OGH 2Ob42/25b

OGH2Ob42/25b29.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterinnen und Richter in der Verlassenschaftssache nach der am * 2022 verstorbenen H*, zuletzt *, über den Revisionsrekurs des Sohnes I*, vertreten durch Mag. Klaus Kabelka, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 19. November 2024, GZ 21 R 94/24f‑32, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Tamsweg vom 30. Jänner 2024, GZ 1 A 119/22g‑26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00042.25B.0429.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden mit Ausnahme der Bestimmung der Gerichtskommissionsgebühren aufgehoben und die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

 

Begründung:

[1] Die 2022 verstorbene Erblasserin setzte ihre beiden Töchter und einen Sohn letztwillig zu gleichen Teilen zu ihren Erben ein und beschränkte einen weiteren Sohn (in der Folge: Pflichtteilsberechtigter) auf den Pflichtteil.

[2] Die letztwillig Bedachten gaben jeweils bedingte Erbantrittserklärungen ab.

[3] Der Pflichtteilsberechtigte erhob gegen die von den Erben ursprünglich abgegebene Vermögenserklärung umfangreiche Einwendungen.

[4] Das Verlassenschaftsgericht trug der Gerichtskommissärin unter Hinweis auf die bedingten Erbantrittserklärungen die Errichtung eines Inventars unter allfälliger Berücksichtigung des Vorbringens des Pflichtteilsberechtigten auf.

[5] Am 25. 10. 2023 fand vor der Gerichtskommissärin unter Beiziehung der Töchter der Erblasserin eine Tagsatzung zur „Erhebung von Fakten und Entwicklungen zum Vermögen der Verstorbenen“ statt, bei der unter anderem auch die Einwände des Pflichteilsberechtigten erörtert wurden.

[6] Am 10. 1. 2024 beantragte der Pflichtteilsberechtigte beim Verlassenschaftsgericht unter Hinweis darauf, anlässlich einer Ladung der Gerichtskommissärin zu einer Tagsatzung zur Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens einen seine Einwände nicht berücksichtigenden Inventarsentwurf erhalten zu haben, weitere Erhebungen durchzuführen und über die Aufnahme oder Ausscheidung einzelner Positionen in das Inventar zu entscheiden.

[7] Am 12. 1. 2024 errichtete die Gerichtskommissärin in Abwesenheit des zum Termin geladenen Pflichtteilsberechtigten das Inventar und legte den Akt ohne vorherige Übermittlung des Inventars an den Pflichtteilsberechtigten dem Verlassenschaftsgericht vor.

[8] Mit Beschluss vom 30. 1. 2024 antwortete das Erstgericht die Verlassenschaft den letztwillig Bedachten ein (1.), sprach aus, dass der Pflichtteilsberechtigte auf den Pflichtteil beschränkt sei (2.), nahm den „Testamentsausweis“, das Erbteilungsübereinkommen sowie den „Pflichtteilsausweis“ zur Kenntnis (3.), ermächtigte zwei Erben, über das Nachlassvermögen zu verfügen (4.), sprach aus, dass sich eine Erbin zur Zahlung der Gebühren sowie der Nachlasspassiva verpflichte (5.), ordnete die Verbücherung des Eigentumsrechts einer Erbin an einer Liegenschaft an (6.) und bestimmte die Gerichtskommissionsgebühren (7.).

[9] Über Ersuchen des Pflichtteilsberechtigten übermittelte ihm das Erstgericht nach Erlassung der Einantwortung das Protokoll der Gerichtskommissärin samt Inventar.

