European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0090OB00012.25T.0429.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin brachte am 15. 2. 2022 eine Räumungsklage gegen den beklagten Verein ein.
[2] Mit Schriftsatz vom 6. 4. 2023 (ON 19) brachte der beklagte Verein vor, dass er in der außerordentlichen Generalversammlung vom 12. 7. 2022 aufgelöst worden sei. Die rechtskräftige Auflösung sei mit selbem Datum im Vereinsregister eingetragen worden. Gemäß § 27 VerG ende damit die Rechtspersönlichkeit des Vereins. Ein potenzieller Kostenersatzanspruch aus einem Passivprozess bilde keinen der Vollbeendigung entgegenstehenden Vermögenswert. Die Klage sei somit zurückzuweisen und das Verfahren für nichtig zu erklären.
[3] Die Klägerin sprach sich gegen die Nichtigerklärung des Verfahrens sowie die Zurückweisung der Klage aus. Der Beklagte sei noch nicht voll beendet, die Eintragung im Vereinsregister habe lediglich deklaratorischen Charakter. Das verbleibende Vereinsvermögen sei statutenwidrig übertragen worden. Die Übertragung sei in Schädigungsabsicht erfolgt, der Verein habe für den Fall, dass der Pachtvertrag noch aufrecht sei, einen deliktischen Rückforderungsanspruch.
[4] Das Erstgericht erklärte mit Beschluss das bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage mangels Parteifähigkeit infolge Löschung des Beklagten aus dem Vereinsregister zurück. Die Kosten des Verfahrens hob es gemäß § 51 Abs 1 ZPO gegenseitig auf. Die mangelnde Parteifähigkeit sei eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung. Es sei zwischen der Auflösung und der Vollbeendigung nach Verteilung des gesamten Vermögens zu unterscheiden. Nach Verteilung des gesamten Vereinsvermögens sei ein Verein beendet. Dabei genüge nicht, wenn das einzige potenzielle Aktivum ein allenfalls – im Falle der Klagsabweisung – ersiegter Prozesskostenersatzanspruch gegen die Klägerin sei. Die Klage sei daher zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären.
[5] Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs der Klägerin Folge, hob den angefochtenen Beschluss ersatzlos auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Ausgehend von der Rechtsprechung zur Auflösung einer beklagten Kapitalgesellschaft während eines anhängigen Verfahrens kam das Rekursgericht zu dem Ergebnis, dass der Klägerin ein Wahlrecht zukomme, ob sie die Fortsetzung des anhängigen Verfahrens gegen den gemäß § 27 VerG vollbeendeten Verein oder dessen Beendigung begehre. Die Klägerin habe sich für die Fortsetzung entschieden, weshalb dem Rekurs Folge zu geben sei.
[6] Der „Rekurs“ an den Obersten Gerichtshof wurde mit der Begründung zugelassen, dass zu § 27 VerG aktuellere, die ergangenen Entscheidungen zu Kapitalgesellschaften berücksichtigende Entscheidungen fehlen.
[7] Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts wendet sich der Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung wieder herzustellen, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Klägerin beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zugeben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Obwohl das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluss ersatzlos aufgehoben hat, ist seine Entscheidung eine abändernde, weil über die Richtigkeit der Entscheidung erster Instanz abschließend abgesprochen wurde (RS0044035; RS0044046). Der (richtigerweise) Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt. Die Klägerin stützt ihren Räumungsanspruch wegen titelloser Benützung auf die ursprüngliche Rechtsunwirksamkeit des mit dem Beklagten abgeschlossenen Pachtvertrags über die vom Räumungsbegehren erfasste Liegenschaft. Es handelt sich daher um eine unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallende Streitigkeit im Sinn des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO, weshalb das Rekursgericht im Ergebnis zu Recht keinen Bewertungsausspruch (§§ 526 Abs 3 iVm 500 Abs 2 ZPO) getroffen hat (3 Ob 91/03h vom 24. 4. 2003; 2 Ob 213/10b; RS0046865 [T21]; Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 502 ZPO Rz 220).
[10] 1. Gemäß § 27 VerG endet die Rechtspersönlichkeit eines Vereins mit der Eintragung seiner Auflösung im Vereinsregister. Ist eine Abwicklung erforderlich, verliert der Verein seine Rechtsfähigkeit erst mit Eintragung ihrer Beendigung.
[11] Dementsprechend verliert ein aus welchen Gründen immer aufgelöster Verein seine Rechtspersönlichkeit erst mit der Liquidation des Vereinsvermögens (RS0009119; RS0079726). Wenn eine Abwicklung des Vereins mangels Vermögens gar nicht erforderlich ist, ist mit der Eintragung der Auflösung auch die Rechtspersönlichkeit des Vereins bereits wirksam beendet worden (7 Ob 187/07m = RS0009119 [T1]).
[12] 2. Richtig ist, dass in der von dem Beklagten zitierten Entscheidung 8 Ob 8/95 davon ausgegangen wurde, dass es nicht genügt, wenn das einzige potentielle Aktivum der gelöschten Gesellschaft ein allenfalls – im Fall der Klagsabweisung – ersiegter Prozesskostenersatzanspruch gegen die klagende Partei ist. Darauf kommt es aber einerseits nicht an. Andererseits wurde bereits in dieser Entscheidung die Rechtsprechung zu Kapitalgesellschaften (8 Ob 6/94) auf einen Verein übertragen.
[13] 3. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs 8 ObA 2344/96f wird in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass eine vollbeendete Kapitalgesellschaft grundsätzlich nicht mehr parteifähig ist, es aber mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK unvereinbar ist, wenn die Beklagte durch rechtliche Änderungen in ihrer Sphäre, auf die der Kläger keinen Einfluss hat und die er auch nicht durchschauen kann, eine Entscheidung über den vom Kläger rite geltend gemachten, mit erheblichem Aufwand an Geld, Zeit und Mühe vor Gericht verfolgten zivilrechtlichen Anspruch vereiteln könnte. Wird eine Kapitalgesellschaft während eines gegen sie anhängigen Passivprozesses gelöscht, so ist das Verfahren auf Begehren des Klägers fortzusetzen. Strebt der Kläger hingegen die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft nicht an, so ist die Klage zurückzuweisen, das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären und die Kosten nach § 51 Abs 2 ZPO gegenseitig aufzuheben (vgl auch RS0110979).
[14] 4. Diese Erwägungen des Verstärkten Senats sind nach der Entscheidung 8 ObA 72/07g auch dann beachtlich, wenn es sich bei der Beklagten um eine im Firmenbuch gelöschte Kommanditgesellschaft handelt, deren (einziger) Komplementär und (einziger) Kommanditist natürliche Personen sind. Dies wurde damit begründet, dass schon im Hinblick auf die besondere Bedeutung, die dem Grundsatz eines fairen Verfahrens im Sinn des Art 6 EMRK zukomme, der Grundgedanke, dass aus der Löschung der beklagten Gesellschaft während des Verfahrens die Vermutung der Vermögenslosigkeit nicht abgeleitet werden könne, auch für die damals beklagte KEG zu übernehmen sei. Der Umstand, dass der Kläger die Möglichkeit habe, die persönlich haftenden Gesellschafter gesondert zu klagen, reiche nicht aus, die dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK entspringende Schutzwürdigkeit des Klägers zu verneinen,
[15] 5. In den Entscheidungen 6 Ob 287/02b und 7 Ob 187/07m (jeweils mwH) ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass dieselben Grundsätze auch auf Vereine anwendbar seien, wobei jeweils Sachverhalte zu beurteilen waren, die mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sind.
[16] 6. Auch in der Literatur wird zur Frage der Vollbeendigung eines Vereins während eines anhängigen Passivprozesses von der Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu Kapitalgesellschaften auch auf Vereine ausgegangen (Futterknecht/Glanzer, Die freiwillige Auflösung des Vereins während eines anhängigen Zivilverfahrens, ecolex 2011, 1108 [1109 f]; Hargassner, Handbuch für Vereinsfunktionäre4 [2021], S 129; Achrainer in Schopper/Weilinger, VereinsG [Stand 1. 10. 2018, rdb.at] § 27, Rz 16; Höhne/Jöchl/Lummerstofer, Das Recht der Vereine6 [2020], S 565).
[17] 7. Auch der erkennende Senat vertritt die Rechtsauffassung, dass aufgrund der gleichgelagerten Interessenlage auch bei der Vollbeendigung des Vereins während eines gegen ihn geführten Passivprozesses entsprechend der Judikatur zu Kapitalgesellschaften das Verfahren auf Begehren des Klägers fortzusetzen ist. Wünscht der Kläger dagegen keine Fortsetzung, ist die Klage zurückzuweisen und dass bisherige Verfahren für nichtig zu erklären.
[18] 8. Der Revisionsrekurs verweist dagegen letztlich nur darauf, dass nach Ansicht des Beklagten das Verfahren gegen eine andere Person, der die strittigen Rechte während des Verfahrens übertragen wurden, geführt werden könnte. Demgegenüber ist die Klägerin davon ausgegangen, dass diese Übertragung unwirksam ist.
[19] Einem Kläger in einem Verfahren gegen eine aufgelöste Gesellschaft den in einem „dazu ungeeigneten Zwischenverfahren“ zu erbringenden Beweis zu ersparen, dass die aufgelöste Gesellschaft nicht vermögenslos und daher nicht vollbeendet ist, war aber nach der Entscheidung des verstärkten Senats 8 ObA 2344/96f gerade ein wesentliches Argument für die dem Kläger eingeräumte Wahlmöglichkeit.
[20] 9. Dem Revisionsrekurs des Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
[21] 10. Die Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Frage der Parteifähigkeit gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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