OGH 4Ob53/25k

OGH4Ob53/25k11.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Istjan, LL.M., Mag. Waldstätten, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Schmidinger-Singer Meyer Zeilinger Rechtsanwält:innen GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Gernot Moser und andere Rechtsanwälte in Schwaz, wegen Räumung und Zwischenanträgen auf Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei (Rechtsmittelinteresse im Provisorialverfahren 10.000 EUR), gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 13. Februar 2025, GZ 4 R 28/25h‑57, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00053.25K.0411.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile waren vormals Lebensgefährten; nachder Trennung im Jahr 2020 verblieb die Beklagte im zuvor gemeinsam genutzten Einfamilienhaus, das im Alleineigentum des Klägers steht.

[2] Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger ihr im Rahmen der Trennung ein dauerhaftes und unentgeltliches Wohnrecht eingeräumt habe, was der Kläger bestreitet. Er verlangte in der Folge angemessenen Mietzins und Betriebskosten oder die Räumung und brachte im Dezember 2022 die gegenständliche Räumungsklage gegen die Beklagte ein.

[3] Die Beklagte erhob mit Schriftsatz vom 21. 2. 2023 einen Zwischenfeststellungsantrag gemäß § 236 iVm § 259 Abs 2 ZPO, dass zu ihren Gunsten ein unentgeltliches dingliches lebenslanges Fruchtgenussrecht des Wohnens an der Liegenschaft bestehe, sowie drei Eventualanträge betreffend unentgeltliche Rechte. Mit Schriftsatz vom 12. 12. 2023 erhob sie vier weitere, im Wesentlichen textgleiche Eventualbegehren, aber jeweils bezogen auf entgeltliche Rechte.

[4] Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Räumungsbegehren statt und wies sämtliche Zwischenfeststellungsanträge ab. In ihrer Berufung erklärte die Beklagte, auch ihre Zwischenfeststellungsanträge aufrecht zu halten, konkret das Hauptbegehren sowie die ersten drei Eventualbegehren, „allfällig als minus unter Entfall des Wortes ꞌunentgeltlichꞌ“.

[5] Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache ua wegen sekundärer Feststellungsmängel zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[6] In der Folge erließ das Erstgericht aufgrund eines Sicherungsantrags der Beklagten vom 13. 11. 2024 am 15. 11. 2024 eine einstweilige Verfügung gemäß § 381 iVm § 382 Z 6 EO, untersagte dem Kläger, die Liegenschaft zu veräußern, zu belasten und zu verpfänden, und ordnete eine Verbücherung im Grundbuch an; dies befristet bis zwei Monate nach Rechtskraft der Entscheidung über die Zwischenfeststellungsanträge.

[7] Das vom Kläger angerufene Rekursgericht änderte die Entscheidung in eine Antragsabweisung ab. Zwischen den Streitteilen sei nämlich noch ein weiteres Verfahren anhängig gewesen, in dem der Kläger Benützungsentgelt von der Beklagten gefordert habe und die Beklagte am 30. 10. 2023 wortgleiche Zwischenfeststellungsanträge erhoben habe. Das dort (teilweise) klagsstattgebende Urteil, mit dem die Zwischenfeststellungsanträge abgewiesen worden seien, sei nach einer erfolglosen Berufung der Beklagten und einer Zurückweisung ihrer außerordentlichen Revision durch den Obersten Gerichtshof zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen. Die Rechtskraftwirkung dieses Urteils sei gemäß § 411 ZPO auch noch im Rekursverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen. Damit stehe aber bindend fest, dass der zu sichernde Anspruch der Beklagten auf Nutzung des Wohnhauses nicht zu Recht bestehe, sodass der Sicherungsantrag abzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie die Wiederherstellung der vom Erstgericht erlassenen einstweiligen Verfügung anstrebt und hilfsweise Aufhebungsanträge stellt, ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO iVm §§ 402 Abs 4, 78 Abs 1 EO unzulässig und daher zurückzuweisen.

[9] 1.1 Die Beklagte wendet sich nicht gegen die Beurteilung des Rekursgerichts, dass ihre Zwischenfeststellungsanträge in beiden Verfahren deckungsgleich seien, sondern wirft primär Fragen zur Streitanhängigkeit iSd § 233 ZPO auf.

[10] 1.2 Zwar wurde bereits ausgesprochen, dass das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit auch bei Zwischenfeststellungsanträgen gemäß §§ 236, 259 Abs 2 ZPO zum Tragen kommen und einen späteren Antrag dasselbe Rechtsverhältnis betreffend unzulässig machen kann (vgl RS0039295). Diese Konstellation liegt aufgrund der rechtskräftigen inhaltlichen Entscheidung über den Zwischenfeststellungsantrag der Beklagten im Parallelverfahren jedoch nicht vor. Vielmehr geht es (nunmehr) ausschließlich um die Rechtskraftwirkung iSd § 411 ZPO.

