European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00033.25S.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Erstkläger schloss mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag ab, die Zweitklägerin ist als seine im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegattin mitversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen 2010 in der Fassung 2012 (im Folgenden ARB) zugrunde, die auszugsweise lauten:
„ Artikel 19
Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat‑, Berufs‑ und Betriebsbereich
Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat‑, Berufs‑ und/oder Betriebsbereich.
1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?
[...]
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz
für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen erlittener Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschäden.
[...]
3. Was ist nicht versichert?
3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutzbausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht
[...]
3.1.3 die Geltendmachung von Schaden-ersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar gemäß Art 23);
3.1.4 im Schadenersatz-Rechtsschutz Fälle, welche beim Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Besitzer von Grundstücken, Gebäuden oder Gebäudeteilen entstehen (versicherbar gemäß Art 24)
[...]
Artikel 23
Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz und Reisevertrags-Rechtsschutz
Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat‑ und/oder Betriebsbereich
[...]
2. Was ist versichert
2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen sowie aus Reparatur‑ und sonstigen Werkverträgen des Versicherungsnehmers über unbewegliche Sachen. [...]
Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung und Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern entstehen oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.
[...]
Artikel 24
Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete
1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?
Versicherungsschutz hat der Versicherungsnehmer für Versicherungsfälle, die in seiner Eigenschaft als Eigentümer, Mieter, Pächter oder dinglich Nutzungsberechtigter des in der Polizze bezeichneten Grundstückes, Gebäudes oder Gebäudeteiles (Wohnung oder sonstige selbständige Räumlichkeit) eintreten (Selbstnutzung)
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor Gerichten in Österreich oder in angrenzenden Nachbarstaaten
[...]
2.2 aus dinglichen Rechten; [...]
2.3 als Wohnungseigentümer
2.3.1 für Versicherungsfälle, die in seiner Eigenschaft als ausschließlich Nutzungsberechtigter des versicherten Wohnungseigentumsobjekts eintreten;
[...]
3. Was ist nicht versichert?
3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit
[...]
3.3 Im Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete besteht – neben den in Artikel 7 genannten Fällen – kein Versicherungsschutz für
3.3.1 die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit dem derivativen Erwerb oder der Veräußerung des Eigentumsrechts oder sonstiger dinglicher Rechte am versicherten Objekt durch den Versicherungsnehmer;
[...]“
[2] 2017 kauften die Kläger eine Eigentumswohnung zur Befriedigung ihres privaten Wohnbedürfnisses. 2023 stellte sich heraus, dass die geschaffene Wohnung lediglich zur Aufrechterhaltung des dort angesiedelten Gewerbebetriebs errichtet worden war und nur zu diesem Zweck benutzt werden darf. Nunmehr streben die Kläger die schadenersatzrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen einer Aufklärungspflichtverletzung des Verkäufers ab.
[3] Die Kläger begehren die Feststellung der Deckung für die Klagsführung aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag. Sie berufen sich auf Art 19.2.1 ARB, weil Schadenersatzansprüche gegenüber dem Verkäufer aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privat-rechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Vermögensschadens geltend gemacht würden.
[4] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Es liege kein von der Rechtsschutzversicherung umfasstes Schadenereignis vor. Art 19 ARB erfasse nur deliktische und keine vertraglichen Schadenersatzansprüche. Zudem sehe Art 19.3.1.3 ARB vor, dass die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern nicht im Rechtsschutzbaustein des Art 19 ARB versichert sei. Weiters sei der Ausschlussgrund des Art 24.3.3.1 ARB erfüllt. Im Übrigen hätten die Kläger grob schuldhaft gegen eine Auskunftsobliegenheit verstoßen.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Art 19 ARB erfasse keine Schäden, die ausschließlich auf eine Verletzung vertraglicher Pflichten beruhe. Eine Deckung nach Art 23 ARB und Art 24 ARB scheide ebenfalls aus.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die (sekundären) Risikoausschlüsse des Art 19.3.1.3 und Art 19.3.1.4 ARB stünden der Deckungspflicht der Beklagten entgegen. Versicherungsschutz nach Art 23.2.1 ARB sei ausgeschlossen, weil kein Werkvertrag über eine unbewegliche Sache vorliege. Art 24.3.3.1 ARB schließe zudem den Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit dem derivativen Erwerb oder der Veräußerung des Eigentumsrechts oder sonstiger dinglicher Rechte am versicherten Objekt durch den Versicherungsnehmer aus.
[7] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist auch berechtigt.
