OGH 14Os128/24s

OGH14Os128/24s1.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Vogel in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 9. Oktober 2024, GZ 37 Hv 49/24a‑21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0140OS00128.24S.0401.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht Innsbruck zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – * P* der Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (1) und der Verleumdung nach §§ 15, 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (4) sowie der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (2) und der schweren Körperverletzung nach (richtig:) § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er in I*

1/ am 5. März 2024 mit dem Vorsatz, (zu ergänzen: dadurch) den Staat an dessen Recht auf Strafverfolgung zu schädigen, die Polizeibeamten * S* und * G* (zu ergänzen: wissentlich) zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem er sie wiederholt aufforderte, die Amtshandlung gegen ihn abzubrechen und seine Festnahme aufzuheben;

2/ am 5. März 2024 die genannten Polizeibeamten mit Gewalt, indem er gezielte Schläge und Fußtritte in ihre Richtung setzte, sie zu beißen und sich kraftvoll aus der Fixierung zu lösen versuchte, und durch gefährliche Drohung, nämlich im angefochtenen Urteil näher beschriebene Äußerungen, an einer Amtshandlung, nämlich seiner Verbringung in das Landeskriminalamt Tirol zu hindern versucht;

3/ durch die zu Punkt 2/ beschriebene Handlung die genannten Polizeibeamten während der Vollziehung ihrer Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch S* eine Zerrung des rechten und G* eine Zerrung des linken Daumengelenks erlitt;

4/ am 31. Juli 2024 G* dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung auszusetzen versucht, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt, falsch verdächtigte, obwohl er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist, indem er in der Hauptverhandlung zu diesem Strafverfahren wahrheitswidrig behauptete, der von G* verfasste Amtsvermerk vom 5. März 2024 sei in der Darstellung, P* sei aufgefordert worden, sich mit dem Gesicht an die Wand zu stellen und seine Durchsuchung durchführen zu lassen, und man habe ihn mit den Oberarmen erfasst und an die Wand gestellt, nicht richtig, weshalb G* „diesbezüglich 1000%ig lüge“.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit b StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[3] Die Mängelrüge bezeichnet keinen der von diesem Nichtigkeitsgrund (Z 5) aufgezählten Begründungsmängel. Sie kritisiert vielmehr das Fehlen von Feststellungen, wobei sie einerseits die erstgerichtlichen Konstatierungen dazu, dass der Beschwerdeführer auch die beiden in zivil eingeschrittenen Polizeibeamten erkannt (US 5 iVm US 9 f) und die Verletzungen der beiden anderen Polizeibeamten G* und S* durch seine gewaltsamen Widerstandshandlungen vorsätzlich herbeigeführt habe (US 6 f und 8), prozessordnungswidrig übergeht oder nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung bekämpft (RIS-Justiz RS0099775). Andererseits verabsäumt sie es, in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse aufzuzeigen, welche die begehrten weiteren Feststellungen indiziert hätten (vgl aber RIS‑Justiz RS0118580), nach welchen der Beschwerdeführer bei Ansichtigwerden der zivil auftretenden Polizeibeamten selbst „den Notruf angerufen“, und der am Tatort anwesende * A* zugegeben habe, dass das „aufgefundene Suchtgift im Zimmer von ihm war“.

[4] Davon abgesehen legt die Rüge nicht dar, weshalb dies angesichts des Urteilssachverhalts entscheidend sei. Diesem zufolge habe der Beschwerdeführer nämlich (schon dadurch tatbildlich im Sinn des zu den Punkten 1 bis 3 angelasteten Verhaltens) versucht, seine Verbringung zum Landeskriminalamt zwecks weiterer Sachverhaltsaufklärung durch die dann einschreitenden, uniformierten Polizeibeamten G* und S* teils gewaltsam, teils durch Drohungen oder sonstige Äußerungen zu verhindern.

[5] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) behauptet der Sache nach das Vorliegen irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts, weil der Beschwerdeführer vermeint habe, sich gegen seine ungerechtfertigte Festnahme gewehrt zu haben. Sie übergeht dabei jedoch abermals den Urteilssachverhalt, nach welchem der Beschwerdeführer von Beginn an erkannt habe, dass Polizeibeamte wegen des Verdachts der Begehung nach dem Suchtmittelgesetz strafbarer Handlungen eingeschritten seien (US 5 iVm US 9 f).