[11] 2.1 Zum einen kann sich die Beklagte daher nicht darauf berufen, dass die Entscheidung über ihren Zwischenfeststellungsantrag im Parallelverfahren nichtig sei.

[12] Der Verweis im Rechtsmittel, dass eine Entscheidung über einen späteren Antrag gemäß § 261 ZPO und 18 OCg 2/16t nie in Rechtskraft erwachsen könne, ist nicht nachvollziehbar. Durch den Eintritt der formellen Rechtskraft wird die Wahrnehmbarkeit einer allfälligen Nichtigkeit nämlich grundsätzlich ausgeschlossen (vgl RS0007108). Der Eintritt der formellen Rechtskraft heilt die bis dahin allenfalls unterlaufenen Verfahrensverstöße und schneidet damit deren Wahrnehmung ab (RS0041790 [T1]); dies gilt auch für Prozesshindernisse (vgl RS0035572). Nach Rechtskraft einer Entscheidung können Nichtigkeitsgründe nur mehr im Rahmen des § 529 ZPO geltend gemacht werden.

[13] 2.2 Zum anderen entfaltet das rechtskräftige Urteil über den Zwischenfeststellungsantrag der Beklagten im Parallelverfahrenangesichts der Parteienidentität auch Bindungswirkung für das vorliegende Räumungs- und Provisorialverfahren.

[14] Nach ständiger Rechtsprechung sind Entscheidungen über Zwischenanträge auf Feststellung in gleicher Weise der Rechtskraft teilhaft wie die Entscheidungen über sonstige Feststellungsbegehren (RS0039847). Der Zwischenantrag auf Feststellung ist einer Klage gleichzuhalten (RS0039546), ermöglicht eine bindende Entscheidung von Vorfragen (vgl RS0039843 [T19]) und unterscheidet sich insofern vom Zwischenurteil über den Anspruchsgrund gemäß § 393 Abs 1 ZPO und der Beurteilung von Vorfragen bloß in den Entscheidungsgründen. Für den Beklagten ist der Zwischenantrag daher ein aktives Abwehrmittel, mit dem er die rechtskräftige und über den konkreten Rechtsstreit hinausreichende Feststellung begehren kann, dass etwa das für den Anspruch des Klägers präjudizielle Rechtsverhältnis nicht besteht (vgl RS0039621 [T1]; RS0039560).

[15] 2.3 Das Ausmaß der Bindungswirkung wird – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – grundsätzlich nur durch den Urteilsspruch bestimmt, allerdings sind die Entscheidungsgründe zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen. Dies gilt insbesondere, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils ermittelt werden soll (vgl RS0043259; RS0041305). Die rechtskräftige Verneinung des Anspruchs beschränkt sich grundsätzlich nur auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Grund und die dazu vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen (vgl 1 Ob 219/07y mwN). Ob eine Bindungswirkung besteht und in welchem Umfang, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 502 Abs 1, 528 Abs 1 ZPO (vgl RS0044453).

[16] 3. In ihrer Berufung im Parallelverfahren erklärte die Beklagte – wortgleich wie hier –, dass das Erstgericht ihren Anträgen „allfällig als minus unter Entfall des Wortes ꞌunentgeltlichꞌ“ stattgeben hätte müssen. Das Berufungsgericht teilte dort jedoch die Ansicht des Erstgerichts, dass es zu keiner Einräumung eines Wohnrechts „in welcher Form auch immer“ für die Beklagte gekommen sei, und setzte sich im Detail mit dem Vorbringen der Beklagten dazu auseinander.

[17] Der bloße Verweis im nunmehrigen Revisionsrekurs, dass das Berufungsgericht in seiner aufhebenden Entscheidung im Räumungsverfahren verschiedene Aufträge erteilt habe und das Rekursgericht die Entscheidungsgründe der jeweiligen Verfahren analysieren und gegenüberstellen hätte müssen, vermag keine unvertretbare Beurteilung der Bindungswirkung aufzuzeigen. Entscheidend ist insoweit entgegen der Rechtsansicht der Beklagten nicht, ob sich die jeweiligen, bereits getroffenen Feststellungen decken, sondern, ob die von ihr jeweils zur Anspruchsbegründung vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen übereinstimmen, was im Revisionsrekurs nicht bestritten wird. Insofern liegen auch die gerügten sekundären Feststellungsmängel nicht vor.

[18] 4. Weitere Rechtsfragen, insbesondere zum Provisorialverfahren, werden von der Beklagten nicht angesprochen, sodass der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen ist.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte