OGH 8Ob14/25d

OGH8Ob14/25d28.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* GmbH, *, vertreten durch die Skribe Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W* G*, vertreten durch Mag. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, wegen Duldung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 28. November 2024, GZ 1 R 75/24w‑18, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 30. Jänner 2024, GZ 9 C 240/23a‑12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00014.25D.0328.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unionsrecht

 

Spruch:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Landesgericht St. Pölten am 19. Juni 2024 zu 21 R 81/24f beschlossenen, am 3. Juli 2024 eingereichten und zu C‑468/24 des Gerichtshofs der Europäischen Union behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Strom-Verteilernetzbetreiberin. Die Beklagte ist Endverbraucherin und bezieht aufgrund eines Netznutzungsvertrags mit der Klägerin Strom. An ihrer Wohnadresse befindet sich ein von der Klägerin zur Verfügung gestellter und in ihrem Eigentum stehender Zähler, dessen Eichfrist im Jahr 2023 abgelaufen ist.

[2] Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, den Ausbau des Strommessgeräts durch Zutritt zur Messstelle zu dulden.

[3] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Aufgrund der vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtung der Klägerin auf Gewährung des Netzzugangs sei diese verpflichtet, der Beklagten ein gesetzeskonformes Messgerät zur Verfügung zu stellen, zumal der Ausbau des Zählers zur Stilllegung der Stromzufuhr führe. Der Beklagten komme dabei ein Wahlrecht zu, einen mechanischen Zähler zu wählen.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Klägerin sei aufgrund ihres Eigentumsrechts berechtigt, von der Beklagten die Herausgabe des bei ihr befindlichen Zählers zu fordern. Das danach einzubauende Messgerät sei nicht Gegenstand des Verfahrens.

[5] Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Beklagten dieses Urteil zur Verfahrensergänzung auf. Angesichts des Zug-um-Zug-Einwands der Beklagten, den diese auf den aufrechten Vertrag stützen könne, seien ihre Behauptungen, durch das in Aussicht genommene Messgerät werde ihre Gesundheit beeinträchtigt und der Datenschutz unzureichend gewährleistet, auf Tatsachenebene durch Einholung der dazu beantragten Sachverständigengutachten zu prüfen.

[6] Den Streitgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ es unter anderem im Hinblick auf das vom Landesgericht St. Pölten gestellte und beim EuGH zu C‑468/24 anhängige Vorabentscheidungsersuchen zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Mit ihrem von der Beklagten beantworteten Rekurs strebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an.

[8] 1. Das Landesgericht St. Pölten legte mit Beschluss vom 19. Juni 2024 zu 21 R 81/24f in einem Parallelverfahren dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„1. Ist Art. 22 der Richtlinie (EU) 2019/944 in Verbindung mit Anhang II dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass ein Netzbetreiber den Wunsch eines Endverbrauchers, kein intelligentes Messgerät zu erhalten, zu [berücksichtigen] hat und in diesem Fall verpflichtet ist, dem Endverbraucher an der Stelle eines intelligenten Messsystems einen konventionellen Zähler zur Verfügung zu stellen?

2. Ist Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2014/32  (EU), der ein ꞌMessgerätꞌ im Sinne der gerätespezifischen Anhänge III bis XII näher definiert (Elektrizitätszähler für Wirkverbrauch [MI‑003]) in Verbindung mit Art. 20 Buchst. b und Buchst. c und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 so auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Rechts (§ 7 Abs. 1 Z 31 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz, in der Folge kurz: ElWOG), die keine konkreten Anforderungen an die Datensicherheit von Messgeräten stellt, entgegensteht?

3. Ist bei der Auslegung der Art. 20 Buchst. b und Buchst. c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a, Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 auch auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG in der durch die Richtlinie 1999/34/EG geänderten Fassung Bedacht zu nehmen?

4. Ist Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG dahin auszulegen, dass der Begriff ꞌelektronisches Kommunikationsnetzꞌ auch auf ein Stromnetz anzuwenden ist, über welches Daten (Verbrauchsdaten, Meta-Daten, persönliche ID) nach den Zwecken der Art. 20 Buchst. b und Buchst. c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 übertragen werden?

5. Sind die Art. 5 Abs. 1 Buchst. f, Art. 13, Art. 32 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 und Art. 7, Art. 8 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: ꞌGRCꞌ) dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift (§ 1 Abs. 6 Intelligente Messgeräte-Einführungsverordnung) entgegenstehen, nach welcher nur die jeweilige Konfiguration des Ableseintervalls für den Endverbraucher ersichtlich sein muss, nicht aber, ob der Netzbetreiber einen ꞌbegründeten Einzelfallꞌ (§ 84a Abs. 1 ElWOG) erkannt hat und Daten des Endverbrauchers vor dem festgelegten Intervall abgerufen hat?

6. Ist im Hinblick auf Art. 52 Abs. 3 GRC, Abs. 5 der Präambel und die Erläuterungen zu Art. 7 GRC die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK für die Auslegung der Art. 20 Buchst. b und Buchst. c, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2019/944 heranzuziehen?“

[9] Das Vorabentscheidungsersuchen wurde am 3. 7. 2024 beim EuGH eingereicht, das Verfahren ist zu C‑468/24 anhängig.

[10] 2. Dieses Vorabentscheidungsverfahren ist für die Entscheidung im vorliegenden Fall, in dem die Beklagte einen Einwand der Zug-um-Zug-Leistung erhoben hat, präjudiziell.

[11] 3. Da der Oberste Gerichtshof von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen sowie diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden hat, ist es zweckmäßig und geboten, das Rekursverfahren zu unterbrechen (RS0110583).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte