European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050NC00001.25D.0430.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Akten werden dem Bezirksgericht Telfs zurückgestellt.
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der dem Bezirksgericht Telfs übermittelte Antrag des in Lettland lebenden Vaters, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem volljährigen Sohn herabzusetzen. Nach den Meldedaten aus dem Zentralen Melderegister lag der Wohnsitz des Antragsgegners schon zum Zeitpunkt der Antragstellung im Sprengel des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien.
[2] Mit Beschluss vom 7. 11. 2024 erklärte sich das Bezirksgericht Telfs für unzuständig und überwies die Rechtssache gemäß § 44 JN an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien.
[3] Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien stellte diesen Beschluss – entgegen § 44 Abs 2 JN – nicht zu, sondern fasste am 18. 12. 2024 den Beschluss, dass die Übernahme der Zuständigkeit („zur Besorgung dieser Unterhaltssache gemäß § 44 JN im Sinne des Beschlusses des Bezirksgericht Telfs“) abgelehnt werde. Das Bezirksgericht Telfs habe sich mit der Erteilung eines Verbesserungsauftrags und der Aufforderung des Antragsgegners zur Stellungnahme bereits in das Unterhaltsverfahren eingelassen. Es liege daher kein Zweckmäßigkeitsgrund vor, der eine Übertragung der Zuständigkeit rechtfertige.
[4] Den Akt stellte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zurück, ohne seinen eigenen Beschluss zugestellt zu haben. Das Bezirksgericht Telfs legte daraufhin den Akt dem Obersten Gerichtshof nach § 47 JN zur Entscheidung über den Zuständigkeitskonflikt vor.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die Aktenvorlage ist verfehlt.
[6] 1. Eine Entscheidung nach § 47 JN für Streitigkeiten zwischen in verschiedenen Oberlandesgerichtssprengeln liegenden Gerichten hat durch den Obersten Gerichtshof als einzigem übergeordnetem höherem Gericht zu erfolgen (§ 47 Abs 1 JN), und zwar gemäß § 6 OGHG im Fünfrichtersenat (RS0126085).
[7] 2. Voraussetzung für eine Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt iSd § 47 JN durch den Obersten Gerichtshof ist, dass zwei rechtskräftige einander widersprechende, die Zuständigkeit verneinende Beschlüsse vorliegen (RS0046299; RS0046354; RS0046374; RS0118692); was wiederum die wirksame Zustellung der jeweiligen Beschlüsse voraussetzt (RS0118692 [T6]; vgl auch RS0046299 [T2, T6]). DieseVoraussetzung gilt auch in der Konstellation eines vom Adressatgericht nicht akzeptierten Überweisungsbeschlusses nach § 44 JN (8 Nc 10/24y mwN).
[8] 3. Ein gemäß § 47 Abs 1 JN vom Obersten Gerichtshof zu entscheidender Kompetenzkonflikt liegt hier nicht vor:
[9] Das Bezirksgericht Telfs hat die seiner Ansicht nach bestehende Unzuständigkeit zwar in Beschlussform ausgesprochen und das Bezirksgericht Innere Stadt Wien hat die „Übernahme der Zuständigkeit“ in Beschlussform abgelehnt. Aber keiner dieser Beschlüsse wurde den Parteien bisher zugestellt, sodass sie nicht in Rechtskraft erwachsen sein können.
[10] Selbst wenn dies der Fall wäre, läge noch kein vom Obersten Gerichtshof zu entscheidender negativer Kompetenzkonflikt vor. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien hat nämlich nicht förmlich seine Unzuständigkeit ausgesprochen, sondern den gemäß § 44 JN gefassten Überweisungsbeschluss des Bezirksgerichts Telfs – ohne Rechtsgrundlage (10 Nc 8/23t mwN) – wie einen Übertragungsbeschluss nach § 111 Abs 1 JN behandelt und nur eine Erklärung iSd § 111 Abs 2 JN abgegeben (vgl 8 Nc 12/21p).
[11] 4. Die Akten sind daher dem vorlegenden Gericht zurückzustellen.Da der Überweisungsbeschlusses gemäß § 44 JN für das Adressatgericht – unabhängig von seiner Zustellung an die Parteien (RS0046363 [T1]) – so lange maßgebend bleibt, als er nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird (RS0081664), wird der Akt von diesem dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu übermitteln sein, das den Überweisungsbeschluss zunächst den Parteien zuzustellen hat (§ 44 Abs 2 JN). Sollte sich nach Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses in der Folge auch dieses als unzuständig erachten, wird es einen entsprechenden Beschluss zu fassen haben, wobei zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen schon jetzt darauf hingewiesen wird, dass das Adressatgericht seine eigene Unzuständigkeit nicht – wie das in der Ablehnung der Übernahme zum Ausdruck kommt – mit der Begründung aussprechen darf, das überweisende Gericht sei zuständig (8 Nc 10/24y; 10 Nc 8/23t;RS0002439; RS0046391 [T11]; RS0046315 [T3]; RS0081664 [T3]). Auf diese Bindungswirkung des ersten, die Zuständigkeit verneinenden Beschlusses hätte der Oberste Gerichtshof (auch) bei einer Entscheidung nach § 47 Abs 1 JN Bedacht zu nehmen (RS0002439 [T9]; RS0046391 [T5]).
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