OGH 16Ok5/25h

OGH16Ok5/25h23.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Dr. Annerl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 3, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerinnen 1. B* AG und 2. B* AG, beide *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, sowie 3. H* B.V., *, vertreten durch die Baker McKenzie Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen Abstellung von Zuwiderhandlungen gemäß § 26 KartG 2005 und Verhängung von Geldbußen gemäß § 29 KartG 2005, über den Rekurs der Drittantragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 11. Februar 2025, GZ 26 Kt 4/24v-53, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0160OK00005.25H.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Kartellrecht

 

Spruch:

Der Rekurs der Drittantragsgegnerin wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin (Bundeswettbewerbsbehörde) brachte beim Erstgericht einen gegen die drei Antragsgegnerinnen gerichteten Antrag auf Abstellung von Zuwiderhandlungen nach § 26 KartG 2005 („KartG“) sowie einen Antrag auf Verhängung von Geldbußen nach § 29 Abs 1 Z 1 lit a und lit d KartG ein, wobei sie sich auf Kartellverstöße gemäß § 1 KartG und Art 101 AEUV sowie gemäß § 5 KartG und Art 102 AEUV stützte. Aufgrund der „wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen an deren Tochtergesellschaften und zum Zweck der Erweiterung des verfügbaren Haftungsfonds zur wirksamen Durchsetzung der Geldbuße“ richte sich der Antrag auch gegen die Drittantragsgegnerin als Muttergesellschaft der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen (iSd § 29 Abs 2 und 3 KartG). Ein eigenes kartellrechtswidriges Verhalten bzw eine Beteiligung an den Zuwiderhandlungen sei dieser nicht vorzuwerfen.

[2] Die Drittantragsgegnerin brachte ua vor, dass die Verfahrensführung der Bundeswettbewerbsbehörde gegen die Drittantragsgegnerin (vor Einleitung des gerichtlichen Kartellverfahrens) gegen (auch grundrechtliche) Verfahrensgarantien verstoßen habe. Die Bundeswettbewerbsbehörde habe die Drittantragsgegnerin weder von dem (auch) gegen sie geführten kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren informiert noch in dieses einbezogen und ihr keine Gelegenheit gegeben, von den (auch entlastenden) Ermittlungsergebnissen Kenntnis zu erlangen und sich dazu zu äußern. Auch die Mitteilung der Beschwerdepunkte sei nur an die Erst- und Zweitantragsgegnerinnen, nicht hingegen an die Drittantragsgegnerin erfolgt. Dass die Drittantragsgegnerin (schon nach dem Vorbringen der Antragstellerin) nicht an den behaupteten Zuwiderhandlungen der Erst- und Zweitantragsgegnerinnen beteiligt gewesen sei, spiele für den Umfang ihrer Verteidigungsrechte keine Rolle, berufe sich die Antragstellerin aufgrund der gesellschaftlichen Verbindung der Drittantragsgegnerin (als Muttergesellschaft) mit den Erst- und Zweitantragsgegnerinnen (als Tochtergesellschaften) doch auf deren solidarische Haftung für die behaupteten Wettbewerbsverstöße.

[3] Zusammengefasst habe die Bundeswettbewerbsbehörde das – auch in dem von ihr geführten Ermittlungsverfahren zu wahrende – rechtliche Gehör der Drittantragsgegnerin (auch in der Ausprägung des Rechts auf Waffengleichheit) verletzt und damit ihre Verteidigungsrechte eingeschränkt.

[4] Die genannten (Grund-)Rechtsverstöße hätten zur Konsequenz, dass das bisher geführte gerichtliche Kartellverfahren – gegenüber der Drittantragsgegnerin – nichtig sei. Der verfahrenseinleitende Antrag der Antragstellerin sei daher insoweit zurückzuweisen (hilfsweise abzuweisen).

[5] Für den Fall, dass dieser Antrag nicht zurückgewiesen (oder abgewiesen) werde, beantragte die Drittantragsgegnerin, der Antragstellerin (Bundeswettbewerbsbehörde) aufzutragen, „sämtliche Ermittlungsergebnisse sowie die Akten zu den (von ihr) in dieser Sache geführten Ermittlungen binnen einer angemessenen Frist vollständig vorzulegen.“

[6] Das Erstgericht wies den Antrag der Drittantragsgegnerin auf „Erteilung eines Vorlageauftrags an die Bundeswettbewerbsbehörde“ in der Tagsatzung vom 11. 2. 2025 ab.

[7] Es legte dar, dass eine Verletzung fundamentaler Verfahrensgarantien „ebenso“ (gemeint: ebenso wenig) erkennbar sei, wie eine fehlende Waffengleichheit. Dass die Antragstellerin der Drittantragsgegnerin keine Mitteilung der Beschwerdepunkte übermittelt habe, begründe keinen Verstoß gegen ihr (Grund-)Recht auf rechtliches Gehör oder den Grundsatz der Waffengleichheit, weil ein allfälliger solcher Verstoß im Ermittlungsverfahren im kartellrechtlichen Gerichtsverfahren, in dem der Drittantragstellerin sämtliche Verfahrensrechte zukämen, jedenfalls geheilt wäre. Dies gelte auch für die behauptete Nichtzustellung der Mitteilung der Beschwerdepunkte durch die Antragstellerin. Eine Verletzung fundamentaler Verfahrensgarantien ergebe sich auch daraus nicht. Es liege auch nicht in der Kompetenz des Gerichts, der Drittantragsgegnerin ein Recht auf Akteneinsicht in den Akt der Antragstellerin (Bundeswettbewerbsbehörde) zu gewähren. Ein Rechtszug von dieser an das Kartellgericht sei im Gesetz nicht vorgesehen.

