OGH 3Ob35/25f

OGH3Ob35/25f16.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* K*, vertreten durch Dr. Maximilian Maier, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH, *, Deutschland, 2. R* GmbH & Co KG, *, Deutschland, und 3. R* Inc, *, Vereinigte Staaten von Amerika, alle vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 4.000 EUR sA und Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Jänner 2025, GZ 5 R 197/24p‑46, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00035.25F.0416.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für alle künftigen Gesundheitsschäden, die er durch die Verwendung eines fehlerhaften Beatmungsgeräts im Zeitraum 6. Juni 2018 bis 4. Mai 2022 erleiden werde. Die Erstbeklagte sei die Importeurin im Sinn des PHG, die Zweitbeklagte die Bevollmächtigte im Sinn der Medizinprodukteverordnung und die Drittbeklagte die Herstellerin. Die Drittbeklagte mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika habe spätestens 2015 von der Fehlerhaftigkeit des Produkts und der Gesundheitsgefährdung durch die Zersetzung des verwendeten Schaumstoffs in den Geräten gewusst, aber dennoch bis zum Jahr 2021 nichts unternommen, insbesondere das Gerät nicht zurückgerufen und auch keine Sicherheitswarnungen abgegeben.

[2] Die Drittbeklagte wendete unter anderem die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein.

[3] Das Erstgericht wies die Klage gegen die Drittbeklagte wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands (insgesamt) 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs gelingt es dem Kläger nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen.

[6] 1. Bereits in den Entscheidungen zu 3 Ob 200/23t, 3 Ob 129/24b, 8 Ob 126/24y und 9 Ob 93/24b hat der Oberste Gerichtshof in vergleichbaren Fällen die internationale Zuständigkeit der Drittbeklagten mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika für die Schadenersatzklage der Kläger verneint. Daran ist auch im vorliegenden Verfahren festzuhalten und ergänzend auszuführen:

[7] 1.1. Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit sind – außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO – gemäß § 41 Abs 2 JN die Klageangaben maßgebend (RS0115860). Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RS0115860 [T4]). Im Zusammenhang mit doppelrelevanten Tatsachen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Beurteilung, ob die diesbezüglichen Prozessbehauptungen schlüssig sind, immer nur den Einzelfall betrifft und damit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO bildet (6 Ob 72/13a Pkt 2.2. mwN).

[8] 1.2. Gemäß § 27a Abs 1 JN besteht die inländische Gerichtsbarkeit für eine bürgerliche Rechtssache bereits dann, wenn die Voraussetzungen für eine örtliche Zuständigkeit vorliegen. Dies gilt gemäß § 27a Abs 2 JN (nur dann) nicht, soweit nach Völkerrecht anderes bestimmt ist. Die amtswegige Prüfung der inländischen Gerichtsbarkeit (§ 41 JN) sowie der örtlichen Zuständigkeit hat in einem einheitlichen Vorgang zu erfolgen (Matscher in Fasching/Konecny 3 § 27a JN Rz 13).

[9] 1.3. Ein bi‑ oder multilaterales Abkommen, das die Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtssachen zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika gesondert regelt, besteht nicht. Für die behauptete örtliche und internationale Zuständigkeit sind daher in Anwendung des § 27a Abs 1 JN iVm § 41 Abs 2 JN die Voraussetzungen auf Basis der Angaben des Klägers zu prüfen.

[10] 1.4. Gemäß § 92a JN können Klagen über den Ersatz des Schadens, der aus der Verletzung einer Person entstanden ist, auch bei dem Gericht eingebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt wurde. Beim Auseinanderfallen von Handlungsort und Erfolgsort ist allein der Ort maßgeblich, an dem das schädigende Verhalten gesetzt wurde. Der Ort, an dem das schädigende Verhalten seine schadensauslösende Wirkung zeigte oder an dem der Schaden eingetreten ist, hat außer Betracht zu bleiben (RS0046720). Die im außerordentlichen Revisionsrekurs angesprochene Ubiquitätstheorie, wonach die Schadenersatzklage analog zu der vom EuGH zu Art 5 Z 3 EuGVÜ entwickelten Rechtsprechung auch bei jenem Gericht eingebracht werden könne, in dessen Sprengel der Ort liege, an dem der unmittelbare Schaden eingetreten sei, wird vom Obersten Gerichtshof für § 92a JN abgelehnt (RS0046720 [T1]).

