OGH 7Ob38/25a

OGH7Ob38/25a22.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Malesich, Dr. Weber, Mag. Fitz und Mag. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* S*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten und Mag. Clemens Kurz, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch die Rudeck - Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen Entfernung, Beseitigung und Feststellung, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. November 2024, GZ 16 R 128/24x‑58, berichtigt mit Beschluss vom 13. Februar 2025, GZ 16 R 128/24x‑70, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Mai 2024, GZ 7 Cg 24/22h‑50, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00038.25A.0422.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Pächter der Liegenschaft EZ *. Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ *. ZweiGrundstücke der Beklagten (Gst *) umschließen die Liegenschaft des Klägers in einem U‑förmigen Bogen und sind Teil eines Nationalparks, der zur Gänze als Naturzone ausgewiesen und Teil eines Europaschutzgebiets ist.

[2] Der Kläger begehrt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – die Beseitigung des Kronen-überhangs sowie des gefährlichen Baumbestands auf der Beklagtenliegenschaft in Grenznähe. Er sei befugt, unmittelbare Zuleitungen sowie grob körperliche Immissionen in Gestalt von größeren Ästen und Bäumen mit Klage abzuwehren.

[3] Die Beklagtebeantragt Klageabweisung. Beim Umfallen von morschen Bäumen und dem Abbrechen von Ästen handle es sich um einen Naturvorgang, welcher keinen Immissionsabwehranspruch begründe. Da sich sämtliche als nicht verkehrssicher eingestuften Bäume im Nationalparkgebiet befänden, seien Eingriffe überdies nach dem Wiener Nationalparkgesetz untersagt.

[4] Das Erstgericht gab den Klagebegehren teilweise statt. Es bestehe für den gefährlichen Überhang in jenem Grenzbereich, der von den Mitarbeitern des Klägers benützt werde, ein Beseitigungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB. Bei diesem Immissionsverbot handle es sich um einen besonderen Rechtsgrund gemäß § 176 Abs 2 ForstG, der den Waldeigentümer zur Abwendung der Gefahr von Schäden verpflichte. Gleiches gelte für jene erkrankten Bäume auf den Beklagtengrundstücken, die eine Gefährdung für Personen darstellten. Auch diese habe die Beklagte gemäß § 364 Abs 2 ABGB zu beseitigen. Selbsthilfe durch den Kläger sei aufgrund der Schwierigkeiten der Beseitigung des Überhangs, den Vorgaben des § 14 ForstG sowie Verboten und Bewilligungspflichten derartiger Maßnahmen nach dem Wiener Nationalparkgesetz nicht möglich. Wie die Beklagte die Beseitigung vornehmen lasse, sei ihr überlassen, weshalb das Klagebegehren in Bezug auf die Verpflichtung zum Vorgehen nach der Ö‑Norm L1122 abzuweisen sei.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine, der Berufung der Beklagten hingegen teilweise – bezüglich des aufgrund des Zurückweisungsbeschlusses des Berufungsgerichts vom 13. 2. 2025 nicht revisions-gegenständlichen Feststellungsbegehrens – Folge und ließ die Revision zu. Der meterweit in diePachtliegenschaft ragende, nicht verkehrssichere Überhang stelle eine Gefährdung für Personen dar, von der die Beklagte gewusst habe. Gleiches gelte für jene Bäume auf der Liegenschaft der Beklagten, die massive Symptome des Eschentriebsterbens aufweisen. Die Beklagte habe daher den gefährlichen Überhang und bestimmte (konkret bezeichnete) kranke Bäume zu entfernen. Die Verweigerung der Selbsthilfe bezüglich des ungefährlichen Überhangs sei von § 14 Abs 1 ForstG gedeckt, weil der verbleibende Bestand einer Gefährdung durch Nord-West-Winde ausgesetzt wäre. Zur Abweisung des Begehrens, bei der Entfernung nach der Ö‑Norm L1122 vorzugehen, enthalte die Berufung keine Ausführungen.

[6] Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Kläger beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts im klagestattgebenden Sinn abzuändern, in eventu stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts im klageabweisenden Sinn abzuändern, in eventu stellt sie ebenfalls einen Aufhebungsantrag.

[7] In den Revisionsbeantwortungen beantragen beide Parteien, der Revision der jeweils anderen Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Da die Parteien in ihren Revisionen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermögen, sind die Revisionen entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Unmittelbare Zuleitung

[9] 1.1. Gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB ist eine unmittelbare Zuleitung ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig (RS0010683).

[10] Das Herüberwachsen(‑lassen) von Wurzeln und Ästen ist in der Regel nicht als unmittelbare Zuleitung im Sinn des § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB zu qualifizieren, weil es an einem menschlichen Zutun fehlt (5 Ob 19/24s; 10 Ob 22/21i). Aus einem bloßen Naturwirken kann allerdings durch bewusstes Aufrechterhalten dieses Zustands eine unmittelbare Zuleitung werden, wenn dadurch eine Gefährdung für Personen und Sachen begründet wird (5 Ob 19/24s; 10 Ob 22/21i; 4 Ob 43/11v).

[11] 1.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kronenüberhang in Form von überhängenden Dürrästen ab einem Durchmesser von 3 cm und nicht bruchsicheren Stammteilen sowie die (konkret) bezeichneten kranken Bäume als unmittelbare Zuleitung gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB zu wertensind, findet Deckung in der dargestellten Rechtsprechung, steht doch fest, dass bei den als nicht verkehrssicher eingestuften Eschen, soweit sie abgestorben sind, sowie den Bäumen, die wegen Dürrästen bzw Kronenteilen nicht verkehrssicher sind, die Gefahr besteht, dass diese bzw Teile davon auf die Pachtliegenschaft stürzen bzw fallen können und dort eine Gefährdung für die Mitarbeiter des Klägers begründen.