[8] Dagegen – also gegen die Abweisung ihres Antrags, der Antragstellerin aufzutragen, sämtliche Ermittlungsergebnisse sowie die Akten zu den von ihr in dieser Sache geführten Ermittlungen binnen angemessener Frist vollständig vorzulegen – erhob die Drittantragsgegnerin einen von der Antragstellerin und vom Bundeskartellanwalt beantworteten Rekurs an den Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Rekurs ist als unzulässig zurückzuweisen:

1. Gemäß § 45 Satz 2 AußStrG (hier iVm § 38 KartG) sind verfahrensleitende Beschlüsse, soweit nicht ihre selbständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die (Haupt-)Sache anfechtbar (RS0120910). Das Gesetz enthält keine Definition dieses Begriffs, vielmehr verließ sich der Gesetzgeber auf dessen Abgrenzung durch die Praxis (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP  46 f).

[10] 2. In der Rechtsprechung haben sich verschiedene Kriterien herausgebildet, die einen verfahrensleitenden Beschluss charakterisieren (2 Ob 55/15z; 5 Ob 65/22b). Soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich handelt es sich dabei ua um Beschlüsse, die bloß der Stoffsammlung dienen und auf eine Klärung oder Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage für die gerichtliche Sachentscheidung abzielen (etwa 8 Ob 61/14z; 10 Ob 47/14f). Sie bezwecken die Gestaltung des Verfahrens (insbesondere des Beweisverfahrens) und haben kein von diesem losgelöstes „Eigenleben“ (RS0120910 [T19]).

[11] 3. Der Grund für den Ausschluss der selbstständigen Anfechtbarkeit verfahrensleitender Beschlüsse liegt darin, dass diese (noch) nicht in die Rechtsstellung der Parteien eingreifen (RS0129692). Bloße „Verfahrensentscheidungen“ sollen grundsätzlich nicht mit selbständigem Rekurs überprüfbar sein (5 Ob 181/09t). Selbständig anfechtbar sind nur solche Gerichtsakte, die eine Anordnungs- oder Regelungsabsicht enthalten und auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtet sind (2 Ob 73/11s mwN; 10 Ob 47/14f ua).

[12] 4. Zu den verfahrensleitenden Beschlüssen zählen insbesondere Beschlüsse über Beweisanträge (vgl RS0120910), wobei nicht zwischen einem Beweisantrag stattgebenden und diesen ablehnenden Beschlüssen differenziert wird, weil auch durch die Ablehnung einer Beweisaufnahme über den Gang des Verfahrens entschieden wird (16 Ok 6/06). Auch Entscheidungen über Anträge auf Urkundenvorlage sind daher verfahrensleitender Natur (RS0120910 [T6]); ebenso Beschlüsse, die über einen Antrag auf Aktenbeischaffung absprechen (etwa 6 Ob 140/08v; 5 Ob 64/22f; 3 Ob 196/22b ua).

[13] 5. Davon ausgehend liegt auch im vorliegenden Fall ein verfahrensleitender Beschluss vor:

[14] Die Drittantragsgegnerin strebt die Vorlage des (gesamten) Aktes der Bundeswettbewerbsbehörde (Antragstellerin im vorliegenden Verfahren) an. Ziel ihres darauf gerichteten – vom Erstgericht abgewiesenen – Antrags ist die Klärung und Verbreiterung der für die Entscheidung über den Geldbußenantrag notwendigen Tatsachengrundlage im Kartellverfahren. Mit ihrem Antrag möchte die Drittantragsgegnerin eine aus ihrer Sicht vorteilhafte Gestaltung des erstinstanzlichen Beweisverfahrens erreichen. Ihr Antrag ist somit auf einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn in diesem und somit auf die Stoffsammlung zur Vorbereitung der Sachentscheidung gerichtet. Dem darüber absprechenden Beschluss kommt daher nur für den Gang und das Ergebnis des Beweisverfahrens Bedeutung zu. Er weist kein davon losgelöstes „Eigenleben“ (vgl 8 Ob 61/14z; 10 Ob 47/14f) auf und greift auch in keine verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Rechtsstellung der Drittantragstellerin (bindend) ein. Insbesondere wurde mit dem angefochtenen Beschluss nicht über ein allfälliges Recht auf Akteneinsicht im Verfahren vor der Bundeswettbewerbsbehörde abgesprochen, wozu das Erstgericht – wie es zutreffend darlegte – nach den im kartellgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Verfahrensvorschriften gar nicht berufen wäre. Damit geht aber auch das Argument der Rekurswerberin, wonach Entscheidungen über einen Antrag auf Akteneinsicht (typischerweise eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten) nicht bloß verfahrensleitender Natur seien, ins Leere.

[15] 6. Zusammengefasst ist der angefochtene Beschluss mangels selbständiger Anfechtbarkeit iSd § 45 Satz 2 AußStrG iVm § 38 KartG zurückzuweisen. Da erst mit Entscheidung in der Sache – hier über den auch gegen die Drittantragsgegnerin gerichteten Geldbußenantrag – in deren Rechtsposition eingegriffen werden könnte, wird ihr Rechtsschutz dadurch gewahrt, dass der angefochtene Beschluss gemeinsam mit dieser Sachentscheidung des Erstgerichts anfechtbar ist.

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