European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00027.25H.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden (teilweise) dahin abgeändert, dass sie lauten:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 300.000 EUR samt 4 % Zinsen per anno ab 2. 12. 2020 binnen 14 Tagen zu zahlen.
2. Das Zinsenmehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 4 % Zinsen aus 300.000 EUR von 1. 6. 2020 bis 1. 12. 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.“
Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 18.614,30 EUR (darin enthalten 558,55 EUR an USt und 15.263 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Unfallversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUVB) 2016 und die Besondere Bedingung Nr 1281, Dauernde Invalidität – Progression 25/300, zugrunde liegen.
[2] Die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen lauten auszugsweise:
„[...]
Artikel 21 – Was ist vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu beachten? Was ist nach Eintritt eines Versicherungsfalles zu tun?
Obliegenheiten
Als Obliegenheiten werden vereinbart:
1. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles:
1.1 [...]
1.2 [...]
1.3 Die versicherte Person hat bei Benützung eines Kraftfahrzeuges einen Sicherheitsgurt anzulegen, sofern dies für die Benützung dieses Kraftfahrzeuges gesetzlich vorgeschrieben ist; dies gilt auch dann, wenn das Kraftfahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr benützt wird. Bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtung werden sämtliche vereinbarten Versicherungsleistungen gemäß Abschnitt B im kausalen Ausmaß gekürzt, jedoch um mindestens 25%.
1.4 [...]
1.5 [...]
1.6 [...]
Für den Fall, dass der Versicherungsnehmerin und Versicherungsnehmer eine dieser Obliegenheiten verletzt, wird Leistungsfreiheit vereinbart. Die Voraussetzungen und Begrenzungen der Leistungsfreiheit sind gesetzlich geregelt (siehe § 6 Abs. 1 VersVG im Anhang).“
[3] Die Besondere Bedingung Nr 1281, Dauernde Invalidität – Progression 25/300, lautet auszugsweise:
„[...]
Wenn der festgelegte Invaliditätsgrad jedoch 90% übersteigt, werden 300% der Versicherungssumme für dauernde Invalidität bezahlt.
Die Leistung für die dauernde Invalidität erhöht sich demnach wie folgt:
[...]
Invaliditätsgrad Leistung in %
[...]
100 300“
[4] Bei einem Verkehrsunfall am 1. 5. 2020 wurde der – nicht angegurtete – Kläger als Beifahrer eines Pkw schwer verletzt. Der Unfall ereignete sich auf einem schmalen, sehr steilen privaten Holzbringungsweg, der nur von speziellen Fahrzeugen befahren werden kann und von einer öffentlichen Straße aus zugänglich ist. Beim Kläger besteht aufgrund des Unfalls eine Dauerinvalidität im Ausmaß von 100 %. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Kläger, wäre er ordnungsgemäß angegurtet gewesen, überhaupt Verletzungen erlitten hätte und ob und inwieweit aufgrund von verletzungsbedingten Dauerfolgen eine Dauerinvalidität aufgetreten wäre.
[5] Der Kläger begehrt die Zahlung von 300.000 EUR. Er sei aufgrund des Unfalls nach Maßgabe der gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zu 100 % invalid. Die Klausel des Art 21 AUVB widerspreche insoweit, als sie eine Leistungskürzung von mindestens 25 % vorsehe, der Bestimmung des § 6 Abs 2 VersVG, wonach der Kausalitätsgegenbeweis dem Versicherungsnehmer generell freistehe. Der Verweis der Beklagten auf die gesetzlichen Begrenzungen der Leistungsfreiheit (im letzten Absatz des Art 21 Punkt 1. AUVB) beziehe sich nur auf § 6 Abs 1 VersVG, nicht aber auf Abs 2 dieser Bestimmung. Daraus folge, dass die Beklagte die gesetzliche Einschränkung der Leistungsfreiheit nach § 6 Abs 2 VersVG habe abbedingen wollen. Die Klausel verstoße gegen das Gesetz und sei überraschend nach § 864a ABGB. Sie sei insgesamt unwirksam, eine geltungserhaltende Reduktion komme nicht in Betracht.
