OGH 5Ob188/24v

OGH5Ob188/24v2.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W* S*, 2. I* S*, beide vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 12.088,80 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Mai 2024, GZ 6 R 19/24i‑57, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Rohrbach vom 21. Dezember 2023, GZ 1 C 9/21d‑51, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00188.24V.0402.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 1.229,50 EUR (darin  196,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger kauften am 30. 8. 2010 einen von der Beklagten hergestellten VW Tiguan Sport & Style TDI 4MOTION (Neuwagen) um 40.296 EUR. Das Fahrzeug fällt unstrittig in den Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG . Es ist mit einem Dieselmotor der Abgasklasse Euro 5 (Motortyp EA189) ausgestattet.

[2] Die Kläger begehrten von der Beklagten die Zahlung von 12.088,80 EUR sA. Im Motor des Klagsfahrzeugs sei eine unzulässige Abschalteinrichtung iSv Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG verbaut. Aufgrund dieses Umstands sei das Fahrzeug beim Ankauf 30 % weniger wert gewesen. Die Kläger hätten somit einen entsprechend überhöhten Kaufpreis bezahlt und einen Schaden erlitten.

[3] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach.

[4] Das Erstgerichtverpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 4.029,60 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab. Es bejahte das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und erachtete Schadenersatz in Höhe von 10 % des Kaufpreises als angemessen.

[5] Das Berufungsgericht gab denBerufungen der Parteien nicht Folge und bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Der vom Erstgericht festgesetzte Ersatzbetrag entspreche den Feststellungen zum Wertverlust und sei nicht korrekturbedürftig.

[6] Das Berufungsgericht erklärte die Revision über Antrag der Kläger nach § 508 ZPO für zulässig, weil bestimmte Fragen der Ermittlung des Schadens im Fall des Zusammentreffens einer Schutzgesetzverletzung mit Arglist iSd § 874 ABGB einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedürften.

[7] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Kläger aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragen, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht oder an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[8] Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[10] 1. Die Kläger machen Schadenersatz wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG geltend. Im Revisionsverfahren ist nur die Schadenshöhe strittig.

[11] 2.1. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben ist im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Schutznormen der VO 715/2007/EG jedenfalls ein angemessener Schadenersatz zu gewähren, der sich innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises zu bewegen hat. Die Wertminderung kann aber auch exakt festgestellt und vom Käufer verlangt werden (7 Ob 4/25a; 5 Ob 199/24m; 4 Ob 88/24f mwN; RS0134498).

[12] 2.2. Diese Rechtsprechung zur Bandbreite von 5 % und 15 % kommt für die Berechnung der Schadenshöhe bei Festhalten am Vertrag nicht zur Anwendung, wenn der Anspruchsgrund in § 874 ABGB und/oder § 1295 Abs 2 ABGB liegt. In diesen Fällen hat sie vielmehr nach nationalen Regeln, also nach der relativen Berechnungsmethode zu erfolgen (4 Ob 88/24f mwN; RS0134498 [T7]).

[13] 2.3. Die Bestimmung der Anspruchshöhe anhand der konkret festgestellten Wertminderung bedarf – unabhängig vom Anspruchsgrund (Schutzgesetzverletzung und/oder §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB) – Feststellungen zu der allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags, insbesondere dazu, welchen Verkehrswert das Fahrzeug in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung aufwies respektive zu welchem Preis ein solches Fahrzeug (damals) gehandelt worden wäre (7 Ob 4/25a; 4 Ob 88/24f ua; RS0113651 [T6]).

[14] 3.1. Im vorliegenden Fall behaupten die Kläger, dass der von ihnen bezahlte Preis 30 % über dem objektiven Wert eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung gelegen gewesen sei.

[15] 3.2. Das Erstgericht hat dazu auf Basis eines technischen Sachverständigengutachtens („aus technischer Sicht“) festgestellt, dass ein Fahrzeug, das zwar mit einer vorerst unzulässigen Software ausgestattet ist, für das aber ein verordnungskonformes Software‑Update zugesagt wurde, um 10 % billiger angeboten werden hätte müssen; hingegen sei eine Wertminderung von 30 % anzusetzen, wenn das deutsche Kraftfahrtbundesamt (KBA) auch das Thermofenster als unzulässig feststelle und die Beklagte kein neuerliches Software‑Update zur Verfügung stelle.

[16] Das Berufungsgericht interpretierte diese Feststellungen des Erstgerichts – im Ergebnis und ungeachtet seiner ergänzenden Ausführungen zum Nutzungsvorteil der Kläger – als Feststellung zweierAlternativen einer exakten Wertdifferenz im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags; abhängig von bestimmten tatsächlichen Voraussetzungen bestimme sich die Wertminderung mit 10 % oder 30 %. Nur wenn festgestanden hätte, dass das KBA auch das Thermofenster als unzulässig qualifiziert habe, hätte der Wertverlust 30 % betragen. Da es dafür keine Anhaltspunkte (und daraus folgend keine Feststellungen dahin) gegeben habe, sei der den Feststellungen des Erstgerichts entsprechende Ersatzbetrag von 10 % des Kaufpreises nicht korrekturbedürftig.

[17] 3.3. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall ist in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891). Eine auffallende, aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigen die Kläger in ihrer Revision nicht auf.

[18] Der Oberste Gerichtshof hatvergleichbare Feststellungen bereits beurteilt und deren Wertung als Feststellung alternativer exakter Minderwerte im Einzelfall nicht beanstandet (9 Ob 52/24y). Dieses Verständnis liegt aber vor allem auch der eigenen Argumentation der Kläger zugrunde, wenngleich sie freilich – anders als das Berufungsgericht – die Voraussetzungen nicht nur für die Wertminderung von 10 %, sondern jene für die Wertminderung von 30 % als gegeben ansehen. In Bezug auf Letzteres lassen die Kläger allerdings außer Betracht, dass das Fahrzeug nach dem feststellten Sachverhalt aus der – nach den Feststellungen für das Ausmaß der Wertminderung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags maßgeblichen – Sicht des KBA nach dem Aufspielen des Software‑Updates jenen Zustand aufwies, in dem es bei der Erstzulassung hätte sein müssen, und die implementierte temperaturabhängige Abgasrückführung (Thermofenster) den rechtlichen Vorgaben entsprach. Wenn das Berufungsgericht aus diesen erstinstanzlichen Feststellungen eine Wertminderung von 10 % ableitete, hält sich dies daher im Rahmen des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums. Relevant ist schließlich, welcher Preis für entsprechend mangelhafte Fahrzeuge unter der Voraussetzung tatsächlich erzielt worden wäre, dass die Käufer die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit in Kauf nahmen.

[19] 4.1. Die Revision der Kläger ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[20] 4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RS0035979 [T16]).

[21] Da im Fall der Bundesrepublik Deutschland die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes allgemein bekannt ist (RS0114955 [T18]), kann die Umsatzsteuer in der verzeichneten Höhe von 19 % zugesprochen werden.

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