[11] 2.1. Der Kläger wirft der Drittbeklagten gestützt auf eine Produktbeobachtungspflicht (6 Ob 215/11b) sowie deren Vigilanzverpflichtungen nach der Richtlinie 93/42/EWG betreffend Medizinprodukte, nach dem MPG 1996, der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte (MP‑VO) und dem MPG 2021 zusammengefasst die Unterlassung pflichtgemäßen Verhaltens vor, wobei der Wohnort des Klägers („oder allenfalls Wien am Sitz des Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen [BASG]“) der Ort gewesen sei, an dem gehandelt hätte werden müssen.

[12] 2.2. Bei Unterlassungen ist Handlungsort der Ort, an dem zu handeln gewesen wäre (2 Ob 308/02m).

[13] 3. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, für pflichtwidrige Unterlassungen der Drittbeklagten in Österreich bestünde kein ausreichender Anknüpfungspunkt, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 3 Ob 200/23t [Rz 12]; 3 Ob 129/24b [Rz 12]; 8 Ob 126/24y [Rz 13]; 9 Ob 93/24b [Rz 16]).

[14] 4.1. Aber auch in Bezug auf die vom Kläger behaupteten Verletzungen der Vigilanzverpflichtungen der Drittbeklagten ist seinem Vorbringen zum Aspekt der örtlichen und internationalen Zuständigkeit kein schlüssiger Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die Drittbeklagte diese (ihr als pflichtwidrig vorgehaltenen) unterlassenen Handlungen am Ort der Verwendung des Beatmungsgeräts (Wohnort des Klägers) bzw am Sitz des BASG hätte setzen müssen.

[15] 4.2. Nach den zitierten Vorentscheidungen (3 Ob 200/23t [Rz 10 f]; 3 Ob 129/24b [Rz 11]; 8 Ob 126/24y [Rz 15]; 9 Ob 93/24b [Rz 18]) knüpften die Vorschriften des MPG 1996, mit dem die bis 25. 5. 2021 in Geltung gestandene Richtlinie 93/42/EWG betreffend Medizinprodukte umgesetzt war, die umfangreiche Anforderungen an Medizinprodukte wie insbesondere auch deren regelmäßige Überprüfung vorsahen, an das erstmalige Inverkehrbringen in den Europäischen Wirtschaftsraum an. Dieses erstmalige Inverkehrbringen war gemäß § 7 Abs 1 MPG 1996 – neben anderen Voraussetzungen – nur dann zulässig, wenn der dafür „Verantwortliche“ (der Hersteller, dessen Bevollmächtigter oder der Importeur, vgl § 2 Abs 12 MPG 1996) seinen Sitz in einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hatte. Sämtliche Vorschriften über die Verantwortlichkeit und Zusammenarbeit sowie Überprüfungs- und Meldepflichten (auch) betreffend die „post‑market‑surveillance“, die in Konformitätsbewertungs-verfahren näher geregelt sind, richteten sich an denjenigen, der seinen Sitz im „Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“ hatte. Eine unmittelbare Mitteilungs‑ oder Verständigungspflicht über „Zwischenfälle“ (Fehlfunktionen oder Mängel des Produkts, die geeignet sind, den Gesundheitszustand eines Patienten zu verschlechtern) an die Patienten lässt sich diesen Normen hingegen nicht entnehmen.

[16] 4.3. Die Beurteilung in der angefochtenen Entscheidung, nach der sich im Klagsvorbringen kein Anknüpfungspunkt für eine örtliche und internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Drittbeklagte findet, ist nicht korrekturbedürftig. Dass die Drittbeklagte als in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässige Herstellerin im Jahr 2015 nach dem damals anwendbaren MPG 1996 in das europaweit geltende Medizinprodukteüberwachungs‑ und ‑meldesystem derart eingebunden gewesen wäre und Pflichten daraus verletzt hätte, dass sie eine am Wohnort des Klägers zu erfüllende Verständigungspflicht unterlassen hätte, hat der Kläger nicht behauptet und Anhaltspunkte dafür sind (auch hier) nicht erkennbar.

[17] 4.4. Erstmals im Rechtsmittelverfahren konkretisiert der Kläger seinen behaupteten Verstoß der Drittbeklagten gegen das MPG 1996. Danach wäre die Drittbeklagte gemäß § 70 Abs 3 MPG 1996 verpflichtet gewesen, dem BASG unverzüglich jede Fehlfunktion der von ihr importierten Geräte zu melden.