[10] 1. Die Kläger begehren Rechtsschutzdeckung für die Rückabwicklung eines Kaufvertrags, mit dem sie Wohnungseigentum erworben haben, im Wege der schadenersatzrechtlichen Naturalrestitution. Der Verkäufer habe seine vorvertragliche Aufklärungspflicht über die Widmung verletzt. Dadurch sei ihnen ein Vertrauensschaden entstanden, weil sie den Kaufvertrag bei der gebotenen Aufklärung nicht geschlossen hätten. Die Kläger unterstellen die beabsichtigte Klagsführung Art 19 ARB (Schadenersatz‑Rechtsschutz).
[11] 2.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetat-bestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).
[12] 2.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikoabgrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risiko-begrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068).
[13] 3.1 Die positive Deckungsumschreibung in Art 19.2.1 ARB (Schadenersatz‑Rechtsschutz) umfasst den Versicherungsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen erlittener Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschäden.
[14] 3.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass unter dem Begriff „Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privat-rechtlichen Inhalts erwachsen“, auch vertragliche Schadenersatzansprüche (solche aus positiver Vertragsverletzung oder auf Ersatz des Mangelfolgeschadens) zu verstehen sind, handelt es sich dabei doch – präziser ausgedrückt – um gesetzliche Schadenersatzverpflichtungen aus einem Vertragsverhältnis, die sich bei Leistungsstörungen (Störungen des Vertragsverhältnisses) ergeben (RS0117142; zur Rechtsschutzversicherung referierend 7 Ob 211/17f; vgl auch Bauer in Garo/Kath/Kronsteiner ARB 2015 Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutzversicherung, F5‑011).
[15] 3.3 Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 193/14d zur Rechtsschutzversicherung aussprach, dass sämtliche Ansprüche, die aus einem Vertrag abgeleitet würden, vertraglicher Natur nach Art 19.3.1.3 ARB seien und damit nicht unter den Schadenersatz-Rechtsschutz fallen würden. Grundsätzlich bestehe Privatautonomie. Die Parteien könnten ihre Vertragsbeziehung, solange nicht zwingende Bestimmungen dagegen stünden, selbst gestalten. Das Gesetz sehe für bestimmte Vertragstypen Regeln vor, die ergänzend jene Bereiche regeln würden, zu denen die Parteien keine Vereinbarungen getroffen hätten. Selbst zwingende gesetzliche Bestimmungen zu einem bestimmten Vertragstyp würden nichts daran ändern, dass sie nur dann zur Anwendung kämen, wenn die Parteien im Rahmen ihrer Privatautonomie sich dazu entschlossen hätten, ein Vertragsverhältnis einzugehen. Ursache der Geltung einer zwingenden Bestimmung sei nicht diese an sich, sondern der Vertragsabschluss. Dieser Linie ist der Oberste Gerichtshof danach nicht mehr gefolgt (vgl etwa 7 Ob 131/15p; zur Rechtsschutzversicherung referierend 7 Ob 211/17f).
[16] 3.4.1 Eine nähere Auseinandersetzung kann im vorliegenden Fall unterbleiben. Dieser ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass die Kläger Versicherungsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzverpflichtungen aus einem vorvertraglichen Verhältnis (culpa in contrahendo) begehren.
[17] 3.4.2 Mögliche Geschäftspartner treten schon mit der Kontaktaufnahme in ein beiderseitiges vorvertragliches Schuldverhältnis, das die Beteiligten insbesondere verpflichtet, einander über die Beschaffenheit der in Aussicht genommenen Leistungsgegenstände aufzuklären und Umstände mitzuteilen, die einem gültigen Vertragsabschluss entgegenstehen. Eine Verletzung dieser Verpflichtung macht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1295 ABGB schadenersatzpflichtig (RS0014885). Das vorvertragliche Schuldverhältnis besteht unabhängig davon, ob es später zu einem Vertragsabschluss kommt. Es handelt sich, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nicht zustande kommt oder als nicht zustande gekommen gilt, um ein Schuldverhältnis ohne Hauptleistungspflichtteil, das vor allem in Aufklärungs‑ und Sorgfaltspflichten besteht (RS0049409). Funktionale Aufgabe der Haftung bei culpa in contrahendo – dieser gesteigerten außervertraglichen Verantwortung der Parteien – ist es, einen anderenvor Schädigungen durch rücksichtsloses, das heißt berechtigte Schutzinteressen vernachlässigendes Verhalten zu bewahren (RS0016410). Das vorvertragliche Schuldverhältnis, dessen Verletzung als culpa in contrahendo bezeichnet wird, entsteht auf Grund des Gesetzes, also ex lege (§ 859 ABGB) schon mit der Aufnahme eines geschäftlichen Kontakts, es steht den rechtsgeschäftlich begründeten Rechtsverhältnissen nahe (7 Ob 157/12g).