[12] 1.3. Wenn der Kläger meint, dass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der Beseitigungsanspruch nach § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB hinsichtlich sämtlicher, als nicht verkehrssicher eingestufter Baum(‑teile) bestehe, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, steht doch fest, dass bei den übrigen als nicht verkehrssicher eingestuften ganzen Bäumen nicht festgestellt werden kann, ob ganze Bäume oder Baumteile auf die Pachtliegenschaft fallen können.

[13] Gleiches gilt für die Ausführungen des Klägers zu den „Blühflächen“. Dort besteht aufgrund der Verlegung des Wegs keine unmittelbare Gefahr für Personen und Sachen. Dass sich die „Blühflächen“ nur vorübergehend am vom Erstgericht festgestellten Ort befinden würden, steht gerade nicht fest. Der Revisionswerber entfernt sich somit auch hier vom festgestellten Sachverhalt.

[14] 1.4. Soweit die Beklagte vorbringt, der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit der Entscheidung 4 Ob 43/11v vergleichbar, geht sie ebenfalls nicht von den Feststellungen des Erstgerichts aus. Es steht nämlich auch hier das (beträchtliche) räumliche Ausmaß des Überhangs fest. Die Kenntnis der Beklagten vom gefährlichen Überhang und dem kranken Baumbestand ergibt sich aus dem vom Erstgericht festgestellten Aufforderungsschreiben des Klägers vom März 2022.

2. Forstgesetz

[15] 2.1. Nach § 176 Abs 2 ForstG ist der Waldeigentümer, vorbehaltlich des Abs 4 oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes, nicht nur von der Pflicht zur Abwehr solcher Schäden abseits von öffentlichen Straßen und Wegen befreit, die sich im Wald ereignen, sondern allgemein solcher Schäden, die durch den Zustand des Waldes entstehen könnten.

[16] Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich beim Immissionsverbot des § 364 ABGB um einen besonderen Rechtsgrund im Sinn des § 176 Abs 2 ForstG. Die Bestimmung greift daher dort nicht, wo wegen Immissionen nachbarrechtliche Unterlassungsansprüche nach § 364 ABGB bestehen (RS0115175 [T1] = 4 Ob 43/11v mwN).

[17] 2.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der nachbarrechtliche Beseitigungsanspruch mit dem ForstG vereinbar ist, bedarf daher keiner Korrektur. Die Entscheidung 9 Ob 7/18x widerspricht dem nicht, führt der Oberste Gerichtshof doch dort aus: „Die Entscheidung 4 Ob 43/11v (Astbruch) steht damit nicht im Widerspruch: Die Aussage, dass aus einem bloßen Naturwirken durch (bewusstes) Aufrechterhalten dieses Zustands eine unmittelbare Zuleitung werden kann, war auf eine Situation bezogen, in der das Nachbargrundstück von der 'Zuleitung' (gefährlicher Überhang) konkret betroffen war und der Beklagte in Kenntnis dessen deren Beseitigung verweigert hatte.“ Genau das ist nach den Feststellungen auch hier der Fall.

3. Wiener Nationalparkgesetz

[18] 3.1. Die Beklagtengrundstücke sind Teil des Nationalparks Donauauen, das Wiener Nationalparkgesetz ist daher grundsätzlich anwendbar. Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 Wiener Nationalparkgesetz unterliegen aber (unter anderem) angemessene Maßnahmen zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht diesem Gesetz.

[19] 3.2. Soweit die Beklagte in der Revision vorbringt, aus den erstgerichtlichen Feststellungen lasse sich keine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen ableiten, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab. Es steht nämlich fest, dass sich auf den Grundstücken der Beklagten im Grenzbereich zur Pachtliegenschaft, in der Nähe eines von den Mitarbeitern des Klägers regelmäßig zur Bewirtschaftung der Pachtliegenschaft verwendeten Wegs, erkrankte Eschen befinden, die wegen stark verminderter Bruch‑ und Standsicherheit nicht verkehrssicher sind und Weißpappeln mit breit ausladenden Kronen, deren Äste weit in die Pachtliegenschaft reichen. Sowohl bei den abgestorbenen Eschen als auch bei jenen Bäumen, die wegen Dürrästen bzw Kronenteilen nicht verkehrssicher sind, besteht die Gefahr, dass diese bzw Teile davon auf die Pachtliegenschaft stürzen bzw fallen. In der Vergangenheit kam es auch bereits zu einem Abbrechen von Dürrästen und zum Umfallen von abgebrochenen Bäumen auf den Weg. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergibt sich somit deutlich, dass eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen unmittelbar droht. Damit liegt auch der behauptete sekundäre Feststellungsmangel nicht vor und ist die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht korrekturbedürftig.

4. Sonstiges

[20] 4.1. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der Kläger aus dem „Selbsthilferecht“ des § 422 ABGB im Sinn eines Abschneiden‑ bzw Entfernendürfens von Überhang (vgl Holzner in Klang³ § 422 ABGB Rz 3) eine für ihn günstigere Entscheidung ableiten will, strebt er mit seinem Klagebegehren doch an, dass die Beklagte zur Beseitigung verpflichtet werden soll.

[21] 4.2. Der Kläger hat in seiner Berufung die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach die Beklagte nicht verpflichtet werden könne, bei der Entfernung nach der Ö‑Norm L1122 vorzugehen, nicht bekämpft, sodass auf diese selbständig zu beurteilende Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof nicht mehr einzugehen ist (RS0043338 [T13]; vgl im Übrigen RS0010526).

5. Ergebnis und Kosten

[22] 5.1. Beide Revisionen sind daher mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[23] 5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Keine der Parteien hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ein Kostenersatz nicht zusteht (RS0035962).

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