European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020NC00014.25V.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die von * zu AZ * angezeigten Gründe sind nicht geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen.
Begründung:
[1] Der Kläger macht gegen den Beklagten, seinen früheren Rechtsanwalt, Schadenersatzansprüche wegen behaupteter anwaltlicher Schlechtvertretung (unter anderem) in mehreren Zivilprozessen geltend. Die außerordentliche Revision des Klägers gegen das Urteil des Berufungsgerichts, mit dem das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts bestätigt wurde, ist beim * Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen.
[2] * ist Mitglied dieses Senats. Er gibt bekannt, in einem der Verfahren, in dem der Kläger dem Beklagten anwaltliche Fehler vorwirft, als Erstrichter tätig gewesen zu sein. Er fühle sich subjektiv nicht befangen. Es könnte aber der objektive Anschein einer Befangenheit bestehen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Befangenheitsanzeige ist nicht begründet:
[4] 1. Gemäß § 20 Abs 1 Z 5 JN sind Richter von der Ausübung des Richteramts in bürgerlichen Rechtssachen dann ausgeschlossen, wenn sie bei einem untergeordneten Gericht an der Erlassung des „angefochtenen“ Urteils oder Beschlusses teilgenommen haben.
[5] Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.
[6] 2. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 2 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949).
[7] 3. Ein Anschein der Befangenheit kann aufgrund Vorbefasstheit des Richters bestehen, also etwa aufgrund einer besonderen Nahebeziehung zur Rechtssache.
[8] 3.1. Dass Richter in Verfahren entscheiden, die einen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen, entspricht dem Gerichtsalltag und liegt überdies der Rechtsprechung zu Grunde, wonach gerichtskundige – also insbesondere aus anderen Verfahren bekannte – Tatsachen keines Beweises bedürfen. Die Tätigkeit in einem Parallelverfahren kann für sich allein daher keinen Zweifel an der Unbefangenheit des Richters begründen (2 Nc 27/18w). Keine Besorgnis der Befangenheit liegt auch beim Richter des Hauptverfahrens vor, der im Verfahren zur Bewilligung der Verfahrenshilfe eine Rechtsverfolgung aus rechtlichen Gründen als aussichtslos angesehen hat (RS0036155). Eine im zweiten Rechtsgang vor dem Obersten Gerichtshof keine Rolle mehr spielende Mitwirkung eines nunmehr zur Entscheidung berufenen Richters an der Entscheidung der zweiten Instanz im ersten Rechtsgang über die Zulässigkeit der Nebenintervention und die verfahrensrechtliche Frage des Vorliegens einer Nichtigkeit begründet ebensowenig einen Anschein der Befangenheit (2 Nc 25/23h).
[9] 3.2. Als eine den Anschein einer Voreingenommenheit begründende besondere Nahebeziehung zur Rechtssache sieht es die Rechtsprechung hingegen an, wenn ein zuständiger Rechtsmittelrichter in einer unteren Instanz im Provisorialverfahren für das nunmehr zu entscheidende Hauptverfahren weiterhin rechtlich relevante Fragen gelöst hat (2 Nc 7/25i, 8 Nc 22/17b). Ebenso genügt es für die Annahme eines Anscheins der Befangenheit, wenn im Revisionsverfahren in einem Fall sukzessiver Kompetenz mittelbar die Richtigkeit jener Rechtsansicht zu prüfen ist, die im unter Beteiligung des Richters erlassenen, aber durch Anrufung der Gerichte außer Kraft getretenen Bescheid vertreten wurde (2 Nc 32/19g).
[10] 3.3. Auf dieser Grundlage ist im Anlassfall der Anschein der Befangenheit zu verneinen. Der Kläger wirft dem Beklagten anwaltliche Fehler unter anderem in jenem Verfahren vor, das das nunmehr zur Entscheidung berufene Senatsmitglied als Erstrichter führte. Bei der Beurteilung des hypothetischen Verfahrensausgangs des Vorprozesses hat das Regressgericht, das mit dem gegen den Prozessbevollmächtigten wegen behaupteter Unterlassungen erhobenen Schadenersatzanspruch befasst ist, nicht darauf abzustellen, wie das Gericht des Vorprozesses, wären die beanstandeten Unterlassungen unterblieben, seinerzeit entschieden hätte, sondern darauf, wie nach seiner Auffassung der Vorprozess – oder auch nur eine Teilfrage desselben – richtigerweise hätte entschieden werden müssen (RS0115755). Die vom nunmehrigen Senatsmitglied als Erstrichter im Vorprozess vertretene Rechtsansicht bedarf damit im Revisionsverfahren keiner unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Überprüfung.
[11] 4. Dass das nunmehrige Senatsmitglied als Erstrichter unmittelbare Wahrnehmungen zum Verhalten des Beklagten im Vorprozess gemacht haben könnte, vermag schon deswegen keinen Anschein der Befangenheit zu begründen, weil der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist.
[12] 5. Es war daher selbst bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs auszusprechen, dass die angezeigten Gründe nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
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