[10] Das Rekursgericht gab einem Rekurs des Pflichtteilsberechtigten gegen den Einantwortungsbeschluss nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs zu. Dem Pflichtteilsberechtigten komme im Rahmen seiner Rechte nach §§ 778, 804 und 812 ABGB Parteistellung und Rekurslegitimation zu. Zwar seien zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz die Einantwortungsvoraussetzungen gegeben gewesen, weil keine nach Inventarerrichtung gestellten Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG oder auf formale Mängel des Inventars gestützte Anträge nach § 7a GKG unerledigt gewesen seien. Allerdings sei das rechtliche Gehör des Pflichtteilsberechtigten dadurch verletzt worden, dass ihm das Inventar entgegen § 169 AußStrG nicht vor der Einantwortung zugestellt worden sei. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs wirke aber nicht absolut. Vielmehr könne der angefochtene Beschluss auch unter Berücksichtigung der Rekursangaben bestätigt werden, weil die (beabsichtigten) Anträge letztlich unberechtigt seien. Eine Missachtung von Rahmenbedingungen für die Bewertung liege nicht vor. Konkrete Anhaltspunkte, die weitere Nachforschungen der Gerichtskommissärin über nachlasszugehöriges Vermögen erfordert hätten, seien nicht gegeben. Soweit die Aufnahme von (weiterem) Vermögen in das Inventar angestrebt werde, fehle jeglicher Anhaltspunkt für einen Besitz der Erblasserin im Todeszeitpunkt. Die aufgenommenen Forderungen gegenüber dem Nachlass seien ausreichend bescheinigt. Es liege daher keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen Unterlassens einer Beschlussfassung nach § 166 Abs 2 AußStrG oder wegen formeller Mängel des Inventars vor. Der Revisionsrekurs sei zur Frage zuzulassen, ob bei bloß faktischer Ablehnung von schon vor Inventarerrichtung gestellten Anträgen nach § 166 Abs 2 AußStrG bzw § 7a GKG oder fehlender Möglichkeit, solche erstmals zu stellen bzw zu wiederholen, eine Aufhebung des Einantwortungsbeschlusses und Entscheidung durch das Erstgericht zu erfolgen habe, oder eine Prüfung durch das Rekursgericht möglich sei.

[11] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Pflichtteilsberechtigten mit dem Antrag, den Einantwortungsbeschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Erledigung der gestellten Anträge nach Durchführung amtswegiger Erhebungen aufzutragen.

[12] Die Erben beantragen, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig,er ist auch berechtigt.

[14] 1. Das Verfahren zur Errichtung des Inventars ist vom Gerichtskommissär durchzuführen (§ 1 Abs 1 Z 1 lit b GKG). Das Inventar bedarf zu seiner Feststellung keiner Annahme oder Entscheidung des Gerichts (§ 169 AußStrG).

[15] 2. Innerhalb des Abhandlungsverfahrens besteht daher grundsätzlich keine Möglichkeit, das Inventar als solches oder die dabei vorgenommene Bewertung zu überprüfen. Der Grund liegt darin, dass das Inventar nur der Beweissicherung dient und keine Bindungswirkung entfaltet. Zu entscheiden hat das Gericht nur nach § 166 Abs 2 AußStrG über die strittige Aufnahme oder Nichtaufnahme einer Sache in das Inventar. Insofern kann auch geltend gemacht werden, dass die Beischaffung von Auszahlungsbelegen unterblieb, die die Ermittlung von weiterem Vermögen des Erblassers ermöglicht hätte. Zudem erfordert der (wenngleich beschränkte) Zweck des Inventars die Möglichkeit, dessen formale Mangelhaftigkeit (Substanzlosigkeit, fehlende Nachvollziehbarkeit, Missachtung der Rahmenbedingungen für die Bewertung) geltend machen zu können (2 Ob 64/18b Pkt 2.).

[16] 3. Aufgrund der vom Gesetzgeber des AußStrG 2005 intendierten Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens zur Errichtung des Inventars können anfechtbare Beschlüsse des Verlassenschaftsgerichts aber erst aufgrund von Anträgen ergehen, die nach Errichtung des Inventars gestellt werden (2 Ob 64/18b; RS0132172). Davor gefasste Beschlüsse leiten bloß das Verfahren zur Inventarisierung und sind daher nicht gesondert anfechtbar. Die in § 45 AußStrG genannte anfechtbare „Entscheidung über die Sache“ ist in diesem Fall die Entscheidung über Anträge, die nach Errichtung des Inventars wegen inhaltlicher (§ 166 Abs 2 AußStrG) oder formaler Mängel des Inventars gestellt werden (2 Ob 64/18b Pkt 3.3.). Zunächst ist daher das Inventar nach Durchführung der erforderlichen Erhebungen, Beschreibungen und Schätzungen in einem einheitlichen Akt durch den Gerichtskommissär zu errichten. In weiterer Folge steht es den Parteien frei, in Kenntnis dieses Inventars (allenfalls erneut) Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG oder wegen formaler Mängel zu stellen (2 Ob 64/18b Pkt 3.4.).

