OGH 8ObA5/25f

OGH8ObA5/25f28.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FOI Tamara Haller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. F*, vertreten durch Mag. Stefan Hotz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Universität *, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 38.369,91 EUR brutto sA und Ausstellung eines Dienstzeugnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 24.481,08 EUR brutto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2025, GZ 9 Ra 19/24s‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:008OBA00005.25F.0328.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Der normative Teil von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen; die für die Interpretation von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen normierten Grundsätze des ABGB sind nicht anzuwenden (vgl RS0050963; RS0010088 [T2, T4, T11]). Bei der Auslegung ist deshalb der Wortsinn zu erforschen und es ist die sich aus dem Text selbst ergebende und objektiv erkennbare Absicht der Parteien zu berücksichtigen (RS0010089 [T3, T5, T23, T28]); ein aus dem Text nicht hervorgehender Wille der Parteien ist unbeachtlich (vgl RS0010088 [insb T3, T17, T23, T25]).

[2] 1.2. Verfallsklauseln sind nach ständiger Rechtsprechung nur dann sittenwidrig, wenn ihr Inhalt oder ihre Handhabung durch den Arbeitgeber die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren (RS0016688 [T14]) oder praktisch unmöglich machen (RS0051974 [T5]; vgl auch RS0034487). Für die diesem Einwand zugrunde liegenden Tatsachen ist die Partei beweispflichtig, die aus dem Handeln der anderen wider Treu und Glauben für sich günstige Rechtsfolgen ableitet (RS0034487 [T9]).

[3] 1.3. Ob die Auslegung von Bestimmungen eines Kollektivvertrags oder einer Betriebsvereinbarung zutrifft oder nicht, kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und wirft daher – von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0044358 [T27, T33]; RS0042871 [T19]).

[4] Dasselbe gilt für die Frage, ob ein Verhalten des Arbeitgebers als gegen Treu und Glauben verstoßend anzusehen (8 ObA 35/18g mwN; vgl RS0110900) wäre, sowie generell für die Auslegung von Parteienvorbringen (RS0042828).

[5] 2.1. Die hier zu beurteilende Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit sieht vor, dass während einer Gleitzeitperiode – eines Kalenderjahrs – ein Gleitzeitguthaben 72 Stunden und eine Zeitschuld 24 Stunden nicht übersteigen darf, und dass maximal 24 Stunden an Zeitguthaben bzw maximal acht Stunden an Zeitschuld in die folgende Gleitzeitperiode (das Folgejahr) zu übertragen sind; Zeitguthaben am Ende der Gleitzeitperiode sind insofern Überstunden, als sie diese 24 Stunden übersteigen, und werden mit diesem Anteil im Verhältnis 1 : 1,5 ausbezahlt.

[6] 2.2. Dass der Kläger außerhalb der Normalarbeitszeit angeordnete Arbeiten verrichtet hätte, war nicht feststellbar. Der Kläger hatte von 2015 bis Ende 2019 253,75 Stunden an Zeitguthaben angesammelt, die bis dahin nicht unter Anwendung der eben dargelegten Betriebsvereinbarung am Jahresende als Überstunden abgegolten, sondern auch über das Maß von 24 Stunden hinaus jeweils in das Folgejahr übertragen worden waren.

[7] Die Beklagte zahlte dem Kläger nach gewerkschaftlicher Intervention vom 24. 8. 2020 im September 2020 diese bis Ende 2019 angefallenen Zeitguthabenstunden, vermindert um 24 Stunden an von 2019 auf 2020 übertragenem Zeitguthaben, somit 229,5 Gutstunden, als Überstunden mit 50 % Zuschlag aus.

[8] 2.3. Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend das Begehren des von der Beklagten mit Ende September 2021 gekündigten Klägers auf Auszahlung von darüber hinaus 821,06 Stunden an Zeitguthaben per Ende Juli 2021 als Überstunden ab. Der Kläger hatte seiner Forderungsberechnung und seiner Klage zugrunde gelegt, dass die am Ende jedes Jahres seit 2015 verbliebenen mehr als 24 Gutstunden jeweils um den Faktor 1,5 zu vermehren und in diesem Ausmaß sowie unter Hinzufügung der 24 unmittelbar zu übertragenden Stunden dem Gleitzeitkonto als Gutstunden in der neuen Periode hinzuzurechnen seien; zudem begehrte er die Auszahlung der sich so auf Grundlage der bis Ende Juli 2021 tatsächlich geleisteten Arbeitszeit von ihm errechneten 821,06 Stunden mit einem 50%‑igen Überstundenzuschlag.

