OGH 8Ob43/25v

OGH8Ob43/25v25.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Insolvenzeröffnungssache der Antragstellerinnen 1. F* GmbH, *, 2. A* GmbH, *, und 3. H* GmbH, *, alle *, und vertreten durch Dr. Arno Maschke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin M* GmbH in Liquidation, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin und der Einschreiter 1. M* B*, und 2. M* Holding GmbH, *, alle vertreten durch die GPK Pegger Kofler & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Innsbruck, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 6. Februar 2025, GZ 1 R 9/25w‑26, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Dezember 2024, GZ 49 Se 313/24h‑21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00043.25V.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aus Anlass des Revisionsrekurses als nichtig aufgehoben und das Verfahren wird ab dem 14. 9. 2024, 0:00 Uhr, für nichtig erklärt.

Das Verfahren ist seit diesem Zeitpunkt unterbrochen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsteller beantragten am 28. 8. 2024 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin.

[2] Der Ersteinschreiter war seit 17. 4. 2024 Liquidator der Antragsgegnerin. Die Zweiteinschreiterin ist deren Alleingesellschafterin.

[3] Das Erstgericht beraumte mit Beschluss vom 3. 9. 2024 die Tagsatzung zur Einvernahme der Antragsgegnerin nach § 70 Abs 2 IO für den 4. 10. 2024 an. Der Beschluss wurde dem Ersteinschreiter als Liquidator samt einer Ladung und einer Gleichschrift des Insolvenzeröffnungsantrags am 5. 9. 2024 zugestellt.

[4] Am selben Tag beantragte die Antragsgegnerin beim Firmenbuchgericht ihre Löschung, die am 13. 9. 2024 in das Firmenbuch „infolge beendeter Liquidation“ eingetragen wurde.

[5] Zur Tagsatzung vom 4. 10. 2024 erschien nur ein rechtsfreundlicher Vertreter der Antragsteller.

[6] Mit namens des Ersteinschreiters und der Antragsgegnerin am 24. 10. 2024 erstattetem anwaltlichen Schriftsatz wurde dem Insolvenzeröffnungsantrag inhaltlich entgegengetreten und angemerkt, dass die Antragsgegnerin mittlerweile gelöscht worden sei und dass es sich beim Ersteinschreiter um deren ehemaligen Liquidator handle.

[7] Das Erstgericht wies den Insolvenzeröffnungsantrag mit der Begründung ab, nach den getroffenen Feststellungen sei die Forderung der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin noch nicht fällig und es liege auch keine Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin vor.

[8] Das Rekursgericht behob über Rekurs der Antragsteller diesen Beschluss und trug dem Erstgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf. Zum Verfahren merkte es an, die Zustellung an den vormaligen Geschäftsführer und damaligen Liquidator zur Tagsatzung vom 4. 10. 2024 sei ordnungsgemäß erfolgt, zur Tagsatzung für die Antragsgegnerin aber niemand erschienen. Dass die Antragsgegnerin noch Vermögen habe und daher noch parteifähig sei, sei von den Antragstellern bescheinigt worden. Den von ihm ergänzend festgestellten Sachverhalt beurteilte das Rekursgericht rechtlich zusammengefasst dahin, dass die Voraussetzungen der §§ 70 Abs 1 und 71a Abs 1 IO für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorlägen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[9] Gegen den rekursgerichtlichen Beschluss richtet sich der dem Namen nach von der Antragsgegnerin sowie den beiden Einschreitern gemeinsam erhobene außerordentliche Revisionsrekurs, mit dem die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses angestrebt und hilfsweise beantragt wird, die angefochtene Entscheidung und das vorangegangene Verfahren ab Löschung der Antragsgegnerin im Firmenbuch am 13. 9. 2024 für nichtig zu erklären.

[10] Die Antragsteller erstatteten keine – ihnen freigestellte – Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Der Revisionsrekursantrag ist auf meritorische Entscheidung (im den Insolvenzeröffnungsantrag abweisenden Sinn) gerichtet; die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung und des Verfahrens ab der Löschung der Antragsgegnerin im Firmenbuch wird nur hilfsweise beantragt. Die Wahrnehmung der nur hilfsweise gerügten, aber – wie noch zu zeigen sein wird – tatsächlich vorliegenden Nichtigkeit hat aber von Amts wegen aus Anlass des zulässigen Revisionsrekurses zu erfolgen:

[12] 2. Hebt das Rekursgericht den den Insolvenzantrag abweisenden erstgerichtlichen Beschluss mit dem Auftrag an das Erstgericht, das Insolvenzverfahren zu eröffnen, auf, so ist dies ein sogenannter unechter Aufhebungsbeschluss, der als solcher nicht der Vorschrift des § 527 Abs 2 ZPO, sondern jener des § 528 ZPO (iVm § 252 IO) unterliegt (8 Ob 82/19w [Pkt 1] mwH). Seine Anfechtbarkeit setzt damit das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO voraus. Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung bei Vorliegen einer Nichtigkeit gegeben (RS0041896; RS0042743). Nichtigkeitsgründe sind anlässlich eines zulässigen Rechtsmittels ohne Rücksicht auf ihre Auswirkung im Einzelfall von Amts wegen aufzugreifen (RS0041942 [T12]).

