European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00041.25Z.0328.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Ungültigkeit von Verträgen aufgrund von Geschäftsunfähigkeit (vgl RS0009075) erfordert eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche bedingte vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite seines Handelns einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren (vgl 6 Ob 44/13h mwN; RS0009075 [T8, T12]). Partielle Geschäftsunfähigkeit liegt vor, wenn der Betroffene unfähig ist, die Tragweite eines bestimmten konkreten Geschäfts abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren (6 Ob 44/13h mwN); die Freiheit zur Willensentschließung – im Sinne eines Ausschlusses der Fähigkeit, entsprechend der Einsicht in die Tragweite eines Geschäfts auch zu disponieren – darf nicht bloß „tangiert“, sondern muss tatsächlich „aufgehoben“ sein (RS0014626 [T2, T3]; 6 Ob 44/13h; 9 Ob 45/15f; 9 Ob 91/16x; 4 Ob 28/19z; 2 Ob 91/20a Rz 15).
[2] Die Beweislast für das Fehlen dieser Fähigkeiten trifft den Kläger (vgl RS0014645).
[3] Die Beurteilung, ob diese Fähigkeiten fehlten, ist typischerweise eine solche des Einzelfalls (vgl RS0117658), womit sich – von Fällen grober Fehlbeurteilung abgesehen – keine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO stellt.
[4] 1.2. In Glücksspielfällen gilt kein anderer Maßstab (5 Ob 190/15z; 9 Ob 91/16x). Die bloße Diagnose von Spielsucht führt nicht schon automatisch zur Geschäftsunfähigkeit (10 Ob 52/16v; 4 Ob 28/19z = RS0009075 [T13]). Umso weniger ist im hier vorliegenden Fall von weder dem GSpG oder dem Glücksspielmonopol des Bundes unterliegenden noch sonst gesetzlich verbotenen Sportwetten (8 Ob 112/23p Rz 11 mwN) – Wetten, die aus Anlass sportlicher Veranstaltungen und damit im Zusammenhang mit einer körperlichen Betätigung im Wettkampf/Wettspiel vorgenommen werden (1 Ob 176/22x Rz 18 mwN) – ein anderer Maßstab geboten.
[5] 1.3. Beim Kläger bestand zusammengefasst aus psychiatrischer Sicht zwar die Diagnose des „pathologischen Spielens“ (Spielsucht) laut ICD 10 im Sinne einer Störung der Impulskontrolle, jedoch ohne Vorliegen neurologischer Störungen oder Erkrankungen. Es lag hinsichtlich seiner Wetttätigkeiten zwar eine „relevante“ Herabminderung seiner Steuerungsfähigkeit und seiner voluntativen Fähigkeiten vor, wobei er sich aber der Dimension seines krankhaften Verhaltens sowie der sozialen und finanziellen Konsequenzen durchaus bewusst war, er trotz der relevanten Herabsetzung dennoch bewusste Willenshandlungen setzen konnte, und seine Kritikfähigkeit nicht völlig außer Tritt gesetzt war. Ihm war es möglich, Handlungen zu setzen, um seine Spielsucht zu kaschieren. Er konnte durchgehend die Tragweite seines konkreten Handelns beurteilen und abschätzen und hätte sich auch gegen das Wetten entscheiden können; er verfügte über alle Fertigkeiten, die es braucht, um einen freien Willen zu bilden, sich kognitiv mit etwas auseinanderzusetzen, Entscheidungen zu treffen und diese auch umzusetzen.
[6] 1.4. Die Vorinstanzen verneinten hiervon ausgehend die Geschäftsunfähigkeit des Klägers (und daher die Berechtigung des gegen den beklagten Online-Sportwettenanbieters gerichteten Klagebegehrens auf Rückzahlung der über einen Zeitraum von etwas über 43 Monaten erlittenen Spielverluste), was sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums hält.
[7] 1.5. Die Revision versucht, partielle Geschäftsunfähigkeit daraus abzuleiten, dass nicht die getroffenen Feststellungen zugrundelegt werden, sondern – behauptetermaßen fehlende – Feststellungen dahin, dass der Kläger in konkreten Situationen sein Verhalten nicht habe steuern und keine richtigen Entscheidungen habe treffen können. Demgegenüber steht hier – im Einzelfall ausreichend konkret (vgl RS0014626 [T4]) – sehr wohl fest, dass der Kläger sich gegen die Abgabe der einzelnen Wetten entscheiden konnte, was vertretbar nicht nur – wie die Revision vermeint – im Sinne einer „theoretischen Möglichkeit“ oder phasenweise nicht vorhandenen Fähigkeit zu verstehen ist. Es wird somit keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
[8] 2.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können einen Vertragspartner grundsätzlich vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten treffen, die darauf abzielen, die Rechtsgüter des Anderen, mit denen er in Berührung kommt, nach Tunlichkeit vor Schaden zu bewahren (6 Ob 221/18w; vgl RS0013922).
[9] Allerdings hat der Oberste Gerichtshof zu Schutz- und Sorgfaltspflichten von Glücksspielanbietern außerhalb des Anwendungsbereichs von § 25 Abs 3 GSpG bereits ausgeführt, dass die Rechtsordnung im Allgemeinen den Vertragspartnern von Süchtigen weder eine Überwachungspflicht (vgl 4 Ob 28/19z mwN) noch sonst Pflichten dergestalt auferlegt, sie vor ihrer Sucht und der damit verbundenen Selbstschädigung zu schützen; Anderes könnte etwa bei positiver Kenntnis des Betreibers von der Existenzgefährdung seines Vertragspartners durch das Glücksspiel gelten (1 Ob 176/22x Rz 54 mwN).
[10] Wie oben bereits angesprochen sind auch zur Frage der Wettsucht insofern keine anderen Maßstäbe geboten (vgl eingehend 1 Ob 176/22x [auch zur Nichtanwendbarkeit des Steiermärkischen Wettengesetzes 2018, LGBl 2018/9]).
[11] 2.2. Umstände im zuletzt genannten Sinne liegen hier aber nicht vor und werden auch von der Revision nicht konkret aufgezeigt, zumal nicht feststeht, dass der Kläger bei der hier Beklagten Wetteinsätze tätigte und Verluste erlitt, die die erforderlichen Dimensionen erreichten; woher die Beklagte als einer von mehreren Vertragspartnern des Klägers (mit vergleichsweise geringeren Verlusten) von einer Existenzgefährdung des Klägers wissen hätte sollen, legt die Revision nicht dar und ist auch sonst nicht ersichtlich. Woraus die Revision ableiten will, dass die Beklagte den Kläger spätestens nach dem Verlust der ersten 10.000 EUR sperren hätte müssen, legt sie nicht substanziiert dar und erschließt sich auch nicht. Auch insofern stellt sich daher keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage.
[12] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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