[18] 3.5 Daraus folgt, dass Ansprüche aus culpa in contrahendo – selbst im Sinn von 7 Ob 193/14d – nicht aus einem Vertrag abgeleitet werden. Damit greift aber auch die Begründung nicht, die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei – als Vertragsstreitigkeit – nicht von der positiven Deckungsumschreibung umfasst. Dass Schadenersatzansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten grundsätzlich der primären Risikoumschreibung des SchadenersatzRechtsschutzes unterstellt werden, ergibt sich auch bereits aus Art 19.3.1.3 ARB; wird doch dort – zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutzbausteinen – der Versicherungsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten aus dem Schadenersatz-Rechtsschutz ausdrücklich ausgenommen, was nicht erforderlich wäre, wäre er nicht grundsätzlich von diesem umfasst.
[19] 3.6 Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die von den Klägern beabsichtigte Rechtsverfolgung – die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten – unter die primäre Risikoumschreibung des Art 19.1.2 ARB fällt.
[20] 4.1 Dem entsprechend gründet die Beklagte ihre Leistungsfreiheit auch auf Art 19.3.1.3 und Art 19.3.1.4 ARB.
[21] Danach umfasst der Versicherungsschutz zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutzbausteinen nicht die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar gemäß Art 23) [Art 19.3.1.3 ARB] und nicht Fälle, welche beim Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Besitzer von Grundstücken, Gebäuden oder Gebäudeteilen entstehen (versicherbar gemäß Art 24) [Art 19.3.1.4 ARB].
[22] 4.2 Die in den besonderen Bestimmungen beschriebenen Risiken (Rechtsschutzbausteine) werden in Form von Rechtsschutz‑Kombinationen angeboten. Eine Voraussetzung für die problemfreie Nutzung dieses flexiblen Systems zur Produktgestaltung ist eine klare Abgrenzung der Deckung zwischen den einzelnen Rechtsschutzbausteinen. Diese Abgrenzung der Deckung geschieht primär im Wege der positiven Deckungsumschreibung. Dort, wo das zur Vermeidung ungewollter Deckungsüberschneidungen oder Unschärfen notwendig ist, erfolgt sie zusätzlich durch die sogenannten Deckungsabgrenzungsausschlüsse. Diese Deckungsabgrenzungsausschlüsse haben (im Gegensatz zu den Risikoausschlüssen im engeren Sinn) nur die Aufgabe, bestimmte Risiken aus einem Baustein auszugliedern, um sie einem anderen zuzuordnen. Auf diese (eingeschränkte) Funktion weisen sowohl der jeweilige Einleitungssatz („Zur Abgrenzung von anderen Rechtsschutzbausteinen umfasst der Versicherungsschutz hier nicht ...“), als auch der Querverweis am Ende des jeweiligen Ausschlusses („in ... versicherbar“) deutlich hin. Der jeweilige Deckungsabgrenzungsausschluss greift daher auch nur dann, wenn das betroffene Risiko nach der positiven Deckungsumschreibung des anderen Bausteins, dem die Deckung durch Querverweis zugewiesen wurde, grundsätzlich versicherbar ist. Unbeachtlich ist dagegen, ob der zutreffende Rechtsschutzbaustein auch tatsächlich versichert ist oder nicht (vgl 7 Ob 91/22s, 7 Ob 45/23b mzwN).
[23] 4.3 Nach dem völlig klaren Wortlaut handelt es sich bei Art 19.3.1.3 und Art 19.3.1.4 ARB um derartige Deckungsabgrenzungsausschlüsse.
[24] 5.1 Zu prüfen ist daher, ob die angestrebte Rechtsverfolgung nach der primären Risikoumschreibung nach Art 23 oder Art 24 ARB versicherbar ist.