[6] Die Beklagte bestreitet und beantragt die Klagsabweisung. Der Kläger sei beim Unfall nicht angegurtet gewesen. Bei Anlegen des Gurtes hätte er keine Verletzungen erlitten. Ihm obliege der Kausalitätsgegenbeweis. Sie sei daher leistungsfrei. Die Klausel über die Gurtpflicht sei weder überraschend noch gröblich benachteiligend noch sonst unzulässig. Die Bestimmung des Art 21.1.3 AUVB enthalte, wenngleich in einem Absatz, zwei Regelungsgegenstände. Zunächst werde eine Gefahrstandsobliegenheit zur Verhütung des Eintritts der versicherten Gefahr, nämlich einer unfallbedingten Schädigung, vereinbart, und zwar die Verwendung des Sicherheitsgurtes. Zum anderen werde in Hinblick auf den den Versicherungsnehmer nach dem Gesetz treffenden Kausalitätsgegenbeweis eine Mindestkürzung angeführt. Selbst für den Fall der Unzulässigkeit der Mindestkürzung von 25 % bleibe die vereinbarte Gefahrstandsobliegenheit weiter rechtswirksam.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe gegen seine Obliegenheit nach Art 21.1.3 AUVB verstoßen. Dies sei auch kausal für die beim Kläger durch den Unfall erlittenen Verletzungen gewesen. Der Kausalitätsgegenbeweis sei ihm daher nicht gelungen. Die Klausel sei nicht überraschend im Sinn des § 864a ABGB und nicht gröblich benachteiligend. Selbst wenn man die Klausel als unwirksam ansähe, verbliebe nach Art 21.1.3 der AUVB die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, einen Sicherheitsgurt anzulegen.
[8] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Unter Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln sei die Anordnung einer (kausalitätsunabhängigen) Mindestkürzung klar trennbar von der generellen Vereinbarung der Leistungsfreiheit im Sinn des § 6 VersVG. Eine allfällige Unwirksamkeit der Bestimmung über die Mindestkürzung führe daher nicht zur Unwirksamkeit der für den Fall der Obliegenheitsverletzung vereinbarten Leistungsfreiheit nach § 6 VersVG. Der Klammerausdruck „(siehe § 6 Abs 1 VersVG im Anhang)“ sei demonstrativ. Er könne nicht dahingehend verstanden werden, dass die in Abs 2 zwingend vorgesehene Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises eingeschränkt oder abbedungen werden solle. Die genannte Klausel entspreche daher dem Gesetz. Sie könne unabhängig von Art 21.1.3 Satz 2 AUVB bestehen und isoliert davon wahrgenommen werden.
[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Art 21.1.3 AUVB einen vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht beurteilten Klauselinhalt einer Branche enthalte, welcher regelmäßig für eine größere Anzahl von Kunden und damit Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung sei.
[10] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch berechtigt.
[13] 1. Der Kläger erachtet die Bestimmung des Art 21.1.3 AUVB als unwirksam; sie verstoße gegen § 6 Abs 2 VersVG und sei überraschend nach § 864a ABGB.
[14] 1.1.1 § 6 Abs 1 VersVG erlaubt für den Fall einer sogenannten schlichten (das heißt nicht risikobezogenen) Obliegenheit die Vereinbarung der gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers und zwar für den Fall, dass den Versicherungsnehmer an der Obliegenheitsverletzung ein Verschulden trifft.
[15] 1.1.2 Gemäß § 6 Abs 2 VersVG kann sich der Versicherer bei der Verletzung einer Obliegenheit, die der Versicherungsnehmer zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung der Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber – unabhängig von der Anwendbarkeit des Abs 1a – zu erfüllen hat, auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat (vorbeugende Obliegenheit). Abs 2 eröffnet dem Versicherungsnehmer somit einen Kausalitätsgegenbeweis. Der Versicherer muss hier die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer, der Versicherungsnehmer mangelndes Verschulden sowie die mangelnde Kausalität beweisen (vgl RS0043728). Dafür bedarf es des Beweises, dass der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit mit Sicherheit eingetreten wäre, dass also der Eintritt und der Umfang des Versicherungsfalls nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhte, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht (7 Ob 240/18x). An den Gegenbeweis sind strenge Anforderungen zu stellen (RS0081343 [T3]); es ist nicht etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993). Ob der Kausalitätsgegenbeweis gelungen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0079993 [T6]).
[16] 1.1.3 § 6 Abs 2 VersVG ist gemäß § 15a Abs 1 VersVG einseitig zwingend zu Gunsten des Versicherungsnehmers.