[6] Dass die (uniformierten) Polizeibeamten G* und S* – im Sinn des § 269 Abs 4 StGB qualifiziert – rechtwidrig gehandelt hätten, behauptet die weitere Rüge nicht. Da ausschließlich gegenüber diesen gesetzte Handlungen des Beschwerdeführers Gegenstand des Schuldspruchs zu den Punkten 1 bis 3 sind, erklärt die Rüge abermals nicht, weshalb die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der beiden anderen (zivilen) Polizeibeamten hier entscheidend sei.

[7] Der Einwand (der Sache nach Z 9 lit a), die an G* und S* gerichtete Aufforderung, „ihn gehen zu lassen“, stelle einen „absolut untauglichen Versuch“ (vgl § 15 Abs 3 StGB) dar, weil „keine Festnahme ausgesprochen wurde“, geht nicht von der Gesamtheit des Urteilssachverhalts aus (RIS‑Justiz RS0099810), demzufolge die einschreitenden Polizeibeamten den Beschwerdeführer nach dessen Festnahme „aus Eigenem“ zwecks „Sachverhaltsaufklärung und Identitätsfeststellung“ in das Landeskriminalamt hätten verbringen wollen (US 5 ff). Weshalb davon ausgehend die Verwirklichung der angestrebten (auf Abbruch dieser Amtshandlung gerichteten) strafbaren Handlung bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung ex ante geradezu denkunmöglich gewesen sei (vgl zum Maßstab RIS‑Justiz RS0115363), wird – abgesehen davon, dass auch insoweit ein Feststellungsmangel nicht prozessordnungskonform geltend gemacht wird (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 602) – nicht nachvollziehbar dargelegt.

[8] Die zu Punkt 4 des Schuldspruchs ausgeführte Rechtsrüge (nominell Z 9 lit b, der Sache nach lit a) bestreitet das Vorliegen der subjektiven Tatseite (Wissentlichkeit in Bezug auf die Unrichtigkeit des vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung gegen G* erhobenen Vorwurfs) und verfehlt ein weiteres Mal den im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt (US 8) materieller Nichtigkeit (erneut RIS‑Justiz RS0099810). Nach diesem habe sich der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung nicht darauf beschränkt, sich auf seine (fehlende) Erinnerung zu berufen, sondern diesem Polizeibeamten dezidiert wissentliche Falschdarstellung im Amtsvermerk vorgeworfen (vgl ON 11, 4; zu den Grenzen zulässiger Verteidigung vgl Pilnacek/Świderski in WK2 StGB § 297 Rz 43 mwN; vgl auch Haslwanter, WK-StPO § 7 Rz 40).

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[10] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[11] Dieses wird zu berücksichtigen haben, dass der Schuldspruch zu Punkt 2/ einen vom Angeklagten nicht geltend gemachten Subsumtionsfehler (Z 10) aufweist, der sich – mangels Einflusses auf den Strafrahmen – nicht konkret zu dessen Nachteil auswirkt (RIS-Justiz RS0100259 [T2]). Versucht ein Täter im Rahmen eines – wie hier festgestellten – einheitlichen Tatgeschehens Beamte durch ein auch nach § 269 Abs 1 StGB tatbildliches Verhalten zum Missbrauch der Amtsgewalt (in Form des Unterlassens einer gebotenen Amtshandlung) zu bestimmen, konkurriert § 302 Abs 1 (iVm §§ 15, 12 zweiter Fall StGB) nicht mit §§ 15, 269 Abs 1 StGB (der zufolge stillschweigender Subsidiarität verdrängt wird), sondern – sofern vom Schädigungsvorsatz des § 302 Abs 1 StGB nicht erfasste Individualrechtsgüter des Beamten betroffen sind – mit dem Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (näher dazu 14 Os 99/24a; RIS‑Justiz RS0109970).

[12] Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

[13] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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