[25] 5.2.1 Die positive Deckungsbeschreibung des Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutzes in Art 23.2.1 ARB umfasst die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen auf Erfüllung und Erfüllungssurrogate aus schuldrechtlichen Verträgen über bewegliche Sachen sowie aus Werkverträgen über unbewegliche Sachen. Diesem Basistatbestand werden im weiteren Absatz zwei Ergänzungstatbestände angefügt, die gegenüber den Basistatbestand konstitutive Bedeutung haben, also Deckung gewähren, die sich aus dem Grundtatbestand nicht ergeben würde. Zum einen wird ausdrücklich auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen „reiner Vermögensschäden“ gedeckt, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen. Zum anderen wird – hier von Interesse – auch die Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen, zum Gegenstand der Deckung im Allgemeinen Vertragsrechtsschutz erklärt (7 Ob 140/12g, 7 Ob 141/20s). Ziel dieser Zusatzdeckungen ist es, „vertragsnahe“ Ansprüche auf Ersatz „reiner Vermögensschäden“ nicht beim (Allgemeinen) Schadenersatz-Rechtsschutz, sondern beim (im Allgemeinen) Vertrags-Rechtsschutz anzusiedeln (vgl Fenyves VR 2024, 17 [22]).
[26] 5.2.2 Von der positiven Deckungsumschreibung in Art 23.2.1 ARB ist die beabsichtigte Anspruchserhebung aber nicht erfasst, weil ein auf den Erwerb des Eigentums an Liegenschaften durch den Versicherten gerichtetes Vertragsverhältnis aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kein schuld-rechtlicher Vertrag über eine bewegliche Sache oder Reparatur‑ und sonstiger Werkvertrag über eine unbewegliche Sache ist.
[27] 5.3.1 Nach Art 24.1 ARB hat der Versicherungsnehmer für Versicherungsfälle Versicherungsschutz, die in seiner Eigenschaft als Eigentümer, Mieter, Pächter oder dinglicher Nutzungsberechtigter des in der Polizze bezeichneten Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteils einzutreten. Nach Art 24.2.2 ARB umfasst der Versicherungsschutz die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dinglichen Rechten.
[28] Es wurde bereits ausgesprochen, dass der Begriff „aus dinglichen Rechten“ schon nach dem Wortlaut dahin zu verstehen ist, dass es um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem unmittelbaren (dinglichen) Recht an der Sache gehen muss. Versicherungsschutz besteht daher konkret für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen aus dem Eigentumsrecht der versicherten Objekte und den damit allenfalls verbundenen Grunddienstbarkeiten oder auch Personaldienstbarkeiten (7 Ob 115/19s). Als Beispiele werden in der Literatur die Eigentumsklage, Eigentumsfreiheitsklage, Servitutsklage, Besitzstörungs‑ und Besitzentziehungsverfahren, die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, wenn Schäden aus der Verletzung dinglicher Rechte oder aus der Beschädigung der versicherten Objekte entstehen, und die Abwehr von Schadenersatzansprüchen angeführt, wenn der Versicherungsnehmer schlüssig behaupten kann, dass er die vom Kläger als schädigend bezeichnete Vorgehensweise in Ausübung seiner dinglichen Rechte gesetzt hat (Kronsteiner, Die Rechtsschutzversicherung2 [2021] 89 ff).
[29] Einen derartigen Anspruch aus einem dinglichen Recht beabsichtigen die Kläger nicht geltend zu machen. Ebenso wenig tritt der Versicherungsfall der Kläger in ihrer Eigenschaft als ausschließlich Nutzungsberechtigte des versicherten Wohnungseigentumsobjekts ein (Art 24.2.3.1).
[30] 5.3.2 Auch von dieser primären Deckungsumschreibung ist die beabsichtigte Anspruchserhebung schon nicht umfasst, weshalb sich auch die Frage nach dem Risikoausschluss nach Art 24.3.3.1 ARB nicht stellt.
[31] 5.4 Da die von den Klägern angestrebte Rechtsverfolgung weder nach Art 23 noch nach Art 24 ARB versicherbar ist, gelangen die Deckungsabgrenzungsausschlüsse des Art 19.3.1.3 und Art 19.3.1.4 ARB nicht zur Anwendung. Deckung besteht daher weiterhin nach Art 19.1.2 ARB.
[32] 6. Die Beklagte wandte im vorliegenden Fall darüber hinaus eine grob schuldhafte Obliegenheitsverletzung der Kläger nach Art 8.1.1 ARB ein. Die Kläger hätten der Beklagten auf deren Nachfrage nicht mitgeteilt, warum erst sechs Jahre nach dem Kauf Ansprüche geltend gemacht werden sollen. Die Übermittlung der gesamten Korrespondenz sei erbeten worden. Die Auskunftsobliegenheit sei unvollständig erfüllt worden. Die Beklagten behaupten also, Auskünfte verlangt zu haben, die etwa für den Einwand der Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung wegen Verjährung des Anspruchs relevant sein könnten. Dazu hat das Erstgericht infolge seiner – vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht – keine Feststellungen getroffen, sodass die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung unumgänglich war.
[33] 7. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
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