OGH 22Ds6/24p

OGH22Ds6/24p8.4.2025

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 8. April 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Kretschmer und Dr. Forcher als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Brüggler LL.M., BSc in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 27. Juni 2023, GZ D 238/20, 239/20, 169/21, 176/21, 187/21, 188/21, 194/21‑19, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Rechtsanwalt Dr. Roehlich und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0220DS00006.24P.0408.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht Folge gegeben.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen III und IV umfassten Taten als je ein Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt, im Schuldspruch V/2, demzufolge auch im Strafausspruch sowie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst

(1) erkannt:

 

*, Rechtsanwalt in *, wird vom Vorwurf freigesprochen, er habe trotz Aufforderung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 26. Mai 2021 keine aktuelle Auskunft aus dem vom Finanzministerium geführten Kontenregister gemäß § 4 Abs 4 Kontenregister‑ und Konteneinschaugesetz vorgelegt.

Für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruchs weiterhin zur Last liegenden Disziplinarvergehen, nämlich jeweils mehrere solche der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt, wird * gemäß § 16 Abs 1 Z 3 DSt zur Disziplinarstrafe der

Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von drei Monaten

verurteilt.

Gemäß § 16 Abs 2 DSt wird diese Disziplinarstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

(2) der

Beschluss

gefasst:

Die mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien von 24. Februar 2022, AZ D 174/17, hinsichtlich einer Geldbuße von 1.000 Euro gewährte bedingte Strafnachsicht wird widerrufen.

 

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und seiner Beschwerde wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, soweit im Verfahren über die Berufung und die amtswegige Maßnahme von Bedeutung, jeweils mehrerer Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt (I, II, III, IV und V) sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (II, III und IV) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in * entgegen § 26 RL‑BA 2015 (I und V), entgegen § 4 RL‑BA 2015 (II, III und IV) sowie entgegen §§ 8a und 8b RAO (V)

(I) trotz Aufforderung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 17. August 2020 und Urgenz vom 8. September 2020 „bis dato“ nicht nachgewiesen, dass zur Deckung der aus seiner Berufstätigkeit gegen ihn entstehenden Schadenersatzansprüche eine Haftpflichtversicherung bei einer zum Geschäftsbetrieb in Österreich berechtigten Versicherung besteht, und zwar

1) zu AZ 06/05 0694/2020 sowie

2) zu AZ 06/05 0689/2020,

(II) trotz des zu AZ 1 C 254/20v des Bezirksgerichts Schwechat am 24. Juni 2020 ergangenen und in Rechtskraft sowie Vollstreckbarkeit erwachsenen Zahlungsbefehls über 9.068,68 Euro samt 1.510,35 Euro an Kosten und 4 % Zinsen aus Kosten die Forderung der * P* ohne sachlich begründete Einwendungen nicht vollständig erfüllt, sodass zu AZ 62 E 3778/20h, AZ 62 E 1014/21i, AZ 62 E 1498/21s, AZ 62 E 1226/22t, AZ 62 E 2107/22a und AZ 62 E 3292/22s des Bezirksgerichts Schwechat sowie zu AZ 21 E 1019/21h und AZ 62 E 503/22b des Bezirksgerichts Fünfhaus Exekution gegen ihn geführt werden musste und die vollständige Zahlung erst am 24. Mai 2023 erfolgte,

(III) ohne sachlich begründete Einwendungen vom Dezember 2017 bis zum Juni 2021 die monatlich vorgeschriebenen Bewirtschaftungskosten (Betriebskosten und Beträge zur Rücklage) der H* KEG (FN *), für die er als Gesellschafter unbeschränkt persönlich haftet, für die damals im Wohnungseigentum der H* KEG gestandenen Räumlichkeiten in *, laufend nicht gezahlt, sodass diese Kosten durch die Eigentümergemeinschaft klagsweise geltend gemacht und nach rechtskräftigem Zuspruch in Exekution gezogen werden mussten, wobei am 7. Juli 2021 (inklusive Kosten) Forderungen in der Höhe von 60.619,75 Euro aushafteten, welche erst nach Veräußerung der Liegenschaft vollständig beglichen wurden,

(IV) die im zu AZ 42 Cg 83/19z des Handelsgerichts Wien am 4. März 2021 abgeschlossenen Vergleich übernommene Verpflichtung, 70.000 Euro netto zuzüglich 20 % USt (das sind 84.000 Euro brutto) an Kapital sowie 11.306,29 Euro brutto an Kosten bis zum 30. Juni 2021 zu zahlen, bis zum 29. Dezember 2021 nicht erfüllt, sodass die Klägerin zu AZ 21 E 3702/21i des Bezirksgerichts Fünfhaus sowie zu AZ 72 E 1856/21m und AZ 62 E 2715/21m des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien Exekution führen musste, sowie

(V/2) im Rahmen der Berufsüberwachung trotz Aufforderung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 26. Mai 2021 keine aktuelle Auskunft aus dem vom Finanzministerium geführten Kontenregister gemäß § 4 Abs 4 Kontenregister‑ und Konteneinschaugesetz vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung des Beschuldigten geht fehl.

[4] Der Verzicht des DSt auf die in der StPO vorgesehene Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe bedeutet, dass der von den Kategorien der (die Schuldfrage betreffenden) Nichtigkeitsgründe erfasste Fehlerbereich von der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erfasst wird. Letztere meint demnach im DSt die Berufungspunkte des § 464 Z 1 und 2 erster Fall StPO (RIS‑Justiz RS0128656 [T1]).

[5] Da der Beschuldigte aber weder in der Berufungsschrift noch bei Anmeldung seiner Berufung Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichnet hat, ist seine Berufung unter dem Aspekt des allfälligen Vorliegens von Nichtigkeitsgründen einer meritorischen Erledigung nicht zugänglich (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 467 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).

[6] Soweit die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) dem Schuldspruch I den Standpunkt entgegenhält, die Rechtsanwaltskammer Wien müsse – unbeschadet der Nichterstattung abgeforderter Äußerungen – vom Bestand einer aufrechten Berufshaftpflichtversicherung des Beschuldigten gewusst haben, weil im Fall der Nichtzahlung von Prämien die Versicherung dies der Rechtsanwaltskammer melde, bezieht sie sich nicht auf schuld‑ oder subsumtionsrelevante Umstände (siehe aber Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 8 ff mwN). Maßgebend ist insoweit vielmehr die (unbekämpft gebliebene) Feststellung, wonach der Beschuldigte dem – wiederholten – Ersuchen der Rechtsanwaltskammer Wien um Übermittlung einer Deckungserklärung des Berufshaftpflichtversicherers jeweils schuldhaft nicht entsprochen hat (ES 11 f und 17).

[7] Entsprechendes gilt für das Vorbringen zu den Schuldsprüchen II und III. Unter dem Aspekt der vorgenommenen Subsumtion entscheidend sind insoweit nämlich die – von der Beschwerde nicht bekämpften – Feststellungen (ES 3, 12 f und 18), wonach gegen den Beschuldigten jeweils rechtskräftige zivilgerichtliche Titel vorliegen und gegen ihn aufgrund dieser Titel Exekution geführt worden ist (vgl dazu RIS‑Justiz RS0056308 [T2 und T3], RS0096663 und RS0112871; Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 §§ 3, 4 RL‑BA 2015 Rz 9 ff und 21).

[8] Dem in diesem Zusammenhang hinsichtlich des Schuldspruchs III vorgenommenen Verweis auf „gestellte Beweisanträge zur Beischaffung der diesbezüglichen Akten“ fehlt es schon an der Bezeichnung sowohl des Beweisthemas als auch konkreter Beweismittel (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).

[9] Anhaltspunkte für eine unverschuldete Notlage, die dazu geführt hätte, dass der Beschuldigte ohne sein Verschulden nicht in der Lage gewesen wäre, seiner aus dem vom Schuldspruch IV umfassten zivilgerichtlichen Vergleich (§ 1 Z 5 EO [ES 4]) resultierenden Zahlungspflicht nachzukommen (vgl hiezu RIS‑Justiz RS0054949 und RS0055043), zeigt die Berufung mit dem bloßen Hinweis auf eine verzögerte Abwicklung eines Liegenschaftsgeschäfts nicht auf (vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 §§ 3, 4 RL‑BA 2015 Rz 8).

[10] Das Berufungsvorbringen weckt somit insgesamt keine Bedenken gegen die Feststellungen des Disziplinarrats zum Vorliegen von dem Beschuldigten jeweils als schuldhaft – also zumindest fahrlässig (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 [2014] S 855 [ES 18]) – anzulastenden Verfehlungen.

[11] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.