[9] Die Vorinstanzen vertraten zusammengefasst, dass eine solche jährliche Aufwertung eines Gleitzeitguthabens um den Faktor 1,5 dazu führen würde, dass jede bei Jahreswechsel nicht ausgezahlte Überstunde mehrfach mit einem 50%igen Zuschlag abgegolten würde, was in der Betriebsvereinbarung keine Deckung finde und dort nicht vorgesehen sei.

[10] Diese Auffassung hält sich im Rahmen des klaren Wortlauts der Betriebsvereinbarung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.

[11] 2.4. Die außerordentliche Revision des Klägers vermag dagegen keine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzuzeigen, zumal sie nicht nachvollziehbar erklären kann, woraus der Betriebsvereinbarung entnommen werden könnte, dass nicht ausgezahlte Überstunden der Vorperiode aufzuwerten wären und im weiteren Verlauf gemeinsam mit neu angefallenen Überstunden der Folgeperiode am Ende der Folgeperiode – nach Art einer Zinseszinsberechnung – neuerlich um denselben Faktor aufgewertet werden sollten. Hinzu kommt, dass das Begehren des Klägers – wie er in seiner Revision nochmals ausdrücklich darlegt – darauf gerichtet ist, die auf diese Weise exponentiell zu vermehrenden Gutstunden am Ende sogar nochmals mit 50 % Überstundenzuschlag zu entlohnen, wofür erst recht keine Grundlage in der Betriebsvereinbarung zu finden ist.

[12] 2.5. Nach den übereinstimmenden Vorbringen der Parteien und den diesen korrespondierenden Feststellungen hatte der Kläger in 56 Monaten (Mai 2015 bis Ende 2019) 253,75 Überstunden tatsächlich geleistet (was überschlagsmäßig etwa viereinhalb Überstunden pro Kalendermonat entsprach), welche ihm die Beklagte nach den Feststellungen im September (abzüglich des in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Übertrags von 24 Stunden auf 2020) auch mit 50 % Zuschlag abgegolten hat (obwohl die Anordnung von Überstunden nicht feststellbar war). Nach den anspruchsbegründenden eigenen Behauptungen des Klägers sowohl in erster Instanz als auch – damit ident – in der Berufung und zuletzt auch in der Revision reduzierte sich in der Folge sein Zeitguthabenstand (abgesehen von den 229,5 ausgezahlten Gutstunden) im Jahr 2020 gegenüber dem Stand Jahreswechsel 2019/2020 um 24,5 tatsächlich verbrauchte Gleitzeitstunden und erfuhr im Jahr 2021 keine weiteren Veränderungen; dementsprechend war der von 2019 auf 2020 rechnerisch vorgenommene Übertrag von 24 Stunden Ende 2020 ebenso wie bei Beendigung des Dienstverhältnisses aufgebraucht und es bestanden keine Gutstunden mehr.

[13] Zur Darlegung der Revision, es fehlten Feststellungen zu den tatsächlich geleisteten Mehrstunden des Klägers, genügt daher der Hinweis auf dieses im Tatsächlichen nicht substanziiert bestrittene, der Klagsberechnung zugrundeliegende Vorbringen, das die Vorinstanzen ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundelegten. Die Berechtigung der „Aufwertung“ dieser tatsächlich geleisteten Mehrstunden ist hingegen der rechtlichen Beurteilung zuzuordnen, wozu der Kläger wie dargelegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Rechtsfehler aufzeigen kann.