[17] 4. Ist ein Inventar zu errichten, so ist die Einantwortung erst nach dessen Vorliegen zulässig (RS0130972). Gleiches gilt dann, wenn zwar ein Inventar errichtet wurde, aber danach gestellte Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG oder § 7a GKG noch offen sind. Denn in diesem Fall liegt noch kein (endgültiges) Inventar vor, sodass diese Voraussetzung für die Einantwortung fehlt. Werden keine derartigen Anträge gestellt, kann in der Regel die Einantwortung erfolgen (2 Ob 81/18b Pkt 2.; 2 Ob 99/19a Pkt 3.; 2 Ob 46/20h Pkt 5.2).

[18] 5. § 169 AußStrG sieht vor, dass den Parteien das Inventar ohne Zustellnachweis zu übermitteln ist. Die Bestimmung soll den Parteien die Möglichkeit geben, ihre Einwendungen gegen das Inventar vorzutragen bzw Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG oder wegen formeller Mängel des Inventars zu stellen. Sie dient daher der Wahrung ihres rechtlichen Gehörs (Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 169 Rz 1; Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 169 Rz 2). Dass der Pflichtteilsberechtigte an der Tagsatzung zur Errichtung des Inventars nicht teilgenommen hat, obwohl er zu dieser geladen wurde, ändert nichts daran, dass ihm das Inventar gemäß dem insoweit nicht differenzierenden § 169 AußStrG vor Einantwortung zuzustellen gewesen wäre.

[19] 6. Durch die unterbliebene Übermittlung des Inventars vor Einantwortung wurde dem Sohn die Möglichkeit genommen, Anträge nach Inventarerrichtung zu stellen. Diese Vorgangsweise begründet – wie das Rekursgericht insoweit zutreffend hervorgehoben hat – eine auch amtswegig aufzugreifende (RS0119971) Verletzung seines rechtlichen Gehörs, sofern diese Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (RS0120213 [T20; T21]).

[20] Dies hat das Rekursgericht verneint, weil die im Rekurs genannten Gründe zu keiner Änderung des Inventars geführt hätten.

[21] Diese Auffassung greift jedoch zu kurz:

[22] Sind nach Inventarerrichtung gestellte Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG oder § 7a GKG noch offen, liegt nach der Rechtsprechung noch kein endgültiges Inventar vor und es fehlt eine materielle Voraussetzung für die Einantwortung (RS0130972 [T1]). Ob die Anträge berechtigt sind, ist in diesem Zusammenhang irrelevant (2 Ob 81/18b).

[23] Die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Sohnes war daher geeignet, Einfluss auf Richtigkeit der Einantwortung zu haben, weil die von ihm (erkennbar) beabsichtigten Anträge unabhängig von ihrer Berechtigung einer Einantwortung entgegengestanden wären. Es ist daher auch bei Prüfung der Relevanz des Gehörverstoßes nicht zu beurteilen, ob die Anträge inhaltlich berechtigt gewesen wären. Eine Bestätigung des Einantwortungsbeschlusses unter Hinweis darauf, dass die Anträge ohnehin nicht berechtigt gewesen wären, scheidet daher aus.

[24] Im Ergebnis hindert daher das Unterbleiben der Zustellung des Inventars die Einantwortung.

[25] Aufgrund dieser Erwägungen ist die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die vom Erstgericht beschlossene Einantwortung (Spruchpunkt 1.) samt allen damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Verfügungen (Spruchpunkte 2. bis 6.) aufgehoben wird. Die vom Pflichtteilsberechtigten nicht bekämpfte Bestimmung der Gerichtskommissionsgebühr steht mit der Einantwortung nicht in einem untrennbaren Sachzusammenhang (2 Ob 183/15y Pkt 5.2) und ist daher in Rechtskraft erwachsen.

[26] 8. Ein Kostenersatz findet gemäß § 185 AußStrG nicht statt.

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