OGH 14Os8/25w

OGH14Os8/25w17.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. April 2025 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann als Vorsitzende, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig und Mag. Lendl sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari und Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Brüggler LL.M., BSc in der Strafsache gegen M* B* wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. September 2024, GZ 9 Hv 35/24d‑240, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0140OS00008.25W.0417.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Graz zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, im zweiten Rechtsgang ergangenen (zum ersten vgl 14 Os 124/23a, 5/24b) Urteil wurde M* B* mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs (zu ergänzen: 1,) 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB (A), mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (B und D/2), eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C/1) sowie je eines Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (C/2) und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB idF BGBl 1987/605 (D/1) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* und G*

(A) gegen folgende unmündige Personen eine längere Zeit hindurch, nämlich länger als ein Jahr, fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar

(1) vom 1. Juni 2009 bis zum 23. Dezember 2015 gegen seinen 2002 geborenen Sohn Ma* B*, indem er

(a) diesem mehrmals pro Woche Schläge mit einem Verlängerungskabel oder einem Gürtel gegen die Handflächen, einer Rute gegen die Handflächen und den bekleideten Rücken sowie mit einem Hausschuh gegen den bekleideten Rücken und das Gesäß versetzte, wodurch dieser jeweils Striemen und etwa einen Tag anhaltende Rötungen erlitt,

(b) zwischen Herbst 2009 und 2013 dessen Kopf gegen eine Wand schlug;

(2) von 2013 bis zum 23. Dezember 2015 gegen seine 2004 geborene Tochter L* B*, indem er dieser mehrmals pro Woche Schläge mit einem Verlängerungskabel, einem Gürtel oder einer Rute gegen die Handinnenflächen versetzte, wodurch sie jeweils etwa ein bis zwei Tage andauernde Rötungen und einmal Blutungen erlitt;

(3) von 2013 bis zum 23. Dezember 2015 gegen seine 2007 geborene Tochter Mi* B*, indem er dieser mehrmals pro Woche Schläge mit einem Gürtel oder einer Rute gegen die Handflächen versetzte, wodurch die Genannte jeweils etwa ein bis zwei Tage andauernde Rötungen erlitt;

(4) vom 1. Juni 2009 bis 2012 gegen seinen 2000 geborenen Sohn I* B*, indem er

(a) diesem mehrmals pro Woche Schläge mit einem Verlängerungskabel, einem Gürtel oder einer Rute gegen die Handflächen und den bekleideten Rücken sowie mit einem Hausschuh gegen den bekleideten Rücken und das Gesäß versetzte, wodurch dieser jeweils Striemen und etwa einen Tag anhaltende Rötungen, in einigen Fällen auch Blutungen erlitt,

(b) zwischen Herbst 2009 und 2013 dessen Kopf gegen eine Wand schlug;

(B) von 2006 bis zum 31. Mai 2009 I* B* mehrmals pro Woche durch gleichartige wie die zu A/4/a beschriebenen Handlungen, durch die dieser jeweils Striemen und etwa einen Tag anhaltende Rötungen in einigen Fällen auch Blutungen erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;

(C) Ende Juni 2011

(1) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an seinem damals neunjährigen, mithin unmündigen, Sohn Ma* B* vorgenommen, indem er an dessen Penis Masturbationsbewegungen durchführte,

(2) durch die zu C/1 angeführte Tat mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

(D) seine damalige Lebensgefährtin * N* vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

(1) 2000 durch einen Tritt gegen den Bauch und die linke Hand, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Bruch des linken Ringfingers, zur Folge hatte,

(2) von 2000 bis 2012 in Abständen von mehreren Monaten und von 2013 bis November 2015 einmal pro Monat durch Faustschläge gegen das Gesicht und den Oberkörper, durch Tritte und einmal durch Würgen mit dem Unterarm, wodurch das Opfer jeweils Blutergüsse und Hämatome erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 2, 4, 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Unter Kritik (im Wesentlichen) an der Verfahrensführung im ersten Rechtsgang behauptet die Besetzungsrüge (Z 1) das Vorliegen von Gründen nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO in Bezug auf das Landesgericht für Strafsachen Graz als solches und nicht auf die im zweiten Rechtsgang an der Entscheidung beteiligten Berufsrichter. Solcherart führt sie keine Ausgeschlossenheit im Sinn der genannten Bestimmung ins Treffen (vgl RIS‑Justiz RS0046011 [T2, T3]).

[5] Weshalb eine behauptete Verletzung der für das Ermittlungsverfahren geltenden Bestimmung des § 108a StPO Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 2 StPO begründen soll, bleibt unerfindlich.

[6] Indem die Verfahrensrüge (Z 3, nominell Z 2) die Unzulässigkeit der Verlesung der Protokolle über die kontradiktorischen Vernehmungen der Zeugen L* B* und I* B* (ON 225 S 21) sowie Mi* B* und Ma* * (ON 230a S 6) behauptet, ohne sich mit der aus § 252 Abs 1 Z 2 (hinsichtlich I* B* richtig Z 2a) StPO resultierenden, von der Vorsitzenden in Anspruch genommenen Einschränkung des Verlesungsverbots nach § 252 Abs 1 StPO auseinanderzusetzen, wird der Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§ 285a Z 2 StPO; vgl Ratz, WK‑StPO § 285d Rz 10; im Speziellen zur Verfahrensrüge Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 49 ff). Im Übrigen durften die Protokolle über diese Aussagen auch deshalb (nochmals) verlesen werden, weil sich der Beschwerdeführer damit (nach dem aus Sicht des Obersten Gerichtshofs unbedenklichen [vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 312] Protokoll über die Hauptverhandlung) einverstanden erklärte (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO; ON 239 S 6).

[7] Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang mit der Behauptung der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes sowie unter Hinweis auf das Fehlen einer (technischen) Möglichkeit zum Abspielen der Videos ein Verwertungsverbot releviert, könnte eine Anfechtung nur dann Erfolg haben, wenn der Beschwerdeführer an der Geltendmachung des korrespondierenden Beweiserhebungsverbots (hier des § 252 Abs 1 StPO) als Verfahrensmangel gehindert gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0129954, RS0116259; Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 246 Rz 171; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 68). Da im Rahmen der Verfahrensrüge der Sache nach eine Verletzung des § 252 Abs 1 StPO eingewendet wurde, steht die Mängel- oder Tatsachenrüge (Z 5 vierter Fall oder Z 5a, nominell Z 2) in diesem Umfang nicht mehr offen (vgl 15 Os 13/23k [Rz 44]; vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0117190; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 93).

[8] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Angeklagte durch die Abweisung (ON 230a S 5 und ON 239 S 6) seiner in der Hauptverhandlung gestellten Anträge (ON 230a S 3 und ON 239 S 4 f) auf zeugenschaftliche Vernehmung von * E*, I* und A* K*, * J*, A* B*, * S*, * H*, * Kl*, F* und A* Ka*, * G* und * Sc* in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt.

[9] Hinsichtlich des Zeugen E* ließ der Antrag nämlich nicht erkennen, weshalb die ihm gegenüber im Zuge der (letztlich erfolgreich angestrebten) Wiederaufnahme des (ursprünglich) zu AZ 180 Hv 59/18g des Landesgerichts für Strafsachen Graz geführten Strafverfahrens (vgl dazu 14 Os 54/19a) gemachten Angaben der (offenbar gemeint:) Opfer zu A bis C des Schuldspruchs über die Initiative für ihre ursprünglichen, den Angeklagten belastenden Angaben für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollten (siehe aber RIS‑Justiz RS0118444 [T2, T4]).

[10] Gleiches gilt für den durch die Vernehmung der Zeugen G* und Sc* zu beweisenden (nicht näher konkretisierten) Umstand, dass das Opfer N* wiederholt grundlos die Polizei verständigt hätte.

[11] Hinsichtlich der übrigen Zeugen, die nach dem Antragsvorbringen Angaben über das Verhältnis und den Umgang des Angeklagten mit den Opfern zu A bis C des Schuldspruchs machen könnten, legte der Antrag nicht dar, warum diese Zeugen für den gesamten Tatzeitraum Wahrnehmungen dazu haben sollten, dass der Angeklagte gegen seine Kinder nicht handgreiflich geworden sei und er sie nicht „sexuell missbraucht“ habe (RIS‑Justiz RS0099453, RS0118123).

[12] Mit Blick auf das undifferenziert auf die Z 5 und 5a gestützte, auf den Schuldspruch zu A eingeschränkte Vorbringen ist klarzustellen, dass der Beschwerdeführer deutlich und bestimmt den Sachverhalt behaupten muss, der den Prüfungskriterien eines ebenso bezeichneten Nichtigkeitsgrundes entspricht (§ 285 Abs 1 und § 285a Z 2 StPO; vgl erneut Ratz, WK‑StPO § 285d Rz 10 mwN). Setzt sich die Rechtsmittelschrift – wie gegenständlich – über dieses Gebot hinweg, gehen dadurch bedingte Unklarheiten zu Lasten des Beschwerdeführers (RIS‑Justiz RS0100183 [insb T2]; vgl zur Verschiedenheit der Nichtigkeitsgründe RIS‑Justiz RS0115902).

[13] Entgegen dem Einwand unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Feststellungen zu den entscheidungswesentlichen Urteilsannahmen (US 8 ff) haben die Tatrichter die Aussagen der Zeugen * Ju* und * L* in ihre Überlegungen einbezogen und mit mängelfreier Begründung dargelegt, weshalb diese zur Klärung des Sachverhalts nichts beitrugen (US 13 f und 25). Zudem waren die Einschätzungen der Letzteren über die Motive von N* für ihre belastenden Angaben von den Tatrichtern nicht zu erörtern (vgl RIS‑Justiz RS0097545 [T1, T2, T8, T12]).

[14] Ebenso wenig musste sich das Erstgericht mit der Aussage der Zeugin * Sch*, der Lehrerin des Ma* B*, auseinandersetzen, wonach sie keine Hinweise auf körperliche Misshandlungen gehabt und der Genannte ihr darüber auch nicht berichtet habe (ON 117 S 10 f), weil diese den Feststellungen zu A/1 des Schuldspruchs nicht entgegensteht (vgl RIS-Justiz RS0098646 [T8]).

[15] Soweit sich die Tatsachenrüge (Z 5a) gegen die Annahme der Glaubwürdigkeit der Zeugin * A* richtet (US 22), verfehlt sie den gesetzlichen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS‑Justiz RS0099649).

[16] Gleiches gilt für das behauptete Fehlen von Verfahrensergebnissen für den dem Schuldspruch zu A zugrundeliegenden Urteilssachverhalt (vgl RIS‑Justiz RS0128874), für die Erwägungen der Tatrichter zum Ausgangspunkt des Strafverfahrens (RIS‑Justiz RS0117446) sowie für die (überdies auch zu C des Schuldspruchs erfolgte) Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (vgl RIS‑Justiz RS0102162).

[17] Indem die Rüge (Z 5a) weiters (offenbar auch zu C des Schuldspruchs) aus den von den Tatrichtern nach eingehender Erörterung (US 14 ff und US 22 f) als nicht glaubhaft beurteilten Aussagen der Opfer in der Hauptverhandlung, der Angeklagte habe nie oder nur vereinzelt Gewalt ausgeübt, sowie jener des Mar* B*, die zu C des Schuldspruchs genannte Handlung nicht wahrgenommen zu haben, für ihren Standpunkt günstigere Schlussfolgerungen zieht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (vgl RIS‑Justiz RS0099674).

[18] Derartige Bedenken ergeben sich auch nicht aus der Aussage der * Ku* über ihr gegenüber gemachte Angaben des I* B* (zu A und B des Schuldspruchs) sowie aus der (bereits erwähnten) Aussage der Zeugin Sch* (zu C des Schuldspruchs), keine Hinweise auf einen Missbrauch erkannt zu haben.

[19] Indem die (zu A einen Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB anstrebende) Subsumtionsrüge (Z 10) die Häufigkeit der Gewaltausübung bestreitet, vernachlässigt sie die gebotene Bezugnahme auf den Urteilssachverhalt (vgl aber RIS‑Justiz RS0099984).

[20] Soweit lediglich allgemein behauptet wird, dass die „Tatbestandsmäßigkeit“ nach § 107b StGB zu „verneinen“ sei, entzieht sich die Beschwerde einer Erwiderung (vgl RIS‑Justiz RS0099620).

[21] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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