[14] 2.6. Soweit die Revision das hohe Arbeitspensum des Klägers und das Ignorieren seiner Hilferufe wegen Überlastung durch die Beklagte behauptet und dieser sittenwidrige Ausbeutung seiner Arbeitskraft dadurch vorwirft, dass sie sich nur dadurch die Einstellung einer zusätzlichen Arbeitskraft erspart hätte, vermag sie auch damit keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[15] Wenn das Berufungsgericht nämlich von der dargelegten Tatsachengrundlage ausgehend insgesamt die Ansicht vertrat, kein rechtswidriges Verhalten der Beklagten erkennen zu können, sodass sittenwidrige Ausbeutung als schadenersatzrechtlicher Anspruchsgrund ausscheide, so ist dies – zumindest – vertretbar; worin eine Ausbeutung von Arbeitskraft bei im Schnitt von mehr als vier Jahren etwas mehr als einer Überstunde pro Arbeitswoche liegen sollte, vermag die Revision nicht plausibel zu machen.

[16] 3.1. Auf das Dienstverhältnis des Klägers ist unstrittig der Kollektivvertrag für ArbeitnehmerInnen der Universitäten (in der Folge: KV) anzuwenden, der in seinem § 64 vorsieht, dass Ansprüche wie hier bei sonstigem Ausschluss innerhalb von sechs Monaten ab Fälligkeit vom Arbeitnehmer bei der Universität schriftlich geltend zu machen sind (Abs 2), und dass bei rechtzeitiger Geltendmachung die Ansprüche auch über die dort vorgesehenen Fristen hinaus gewahrt bleiben, wenn der Arbeitnehmer innerhalb von drei Monaten nach Erhalt einer endgültigen abschlägigen Mitteilung der Universität (Abs 3 lit a) bzw sechs Monaten, falls sich die Universität bis dahin nicht schriftlich geäußert hat (Abs 3 lit b), Klage beim zuständigen Gericht einbringt.

[17] 3.2. Nachdem der Kläger mit dem gewerkschaftlichen Schreiben vom 24. 8. 2020 eine höhere Einstufung – aus Gleichbehandlungsgründen mit ab 2020 erfolgenden Ausschreibungen anderer Posten mit ähnlicher Tätigkeitsbeschreibung – verlangt hatte, reihte ihn die Beklagte im September 2020 rückwirkend ab August 2020 in eine höhere Verwendungsgruppe mit entsprechend höherer Entlohnung ein. Weiters steht fest, dass der Kläger konkrete Ansprüche auf Entlohnung nach der höheren Verwendungsgruppe für den Zeitraum davor (von Jänner bis Juli 2020) erstmals mit Schreiben vom 21. 7. 2021 – nach Aufkündigung durch die Beklagte – stellte.

[18] 3.3. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass die vom Kläger aus dem Titel Gehaltsdifferenz aufgrund falscher Einstufung im Zeitraum Jänner bis Juli 2020 einschließlich anteiligen Sonderzahlungen begehrten insgesamt 2.985,73 EUR bereits verfallen waren.

[19] Auch diese Beurteilung der Vorinstanzen entspricht dem Kollektivvertrag und hält sich im Rahmen des gerichtlichen Beurteilungsspielraums. Das Berufungsgericht hat hierzu zumindest vertretbar darauf hingewiesen, dass weder den Behauptungen des Klägers noch den Feststellungen konkret zu entnehmen ist, warum ihm durch die behauptete fehlerhafte Einstufung oder die Verfallsfrist als solche und deren Handhabung die rechtzeitige Geltendmachung des diesbezüglichen Anspruchs erschwert oder praktisch unmöglich gemacht worden wäre (vgl RS0051974 [T5]).

[20] 4. Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft; sie liegen nicht vor. Abgesehen davon, dass bereits das Berufungsgericht Verfahrensfehler des Erstgerichts verneint hatte, was in dritter Instanz nicht mehr releviert werden kann, liegt auch keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor: Im Unterbleiben von Beweisaufnahmen zur Auslegung der Betriebsvereinbarung liegt keine Mangelhaftigkeit, weil diese – wie das Berufungsgericht aufzeigte – nicht wie eine Willenserklärung auszulegen ist (vgl RS0010088 [T2]; RS0010089).

[21] In Ansehung der Auslegungsgrundlagen bestehen dementsprechend auch keine rechtlichen Feststellungsmängel.

[22] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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