[17] 1.2. Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vor (RS0037089). Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen (RS0014646). Entscheidend ist, ob die Klausel beim entsprechenden Geschäftstyp üblich ist und ob sie den redlichen Verkehrsgewohnheiten entspricht (RS0105643 [T3]). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen (RS0014627). Erfasst sind alle dem Kunden nachteilige Klauseln, eine grobe Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB wird nicht vorausgesetzt (RS0123234).
[18] 1.3.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[19] 1.3.2 Eine geltungserhaltende Reduktion einer (einzelnen) eigenständigen Klausel, ist auch im Individualprozess über ein Verbrauchergeschäft nicht zulässig (RS0128735).
[20] 2.1 Art 21.1 AUVB regelt mehrere Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls. Art 21.1.3 AUVB sieht vor, dass die versicherte Person bei Benützung eines Kraftfahrzeugs einen Sicherheitsgurt anzulegen hat, sofern dies für die Benützung dieses Kraftfahrzeugs gesetzlich vorgeschrieben ist. Dies gilt auch dann, wenn das Kraftfahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr benützt wird. Bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtung werden sämtliche vereinbarten Versicherungsleistungen gemäß Abschnitt B im kausalen Ausmaß gekürzt, jedoch um mindestens 25 %. Im Anschluss an die Anführung der einzelnen Obliegenheiten in den Punkten Art 21.1.1 bis Art 21.1.6 AUVB enthält Art 21.1 AUVB die allgemeine Regelung, dass für den Fall, dass der Versicherungsnehmer eine dieser Obliegenheiten verletzt, Leistungsfreiheit vereinbart wird, mit dem Hinweis, dass die Voraussetzungen und Begrenzungen der Leistungsfreiheit gesetzlich geregelt sind, und den Verweis auf § 6 Abs 1 VersVG.
[21] 2.2.1 Es besteht umfangreiche Judikatur zur Frage, wie die in Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Obliegenheiten, die einer Überprüfung nach den zwingenden Bestimmungen der §§ 6, 15a VersVG standzuhalten haben, vom Risikoausschluss zu unterscheiden sind. Dabei ist maßgebend, ob in erster Linie ein vom Versicherungsnehmer einzuhaltendes Verhalten bedungen werden soll oder ob der Versicherer von vornherein gewisse Tatsachen von seiner Haftung ausschließen will, die unmittelbar geeignet sind, zum Versicherungsfall zu führen und die gegenüber der allgemeinen Risikoumschreibung ein qualitativ abweichendes Risiko darstellen (RS0080063, RS0080168). Mit einem Risikoausschluss begrenzt der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz. Diese Umstände kann der Versicherungsnehmer nicht durch ein späteres Verhalten beeinflussen oder kontrollieren. Demgegenüber stellt die von der Einhaltung einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer abhängig gemachte Deckungspflicht auf das Gebot gewisser Handlungen und Unterlassungen ab, an dessen Einhaltung der Versicherer ein legitimes Interesse hat (RS0080068). Obliegenheiten erfordern demnach gewisse Verhaltensweisen des Versicherungsnehmers und bestimmte Rechtsfolgen für ihre willkürliche und schuldhafte Verletzung (RS0080166). Bei der Unterscheidung kommt es auf den materiellen Inhalt einer Versicherungsbedingung an, nicht auf ihre äußere Erscheinungsform oder Wortwahl.
[22] 2.2.2 Art 21.1.3 AUVB verlangt – ohne jeden Zweifel – ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers und normiert damit eine (vorbeugende) Obliegenheit.
[23] 3.1 Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer wird – nach der Systematik – Art 21.1 AUVBals Vereinbarung verschiedener Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall verstehen und vorerst davon ausgehen, dass der Abschlusssatz grundsätzlich die Folgen der Verletzung der davor genannten Obliegenheiten allgemein regelt. Da aber Art 21.1.3 AUVB konkret die Verletzung der Obliegenheit des Anlegens des Sicherheitsgurtes mit der besonderen Rechtsfolge verbindet, dass sämtliche vereinbarte Versicherungsleistungen gemäß Abschnitt B „im kausalen Ausmaß, jedoch um mindestens 25 %“ gekürzt werden, wird der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer diese Rechtsfolgenanordnung gegenüber der allgemeinen Regelung als speziellere und die Rechtsfolgen der genannten Obliegenheitsverletzung abschließend regelnde Bestimmung verstehen. Er wird damit die allgemeine Regelung am Ende der Klauselals nicht relevant für die Verletzung der konkreten Obliegenheit ansehen. Ein anderes Auslegungsergebnis würde die bei Art 21.1.3 AUVB geregelte Folge entbehrlich machen.
[24] 3.2 Die Rechtsfolge des Art 21.1.3 AUVB widerspricht aber der – einseitig zu Gunsten des Versicherungsnehmers zwingenden – Bestimmung des § 6 Abs 2 VersVG, wonach der Versicherer eine Leistungskürzung nur dann vornehmen darf, wenn die Obliegenheitsverletzung einen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls bzw sonst einen Einfluss auf den Leistungsumfang des Versicherers hat. Die davon abweichende – kausalitäts- und nach dem Wortlaut selbst verschuldensunabhängige – Leistungskürzung von jedenfalls 25 % ist unzulässig und insofern auch ungültig nach § 864a ABGB (vgl Maitz, AUVB2 223, 309).
[25] 4.1 In diesem Zusammenhang teilt der Oberste Gerichtshof aber auch das Auslegungsergebnis der Beklagten und der Vorinstanzen nicht, wonach die Anordnung einer (kausalitätsunabhängigen) Mindestkürzung klar trennbar von einer bestehend bleibenden generellen Leistungsfreiheit im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG sei.
[26] 4.2 Maßgeblich für die Qualifikation einer Klausel als eigenständig im Sinn des § 6 KSchG ist nicht die Gliederung des Klauselwerks, es können vielmehr auch zwei unabhängige Regelungen in einem Punkt oder sogar in einem Satz der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) enthalten sein. Es kommt darauf an, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können (RS0121187 [T1]). Dabei kann auch der sprachlichen Unselbständigkeit ein gewisses Gewicht zukommen (RS0121187 [T11]). Die Annahme von zwei Regelungen setzt mit anderen Worten voraus, dass der Verbraucher erkennen kann, dass zwei unterschiedliche Fragen einer Vereinbarung unterworfen werden sollen (1 Ob 162/20k). Jede der beiden Regelungen muss für sich allein verständlich sein und einen eigenen (anderen) Regelungsinhalt haben (10 Ob 70/07b).
[27] 4.3 Der Versicherungsnehmer wirddie Wortfolge „jedoch um mindestens 25 %“ im 2. Satz des Art 21.1.3 AUVB aber nicht als Regelung mit eigenem Regelungsinhalt, sondern als Einschränkung des davor vorgesehenen Kausalitätsgegenbeweises und damit gleichermaßen als Ausdehnung der Möglichkeit des Versicherers verstehen, sich auf Leistungsfreiheit selbst im Fall einer unverschuldeten und bewiesenermaßen nicht kausalen Obliegenheitsverletzung zu berufen. Die kausalitätsunabhängige Mindestkürzung wird ja auch erst in dem Fall relevant, in dem der Versicherungsnehmer fehlendes Verschulden und/oder fehlende Kausalität bewiesen hätte. Die Klausel kann insoweit nicht isoliert betrachtet werden. Dahingestellt bleiben kann daher, ob mit dem allgemeinen Verweis auf die Voraussetzungen und Begrenzungen der Leistungsfreiheit nach § 6 Abs 1 VersVG auch jene im Zusammenhang mit der hier interessierenden vorbeugenden Obliegenheiten nach § 6 Abs 2 VersVG überhaupt ausreichend klargestellt sind.
[28] 5. Da sowohl die Versicherungssumme als auch die Anwendung der Besonderen Bedingungen Nr 1281 unstrittig sind und die 100%‑ige Dauerinvalidität feststeht, war der Revision (teilweise) Folge zu geben. Aufgrund des unstrittigen Zinsenlaufs war das Zinsenmehrbegehren abzuweisen.
[29] 6. Die Kostenentscheidung im Revisionsverfahren beruht auf die §§ 41, 50 ZPO. Da die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz eingehende Berechnungen erfordert (hier aufgrund zweier Rechtsgänge sowie wegen Einwendungen gegen die Kostennote des Klägers mit dem Hinweis auf nicht diesem Verfahren zuzuordnende Leistungen) kann die Kostenentscheidung der ersten Instanz aufgetragen werden (RS0124588 [T13]).
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