[13] 3. Hätten der angefochtene Beschluss und damit die Insolvenzeröffnung Bestand, so hätte der – noch zu bestellende – Insolvenzverwalter nach § 72d Satz 2 iVm § 72b Abs 3 Satz 1 IO den (von den Antragstellern geleisteten) Kostenvorschuss bei der – dem § 72d Satz 1 IO unterliegenden – Zweiteinschreiterin hereinzubringen. Diese ist damit von der Insolvenzeröffnung berührt und hat damit nach § 71c Abs 1 IO das Recht, sie anzufechten (Schumacher in KLS2 [2023] § 71c Rz 19). Es liegt damit jedenfalls ein zulässiges Rechtsmittel vor.

[14] 4. Das Amt des Liquidators einer GmbH endet –  unabhängig von deren allfälligem Fortbestand, weil doch noch Vermögen vorhanden ist (vgl RS0050186)  – mit deren Löschung, sodass die GmbH fortan nicht mehr ordnungsgemäß vertreten ist (2 Ob 611/84 = RS0060028; 1 Ob 242/22b [Rz 15]; RS0006937 [T2]; RS0050186 [T5]; G. Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer, Firmenbuchgesetz [2005] § 40 Rz 24; Gelter in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] § 93 Rz 25; Haberer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG [2024] § 93 Rz 28 ua). Auf den Eintritt der Rechtskraft der Löschung kommt es nicht an; die zeitliche Zäsur ist der Tageswechsel (G. Nowotny aaO § 40 Rz 25; Zib in Zib/Dellinger, UGB-Großkommentar I [2010] § 40 FBG Rz 23; Gelter aaO § 93 Rz 17).

[15] 5. Bei Wegfall des Liquidators durch Löschung der GmbH kommt es zur Unterbrechung des Verfahrens nach § 158 ZPO, wenn die GmbH im Verfahren weder durch einen Rechtsanwalt noch durch eine andere mit Prozessvollmacht ausgestattete Person vertreten ist (2 Ob 611/84; Fink in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 [2015] § 158 ZPO Rz 19).

[16] 6. Der Unterbrechungsgrund des § 158 ZPO gilt – im Wege des § 252 IO – auch im Insolvenzverfahren (Blatt in Konecny/Trenker, Insolvenzgesetze [2024] § 252 IO Rz 125), jedenfalls im Insolvenzeröffnungsverfahren, wenn – wie hier – bei Vorliegen eines Gläubigerantrags auf Insolvenzeröffnung (§ 70 IO) der Antragsgegner betroffen ist (vgl Deixler-Hübner in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2000] § 171 KO Rz 36). Sofern im Schrifttum die Ansicht vertreten wird, bei einem Insolvenzverfahren könne es niemals zu dessen Unterbrechung kommen (so offenbar Holzhammer, Insolvenzrecht5 [1996] 121), so überzeugt dies nicht, was nicht nur der vorliegende Fall zeigt, sondern auch zB jener, in dem ein Gericht seine Amtstätigkeit iSd § 161 ZPO einstellt, zumal dann anerkanntermaßen selbstredend auch die Insolvenzverfahren unterbrochen sind (Deixler-Hübner aaO; Lutschounig, COVID‑19 und Tagsatzungen in Insolvenzverfahren, ZIK 2020/59 [Pkt 2]; Pesendorfer in KLS2 [2023] § 252 Rz 33). Auch der Rechtssatz RS0036796 zur „Unzulässigkeit der Unterbrechung im Konkursverfahren“ und die unter ihm indexierten Entscheidungen 5 Ob 100/62, 8 Ob 29/88 und 8 Ob 33/95 sprechen nicht gegen eine Unterbrechung des Insolvenzeröffnungsverfahrens nach § 158 ZPO, beziehen sie sich doch einzig auf die gewillkürte Unterbrechung wegen Präjudizialität nach § 190 ZPO, welche die Rechtsprechung als mit dem Wesen des Insolvenzverfahrens unvereinbar ansieht. Ebenso wenig spricht gegen die Unterbrechung mach § 158 ZPO die Entscheidung 5 Ob 87/63, wonach bei Tod des Schuldners keine Unterbrechung des bereits eröffneten Insolvenzverfahrens nach § 155 ZPO stattfindet, wurde sie doch damit begründet, dass hier ohnehin der Insolvenzverwalter die Masse vertritt und die Erben als Vertreter des ruhenden Nachlasses, gegen den das Insolvenzverfahren weitergeführt werde, dessen Interessen wahrnehmen könnten.

[17] 7. Die Antragsgegnerin beteiligte sich bis zum 13. 9. 2024 am Insolvenzverfahren nicht und war in diesem damit weder durch einen Rechtsanwalt noch einen anderen Prozessbevollmächtigten iSd § 158 ZPO vertreten. Sie war auch nicht durch die Zweiteinschreiterin als deren Alleingesellschafterin vertreten, zumal die Vertretungsbefugnis des Mehrheitsgesellschafters bei Fehlen eines organschaftlichen Vertreters nach § 69 Abs 3a IO einen Schuldnerantrag voraussetzt, hier aber ein Gläubigerantrag (§ 70 IO) vorliegt (Blatt in Konecny/Trenker, Insolvenzgesetze [2024] § 252 IO Rz 74; Mann-Kommenda in Konecny/Trenker, Insolvenzgesetze [2024] § 258a IO Rz 8 ua).

[18] 8. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist demnach seit Beginn des Tages nach der Löschung der Antragsgegnerin im Firmenbuch und damit Ende des Amtes ihres Liquidators ex lege gemäß § 158 ZPO iVm § 252 IO unterbrochen.

[19] 8.1. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der Bestimmung des § 258a IO. Danach kann die Zustellung an die Gesellschaft ohne Bestellung eines Kurators durch Aufnahme in die Ediktsdatei erfolgen, wenn eine Kapitalgesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter hat (Abs 1 Satz 1). Das Gericht hat die Gesellschafter über Form und Inhalt dieser öffentlichen Bekanntmachung zu benachrichtigen (Abs 1 Satz 3). Die Zustellung an die Gesellschaft gilt vier Wochen nach Aufnahme in die Ediktsdatei als bewirkt (Abs 1 Satz 5).

[20] § 258a IO bezweckt die schnellere Eröffnung und Durchführung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von führungslosen Kapitalgesellschaften durch erleichterte Zustellmöglichkeiten (Vorblatt zu ErläutRV 1588 BlgNR 25. GP  2). Die Zustellung des Insolvenzeröffnungsantrags und der Ladung zur Tagsatzung nach § 70 Abs 2 Satz 2 IO ist im vorliegenden Fall aber ohnehin wirksam erfolgt, weil der Liquidator noch in seinem Amt war.

[21] Die Aussage in den Gesetzesmaterialien, aus der Reglung des § 258a IO ergebe sich die Prozessfähigkeit der vertretungslosen Gesellschaft (ErläutRV 1588 BlgNR 25. GP  18 aE), erklärt sich aus der Idee, aufgrund der Ediktalschaltung sei es den Gesellschaftern möglich, für eine Vertretung der Gesellschaft zu sorgen, und wenn dies mehr als vier Wochen unterbleibe, so gehe das Interesse der Gläubiger auf Fortgang des Insolvenzverfahrens vor (vgl Huger in KLS2 [2023] § 258a Rz 10; Mann-Kommenda in Konecny/Trenker, Insolvenzgesetze [2024] § 258a IO Rz 10). Im vorliegenden Fall erfolgte keine Ediktalschaltung, noch wurde der Insolvenzeröffnungsantrag und die Ladung zur Tagsatzung der Zweiteinschreiterin zugestellt. Selbst wenn man annehmen wollte, die zuvor genannte Passage der Gesetzesmaterialien gebe die Rechtslage wieder (vgl zum diesbezüglichen Meinungsstand Huger in KLS2 [2023] § 258a Rz 7 f), entspricht die hier gegebene Sachlage jedenfalls nicht jener, die § 258a IO zugrunde liegt. Dass die Antragsgegnerin hier aufgrund einer vermeintlich ähnlichen Lage wie bei § 258a IO als prozessfähig zu behandeln war, ist daher jedenfalls zu verneinen.

[22] 8.2. Das seit dem 14. 9. 2024, 0:00 Uhr, geführte Verfahren ist samt den Entscheidungen der Vorinstanzen folglich nichtig; das Aufgreifen der Nichtigkeit im Rechtsmittelverfahren gegen den Insolvenzeröffnungsbeschluss ist jedenfalls möglich (vgl 5 Ob 269/68 = JBl 1969, 508 [509]; 8 Ob 37/95; Huger in KLS2 [2023] § 258a Rz 9). Die Nichtigerklärung gründet sich auf § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO iVm § 252 IO (5 Ob 269/68 = JBl 1969, 508 [509]; vgl auch RS0037010; RS0123450).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte