OGH 16Ok1/25w

OGH16Ok1/25w23.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Dr. Annerl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 3, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerinnen 1. B* AG und 2. B* AG, beide *, beide vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, sowie 3. H* B.V., *, vertreten durch die Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen Abstellung von Zuwiderhandlungen gemäß § 26 KartG 2005 und Verhängung von Geldbußen gemäß § 29 KartG 2005, über den Rekurs der Drittantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 11. November 2024, GZ 26 Kt 4/24v-40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0160OK00001.25W.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Kartellrecht

 

Spruch:

1. Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG 2005, BGBl I Nr 2005/61, idF BGBl I Nr 2021/176, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Gemäß § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Rekursverfahrens bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs inne gehalten.

 

Begründung:

I. Bisheriges Verfahren

[1] Die Antragstellerin brachte beim Erstgericht einen gegen die drei Antragsgegnerinnen gerichteten Antrag auf Abstellung von Zuwiderhandlungen nach § 26 KartG 2005 („KartG“) sowie auf Verhängung von Geldbußen nach § 29 Abs 1 Z 1 lit a und lit d KartG ein, wobei sie sich auf Wettbewerbsverstöße gemäß § 1 KartG und Art 101 AEUV sowie gemäß § 5 KartG und Art 102 AEUV stützte. Aufgrund der „wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen an deren Tochtergesellschaften und zum Zweck der Erweiterung des verfügbaren Haftungsfonds zur wirksamen Durchsetzung der Geldbuße“ richte sich ihr Antrag auch gegen die Drittantragsgegnerin als Muttergesellschaft der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen iSd § 29 Abs 2 und 3 KartG. Ein eigenes kartellrechtswidriges Verhalten bzw eine Beteiligung an den Zuwiderhandlungen sei dieser nicht vorzuwerfen.

[2] Das Erstgericht versuchte zunächst, den verfahrenseinleitenden Antrag ohne Übersetzung (sohin in deutscher Sprache) an die in den Niederlanden ansässige Drittantragsgegnerin nach der Verordnung (EU) 2020/1784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten zuzustellen. Die Drittantragsgegnerin verweigerte eine Annahme. In der Folge beabsichtigte das Erstgericht eine Zustellung des Antrags nach den §§ 35a ff KartG. Zu diesem Zweck veranlasste es die Übersetzung des nach § 35b Abs 1 KartG erforderlichen „einheitlichen Titels“ sowie des zuzustellenden Schriftstücks in die holländische Sprache. Schließlich wurde der verfahrenseinleitende Antrag der Drittantragsgegnerin zu Handen ihres – zuletzt namhaft gemachten – österreichischen Vertreters zugestellt.

[3] Mit dem angefochtenen Beschluss bestimmte das Erstgericht die Gebühr der mit der Übersetzung beauftragten Dolmetsch mit 22.626 EUR, ordnete an, dass dieser Betrag aus Amtsgeldern ausbezahlt werde und verpflichtete die Drittantragsgegnerin – gestützt auf § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG – zum Ersatz.

[4] Ausschließlich gegen die Verpflichtung zum Ersatz dieser Gebühren richtet sich der auf den Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte – von der Antragstellerin und vom Bundeskartellanwalt beantwortete – Rekurs der Drittantragsgegnerin mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung dahin abzuändern, dass die Verpflichtung zum Ersatz der Übersetzungskosten nicht ihr sondern der Antragstellerin auferlegt werde. Hilfsweise beantragte die Drittantragsgegnerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

[5] Die Rekurswerberin argumentiert im Wesentlichen, dass eine – vom im KartG generell vorgesehenen Erfolgsprinzip – abweichende Pflicht eines im EU-Ausland ansässigen Unternehmers zum Ersatz der Kosten der Übersetzung des (vom Verfahrensgegner eingebrachten) verfahrenseinleitenden Schriftsatzes (Antrags) grundrechtlichen Verfahrensgarantien zuwiderlaufe.

[6] Da das vorliegende Geldbußenverfahren einen strafrechtlichen Charakter iSd Art 6 EMRK sowie der Art 47 und 48 GRC aufweise, unterliege es den dort normierten grundrechtlichen Anforderungen an ein solches Verfahren. Ein faires (Straf-)Verfahren iSd Art 6 EMRK und der Art 47 und 48 GRC umfasse das Recht in einer verständlichen Sprache über Art und Grund der erhobenen Beschuldigung verständigt zu werden; ebenso die unentgeltliche Beistellung eines Dolmetschers. Daraus folge, dass wesentliche Unterlagen – wie insbesondere der verfahrenseinleitende Antrag – in eine für den Antragsgegner verständliche Sprache übersetzt werden müssten, weil er sonst seine Verteidigungsrechte nicht effektiv wahrnehmen könne. § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG trage dem jedoch nicht Rechnung.

[7] Es sei auch im Hinblick auf das in § 55 KartG grundsätzlich vorgesehene Erfolgsprinzip nicht ersichtlich, warum die – insoweit nicht unionsrechtlich determinierte – Regelung des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG für bestimmte Übersetzungskosten (bei denen es sich um „sonstige Kosten“ iSd § 55 KartG handle) vom Verfahrenserfolg als sonst maßgeblichem Kriterium für die Kostentragung abgehe. Eine Regelung, die dem Antragsgegner eine Zahlungspflicht auferlegt, ohne dass sein kartellrechtswidriges Verhalten feststehe, sei nicht sachgerecht. Die Drittantragsgegnerin habe jene Übersetzungskosten, zu deren Tragung sie vom Erstgericht verpflichtet worden sei, auch nicht verursacht oder veranlasst.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Rekurs ist zulässig.

[9] Es bestehen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG, (BGBl I Nr 2005/61 idF BGBl I Nr 2021/176).

II. Gesetzliche Grundlagen

[10] 1.1. § 41 KartG idF BGBl I 2017/56 lautet:

„In Verfahren wegen der Abstellung von Zuwiderhandlungen (§§ 26 und 27), wegen Feststellungen (§ 28) und wegen der Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über den Kostenersatz sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Kostenersatzpflicht der unterliegenden Partei nur soweit eintritt, als die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig war. Hat eine Partei Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer oder Vergütungen für die fachkundigen Laienrichter getragen, so hat sie gegen eine Gegenpartei, die Gerichtsgebühren zu entrichten hat, Anspruch auf Ersatz mit jenem Teil, der dem Ausmaß ihres Obsiegens entspricht. Auf die Kostenentscheidung ist § 273 ZPO sinngemäß anzuwenden.“

[11] 1.2. § 50 KartG idF BGBl I 2021/176 lautet:

„In Verfahren vor dem Kartellgericht und dem Kartellobergericht sind folgende Gerichtsgebühren zu entrichten:

1. für ein Verfahren über die Prüfung eines Zusammenschlusses (§ 11) eine Rahmengebühr bis 34.000 Euro;

2. für ein Verfahren über die Abstellung einer Zuwiderhandlung (§§ 26, 27 und 28 Abs. 1) eine Rahmengebühr bis 34.000 Euro;

3. für ein Verfahren über Feststellungen (§ 28 Abs. 2) eine Rahmengebühr bis 17.000 Euro;

4. für ein Verfahren über die Verhängung einer Geldbuße, das nicht mit einem Verfahren nach Z 2 verbunden ist, sowie für das Verfahren zur Abschöpfung (§ 111 TKG 2003, § 56 PMG) eine Rahmengebühr bis 34.000 Euro;

5. für ein Verfahren über die Verhängung von Zwangsgeldern (§ 35) und in Verfahren über Hausdurchsuchungen, sofern Widerspruch gegen die Einsichtnahme in oder Beschlagnahme von Urkunden (§ 12 Abs. 5 WettbG) erhoben wird, eine Rahmengebühr bis 8.500 Euro;

6. für sonstige Verfahren eine Rahmengebühr bis 34.000 Euro. Für Verfahren nach § 28a sind keine Rahmengebühren zu entrichten.“

[12] 1.3. § 52 KartG idF BGBl I 2021/176 lautet:

„(1) Zahlungspflichtig für die Gebühr nach § 50 Z 1 ist der Anmelder; für die Gebühr nach § 50 Z 3 der Antragsteller.

(2) Die Zahlungspflicht für die Gebühr nach § 50 Z 2 bis 6 ist nach Maßgabe des Verfahrenserfolgs dem Antragsteller, dem Antragsgegner oder beiden verhältnismäßig aufzuerlegen.

(3) Die Amtsparteien sind von der Zahlung der sie treffenden Gebühren befreit.“

[13] 1.4. § 55 KartG (Stammfassung) lautet:

„Für sonstige Kosten, insbesondere Sachverständigengebühren und nach der Anzahl der Sitzungen oder Verhandlungen bemessene Vergütungen für die fachkundigen Laienrichter des Kartellgerichts und des Kartellobergerichts, sind die Personen zahlungspflichtig, die die Gerichtsgebühr zu entrichten haben.“

[14] 1.5. Die §§ 35a und 35b KartG idF BGBl I 2021/176 lauten:

„§ 35a.

(1) Dieser Abschnitt gilt für Ersuchen einer nationalen Wettbewerbsbehörde eines EU-Mitgliedstaats oder EWR-Vertragsstaats an eine nationale Wettbewerbsbehörde in einem anderen solchen Staat oder an eine andere nach dem Recht des ersuchten Staates für die Durchsetzung zuständige öffentliche Stelle auf

1. Zustellung

a) eines Schriftstückes, in dem dem Empfänger von einer Wettbewerbsbehörde eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 oder 102 AEUV zur Last gelegt wird, oder einer Entscheidung über eine solche Zuwiderhandlung,

b) einer Entscheidung, die in einem auf die Durchsetzung der Art. 101 oder 102 AEUV gerichteten Verfahren einer Wettbewerbsbehörde ergeht, sowie

c) eines sonstigen Schriftstücks, das Gegenstand eines auf die Durchsetzung der Art. 101 oder 102 AEUV gerichteten Verfahrens einer Wettbewerbsbehörde ist;

2. Einbringung einer Geldbuße oder eines Zwangsgelds gegen Unternehmer oder Unternehmervereinigungen wegen einer Zuwiderhandlung gegen

a) Art. 101 oder 102 AEUV,

b) die Verpflichtung, zur Durchsetzung der Art. 101 oder 102 AEUV angeordnete oder genehmigte Nachprüfungen zu dulden,

c) die Verpflichtung, richtige, vollständige und fristgerechte Antworten auf zur Durchsetzung der Art. 101 oder 102 AEUV ergangene Auskunftsverlangen zu geben oder zu Befragungen zu erscheinen,

d) das Verbot, zur Durchsetzung der Art. 101 oder 102 AEUV angebrachte Siegel zu brechen,

e) Entscheidungen auf Abstellung von Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 AEUV, darauf gerichtete einstweilige Maßnahmen oder Verpflichtungszusagen.

(2) Nationale Wettbewerbsbehörde im Sinn dieses Abschnitts ist eine Behörde, die von einem Mitgliedstaat nach Art. 35 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1 vom 4.1.2003 S. 1 (Verordnung (EG) Nr. 1/2003), als für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zuständige Behörde bestimmt worden ist, einschließlich des Kartellgerichts, des Bundeskartellanwalts und der Bundeswettbewerbsbehörde.

§ 35b

(1) Einem Ersuchen auf Zustellung von Schriftstücken oder Einbringung einer Geldbuße oder eines Zwangsgelds ist ein einheitlicher Titel und eine Kopie des zuzustellenden oder zu vollstreckenden Dokuments anzuschließen.

(2) Der einheitliche Titel hat folgende Angaben zu enthalten:

1. Name und Anschrift des Empfängers oder des zur Zahlung Verpflichteten sowie sonstige für die Identifizierung dieser Person erforderliche Angaben,

2. eine Zusammenfassung der einschlägigen Fakten und Umstände,

3. eine Zusammenfassung des zuzustellenden Dokuments oder der zu vollstreckenden Entscheidung,

4. Name, Anschrift und andere Kontaktangaben der ersuchten Behörde und

5. den Zeitraum, in dem die Zustellung oder Einbringung erfolgen soll, beispielsweise gesetzliche Fristen oder Verjährungsfristen.

(3) Für Ersuchen auf Einbringung einer Geldbuße oder eines Zwangsgelds hat der einheitliche Titel folgende weiteren Angaben zu enthalten:

1. das Datum der Rechtskraft und das Datum der Vollstreckbarkeit der Entscheidung,

2. den Betrag und die Währung der Geldbuße oder des Zwangsgelds.

(4) Der einheitliche Titel ist in der oder einer der Amtssprachen des Staates der ersuchten Behörde zu übermitteln, wenn dies nach dessen Recht vorgesehen ist. Dem Ersuchen ist überdies eine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks oder der zu vollstreckenden Entscheidung in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Staates der ersuchten Behörde anzuschließen, wenn dies nach dessen Recht vorgesehen ist. Das Kartellgericht hat die Kosten der Übersetzung aus Amtsgeldern zu berichtigen und dem Unternehmer oder der Unternehmervereinigung zum Ersatz aufzuerlegen. Das Kartellgericht hat den einheitlichen Titel in Form einer Amtsbestätigung nach § 186 Abs. 1 AußStrG auszustellen.

(5) Entstehen einer ausländischen ersuchten Behörde aus Anlass der Erledigung eines Zustellungs- oder Vollstreckungsersuchens des Kartellgerichts Kosten, so hat das Kartellgericht diese Kosten aus Amtsgeldern zu berichtigen, soweit diese Kosten vertretbar sind. Diese Kosten sind sonstige Kosten im Sinn des § 55.

(6) Wird ein an die Bundeswettbewerbsbehörde zu richtendes Gesuch beim Kartellgericht eingebracht, so hat das Kartellgericht dieses von Amts wegen an die Bundeswettbewerbsbehörde weiterzuleiten. Wird ein eingehendes Ersuchen einer nationalen Wettbewerbsbehörde auf den Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. Nr. L 76 vom 22.3.2005 S. 16, gestützt, so ist dieses an die zuständige Vollstreckungsbehörde oder das zuständige Gericht weiterzuleiten.“

III. Grundsätzliches zur Kostentragung im Kartellverfahren

[15] 1. Die Prozesskosten im Kartellverfahren umfassen die Rahmengebühr (§ 50 KartG), sonstige Gebühren iSd § 55 KartG (insbesondere für Zeugen, Sachverständige, Dolmetscher und die Vergütung für Laienrichter; dort als „gerichtliche Kosten“ bezeichnet) sowie die Prozesskosten der Parteien (§ 41 KartG; insbesondere ihre anwaltlichen Vertretungskosten sowie Reiseauslagen).

[16] 2. Der Ersatz der „Gebühren“ (Rahmengebühr nach § 50 KartG und sonstige Gebühren nach § 55 KartG) einerseits und der (sonstigen) Prozesskosten der Parteien (insbesondere ihrer Vertretungskosten) wird im KartG jeweils unterschiedlich geregelt:

[17] 2.1. Für die Verpflichtung zur Zahlung der Gerichtsgebühr (Rahmengebühr; § 50 KartG) sowie der sonstigen Gebühren (§ 55 KartG; „gerichtliche Kosten“) wird grundsätzlich auf den Verfahrenserfolg abgestellt (§ 52 Abs 2 KartG für die Rahmengebühr; § 55 KartG iVm § 52 Abs 2 KartG für die sonstigen Gebühren; vgl auch § 41 Satz 2 KartG zum Fall, dass eine Partei Gebühren iSd § 55 KartG vorerst in Form eines Kostenvorschusses oder durch Direktzahlung getragen hat), wobei eine Amtspartei auch im Fall ihres Unterliegens von der Zahlungspflicht befreit ist (§ 52 Abs 3 KartG).

[18] 2.2. Für die sonstigen Prozesskosten der Parteien (insbesondere ihre Vertretungskosten) gilt nach § 41 Satz 1 KartG hingegen (ua in Verfahren wegen Verhängung einer Geldbuße nach § 29 KartG), dass die obsiegende Partei nur dann einen Ersatzanspruch gegen den Verfahrensgegner hat, wenn dieser das Verfahren mutwillig geführt hat. Die Kostenersatzpflicht bei mutwilliger Verfahrensführung gilt dann aber auch für die Amtsparteien. Hat die unterlegene Partei das Verfahren nicht mutwillig geführt, hat jede Partei ihre (sonstigen) Prozesskosten (also vor allem ihre Vertretungskosten) selbst zu tragen (vgl im Überblick Hartung in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht [2022] § 41 KartG Rz 1 ff; Ingemarsson in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG³ [2024] § 41 KartG Rz 3 ff).

[19] 3. Bei § 55 KartG handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Sondervorschrift, die regelt, welche Partei dem Bund für die in dieser Bestimmung genannten (Gerichts-)Kosten – zu denen auch Dolmetschgebühren und Übersetzungskosten zählen (die Aufzählung der Kosten in § 55 KartG ist demonstrativ: „insbesondere“) – aufzukommen hat (Ingemarsson in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG³ § 55 KartG Rz 1). Sie sind dem Rechtsträger von jener Partei zu ersetzen, welche die Rahmengebühr zu entrichten hat. Da sich die Pflicht zur Entrichtung der Rahmengebühr iSd § 50 Z 2 bis Z 6 KartG gemäß § 52 Abs 2 KartG grundsätzlich nach dem Verfahrenserfolg richtet, hängt auch die Pflicht zum Ersatz der (vorerst) vom Bund (aus Amtsgeldern) getragenen Kosten des § 55 KartG von diesem ab. Da nach § 52 Abs 3 KartG die Amtsparteien im Fall ihres Unterliegens von einer Pflicht zur Entrichtung der Rahmengebühr befreit sind, haben sie in diesem Fall auch keine Kosten iSd § 55 KartG zu tragen. In diesem Fall fehlt es an einer zahlungspflichtigen Partei für die in § 55 genannten Kosten, die dann endgültig vom Bund zu tragen sind (Ingemarsson aaO Rz 6; Völkl-Torggler / Ingemarsson / Majer , Das Verfahren vor dem Kartellgericht³ [2023]Rz 302).

IV. Kostentragung bei Zustellungen innerhalb der Europäischen Union und des EWR

[20] 1. Unionsrechtliche Grundlage der im KartG in Abschnitt 3a enthaltenen §§ 35a bis 35e über die Zustellung und Einbringung von Geldbußen und Zwangsgeldern innerhalb der EU und des EWR ist die ECN+ RL, mit der die Amtshilfe zwischen EU-Wettbewerbsbehörden auf die Zustellung bestimmter Schriftstücke und die Vollstreckung von Entscheidungen zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern ausgedehnt wurde. Die Umsetzung dieser Richtlinie erfolgte zwar grundsätzlich in § 14a WettbG, ihre Art 25 bis 28 wurden jedoch mit dem durch das KaWeRÄG 2021 (BGBl I 2021/176) neu eingefügten Abschnitt 3a des KartG (§§ 35a bis 35e KartG) umgesetzt. Art 25 ECN+ RL regelt das Ersuchen um Zustellung vorläufiger Beschwerdepunkte und anderer Unterlagen, Art 26 das Ersuchen um Vollstreckung von Entscheidungen zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern, Art 27 die allgemeinen Grundsätze der Zusammenarbeit und Art 28 Streitigkeiten über Zustellungsersuchen und über Ersuchen um Vollstreckung von Entscheidungen zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern.

[21] 2. Maßgeblich für den vorliegenden Fall ist Art 27 ECN+ RL über die allgemeinen Grundsätze für Zustellungen und Vollstreckungsersuchen. Diese Bestimmung sollte in § 35b KartG umgesetzt werden (RV 951 BlgNR 27. GP  20).

[22] Art 27 ECN+ RL lautet wie folgt:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Ersuchen im Sinne der Artikel 25 und 26 durch die ersuchte Behörde im Einklang mit dem nationalen Recht des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde durchgeführt werden.

(2) Ersuchen im Sinne der Artikel 25 und 26 werden ohne ungebührliche Verzögerung auf der Grundlage eines einheitlichen Titels durchgeführt, dem eine Kopie des zuzustellenden oder zu vollstreckenden Aktes beigefügt ist. Dieser einheitliche Titel enthält folgende Angaben:

a) Name, Anschrift des Empfängers und alle weiteren relevanten Informationen zur Identifizierung des Empfängers,

b) eine Zusammenfassung der einschlägigen Fakten und Umstände,

c) eine Zusammenfassung der beigefügten Kopie des zuzustellenden oder zu vollstreckenden Aktes,

d) Name, Anschrift und andere Kontaktangaben der ersuchten Behörde und

e) den Zeitraum, in dem die Zustellung oder Vollstreckung erfolgen sollte, beispielsweise gesetzliche Fristen oder Verjährungsfristen.

(3) Neben den in Absatz 2 dieses Artikels genannten Anforderungen enthält der einheitliche Titel für Ersuchen gemäß Artikel 26 die folgenden Angaben:

a) Informationen zu der Entscheidung, mit der die Vollstreckung im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde gestattet wird,

b) das Datum, an dem die Entscheidung rechtskräftig wurde,

c) den Betrag der Geldbuße oder des Zwangsgeldes und

d) Informationen, die belegen, dass sich die ersuchende Behörde nach besten Kräften um die Vollstreckung der Entscheidung in ihrem Hoheitsgebiet bemüht hat.

(4) Sofern die Anforderungen nach Absatz 2 erfüllt sind, ist der einheitliche Titel, der die ersuchte Behörde zur Vollstreckung ermächtigt, die alleinige Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen der ersuchten Behörde. Er muss im Mitgliedstaat der ersuchten Behörde weder durch einen besonderen Akt anerkannt, noch ergänzt oder ersetzt werden. Sofern die ersuchte Behörde nicht Absatz 6 geltend macht, trifft die ersuchte Behörde alle Maßnahmen, die zur Vollstreckung dieses Ersuchens notwendig sind.

(5) Die ersuchende Behörde stellt sicher, dass der einheitliche Titel der ersuchten Behörde in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde übermittelt wird, es sei denn, die ersuchte Behörde und die ersuchende Behörde haben eine bilaterale Absprache auf Einzelfallbasis getroffen, nach der der einheitliche Titel in einer anderen Sprache übermittelt werden kann. Wenn das nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde vorgeschrieben ist, legt die ersuchende Behörde für den zuzustellenden Akt oder für die Entscheidung, die zur Vollstreckung der Geldbuße oder des Zwangsgeldes ermächtigt, eine Übersetzung in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde vor. Dies gilt unbeschadet des Rechts der ersuchten Behörde und der antragstellenden Behörde, eine bilaterale Absprache auf Einzelfallbasis zu treffen, nach der die Übersetzung in einer anderen Amtssprache vorgelegt werden kann.

(6) Die ersuchte Behörde ist zur Erledigung eines Ersuchens im Sinne der Artikel 25 oder 26 nicht verpflichtet, wenn

a) das Ersuchen nicht den Anforderungen dieses Artikels entspricht oder

b) die ersuchte Behörde schlüssig darlegen kann, dass die Erledigung des Ersuchens der öffentlichen Ordnung in dem Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung erwirkt werden soll, offensichtlich widersprechen würde. Wenn die ersuchte Behörde beabsichtigt, ein Amtshilfeersuchen gemäß Artikel 25 oder 26 abzulehnen oder zusätzliche Informationen anzufordern, wendet sie sich an die ersuchende Behörde.

(7) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle vertretbaren zusätzlichen Kosten einschließlich Übersetzungs-, Personal‑ und Verwaltungskosten für Maßnahmen gemäß Artikel 24 oder 25 auf Antrag der ersuchten Behörde vollständig von der ersuchenden Behörde getragen werden.

(8) Die ersuchte Behörde kann alle im Zusammenhang mit Maßnahmen gemäß Artikel 26 entstandenen Kosten einschließlich Übersetzungs-, Personal- und Verwaltungskosten aus den für die ersuchende Behörde erhobenen Geldbußen oder Zwangsgeldern decken. Wenn es der ersuchten Behörde nicht gelingt, die Geldbußen oder Zwangsgelder beizutreiben, kann sie die ersuchende Behörde um Übernahme der entstandenen Kosten ersuchen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die ersuchte Behörde die mit der Vollstreckung entsprechender Entscheidungen verbundenen Kosten auch von dem Unternehmen, gegen das die Geldbuße oder das Zwangsgeld vollstreckbar ist, einziehen kann. Die ersuchte Behörde zieht die geschuldeten Beträge in der Währung ihres Mitgliedstaats im Einklang mit den in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Gepflogenheiten ein. Gegebenenfalls rechnet die ersuchte Behörde die Geldbußen oder Zwangsgelder im Einklang mit den nationalen Rechtvorschriften und Gepflogenheiten in die Währung des Mitgliedstaats der ersuchten Behörde zu dem Wechselkurs um, der am Tag der Verhängung der Geldbußen oder Zwangsgelder galt.“

[23] 3. Aus den Gesetzesmaterialien (RV 951 BlgNR 27. GP  21) ergibt sich, dass § 35b Abs 4 KartG die Vorgaben des Art 27 Abs 5 ECN+ RL umsetzen sollte. Diese unionsrechtliche Bestimmung enthält jedoch keine Regelung der Kostentragung im Verhältnis zwischen den Parteien eines konkreten wettbewerbsrechtlichen Verfahrens. Dazu findet sich auch sonst keine Regelung in Art 27 ECN+ RL. Dessen Abs 7 sieht (nur) vor, dass die ersuchende Behörde Kosten, die der ersuchten Behörde für Maßnahmen nach Art 24 (Zusammenarbeit zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden) und Art 25 ECN+ RL (Ersuchen um Zustellung) entstanden sind, (auf deren Antrag) zu tragen hat. Abs 8 leg cit enthält Regelungen für die Kostentragung im Zusammenhang mit Maßnahmen gemäß Art 26 ECN+ RL (Ersuchen um Vollstreckung von Entscheidungen zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern).

[24] 4. Entsprechend Art 27 Abs 7 ECN+ RL, wonach Kosten der ersuchten Behörde vom Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde zu tragen sind, sieht § 35b Abs 5 KartG vor, dass das Kartellgericht (als ersuchende Behörde) Kosten der ausländischen ersuchten Behörde für die Erledigung eines Zustellungs- oder Vollstreckungsersuchens (des Kartellgerichts) aus Amtsgeldern zu berichtigen hat und diese Kosten sonstige Kosten iSd § 55 KartG sind. Diese Regelung ist auf den vorliegenden Fall, in dem es nicht um Kosten der ausländischen ersuchten Behörde geht, sondern um Kosten der ersuchenden Behörde (des Kartellgerichts), aber nicht anzuwenden. Deren Berichtigung und Tragung regelt vielmehr – soweit es sich um Kosten für die Übersetzung des „einheitlichen Titels“, des zuzustellenden Schriftstücks oder der zu vollstreckenden Entscheidung handelt – § 35b Abs 4 KartG, dessen Satz 3 vorsieht, dass das Kartellgericht diese Kosten (zunächst) aus Amtsgeldern zu berichtigen und (dann) dem Unternehmer oder der Unternehmervereinigung zum Ersatz aufzuerlegen hat.

[25] 5. Dass Übersetzungskosten des Kartellgerichts als ersuchender Behörde gemäß § 35b Abs 4 Satz 3 erster Halbsatz KartG (zunächst) aus Amtsgeldern zu berichtigen und daher vom Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde zu tragen sind (und nicht etwa vom Mitgliedstaat der ausländischen ersuchten Behörde), findet Deckung in der Systematik des Art 27 ECN+ RL, wonach Kosten für Maßnahmen nach den Art 24 bis 26 dieser Richtlinie vom Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde zu tragen sind. § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG normiert allerdings darüber hinaus, dass das Kartellgericht als ersuchende Behörde die (zunächst aus Amtsgeldern berichtigten) Übersetzungskosten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens oder der Verursachung dieser Kosten „dem Unternehmer oder der Unternehmervereinigung“ zum Ersatz aufzuerlegen hat. Zur Frage, welche konkrete Verfahrenspartei die vom Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde (nur vorläufig) getragenen Kosten zu ersetzen hat, enthält Art 27 ECN+ RL aber keine Vorgabe. Vielmehr regelt diese Bestimmung – worauf die Rekurswerberin zu Recht hinweist – nur die Kostentragung zwischen der ersuchten und der ersuchenden Behörde (deren Mitgliedstaaten).

[26] 6. § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG setzt somit nicht die ECN+ RL um, sondern enthält eine über diese hinausgehende Regelung zur Kostentragung durch die Parteien des konkreten Verfahrens.

V. Verfassungsrechtliche Bedenken an § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG

1. Art 6 EMRK und Art 47, 48 GRC

1.1. Zum „strafrechtlichen Charakter“ des kartellrechtlichen Geldbußenverfahrens

[27] 1.1.1. Mit der Kartellrechtsnovelle 2002 (BGBl I 2002/62) wurde das bis dahin bestehende System gerichtlicher Straftatbestände für Verstöße gegen das KartG durch Einführung einer vom Kartellgericht aufzuerlegenden Geldbuße in § 142 KartG 1988 (nunmehr § 29 KartG 2005) neu gestaltet (16 Ok 5/08). Das Geldbußenverfahren ist demnach nicht mehr den Strafbehörden, sondern dem Kartellgericht zugeordnet. Kartellrechtliche Geldbußen sanktionieren zwar ein bestimmtes Verhalten, richten sich aber nicht an die Allgemeinheit, sondern – soweit hier relevant – nur gegen eine bestimmte Personenkategorie, nämlich Unternehmer, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Sie sind nach ihrer „wahren Natur“ nicht gegen strafrechtliche Zuwiderhandlungen gerichtet, sondern Mittel staatlichen Zwangs, um die kartellrechtlich vorgesehene Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Pönalisiert wird nicht Kriminalunrecht, sondern die Verletzung von Wettbewerbsvorschriften. Kartellrechtliche Geldbußen sind daher nach herrschender (österreichischer) Ansicht keine „echten“ Kriminalstrafen (16 Ok 4/07 mwN), sehr wohl aber – da ihnen Präventionsfunktion zukommt (RS0130389) – Sanktionen mit „strafrechtsähnlichem Charakter“ (RS0120560; 16 Ok 5/23f).

[28] 1.1.2. Der EGMR legt den Begriff des Strafrechts im Sinn des EMRK (insb deren Art 6) autonom aus. Er qualifiziert ein Verfahren als strafrechtlich, wenn es nach der nationalen Systematik zum Kriminalstrafrecht gehört oder sich die Qualifikation als strafrechtliche Anklage aus der Natur des Vergehens oder der Art der vorgesehenen Sanktion ergibt, insbesondere wenn eine Freiheitsstrafe oder eine ähnlich schwerwiegende Strafe verhängt wird („Engel-Kriterien“; EGMR 8. 6. 1976, 5100/71 ua, Engel ua; vgl auch Grabenwarter/Frank, B-VG [2020] Art 6 EMRK Rz 5 mwN; 16 Ok 4/07).

[29] In der Rechtssache A. Menarini Diagnostics (27. 9. 2011, 43509/08, Rn 38 ff) legte der EGMR dar, dass auch Kartellbußen als Strafen (dort iSd Art 4 7. ZP-EMRK) angesehen werden können, weil (wenn) sie sich durch einen „abschreckenden sowie vergeltenden Charakter […] und als eine die Schwere des Vergehens belegende erhebliche Sanktion darstellen, die zur Auferlegung einer finanziellen Belastung führen könne“. Unabhängig davon, dass eine solche Maßnahme ihre Grundlage im Kartell- und nicht im (Kern-)Strafrecht finde, weise sie einen strafrechtlichen bzw strafrechtsähnlichen […] Charakter auf (EGMR aaO Rn 44; idS auch bereits EGMR 21. 2. 1984, 8544/79, Öztürk/Deutschland, insb Rn 53, zu einer Geldbuße nach dem deutschen OrdnungswidrigkeitenG, das Grundlage für die Verhängung von Geldbußen wegen Wettbewerbsverstößen ist; siehe auch EGMR 23. 11. 2006, 73053/01, Jussila/Finnland, Rn 43 mwN; vgl zur vorliegenden Thematik auch 16 Ok 5/23f).

[30] Auch nach herrschender Ansicht in der rechtswissenschaftlichen Literatur handelt es sich bei kartellrechtlichen Geldbußen um Strafen und beim Geldbußenverfahren daher um eine strafrechtliche Anklage im Sinn des EMRK (etwa Rosbaud, Das Kartellstrafrecht ist tot! Lang lebe das Kartellstrafrecht!, JBl 2003, 907, der auch auf die Anwendbarkeit der besonderen Verfahrensgarantien des Art 6 Abs 3 EMRK hinweist; vgl auch Zeder, Die österreichischen Kartellbußen am Maßstab des Kriminalrechts, JBl 2007, 477 [479]; B. Müller/E. Müller, Ne bis in idem: Geldbußen und Kriminalstrafen für Submissionskartelle, wbl 2014, 61 [62 f], jeweils mwN; Völkl-Torggler/Ingemarsson/Majer, Das Verfahren vor dem Kartellgericht³ Rz 525).

[31] 1.1.3. Auch der EuGH knüpft für die Beurteilung, ob eine Sanktion strafrechtlichen Charakter im Sinn des GRC aufweist, an die vom EGMR entwickelten Engel-Kriterien an (für viele etwa EuGH 20. 3. 2018, C‑524/15 , Menci, Rn 26 mwN; 22. 3. 2022, C‑117/20 , bpost, Rn 25; 14. 9. 2023, C‑27/22 , Volkswagen, Rn 45). Auch einem Verfahren zur Verhängung einer Geldbuße wegen eines Wettbewerbsverstoßes kommt demnach der Charakter eines Strafverfahrens im Sinn des GRC zu (EuGH 20. 3. 2018, Garlsson, C-537/16 , insb Rn 28 ff; 22. 3. 2022, C‑117/20 m, bpost, insb Rn 27; 22. 3. 2022, C‑151/20 , Nordzucker ua, Rn 30 ff).

1.2. Zu Art 6 Abs 3 EMRK

[32] 1.2.1. Art 6 EMRK enthält in seinem Abs 1 allgemeine Verfahrensgarantien für Zivil- und Strafverfahren und in seinen Abs 2 und Abs 3 besondere Garantien für Strafverfahren (Verfahren über eine strafrechtliche Anklage). Gemäß Art 6 Abs 3 lit a EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Gemäß Art 6 Abs 3 lit e EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich darin nicht ausdrücken kann.

[33] 1.2.2. Das Recht auf Übersetzung nach Art 6 Abs 3 lit a EMRK ist beschränkt auf die offizielle Mitteilung über die Einleitung des Strafverfahrens (Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar² [2019] Art 48 Rz 18 mit Hinweis auf EGMR 19. 12. 1989, 10964/84, Brozicek/Italien, Rz 41). Diese Bestimmung enthält jedoch keine Regelung zu den Kosten einer solchen Übersetzung. Diese findet sich aber in Art 6 Abs 3 lit e EMRK, wonach jeder Angeklagte das Recht auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher hat. Der EGMR versteht dies in einem umfassenden Sinn und geht (sogar) davon aus, dass einem (später) Verurteilten die Kosten für eine solche Beziehung eines Dolmetschers auch nicht im Nachhinein auferlegt werden dürfen, weil dies „die Rechtswohltat dieser Bestimmung“ zeitlich beschränke und später verurteilten Angeklagten vorenthalte, was dem Ziel und Zweck des Art 6 Abs 3 lit e zuwiderliefe (EGMR 28. 11. 1978, 6210/73, Luedicke ua/Deutschland, Rn 42). Das Recht auf unentgeltliche Beigebung eines Dolmetschers findet nicht nur auf mündliche Äußerungen in der Verhandlung Anwendung, sondern auch auf schriftliches „Material“ (EGMR 28. 8. 2018, 59868/08, Vizgirda/Slowenien, Rz 76). Der Angeklagte, der die Verhandlungssprache nicht versteht oder nicht spricht, hat demnach Anspruch auf eine unentgeltliche Übersetzung sämtlicher Schriftstücke, auf deren Verständnis er angewiesen ist, um ein faires Verfahren zu bekommen. Dass dies jedenfalls auf das verfahrenseinleitende Schriftstück (den verfahrenseinleitenden Antrag) zutrifft, ergibt sich schon aus dem Zusammenhang des Art 6 Abs 3 lit e EMRK mit lit a leg cit (idS EGMR 28. 11. 1978, 6210/73, Luedicke ua/Deutschland, Rn 45, wonach „nicht ausgeschlossen“ sei, dass Art 6 Abs 3 lit e EMRK auch für jene Kosten gelte, die durch die Übersetzung der in lit a leg cit genannten Beschuldigungen verursacht worden seien) sowie daraus, dass dessen Kenntnis unbedingt erforderlich ist, um die eigene Verteidigung effektiv betreiben zu können (darauf abstellend EGMR 28. 11. 1978, 6210/73, Luedicke ua, Rz 48; s auch Wiederin in Fuchs/Ratz, WK StPO [2014] § 6 StPO Rz 103 mwN).

[34] 1.2.3. Fraglich ist, ob § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG über die Kostentragung des „Unternehmers oder der Unternehmervereinigung“ diesen grundrechtlichen Vorgaben des Art 6 Abs 3 lit e iVm lit a EMRK entspricht.

[35] Geht man davon aus, dass dem kartellrechtlichen Geldbußenverfahren der Charakter eines Strafverfahrens iSd Art 6 EMRK zukommt und dem „Angeklagten“ (im kartellrechtlichen Geldbußenverfahren also dem Antragsgegner) daher unentgeltlich eine Übersetzung des verfahrenseinleitenden Antrags zur Verfügung zu stellen wäre (wobei es auch nicht auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ankommt; vgl Wiederin in Fuchs/Ratz, WK StPO § 6 StPO Rz 106), so bestünden daran zumindest Bedenken.

[36] Zwar regelt § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG ganz allgemein den Ersatz der Kosten für Übersetzungen im Rahmen der Rechtshilfe nach den §§ 35a bis 35e KartG. Die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (Antrags) an einen im Ausland ansässigen Antragsgegner eines kartellrechtlichen Geldbußenverfahrens bildet aber einen zentralen Anwendungsfall des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG, für welchen den Garantien des Art 6 Abs 3 lit e iVm lit a EMRK aber nicht Rechnung getragen wurde.

1.3. Zu Art 47, 48 GRC

[37] 1.3.1. Gemäß Art 51 Abs 1 GRC gilt die GRC für Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Ihr Anwendungsbereich ist hier schon deshalb eröffnet, weil der Antrag auf Verhängung einer Geldbuße (verbunden mit dem Antrag auf Abstellung von Zuwiderhandlungen) auch auf Verstöße gegen Art 101 und 102 AEUV gestützt wurde.

[38] 1.3.2. Mit seinem Erkenntnis vom 14. 3. 2012 zu U 466/11 ua (VfSlg 19.632/2012) sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass auch die in der GRC garantierten Rechte Prüfungsmaßstab des Normprüfungsverfahrens sein können, jedenfalls wenn die betreffende Garantie der GRC in ihrer Formulierung und Bestimmtheit verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht. Er begründete dies unter anderem mit dem unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz, wonach die Bedingungen für Verfahren zur Durchsetzung von aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten nicht ungünstiger sein dürfen, als jene zur Durchsetzung nationaler Rechte. Seitdem judiziert er in ständiger Rechtsprechung, dass die von der GRC garantierten Rechte unter der genannten Voraussetzung (vergleichbarer Grundrechtsschutz nach der GRC und nationalem Recht) als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art 144 B-VG geltend gemacht werden können und einen Prüfungsmaßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle bilden (etwa VfGH G 144/2018 = VfSlg 20.291/2018 [1.2.1.2 mwN]. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs gleichen die in Art 47 GRC garantierten Rechte verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung (G 447/2015 = VfSlg 20.064/2016 [3.2.3]). Dies gilt wohl auch für Art 48 GRC (so im Ergebnis VfGH G 115/2022).

[39] 1.3.3. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht es einerseits nationalen Gerichten in Fällen, in denen ein Unionsrechtsakt nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich macht und das Handeln des Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht determiniert ist, frei, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern dadurch weder das Schutzniveau der GRC noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt wird (etwa EuGH 26. 2. 2013, C-399/11 , Melloni, Rn 60; 26. 2. 2013, C-617/10 , Åkerberg Fransson, Rn 29; 11. 9. 2014, C-112/13 , A gegen B, Rn 44; 29. 7. 2019, C-516/17 , Spiegel Online, Rn 21). Andererseits steht das Unionsrecht einer nationalen Regel nicht entgegen, wonach ein Gericht beim nationalen Verfassungsgericht die Aufhebung eines möglicherweise gegen die GRC verstoßenden nationalen Gesetzes zu beantragen hat, sofern es dem nationalen Gericht frei steht, jederzeit – und auch nach Abschluss eines solchen Zwischenverfahrens zur Normenkontrolle – ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, vorläufige Maßnahmen zum Schutz unionsrechtlich garantierter Rechte zu erlassen und nach Abschluss des Zwischenverfahrens (Normprüfungsverfahrens) die fragliche nationale Bestimmung – wenn es diese als unionsrechtswidrig ansähe – unangewendet zu lassen (EuGH 22. 6. 2010, C-188/10 und C-189/10 , Melki und Abdeli, insb Rn 57; 11. 9. 2014, C-112/13 , A gegen B, insb Rn 46). Aus dem Unionsrecht folgt daher nicht, dass ein Vorabentscheidungsverfahren jedenfalls Vorrang vor einem (nationalen) verfassungsgerichtlichen Normprüfungsverfahren hätte (vgl Grabenwarter/Frank, B-VG2 [2025] Art 89 Rz 7).

[40] Da § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG – wie dargelegt – nicht die ECN+ RL umsetzt, sondern eine über die Vorgaben dieser Richtlinie hinausgehende Regelung zur Kostenersatzpflicht innerhalb des konkreten Kartellverfahrens enthält, spricht das Monopol des EuGH zur Auslegung unionsrechtlicher Normen nicht gegen eine Anrufung des Verfassungsgerichtshofs, zumal eine Anrufung des EuGH grundsätzlich sowohl dem Verfassungsgerichtshof (als vorlagepflichtigem Gericht iSd Art 267 Abs 3 AEUV; vgl etwa VfGH G 47/12 ua = VfSlg 19.702/2012 [1.2 mwN]; G 144/2018 = VfSlg 20.291/2018 [1.2.1.2]) als auch dem Obersten Gerichtshof (nach Abschluss des Normprüfungsverfahrens, wenn dieses zu keiner Aufhebung der angefochtenen Norm führt) freistünde. Eine Normprüfung am Maßstab der GRC steht nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs dem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang der GRC auch im Hinblick auf die weitergehenden Rechtsfolgen des nationalen Normprüfungsverfahrens nicht entgegen, käme der Verfassungsgerichtshof im Fall einer Aufhebung der angefochtenen Norm doch der unionsrechtlichen Bereinigungspflicht nach (VfGH G 144/2018 = VfSlg 20.291/2018 [1.2.1.2; siehe auch 1.2.1.3] zu einem Individualantrag nach Art 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG; vgl auch bereits U 466/11 ua = VfSlg 19.632/2012 [5.8]).

[41] 1.3.4. Art 48 GRC beruht ungeachtet seines abweichenden Wortlauts auf Art 6 Abs 2 und 3 EMRK. Die in Art 48 Abs 1 und 2 GRC garantierten Grundrechte haben gemäß Art 52 Abs 3 Satz 1 GRC und ausweislich der Erläuterungen zur GRC (nach diesen soll mit dessen Art 52 Abs 3 die notwendige Kohärenz zwischen der GRC und der EMRK geschaffen werden; vgl EuGH 20. 3. 2018, C‑524/15 , Menci, Rn 23 mwN) dieselbe Bedeutung und Tragweite wie die durch Art 6 Abs 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Die in Art 6 Abs 3 lit a bis e EMRK demonstrativ angeführten Rechte sind demnach in Art 48 Abs 2 GRC als Konkretisierung „hineinzulesen“ (Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar2 [2019] Art 48 GRC Rz 2 mwN sowie Rz 40). Insoweit kann hier auf die Bedenken an der Verfassungskonformität des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG im Hinblick auf Art 6 Abs 3 EMRK verwiesen werden.

2. Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B-VG

[42] 2.1. Der in Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B-VG verankerte Gleichheitsgrundsatz gebietet dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, und setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er es verbietet, sachlich nicht begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen. Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (für viele etwa VfGH G 131/2024 mwN; vgl auch RS0053889 [T15]). Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (VfGH G 330/2018 = 20343/2019 mwN).

[43] 2.2. Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung der Kostentragung ein gewisser Gestaltungsspielraum zusteht und keine verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht, in einem Verfahren stets einen Kostenersatz nach dem Obsiegensverhältnis vorzusehen. Dies ändert aber nichts daran, dass das gewählte System grundsätzlich (in sich) konsistent sein muss (vgl VfGH G 14/12 = VfSlg 19.666/2012 zu Gerichtsgebühren).

[44] 2.3. Der Oberste Gerichtshof hegt Bedenken, ob sich der Gesetzgeber des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG noch innerhalb des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums hielt, weil diese (nicht unionsrechtlich determinierte) Bestimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Kostenersatzes im Kartellverfahren kaum vereinbar ist.

[45] 2.3.1. Der Gesetzgeber des KartG entschied sich sowohl für die Rahmengebühr des § 50 KartG als auch für die „gerichtlichen Kosten“ iSd § 55 KartG – zu denen auch die Kosten einer vom Gericht angeordneten Übersetzung zählen – für eine Kostentragungspflicht nach dem (wegen der Ausnahme der Amtsparteien von der Zahlungspflicht gemäß § 52 Abs 3 KartG abgeschwächten) Erfolgsprinzip (§ 55 KartG; § 52 Abs 2 KartG). Ein Unternehmer oder eine Unternehmensvereinigung als Partei eines Geldbußenverfahrens kann demnach nur im Fall seines/ihres Unterliegens zur Zahlung bzw Tragung dieser Kosten herangezogen werden. Auch der Kostenersatzregelung des § 41 Satz 1 KartG liegt (für die sonstigen Parteikosten, insbesondere die Vertretungskosten) grundsätzlich das Erfolgsprinzip zugrunde, wobei mit dem Erfordernis der mutwilligen Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zusätzlich ein Verursachungs- und Verschuldenselement berücksichtigt wurde. § 41 Satz 2 KartG knüpft die Ersatzpflicht für von einer Partei – in Form eines Kostenvorschusses oder durch Direktzahlung – (vorläufig) getragenen Kosten iSd § 55 KartG ebenfalls an das Ausmaß des Obsiegens.

[46] 2.3.2. Von diesen Kriterien für die Kostentragung weicht § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG grundlegend ab, weil nach dieser Bestimmung jene Person (Unternehmer oder Unternehmervereinigung), der ein Schriftstück im Ausland zugestellt werden soll, die Kosten von dessen Übersetzung unabhängig davon zu tragen hat, ob sie einen Anlass für das Verfahren gegeben hat, ob sie in diesem Verfahren unterliegt oder ob sie die genannten Kosten in irgendeiner Weise verursacht hat. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass die Kostenersatzpflicht (gegenüber dem Bund) gänzlich losgelöst von den Kriterien der Verfahrensveranlassung, des Verfahrenserfolgs oder der (sonstigen) Kostenverursachung bestehen soll, ist nicht ersichtlich.

[47] 3. Zusammengefasst hat der Oberste Gerichtshof Bedenken, ob § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG den grundrechtlichen Anforderungen der Art 6 Abs 3 lit e (iVm lit a) EMRK und Art 47 und 48 GRC sowie der Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B-VG entspricht, weshalb die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof herangetragen wird.

VI. Präjudizialität

[48] Das antragstellende Gericht hat jene Normen anzufechten, die für seine Entscheidung präjudiziell sind. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Präjudizialität des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG daraus, dass das Erstgericht die bekämpfte Entscheidung, mit der es die Drittantragsgegnerin zur Kostentragung verpflichtete, ausdrücklich auf diese Bestimmung stützte. Würde die Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben, würde sich der Kostenersatz nicht nach dieser Norm, sondern nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 55, 52 KartG richten, die grundsätzlich auf das Obsiegen im Kartellverfahren abstellen. Für die erstinstanzliche Entscheidung hätte dann keine Rechtsgrundlage bestanden. Die Verfassungsmäßigkeit des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG ist daher eine Vorfrage für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs.

VII. Anfechtungsumfang

[49] 1. Das Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und andererseits auch die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammen‑hängenden Bestimmungen erfasst werden (VfGH G 146/2019 mwN). Der im Fall einer Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle darf nicht als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar werden. Es darf auch dem verbleibenden Gesetzestext kein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben werden (VfGH G 168/2023 [2.1.1 mwN]).

[50] 2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs richten sich ausschließlich gegen § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG und ließen sich durch eine Aufhebung (nur) dieses Teils der Gesetzesbestimmung beheben. § 35b Abs 3 KartG enthält mehrere voneinander unabhängige Regelungen, nämlich welche Schriftstücke der ersuchenden Behörde unter welchen Voraussetzungen in Übersetzung zu übermitteln sind (Satz 1 und 2), wer die dafür anfallenden Kosten (vorerst) zu berichtigen (Satz 3 erster Halbsatz) und (letztlich) zu ersetzen (Satz 3 zweiter Halbsatz) und wie die Form des „einheitlichen Titels“ auszusehen hat (Satz 4). Der im Fall einer Aufhebung (nur) des § 35b Abs 4 Satz 3 zweiter Halbsatz KartG verbleibende Teil des § 35b Abs 3 KartG erhielte dadurch keinen völlig veränderten oder sprachlich unverständlichen Inhalt und könnte unabhängig vom aufgehobenen Teil bestehen. Der Kostenersatz würde sich im Fall der Aufhebung dieser (speziellen) Bestimmung nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 55, 52 Abs 2 und 3 KartG richten.

VIII. Innehalten des Verfahrens

[51] Mit dem Verfahren über den Rekurs ist bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innezuhalten (§ 62 Abs 3 VfGG).

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