OGH 9Ob52/25z

OGH9Ob52/25z29.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien B*, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. C* KG, *, 2. Mag. C*, beide vertreten durch Mag. Jürgen M. Krauskopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.900 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2025, GZ 35 R 336/24g‑71, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 31. Juli 2024, GZ 43 C 1090/22k‑59, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0090OB00052.25Z.0429.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.239,83 EUR (darin enthalten 206,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Die Beklagten erstellten im Auftrag der *GmbH auf Basis übermittelter Unterlagen eine psychologische Stellungnahme zum Kläger. In dieser wurde einleitend darauf hingewiesen, dass kein persönliches Gespräch mit dem Betroffenen geführt wurde, sondern die Stellungnahme lediglich auf Urkunden beruhe. In der Zusammenfassung wurde die Möglichkeit genannt, dass Anschuldigungen, Zweifel, aggressive Formulierungen, Eskalationen der Sprache, Wortauslassungen etc auf eine paranoide Persönlichkeitsakzentuierung mit wahnhaften Fixierungen und Inhalten, welche sich über die Zeit verfestigen und eskalieren, hindeuten könnten. Zur Beantwortung dieser Möglichkeiten sei aber ein Studium der Akten nicht suffizient. Es ergebe sich aber jedenfalls ein Verdacht auf eine paranoide Persönlichkeitsakzentuierung mit wahnhaften Fixierungen und Inhalten, welche sich über die Zeit eindeutig verfestigt und eskaliert. Eine psychiatrische Untersuchung sei dringend empfohlen.

[2] Die Stellungnahme wurde lege artis erstellt und ist inhaltlich richtig.

[3] Der Kläger begehrt Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Schäden aus der von ihnen erstellten luftfahrtpsychologischen und klinisch-psychologischen Stellungnahme, die zur Aussetzung der Gültigkeit seines flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisses geführt habe. Das Gutachten sei nicht lege artis erstellt worden, da es keine persönliche Untersuchung des Klägers gegeben habe. Die Vorgangsweise widerspreche der Richtlinie für die Erstellung von klinisch-psychologischen und gesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.

[4] Die Beklagten bestreiten und bringen unter anderem vor, sie hätten kein Gutachten erstellt, weswegen die Richtlinie nicht anzuwenden sei. Es sei offengelegt worden, dass sich die Stellungnahme lediglich auf Aktenteile bezogen habe.

[5] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Der Richtlinie für die Erstellung von klinisch‑psychologischen und gesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten komme kein normativer Charakter zu, sie stelle vielmehr eine Erfassung des Standards bzw der gebotenen Sorgfalt der Berufsgruppen der Gesundheitspsychologen und klinischen Psychologen dar. Auch aus der Richtlinie lasse sich nicht ableiten, dass zur Abgabe einer Stellungnahme eine persönliche Untersuchung erforderlich sei.

[6] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage, ob im Auftrag der A* GmbH erstellte psychologische Stellungnahmen nach denselben Kriterien zu beurteilen seien wie Gutachten von Sachverständigen als Hilfsorgan einer Behörde, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

[7] Die Revision des Klägers ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig. Sie kann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

[8] 1. Der Kläger macht eine privatrechtliche Haftung der Beklagen aufgrund der von ihnen erstatteten Stellungnahme geltend. Eine Haftung eines Sachverständigen gemäß §§ 1299, 1300 ABGB besteht bei einem Verstoß gegen objektiv‑rechtliche Sorgfaltspflichten auch gegenüber Dritten, wenn der Besteller für den Sachverständigen erkennbar gerade die Interessen des Dritten mitverfolgte (RS0017178). Ein Sachverständiger haftet für den durch sein Verschulden verursachten Schaden nach dem § 1299 ABGB dritten Personen gegenüber insbesondere dann, wenn er ein Gutachten in seiner Eigenschaft als Hilfsorgan einer öffentlichen Behörde abgegeben hat (RS0026316).

[9] Aus dem Gutachtensauftrag ergibt sich, welche Interessen Dritter geschützt sind. Nur soweit die Aufgabe des Sachverständigen reicht, kann er dem Dritten verantwortlich werden (RS0106433 [T9, T10]). Ausschlaggebend ist, wie ein verständiger Informationsempfänger die Expertise auffassen durfte (RS0106433 [T24]).

[10] Die Frage, welche Sorgfaltspflicht bei einem bestimmten Arbeitsvorgang einzuhalten ist, kann wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0026535 [T8]).

[11] 2. Nach den Feststellungen erfolgte die Stellungnahme der Beklagten lege artis und war inhaltlich richtig. Es wurde offengelegt, dass keine persönliche Untersuchung des Klägers erfolgte, und darauf hingewiesen, dass nur auf Basis des Studiums des Aktes eine Beurteilung nicht möglich sei. Dass eine Sorgfaltspflichtverletzung daher von den Vorinstanzen verneint wurde, ist nicht korrekturbedürftig.

[12] 3. Aus den in der Revision zitierten Entscheidungen zur Zulässigkeit von Aktengutachten in gerichtlichen Verfahren lässt sich für den vorliegenden Sachverhalt nichts gewinnen.

[13] 4. Von wissenschaftlichen Fachgesellschaften herausgegebene medizinische Leitlinien können in Zusammenschau mit einem Sachverständigengutachten als Mittel zur Erforschung des maßgeblichen medizinischen Standards bzw der gebotenen Sorgfalt dienen. Für sich allein entfalten diese Behandlungsleitlinien allenfalls Indizwirkung für den Stand der medizinischen Wissenschaft, treten aber nicht an die Stelle eines Sachverständigengutachtens und ersetzen nicht die erforderliche Feststellung eines lege artis Vorgehens bzw eines ärztlichen Fehlverhaltens im konkreten Fall (RS0132932).

[14] Soweit der Kläger sich zur Begründung der Sorgfaltswidrigkeit auf die Richtlinie für die Erstellung von klinisch‑psychologischen und gesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten beruft, übergeht er auch hier, dass nach den getroffenen Feststellungen die Vorgangsweise der Beklagten lege artis erfolgte.

[15] 5. Dazu kommt, dass in der vom Kläger selbst zitierten Passage der Richtlinie ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass eine klinisch-psychologische bzw gesundheitspsychologische Stellungnahme nicht unbedingt im Zusammenhang mit einem diagnostischen Prozess und einer vorangegangenen Befunderhebung stehen muss, sowie dass die Qualitätsanforderungen der Richtlinie nur zur Anwendung gelangen, wenn eine eigene Befundaufnahme durch den Gutachter stattfindet.

[16] Der konkrete Auftrag an die Beklagten war aber, Unterlagen und Eingaben des Klägers fachlich zu begutachten. Die Beklagten verwiesen in ihrer Stellungnahme auch ausdrücklich darauf, dass diese nur auf den Unterlagen beruhe und sich auf Sprache, Formulierungen, Ductus und Tonfall beziehe.

[17] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass von der Beklagten erklärtermaßen kein abschließendes Kalkül erstellt wurde, sondern nur eine Vorbeurteilung, für die auch nach der Richtlinie keine persönliche Untersuchung verlangt wird, ist daher nicht zu beanstanden.

[18] 6. Damit stellt sich letztlich auch nicht die Frage, inwieweit die Bestimmungen der Richtlinie über Standards bei verkehrspsychologischen Stellungnahmen gemäß § 17 FSG‑GV auf den vorliegenden Fall übertragbar sind.

[19] 7. Soweit sich der Kläger auf die Beurteilung der Tauglichkeit eines Bewerbers auf in den Begriffsbestimmungen MED.A.010 der Verordnung (EU) Nr 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr 216/2008 des Europäischen Parlaments enthaltene Definitionen beruft, zeigt er schon deshalb keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts auf, weil die Stellungnahme eine solche Beurteilung gerade nicht enthält.

[20] 8. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[21] 9. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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