[12] Aus Anlass der Berufung überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass den Schuldsprüchen III, IV und V/2 – wie ebenfalls von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigt – von der Berufung nicht aufgegriffene Rechtsfehler anhaften, die zum Nachteil des Beschuldigten wirken und solcherart von Amts wegen wahrzunehmen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 77 Abs 3 DSt).

[13] Die inkriminierten Tathandlungen zu den Schuldsprüchen III und IV basieren auf der Nichteinhaltung von Verpflichtungen aus dem privaten Bereich des Beschuldigten und stehen als solche in keinem Zusammenhang mit dessen Berufsausübung, womit insoweit die jeweilige Subsumtion auch als Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt rechtlich verfehlt ist (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 §§ 3, 4 RL‑BA 2015 Rz 12 mwN).

[14] Die dem Schuldspruch V/2 zugrunde liegende Nichtbeachtung von Anfragen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer stellt – sofern diese im Wirkungsbereich des § 23 RAO rechtmäßig gestellt wurden – grundsätzlich eine Verletzung von Berufspflichten dar (RIS‑Justiz RS0055017).

[15] Nach § 1 Abs 1 Kontenregister‑ und Konteneinschaugesetz (KontRegG) hat der Bundesminister für Finanzen für das gesamte Bundesgebiet ein Register (Kontenregister) zur Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse, zur Durchführung von Strafverfahren, verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren, der Erhebung der Abgaben des Bundes und für den internationalen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten sowie zur Verhinderung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung und zur Durchführung internationaler Sanktionsmaßnahmen zu führen. Einsicht in dieses Kontenregister steht den in § 4 Abs 1 Z 1 bis 7 KontRegG genannten Behörden und Gerichten für dort wiedergegebene Zwecke zu. Gemäß § 4 Abs 4 KontRegG haben überdies betroffene Personen und Unternehmer das Recht auf Auskunft, welche sie betreffende Daten in das Kontenregister aufgenommen wurden. Ein Auskunftsrecht des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer (zu Zwecken der Berufsüberwachung nach § 23 Abs 2 RAO) ist dem Gesetz insoweit nicht zu entnehmen. Demzufolge vermag die erteilte Aufforderung, einen „Kontenregisterauszug gemäß § 4 Abs 4 KontRegG“ vorzulegen, keinen im Sinn des § 23 Abs 2 RAO und des § 26 RL‑BA 2015 legitimen Auftrag des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer herzustellen, womit der Schuldspruch V/2 (zur Gänze) rechtsfehlerhaft erfolgt ist.

[16] Mit Blick auf die dargestellten Rechtsfehler war das angefochtene Erkenntnis daher in der in den Schuldsprüchen III und IV vorgenommenen Subsumtion nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt sowie im Schuldspruch V/2 gänzlich aufzuheben und im letztgenannten Umfang in der Sache selbst mit Freispruch vorzugehen.

[17] Bei der demzufolge vorzunehmenden Strafneubemessung waren die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

[18] Hievon ausgehend waren die Umstände, dass der Beschuldigte mehrere Disziplinarvergehen begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und dass er bereits vier Mal disziplinarrechtlich verurteilt worden ist (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) erschwerend, die lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) mildernd.

[19] Schon aufgrund dessen, dass die Erschwerungsgründe die Milderungsgründe an Gewicht deutlich überwiegen, erweist sich eine spürbare Sanktion als unumgänglich (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB). Auch der sich in der beharrlichen Verletzung disziplinarrechtlicher Bestimmungen manifestierende hohe Schuldgehalt und die darin zum Ausdruck kommende zumindest gleichgültige Einstellung des Beschuldigten gegenüber den durch das Disziplinarrecht geschützten Werten wirken im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung aggravierend (§ 32 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB).

[20] Zusammenfassend verbietet sich eine höhere als die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion bloß aufgrund des prozessualen Verschlechterungsverbots (§ 54 Abs 3 zweiter Satz DSt).

[21] Da sich der Beschuldigte durch die mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 24. Februar 2022, AZ D 174/17, ausgesprochene bedingte (Zusatz‑)Geldbuße von 1.000 Euro nicht von weiteren disziplinarrechtlichen Verfehlungen abhalten ließ, sondern er nach Ausspruch dieser Geldbuße geradezu nahtlos weiterhin gegen disziplinarrechtliche Bestimmungen verstieß, war es geboten, die bedingte Nachsicht zu widerrufen, um ihn von weiteren disziplinarrechtlichen Verfehlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 erster Satz StGB).

[22] Der Kostenausspruch gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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