[18] Aber auch damit kann die internationale Zuständigkeit der Drittbeklagten nicht begründet werden. Abgesehen davon, dass der Oberste Gerichtshof in den zitierten Vorentscheidungen bereits dargelegt hat, dass sich sämtliche auch aus dem MPG 1996 ergebenden Meldepflichten nur an denjenigen richteten, der seinen Sitz im „Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“ hatte, ist die Drittbeklagte von § 70 Abs 3 MPG 1996 nicht erfasst, weil sie als Herstellerin des Beatmungsgeräts dieses Medizinprodukt nicht im EWR erstmalig in Verkehr gebracht hat. Dies war unstrittig die Erstbeklagte.

[19] 4.5. Auch zu der seit 26. 5. 2021 geltenden MP‑VO ist die Ansicht der Vorinstanzen vertretbar, der Kläger habe erstinstanzlich kein hinreichendes Vorbringen zu einer gerade in Österreich und im Sprengel des Erstgerichts begangenen Unterlassung erstattet. Insbesondere ist Art 10 Abs 12 MP‑VO auch im Fall eines Rückrufs keine Pflicht der Herstellerin zum unmittelbaren Tätigwerden an jedem einzelnen Einsatzort des Medizinprodukts zu entnehmen.

[20] Soweit der außerordentliche Revisionsrekurs erstmals eine unterlassene Verständigung des BASG als haftungsbegründend anführt, handelt es sich um eine unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung (RS0042091 [insb T5]).

[21] 5. Richtig ist, dass die Bestimmung des § 92a JN auch auf Ersatzansprüche nach dem PHG anwendbar ist (3 Ob 232/23y [Rz 15] mwN). Das schadensauslösende Verhalten der Drittbeklagten als Produktherstellerin im Sinn des § 3 PHG wurde aber unzweifelhaft nicht in Österreich gesetzt (vgl RS0046720).

[22] 6. Der außerordentliche Revisionsrekurs nimmt schließlich auf das ProduktsicherheitsG 2004 (PSG 2004) Bezug. Dabei übersieht der Kläger jedoch, dass dieses Gesetz gegenüber dem MPG 1996 und der MP‑VO nur subsidiär anwendbar ist (§ 2 PSG 2004 iVm Art 1 Abs 2 Produktsicherheits‑RL [Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit]). Darüber hinaus werden in § 3 Z 4 PSG 2004 als nach diesem Gesetz verpflichtete Hersteller nur diejenigen Produzenten definiert, die ihren Sitz in der EU („Gemeinschaft“) haben; bei einem Produzenten mit Sitz außerhalb der EU (bzw des EWR) ist dessen Vertreter mit Sitz in der EU oder sonst der Importeur der „Hersteller“ und damit derjenige, den die Pflichten nach dem PSG 2004 treffen. Auf dieses Gesetz kann die Haftung der Drittbeklagten daher ebenfalls nicht gestützt werden.

[23] 7. Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, der Anregung des Klägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union nachzukommen. Die ersten vier Fragen laufen letztlich auf eine Auslegung des § 70 MPG 1996 hinaus. Nach der Regierungsvorlage zum MPG 1996 wurde mit § 70 Abs 3 MPG 1996 die Vorgabe des Art 10 Abs 1 der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte umgesetzt (ErläutRV 313 BlgNR XX. GP  97). Die letztgenannte Bestimmung verpflichtete die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen nach Erhalt von Informationen über Vorkommnisse nach dem Inverkehrbringen zu treffen. Da der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten damit einen weiten Umsetzungsspielraum überlassen hat, sieht der Senat in der nationalen Umsetzung des Art 10 Abs 1 der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte keine Verletzung der Richtlinie; stichhaltige unionsrechtliche Zweifel werden im außerordentlichen Revisionsrekurs dazu nicht aufgezeigt. Die weitere Frage nach einem Verstoß eines Mitgliedstaats gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz, wenn er in der vorliegenden Konstellation die internationale Zuständigkeit verneint, stellt sich nicht. Sie betrifft die zivilprozessualen Vorschriften der Europäischen Union, die insbesondere in der EuGVVO 2012 geregelt und hier nicht anwendbar sind.

[24] 8. Der Oberste Gerichtshof hat der Drittbeklagten die Beantwortung des Revisionsrekurses nicht freigestellt, weshalb für diese kein Kostenersatz zusteht (vgl RS0043690 [T6, T7]).

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