traf keinen Ausspruch zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Gemäß § 64 Abs 1 AußStrG ist ein Beschluss, mit dem das Rekursgericht einen Beschluss des Gerichts erster Instanz aufgehoben und diesem eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen hat, nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs zulässig ist. Fehlt ein solcher Ausspruch, ist jedes Rechtsmittel, auch ein außerordentlicher Revisionsrekurs, jedenfalls unzulässig (RS0030814). Auch eine Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG ist in diesem Fall gemäß § 64 Abs 2 AußStrG nicht zulässig (5 Ob 150/24f; 6 Ob 4/24t; 6 Ob 141/21k).

[7] 2. § 64 Abs 1 AußStrG gilt nur für „echte“ Aufhebungsbeschlüsse (5 Ob 150/24f; RS0111919 [T3]; RS0007218 [T1]). Ein echter Aufhebungsbeschluss liegt vor, wenn eine bestimmte Frage, über die eine selbstständige Entscheidung zu ergehen hat, vom Gericht zweiter Instanz noch nicht abschließend erledigt wird, sondern hierüber eine neuerliche Entscheidung des Erstgerichts ergehen soll (5 Ob 150/24f; 6 Ob 141/21k; RS0044037 [T15]; vgl RS0044033 [T3]). Hingegen liegt eine in Wahrheit abändernde Entscheidung des Rekursgerichts vor, wenn in der Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses zugleich auch die abschließende Entscheidung über die Unzulässigkeit oder die Unrichtigkeit der Entscheidung der ersten Instanz oder über eine in dieser Entscheidung aufgeworfene und für diese Entscheidung ausschlaggebende Frage liegt, sodass über den bisherigen Entscheidungsgegenstand nicht mehr abzusprechen ist, weil dies inhaltlich bereits durch den Beschluss des Rekursgerichts geschah (5 Ob 150/24f; 6 Ob 141/21k; RS0044035; RS0007218). Dies trifft etwa auf Beschlüsse zu, mit denen ein Antrag oder ein Rechtsmittel aus formellen Gründen, beispielsweise wegen des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen, zurückgewiesen wird (5 Ob 150/24f; 6 Ob 141/21k mwN).

[8] 3. Im vorliegenden Fall liegt ein echter Aufhebungsbeschluss vor, weil das Rekursgericht keine abschließende Entscheidung über die seinem Verständnis nach in diesem Verfahren aufgrund der Anträge der Mutter nach § 107a Abs 2 AußStrG zu prüfende Zulässigkeit der stationären Unterbringung des Kindes in der Krankenanstalt und dem Heilpädagogischen Zentrum getroffen hat, sondern dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung darüber nach Ergänzung der Feststellungen auftrug.

[9] Die Revisionsrekurswerberin argumentiert, es liege in Wahrheit eine „abändernde“ Entscheidung vor, weil das Rekursgericht in seiner Begründung die Auffassung des Erstgerichts zum Außer‑Kraft‑Treten der Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme zufolge Verfristung des Antrags nach § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB ausdrücklich teile und damit dessen Entscheidung bestätige. Diese Argumentation basiert auf der Behauptung, das Rekursgericht lege seiner Entscheidung ein falsches Verständnis vom Entscheidungsgegenstand zu Grunde. Nicht die nach den Voraussetzungen des § 181 ABGB zu prüfende Zulässigkeit der Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme zwischen dem 6. 5. und dem 14. 5. 2024 sei Gegenstand des Verfahrens, sondern (nur) deren Außer-Kraft-Treten zufolge Verfristung der Antragstellung. Die damit behauptete unrichtige rechtliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands ändert aber nichts daran, dass das Rekursgericht weder über die Zulässigkeit und Aufrechterhaltung der Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme nach den Voraussetzungen des § 181 ABGB noch über deren Außer‑Kraft‑Treten zufolge Verfristung der Antragsstellung eine abschließende Entscheidung getroffen hat. Das in der Begründung seiner Entscheidung bejahte Außer‑Kraft‑Treten der Gefahr‑in‑Verzug‑Maßnahme mit 15. 5. 2024 ist lediglich als gemäß § 61 AußStrG überbundene Rechtsansicht des Rekursgerichts und erledigter Streitpunkt zu verstehen, der im fortzusetzenden Verfahren vor dem Erstgericht und dem Rekursgericht nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann (6 Ob 104/22w; vgl RS0042031 [T2, T21 zum Außerstreitverfahren]).

[10] Der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts, der keinen Zulässigkeitsausspruch enthält, ist daher absolut unanfechtbar (RS0030814).

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